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(iHSCHICHTE
di;r
WIENER UNIVERSITÄT
VON 1848 BIS 1898.
AI,S IllLDUil MJSI-KSlScJIKiri /.IM HNI/.UiJAllKKlKN
ni-:i;ii:iMN(;sjuui„\iM skinku k. i. k. ai'us[oi,is<;hkn
MAJKSr.Vr MKS KAISICKS
FRANZ JOSEF I.
\K\i)KMis(:iri:N sknaik dkk wiknku inivkhsiiu-
WIKN, IHOö.
IN i.i>MM|>Mi>N i;i.l Al.l Kl.l' Ih'l !
HARVARD
UNIVERSITY
LI3RARY
AUG Ig 1959
I>riKk voll .\1)')1 I' lloI./IIArSI-.N in \\ ieii.
h. tM> K. Hof- VNP l-NIVf.KMrjiTS-HUHPRl'CkFK.
^«srsp*
1(03»
VORWORT.
Das fiinfzifijährif-c Kcj;icnin'isjuhilaum Sr. Majestiit unseres
geliebten Kaisers glaubte aiieh Jie Vertretung unserer l'niver-
sitiit in würdiger Weise feiern zu sollen. Aber den Wünschen
des Kaisers entsprechend, welcher jedes äussere Geprange aus
diesem Anlasse vermieden wissen wollte, sollte nicht ein Fest-
acl abgehalten, sondern gezeigt werden, wie viel die l'niver-
sitiiten Österreichs überhaupt und namentlich unsere Hoch-
schule der wohlwollenden Fürsorge des Kaisers und seiner
Käthe zu verdanken haben. Der akademische Senat hat daher
in seiner Sitzung vom i6. März iSoS auf Anregung des Hectors
llofrath 'i'oldt beschlos.sen eine '(leschichte der Wiener l'ni-
versität von i H48 bis 1 8«)8 - als Festschrift herauszugeben,
welche in dyrchaus objectiver Wei.se die Ausgestaltung der
IV Vorwort.
Universitätsverfassung im allgemeinen und der einzelnen Facul-
täten im besonderen behandeln und zugleich die Rückwirkung
derselben auf Wissenschaft und Unterricht, auf staatliche und
öffentliche Interessen und auf das Volkswohl zur Darstellung
bringen sollte.
Zur Durchführung dieses Unternehmens wurde vom akade-
mischen Senate ein Comitc aus Mitgliedern der verschiedenen
Facultätcn eingesetzt und Hofrath Huber als Obmann desselben
bestellt. Nach den Beschlüssen dieses Comites sollte die
Festschrift zerfallen aj in einen allgemeinen Theil, welcher nach
einem kurzen Rückblicke auf die Schicksale der Wiener Uni-
versität seit ihrer Gründung die Gesammtentwicklung derselben
in den letzten fünfzig Jahren darstellt, b) in einen besonderen
l'heil, welcher, nach den vier Facultäten gegliedert, das Resultat
der Thatigkeit der Universität während dieser Periode mit Hin-
weis auf den Zustand vor 1848 in den einzelnen Wissens-
gebieten umfasst, welchem c) als Anhang eine statistische Über-
sicht über die Frequenz, die Promotionen, Stiftungen und Wohl-
thätigkeitsanstahen folgt.
Die Ausarbeitung des allgemeinen Theiles übernahm auf
Wunsch des Comites der emeritierte Professor Hofrath Robert
v. Zimmermann, welcher leider die Ausgabe des Werkes nicht
mehr erleben sollte, indem er am 3i. August 1898 unerwartet
vom Tode hinweggerafft wurde.
Die Geschichte der theologischen Facultät verfasste der
Decan derselben Professor Wilhelm Neumann, jene der medi-
cinischen Theodor Puschmann, Professor der Geschichte der
Medicin.
Bei der Verschiedenheit der Wissenszweige an der rechts-
und staatswissenschaftlichen und philosophischen Facul-
Vorwort. V
tat war es nothwcndig, die Vertreter der verschiedenen Lehr-
kanzeln und einzelne Lehrer um ihre Mitwirkung zu ersuchen.
Die Redaction der eingelieferten Artikel übernahm I^rofessor
Schrutka v. Rechtenstamm für die juridische, Hofrath
Schenkl für die humanistische, Hofrath 'I'schermak für die
mathematisch-naturwissenschaftliche Gruppe der philosophischen
Facultat. Den yVbschnitt über die Universitätsbibliothek sammt den
zu diesem gehörigen Tabellen hat der Lniversitiitsbibliolhekar Herr
Regierungsrath F. Grassauer ausgearbeitet. Die im Anhange ge-
gebenen Übersichten über die Rectoren und Decane, die Frequenz-
verhiiltnisse und die Doctorpromotionen von 1 848 bis 1 898, wie über
die Siipendienstiftungen und Wohlthiitigkeitsanstalten wurden von
den betreffenden Universitiitsamtern unter Aufsicht des Kanzlei-
directors IVivatdocenten Dr. Brockhausen zusammengestellt,
welcher letztere auch den allgemeinen 'I heil der Geschichte
der rechts- und staatswissenschaftlichen Facultat (die juri-
dischen Studien- und Prüfungsordnungen) verfasst hat. Zu dem
Anhange wurden von Hofrath 'I'oldt erläuternde Bemerkungen
beigefügt.
Von den zur künstlerischen Ausschmückung der Festschrift
dienenden Beigaben sind die Fav'ade und der Arcadenhof, welche
als Anfangs- und Schlussvignette dienen, vom IVofessor Georg
Niemann gezeichnet. Die weiteren Zeichnungen, die Siegel,
Stabe und die Rectorskette.') sind von Schülern des Prof. William
Unger, den Herren August Steininger, Alfred Kossmann und
Hans Fischer, angefertigt.
') Die über dieselben mitgetheilten geschichtlichen Daten stammen von dem
Herrn rnivcrsitäisarchivar, Scctionsrath I>r. Karl Schnauf, welcher sich auch sonst
durch die Beischatfung archivalischcn Materials um die Festschrift sehr \erdieni ge-
macht hat. Vgl. auch Karl v. Sa\a, hie Siegel der Wiener l'niNersiiai und ihrer
Facultaicn. «Hcrichte und Mitth. des Altcrthums \ oreines zu Wien* III ^iS5*^). 141 tf.
VI Vorwort.
Das grosse Universitätssiegel, welches auf dem Titelblatt
erscheint, ist schon den ältesten von der Universität im Jahre i366
ausgestellten Urkunden angehängt. Doch ist es nach der Mitte des
1 6. Jahrhunderts durch ein neues, im Spätrenaissancestil gearbeitetes
Siegel verdrängt worden. Jetzt sind beide nicht mehr in Gebrauch.
Auch ein kleines Siegel zum persönlichen Gebrauch des
Rectors wird schon im Jahre 1384 erwähnt. Das am Ende
des «Allgemeinen Theiles» abgebildete mit dem von einer Hand
gehaltenen aufgeschlagenen Buche stammt aus der zweiten Hälfte
des 16. Jahrhunderts.
Von den Facultätssiegeln, welche am Schlüsse der betreften-
den Abschnitte abgebildet sind, wurde das grosse Siegel der
theologischen Facultät im Jahre 1396 um den Preis von
10 (Gold-) Gulden hergestellt.
Ein Siegel der juridischen Facultät wird zuerst in einer
Urkunde von 1470 erwähnt.
Das älteste Siegel der medicinischen Facultät wurde
im Jahre 1404 bestellt, 1571 aber ein neues angefertigt.
Die Anfertigung eines Siegels der Artistenfacultät wurde
i387 beschlossen, und im folgenden Jahre war dasselbe bereits
vorhanden.
Die fünf Scepter oder Pedcllenstäbe, welche am Anfange
der einzelnen Capitel abgebildet erscheinen, sind von sehr un-
gleichem Alter.
Das Scepter des Uectors, welches noch heute in (ie-
brauch ist, wurde erst im Jahre 1558 angefertigt, wie die daraul
angebrachte Inschrift: sckptkv.m RK(Ti»RAJVs vnivkrshatis vikn-
NKNsis 1558 zeigt.
Von der theologischen Facultät wurde die Anschalliing
eines Scepters aus Silber ^iiJ instar aliantm fücultatum^ im
Vorwort ^ H
Jahre 141 3 beschlossen. Das noch im CJehrauche befindliche
(dritte), welches wenigstens 150 Ciulden rhein. gekostet hat,
wurde im Jahre 1601 hergestellt.
Das jetzige Scepter der juridischen P^acultat wurde im
Jahre 161 5 angefertigt, wie sich aus der darauf befindlichen
Inschrift: sckitkvm kacvltatis ivkidicak in archigy.mnasio
VIKNNKNSI DK NOVO CONFKCTVM ANNO SAI.VTIS MDCXV ergibt.
Die mcdicinische Facultiit erhielt ihr erstes Scepter 1446,
das jetzige, nachdem das alte langst zerbrochen war, 161 5 als
(Jeschenk des Kectors Geisler, wie aus der darauf befindlichen
Inschrift: sKJisMVNin «.kisi-kr d. sckimrvm hoc imi'ensis i'Ki)PKiis
FIKKI l-KCrr AC KACVLTATI MKDK K VNriS VIKNN. IN SVI MKMORIAM
DoNAvrr ANNO sALvris M.iH.xv. hervorgeht.
Das Scepter der Artisten facul tat wurde im Jahre 1401
hergestellt, dieses aber 1666 durch ein neues, das noch jetzt im
(Gebrauche befindliche, ersetzt.
in ihrer ursprünglichen (Jestalt sind freilich alle diese Scepter
nicht mehr vorhanden. Obwohl sie wiederholt repariert wor-
den waren, befanden sie sich im Jahre 1844 nach einer Anzeige
des Pedellenamtes in einem so schadhaften Zustande, dass für
deren weitere Brauchbarkeit selbst bei der grössten Vorsicht
nicht mehr gebürgt werden konnte, da sie jeden Augenblick
«dem ganzlichen Zerbrechen drohen >. Auf ein Ansuchen des
rniversitatsconsistoriums an die niederöslerreichische Landes-
regierung wurden nun alle fünf Stabe von der Firma Mayer-
hofer und Klinkosch um den Preis von 440 (iulden neu her-
gerichtet.
Im Jahre i 792 wurden dem Rector und den Decanen als Aus-
zeichnung goldene Medaillen verliehen, welche sie bei oHent-
lichen Feierlichkeiten an einem liande trauen sollten. Statt des
Bandes bewilligte der Kaiser Franz II. 1801 dem Rector eine gol-
dene Kette. Da aber goldene Medaillen in gleicher Grösse und
Form bald auch an Beamte, ja selbst an Diener und Armen-
väter verliehen wurden, so richtete das Universitätsconsistorium
am 3. Juni 1804 an den Kaiser die Bitte, dass diese Inslgnien
für den Rector und die Decane abgeändert und auch den letz-
teren goldene Ketten verliehen werden möchten. Diese Bitte
wurde mit Allerhöchster Entschliessung vom i3. December 1804
bewilligt und um den Preis von 3225 Gulden neue Medaillen
und Ketten hergestellt. . Die des Reclors ist hier abgebildet.
ALLGEMEINER THEIL.
Die Wiener Universität ist eine SchÖpfunj^
des H;tbsburgischun,wie die ihr nur um wenijje
Jahre vnrangegiingene Praj^er ( 1 348) eine solche
des l.uxemburgisehen Hauses. llcr/.o{; Hudoll",
der Vierte dieses Namens, ist der Stifter der
/''^^is ^^^ einen. Kaiser Karl, yleiehfalls der Vierte dieses
J'<3tc,' ^ ^ ^i Jk Namens, der Stifter der anderen. Glücklicher
^^^xt^iJUB^y^ als ihre Vorlaufcrin. die schon kurz nach Ab-
lauf ihres ersten Jahrhunderts in die lliinde
einer land- und stammfremden Dynastie, der
polnischen Jagellonen überfiienf;, hat die Wiener
Universität länger als ein halbes Jahrtausend
hindurch bis auf den heutigen Tag unter dem
Schutze desselben einheimischen, angestamm-
ten deutschen Regentenhauses beharrt und an
den wechselnden Schicksalen desselben, seinen
glanzvollen Krhebungen, schweren Drangsalen und glorreichen
Krneucrungcn, zugleich mit dem Staate, den es gegründet, und
der Stadt, in der es seinen Sitz aufgeschlagen hat. nie er-
loschenen Antheil genommen.
Die Universität zu I'rag war die erste, die Wiener Hoch-
schule die zweite auf dem linden des heiligen römischen Reiches
deutscher Nation. .Muster und Vorbild für beide bot die Pariser
Universität, welche seit dem zwölften Jahrhundert auf dem
(»ebiete der .scholastischen Theologie und Philosophie den Ton
2 Allgemeiner Theil.
angab und als Hochschule zuerst (seit i23i) sämmtliche bis
auf den heutigen Tag noch bestehende vier Facultäten, die
theologische, juridische, medicinische und « artistische > (philo-
sophische) umfasste, während ihre gleichzeitigen Rivalinnen, die
Schule zu Bologna als Rechts-, die Schule zu Salerno als
medicinische Fachschule in Ansehen standen. Dieselbe trug,
ihrem Wesen und dem Geiste des Mittelalters entsprechend,
den Charakter einer unter dem Schutze der Kirche und des
Staates, des Papstes und des Kaisers als deren Repräsentanten,
bestehenden privilegierten, immunen und autonomen Corpo-
ration, die als Gesammtheit von Lehrern und Schülern (magi-
strorum et scholarium) den Namen: Universität (universitas)
empfieng. Später wurde derselbe auf das Studium, welches
als solches das allgemeine hiess, und auf den Lehrgegenstand,
welcher das Ganze (Universum) des Wissens ausmachte, über-
tragen.
Wie den Umfang der Kirche und des Kaiserthums nach
mittelalterlicher Auffassung die Gesammtheit aller Nationen, so
sollte die Grundlage der Universität die nach ihrer Herkunft
aus den vier Weltgegenden in vier Nationen eingetheilte Ge-
sammtheit ihrer Angehörigen bilden. Dieselben machten zu-
sammen den eigentlichen Stammkörper, jede derselben für sich
ein integrierendes Glied des Gesammtorganismus aus. Die aus
der Mitte jeder Nation gewählten Vorstände derselben hiessen
Procuratoren, und in ihren Händen lag die Wahl des ersten
Vorstandes der Gesammtassociation, des Rector magnificus, der
selbst ein Angehöriger der Universität sein musste, aber sowohl
ein Magister als ein Scholar sein durfte.
Die Pariser Universität, deren Sitz die Hauptstadt des
fränkischen Königreiches war, unterschied als Nationen: Galli-
kaner, welche alle Angehörigen südlich von Paris gelegener
Länder (Südfrankreich, Italien, Spanien), Normannen, welche
diejenigen westlich, Picarden, welche die nördlich gelegener um-
fasste, und Engländer, zu welchen auch die Deutschen und Nord-
länder gezählt wurden, welche alle übrigen Landstriche be-
griff. Die Eintheilung der IVager Universität, welche zwei
deutschen Nationen (Bayern und Sachsen) zwei slavische
Allgemeiner Theit 3
(Böhmen und Polen) gegenüberstellte, spiegelte den Herrscher-
gedanken des Luxemburgers wieder, welcher die Moldaustadt
zum dauernden Sitz einer sich von der Elbe über Oder und
Spree bis ans Meer und die Weichsel sich erweiternden Haus-
macht zu erheben bemüht war. Unter den vier Nationen der
künftigen Wiener Universität erscheint neben drei deutschen
(der österreichischen, sachsischen und rheinischen') zum ersten-
mal als selbständig genannte die an der Schwelle des Orients
gelegene ungarische Nation und wirft das künftige Donaureich,
zu dessen geistigem Mittel- und Einigungspunkt die werdende
junge Universität, vom Stifter ungewusst, im Laufe der (ie-
schichte sich auszugestalten bestimmt erschien, seinen welt-
historischen Schatten voraus.
Die mittelalterliche Universität war ein Staat im Staate;
die neue Wiener Universität sollte, der Absicht des Stifters
gemäss, auch ihrer äusseren Erscheinung nach eine c Stadt in
der Stadt» sein. Fast ein ganzes Stadtviertel, vom heutigen
Minoritenplatz, der Stadtmauer entlang, bis zum ehemaligen
Schottenthore reichend, sollte der Hochschule gewidmet sein.
Eine eigene Ringmauer war bCvStimmt, den der Pflege der
Wissenschaft in klösterlicher Stille geweihten Raum von dem
bürgerlichen Treiben der übrigen Einwohner abzusondern. Was
innerhalb dieses Umkreises lag und wer innerhalb desselben
wohnte, war jeder ausserhalb der Ringmauern waltenden
städtischen oder landesfürstlichen Gewalt entrückt. Die aka-
demische Bürgerschaft, Lehrer und Schüler, bildete ein freies
(Jemeinwesen, das seine eigene unabhängige Gerichtsbarkeit
besass.
Die junge Schöpfung war bestimmt, an die Stelle der
Domschule zu treten, welche bisher, wie fast an allen Kathe-
dralen seit Karls des Grossen Zeit, auch am Dom zu St. Stephan
bestanden hatte. Als Zeichen des inneren Zusammenhanges ward
die Stiftungsurkunde im Stephansdome niedergelegt und der
IVopst desselben zum Kanzler der Hochschule eingesetzt.
*) Diese irai an die Stelle der ursprünglich (i366> eingeführten Ixihmischen
Nation.
^ Allgemeiner Theil.
In dieser vom Stifter gedachten Gestalt ist sein Werk nicht
zur Ausführung gelangt. Herzog Rudolf IV. starb kinderlos
noch im nämlichen Jahre, dessen Zahl die Urkunde seiner Stif-
tung trägt (1365). Sein Bruder und Nachfolger Albrecht III. wurde
der wirkliche Gründer der Universität. Das von Rudolf IV.
als künftiges Quartier latin in Aussicht genommene Wimmer-
viertel wurde gegen das Stuben viertel ausgetauscht; statt eines
ganzen Stadtviertels erhielt die Hochschule, zwölf Jahre nach
dem Tode ihres Stifters, ihr erstes Haus (1377). Wie die
Pariser Sorbonne mit dem vom Caplan des heiligen Ludwig,
Robert de Sorbon, gestifteten Hause, das heute noch seinen
Namen trägt, 1250, so beginnt die Wiener Universität mit dem
in der Nähe des heutigen Dominikanerklosters am ehemaligen
Stubenthore an der Stelle eines angeblichen Tempelherren-
gcbäudes errichteten und nach dem Stifter benannten Collegium
Albertinum ihr geschichtliches Dasein.
Wie die äussere und innere Verfassung, so waren die ersten
Lehrer der neuen Universität von Paris entlehnt. Unter denen,
die von derselben berufen wurden, aber nicht Landeseingeborene
waren, waren der Aristoteliker Albert von Riggensdorf und der
Theologe Heinrich von Langenstein die gelehrtesten, unter den
ICinheimischen, die im Laufe des ersten Jahrhunderts ihres Be-
standes sich auszeichneten, der Historiker Thomas Kbendorfer von
Haselbach der bedeutendste. Die geistige Entwicklung der Hoch-
schule hielt mit jener der übrigen noch im selben Jahrhundert
(Heidelberg i38f), Köln i388, Krfurt 1392) und nach der im Jahre
I4()(^ erfolgten gewaltsamen Austreibung aus Prag im folgenden
(Leipzig I4()<^ iMciburg i. Br. i.}5(), Tübingen 1477 u.a.) rasch
aufeinander gelolgten deutschen rniversitäten gleichen Schritt.
Der geistliche (Iharakter kam in der (auch an den englischen
Universitäten Oxford und ('Minibridge bis auf den heutigen Tag
erhallenen) niindestens halbgeisllichcii Tracht iTalar und Barett),
in der im allgemeinen vorherrschenden, dem Rector und den
Vorständen und Mitgliedern der in gemeinsamen t'.ollcgien
(lUirsen, desgleichen in Wien die Kosen-, die Lilien-, die (loldberg-
Uurse u. a. waren) lebenden Lehrer und Schüler zur Pflicht
gemachten h;helosigkeil iiusserlieh, in der seiiolaslischen Lnter-
Allgemeiner Theil. C
Ordnung des Wissens unter den Glauben innerlich zum Aus-
druck.
Mit dem Aufkommen des Humanismus, der wie einst bei
Karl IV. in Prag durch Petrarca, so bei dem dritten Nachfolger
Albrechts, Kaiser Friedrich III. (IV.) in Wien durch Äneas Syl-
vius, den nachherigen Papst Pius 11., einen (iönner fand, be-
gann für die Wiener Universität die Zeit erster Blüte. Unter
dem Schutze des den Studierenden der Hochschule verbürgten
freien (ieleites erfolgt der Zuzug derselben nicht nur aus allen
deutschen Gauen, sondern von Wälschland, Burgund, dem pol-
nischen und ungarischen Osten und von den fernen skandi-
navischen Küsten nach der Donaustadt, welche der ritterliche
Geist und die kunst- und wissensfreundliche Gesinnung Kaiser
Max 1. mit märchenhaftem Zauber schmückt. Der Kaiser, selbst
Dichter und den Dichtern gewogen, ruft Dichter wie Konrad
Geltes und Gelehrte wie Guspinian, den ersten als Professor der
Dichtkunst und Beredsamkeit (1497), den letzteren als Rector
(1500) und nach Geltes' Tode (1508) als dessen Nachfolger an
die Universität und krönt ersteren, den er im Jahre 1502 zum
Vorsitzenden des von ihm eingesetzten Collcf^ium poetarum mit
dem Hechte der Dichterkrönung ernannt hatte, eigenhändig zum
Dichter. Unter seiner Regierung erreicht die Zuhörerzahl an der
Universität Wien den höchsten Stand, den sie jemals besessen
und dem erst die (iegenwart sich wieder angenähert hat, die
Zahl 7000!
Dieser Periode des Glanzes folgte fast unmittelbar auf dem
Fusse eine Zeit tiefsten Verfalles. Allgemeine und besondere,
europäische und locale Verhältnisse trugen dazu bei, die bis-
herige ausschliesslich auf kirchlichem Boden erwachsene Organi-
sation der Universität zu erschüttern, ihren Lehrerbestand und
Schülerzufluss in Frage zu stellen. Die von Wittenberg ausge-
gangene Kirchenspaltung drohte die bis dahin einheitlichen (-or-
ponitionen der Lehrer und Schüler in zwei Lager zu scheiden,
deren eines ebenso hartnäckig am Alten festhielt, als Jas andere
veränderungssüchtig dem Neuen sich zuwandte. Der Übergang
der Kegierungsgewalt von dem gewohnten einheimischen He-
gentenstamme, dessen echt heimatlicher Tvpus die romantische
6 Allgemeiner Theil.
Gestalt des «letzten Ritters» gewesen war, an eine auf fremder
Erde, unter romanischer Umgebung geborene und erzogene Nach-
kommenschaft, in deren Reiche die Sonne nicht untergieng, die
aber die Sonne in der engeren österreichischen Heimat nie auf-
gehen gesehen hatte, hatte zwischen Land und Landesfürsten
zeitweise eine Entfremdung hervorgebracht, als deren Folge leb-
hafte Zerwürfnisse zwischen den Ständen des Landes, der Bürger-
schaft Wiens, welcher sich auch Angehörige der Universität
anschlössen, und der Stellvertretung des Landesherrn zutage
traten, welche zu anarchischen Zuständen, zuletzt zum offenen
Aufstand führten, der nach der Ankunft des Infanten Ferdinand,
des nachherigen römischen Königs und Kaisers Ferdinand I.,
dem sein Bruder Kaiser Karl V. die österreichischen Erblande
überliess, gewaltsam unterdrückt und (im Sommer 1522) an den
Urhebern blutig gestraft wurde.
Diesen unsicheren Verhältnissen, der von Osten, nach dem
Untergange des ungarischen Königreiches bei Mohacs, drohenden
Türkengefahr, die schon im Jahre 1529 die erste Türkenbelage-
rung Wiens durch Sultan Soliman nach sich zog, der An-
lockung, welche die neuaufgekommenen lutherischen Hochschulen
auf die Jugend übten, und nicht zum geringsten Theile den seit
1521 in kurzen Zwischenräumen immer von neuem sich wieder-
holenden pestartigen Epidemien, welche z. B. in dem genannten
Jahre binnen wenigen Monaten tausende von Einwohnern dahin-
rafften, ist es zuzuschreiben, dass die eben noch glänzend be-
suchte Universität binnen wenigen Jahren beinahe gänzlich ver-
ödete, die anwesenden Professoren theils sich anderen Hoch-
schulen zuwandten, theils die gefährdete Stätte mieden, der
Zufiuss von Hörern theils erheblich abnahm, theils gänzlich auf-
hörte. Die Facultäten, von denen namentlich die theologische
infolge des zahh"eich gewordenen Abfalles vom alten Glauben
lange Zeit hindurch nur einen einzigen Professor besass, waren
so zusammengeschmolzen, dass die nach dem Gebrauch halb-
jährlich zu wechselnden Universitätswürden, Rectorat und De-
canate^ nicht mehr erneuert werden konnten, sondern gegen
das Herkommen Jahre hindurch in den Händen derselben Per-
sonen belassen werden mussten. Noch im Sterbejahre Kaiser
Allgemeiner Theil. *]
Max I. (15 19) betrug die Zahl der neu immatriculierten Stu-
dierenden 661; von 1526 an erreichte sie nicht mehr das
Hundert, im Jahre 1532 sank sie auf 12 herab. Die rheinische
Nation, die eine der zahlreichsten gewesen war, hatte schon im
Jahre 1521 <iob pestis dirissimam atrocitatem* nicht einen ein-
zigen Ankömmling zu verzeichnen.
Dem neuen Landesherm Ferdinand, der seit dem Wormser
Vertrag (21. April 1521) Herr der österreichischen Lande, seit
dem 5. Januar 1531 römischer König geworden war, gebürt das
Verdienst, in diese völlige Auflösung der alten clerical-auto-
nomen Universität neue Ordnung gebracht zu haben. Dieselbe
konnte, da sich die Kirche trotz wiederholter gegen den Abfall
vom Glauben und Überschreitung der kirchlichen Zucht gerich-
teter Verbote, die selbst zur Einsetzung eines Ketzergerichtes
(1524) führten, das auch Universitatsangehörige zur Verantwortung
zog, dem wachsenden Einfluss der Zeitströmung gegenüber ohn-
mächtig erwies, nur vom Staate ausgehen und die schwankende
Glaubens- nur durch die gesteigerte Landeshoheit ersetzt werden.
Von seinem Bruder Karl 15 16 nach den Niederlanden berufen,
hatte Ferdinand daselbst den blühenden Zustand der Universi-
täten Löwen und Utrecht aus eigener Anschauung kennen ge-
lernt und mit dem grössten der damaligen Gelehrten, Krasmus
von Rotterdam, Freundschaft geschlossen. Als er die Regierung
seiner Erblande antrat, mochte der Vergleich jener glanzvollen
Hochschulen mit dem verwahrlosten Zustand der Wiener Uni-
versität deren Reformation nahelegen. Mit wessen Rath und
Beistand er dieselbe am liebsten durchgeführt hätte, geht aus
einem Briefe des Erasmus an Sir Thomas More vom 5. Sep-
tember 1529 hervor, in dem es heisst, Erzherzog Ferdinand
(«Aw best friend*, wie er ihn nennt) habe ihn schon vor zwei
Jahren (1527) aufgefordert, zu ihm nach Wien zu kommen, um
ihm zur Seite zu stehen. Damals war es die zwei Jahre nach-
her zur Thatsache gewordene Türkengefahr, die ihn abhielt,
dem Rufe Folge zu leisten und statt dessen in einer der Kriegs-
gefahr femer liegenden Stadt, gleichfalls unter Ferdinands Schutz,
in dem damals österreichischen PYciburg i. Br. sich niederzu-
lassen. Die Annahme ist erlaubt, dass, wäre Erasmus der Ein-
8 Allgemeiiier TbeiL
ladung gefolgt, Ferdinands Reform der Wiener Universität nicht
bloss nach dem Beispiel der niederländischen Hochschulen, son-
dern unter dem Beirath des grössten und geistreichsten Huma-
nisten der Zeit zustande gekommen wäre.
Schon am 5. Februar 1530 (ein Jahr vor seiner Wahl zum
römischen König; setzte der Erzherzog- Landesfürst eine aus Mit-
gliedern der Universität unter dem Vorsitze eines Regierungs-
vertreters zusammengesetzte Commission zur Berathung und
Begutachtung der zur Verhütung der «Auflösung» der Univer-
sität erforderlichen Massregeln ein. Dieselbe gab als «Ursachen
des Verfalles* vier Gründe an: i. den Mangel an tüchtigen
Professoren, 2. die schlechte Verwaltung der Stiftungen, 3. die
Auflösung aller Disciplin in den Collegien und Bursen und
4. die beständigen Streitigkeiten mit dem Bischof (von Wien)
und Kanzler l'Dompropst von St. Stephan), wie auch mit dem
stiidtischen Regiment. Auf die Beseitigung dexselben waren die
Anordnungen und Gesetze P^erdinands zur Reorganisation der
l'riiversität gerichtet, welche im Jahre 1533 mit Bestimmungen
über die Stellung der Hochschule zum Staate, zur Kirche und
zur Wissenschafl begann und nach Ablauf von fast zwei
heccfiriicn, im .lahre 1554? ^^^^ der ein Jahr vor Kaiser Karl V.
Abdankung von dessen Nachfolger erlassenen Noi^a reformatio
ihren Abschluss fand.
Die Reconstriiction der im Zustande der Selbstauflösung
bcgrillen gewesenen I riiversitat als Staatsanstalt konnte um so
leichter vollzogen werden, als gerade zu jener Zeit zwischen dem
piipsllitheii Stuhle und dem habsburgischen Hause, herbeigeführt
ihifvh des letzteren auf l'jnl^enifung und Wiedererneucrung des
iridenlinisrhen ( loiicils gerichtete Bestrebungen, ein Gegensatz
bestand, der noch im Jahre i.s.S^ durch Pauls IV. I^rotest gegen
die Naehlolge lerilinands als röinisciier Kaiser, zwar erfolglos,
aber ollen zmn Aiisilfucke kam. Dieselbe fand, dem persönlich
iluiiisanicn und, wie sein Verhalten dem lYotestantismus im
Keiche und in i\{:\\ lul^landen gegenüber bewies, zu C.ompromissen
geneif^ten (Charakter l'erdinanJs I. entsprechend, in schonender
Weise statt. Die Autonomie und der corporative (Charakter der
I Universität blieben dadurch gewahrt, dass an der Spitze derselben
Allgeineiner Theil. Q
als Vertretung der lehrenden und studierenden akademischen
Bürgerschaft nach wie vor das Consistorium stand, das aus den
Decanen der vier Facultätcn als Vertretern magistrorum und
den gleichfalls gewählten Procuratoren der vier Nationen als
Vertretern scholarium zusammengesetzt war. Eine Beschran-
kung derselben griff nur insofern platz, als an die Stelle des
bisherigen alleinigen Vorsitzenden, des übrigens nach wie vor von
den Procuratoren zu wahlenden Rectors, ein aus drei Personen
bestehendes Präsidium trat, indem dieser den Vorsitz mit dem
Kanzler, dem kirchlichen Vertreter, und dem Superintendenten
als Organ der landesfürstlichen (iewall zu theilen hatte.
Durch die Uberordnung des Rectors, dem im Präsidium der
erste Rang angewiesen ward, sollte den bisherigen ärgerlichen
Streitigkeiten zwischen Rector und Kanzler, welcher als Reprä-
sentant der Kirche den Rang über demselben beansprucht hatte,
für immer ein Ende gemacht, durch die Einführung des Super-
intendenten, wenn auch nur an dritter Stelle und ohne Votum
decisivum, in das Präsidium der Gesammtuniversitiil dem Ver-
treter der Staatsgewalt die Einsicht- und Eintlussnahme in und
auf die sammilichen Angelegenheiten der (-orporation ermög-
licht werden. Zu diesen elf Mitgliedern des (-onsistoriums,
deren drei letztangeführte als Mitglieder des Präsidiums den
Titel; proccres consistoni führten, kam im Jahre 1558 als
zwölftes der l^rior des landesfürstlichen collegium archiducalc,
der Mauplvorbereitungsanstall für die oberen Facultaten, mit der
Bestimmung für den letzten F^latz in diesem (Jremium hinzu.
Die dem Anschein nach wenig bedeutende Einschränkung,
welche die Selbstverwaltung der (Korporation durch die Ein-
setzung des landesfürstlichen Superintendenten erlitt, zog in
Wahrheil bald eine völlige l'mwandlung der bisher bestan-
denen Rechts- und Machtverhiihnisse nach sich. Die durch
Verordnung Kaiser Ferdinands vom (j. August 1534 aus Noih
an passenden (.andidaten gestattete Zulassung verheirateter
Universitiitsmitglieder zum Amt des Rector .Magnilicus, für
welches bisher Ehelosigkeit als Bedingung galt der erste
rector uxoratus war Fdalrich (iebhart 15^4 - trug /war dazu
bei, den eingetretenen l'mschwung der Verhaltnisse und die
lO Allgemeiner Theil.
Abstreifung des ausschliesslich kirchlichen Charakters der Hoch-
schule nach aussenhin auffallig zu machen, schnitt aber in den
autonomen Lebensnerv der Corporation nicht entfernt so tief
ein als das ausschliessliche Verfügungsrecht über die landesfürst-
lichen Universitätsdotationen und Stiftungen, die Aufsicht und
Verwaltung über deren geregelte Verwaltung, sowie über die
Auszahlung der Gehalte der Professoren und diese selbst, welche
dem regius et supremus superintendens universitatis eingeräumt
waren. Demselben stand, obgleich selbst Universitätsprofessor
und von der Regierung aus der Mitte irgend einer beliebigen
Facultät ernannt, das Recht zu, zu was immer für einer Stunde
die Vorlesungen seiner CoUegen in den Hörsälen und Bursen
zu besuchen und sich zu überzeugen, dass alles ordnungs-
mässig besorgt werde. Kamen bei vom Staate besoldeten
Professoren Unregelmässigkeiten in der Abhaltung der Vor-
lesungen vor, so hatte er die Pflicht, denselben entsprechende
Abzüge von ihren Gehalten zu machen. An ihn, nicht an den
Rector, ergieng in streitigen Universitätsangelegenheiten die
Appellation und, wenn und wo die Universitätsstatuten nicht
ausreichten, konntfe er, allerdings nur mit Beistimmung der Re-
gierung, neue Anordnungen und Einrichtungen treffen.
Das Amt des Superintendenten, der, seines bescheidenen
Ranges als dritter und letzter Vorsitzender ungeachtet, in Wahr-
heit an der Spitze der neuen «Staatsanstalt» stand, alles
lenkte und leitete, war ein begehrtes Ehrenamt, das als Erster
(1529 — 1539) Johann Pillhamer, der zugleich Bürgermeister von
Wien war, von 1563 bis zu seinem Tode (1565) Wolfgang
Lazius versah. Jener benützte seine Doppelstellung an der
Spitze der Universitäts- und der Stadtverwaltung dazu, um die
stets wiederkehrenden Schwierigkeiten, welche durch die privi-
legierte Stellung der Universitätsmitglieder und deren Stellung
als Gemeindebürger hervorgerufen wurden, zum Ausgleiche zu
bringen. Man kam überein, dass die von der Corporation be-
anspruchte Immunität von bürgerlichen I^asten auf die wirklich
lehrenden und lernenden Mitglieder derselben begrenzt, aber
nicht auf deren Familienangehörige, Dienstleute u. s. w. ausge-
dehnt, auch deren allenfallsiger Besitz an unbeweglichen Gütern
Allgemeiner Theil. I I
der städtischen Obrigkeit unterworfen und die €WeinzolIfreihcit>,
welche die wohlwollenden Stifter den ewig trinklustigen Kehlen
ihrer alten und jungen Schützlinge vorsorglich gewahrt hatten,
fortan auf den wahrscheinlich immer noch recht ansehnlichen
«Hausbedarf» eingeschränkt werde. Die der Universität statu-
tarisch zustehende Jurisdiction wurde erst 1783 unter Kaiser
Josef 11. derselben abgenommen.
Mit der Umgestaltung der äusseren F'orm gieng die Ver-
änderung der wirtschaftlichen Grundlage der Universität Hand
in Hand. So lange dieselbe als clerical-aulonome (x)rporation
bestand, hatten ihre Mitglieder theils durch Zutheilung kirchlicher
Pfründen, theils durch Collegiengelder, Taxen und Sportcln ge-
nügendes, oft reichliches Einkommen bezogen. Jene hatten in-
folge der Kirchenspaltung, diese infolge des Ausbleibens der Hörer
theilweise oder gänzlich aufgehört; der Ertrag der Universitäls-
güter, die zum Theil, wie z. B. bei der Türkenbelagerung im
Jahre 1 529 das Heiligergeistspital sammt Kapelle, Garten und Wein-
berg gänzlich zerstört und zu Befestigungsarbeiten verwendet
wurden, war auf ein Minimum herabgesunken. Sollte die ordent-
liche Abhaltung von Vorlesungen verbürgt, so musste den Pro-
fessoren ein Gehalt (Stipendium) ausgesetzt und dessen regel-
mässige Auszahlung garantiert, durfte aber auch umgekehrt von
dem besoldeten Ix^hrer genaue Erfüllung seiner Staatspflicht ge-
fordert werden. An die Stelle des freien Gegenseitigkeitsverhält-
nisses zwischen Magister und Scholaris, wie es in der autonomen
(Korporation bestanden hatte, trat in der Universität als Staals-
anstalt ein rechtliches Dienstverhältnis zwischen dem vom Staate
besoldeten Lehrer stipendiatus und diesem selbst, über dessen
genaue Einhaltung der Superintendent die wachsame Aufsicht
zu führen hatte. Aus der ursprünglich gleichartigen Stellung
aller nicht lernenden Mitglieder der Universität in der (Korpora-
tion entwickelten sich infolge dessen allmählich zwei (Klassen
derselben, deren eine, die stipendiati, zum Staat und dessen Re-
präsentanten, dem Superintendenten, eine engere Beziehung be-
sassen als die andere, deren Mitglieder vom Staate keinen (ie-
halt empliengen, aber auch gegen denselben keiner Verpflichtung
unterlagen. Die hier zuerst beginnende Unterscheidung zwischen
1 2 Allgemeiner Thcil.
Universitätsmitgliedern, die zugleich vom Staate angestellte und
besoldete Professoren, und solchen, welche dies nicht waren,
hat bis auf die jüngste Vergangenheit fortgewirkt und zu den
später hervorgetretenen Spannungen zwischen beiden Classen,
welche zuerst zur Trennung der Facultäten in Professoren- und
DoctorencoUegien, zuletzt zur gänzlichen Ausscheidung der letz-
teren aus dem Universitätsverbande führten, Veranlassung ge-
geben.
Wenn man in einem Briefe des Johannes Faber (aus Prag,
17. Juni 1526) an Erasmus liest, dass der damalige Erzherzog
Ferdinand seinem bewunderten «Freunde», den er nach Wien
berufen wollte, einen Gehalt von 3oo fl. zudachte, so wird man
begreiflich finden, dass die stipendia minder berühmter Lehrer
nicht höher bemessen werden konnten. Die zur Besoldung der
Professoren an der Staatsuniversität der Regierung zu Gebote
stehenden Mittel beliefen sich mit Einschluss der von den Klö-
stern Ober- und Niederösterreichs seit 1528 zu dem Zwecke
erhobenen Beitragssteuer und dem Ertrage der vom Landes-
fürsten überwiesenen Mauth zu Ybbs auf 1500 fl., durch die
Vermehrung beider aufs Doppelte und bessere Verwaltung der Ein-
künfte um die Mitte des Jahrhunderts auf ungefähr 4000 fl. Die
Reformatio nova (1554) bestimmte über die Verwendung dieser
Summe dergestalt, dass die Hälfte derselben den Professoren der
drei oberen Facultäten, der grössere 1 heil der anderen Hälfte
jenen der artistischen zugewiesen, der mehrere hundert Gulden
betragende Rest aber zu dem Ende zurückgelegt werden solle,
um «bei Berufungen ausländischer wissenschaftlicher Cclebritäten»,
die nur durch hohen (jchalt zu gewinnen seien, und die Ferdi-
nands Lieblingsproject blieben, den Ausschlag zu geben.
Dieses «Lieblingsproject"^, das bei Erasmus misslang, hat
Kaiser Ferdinand bei anderen, wie bei dem Orientalisten Wilhelm
Postell, den er aus Paris, bei den Juristen (^antiuncula, de Rotis,
die er aus den ihm stets in Erinnerung schwebenden Nieder-
landen berief, bei Busbecq, Hugo Biotins u. v. A. ausgeführt.
Den ersten von der Commission des Jahres 1530 angeführten
Grund des Verfalles seiner Universität, den Mangel an berühmten
Professoren, hat Kaiser Ferdinand sein Leben hindurch nicht aus
Allgemeiner Theil. I 3
dem Auge verloren und so viel an ihm lag und der Säckel ge-
stattete, zu verbessern sich bemüht. Wie er, der Erste, der
Hochschule einen «verheirateten» Rector gestattete, so sah er,
seiner persönlichen (ilaubenstreue unbeschadet, über den Unter-
schied der Confession hinweg, wenn es galt, für die neurefor-
mierte Universität einen berühmten Namen zu gewinnen.
Wie sich bei den massigen Mitteln zur Erhaltung der Hoch-
schule erwarten lässt, blieb die Zahl der besoldeten hinter jener
der auf ihre eigenen Unterhaltsquellen, sowie auf den praktischen
Erwerb als Advocaten, Arzte u. s. w. angewiesenen Faculliits-
mitglieder weit zurück. Im Jahre 1550 betrug die (Jesammt-
zahl der Universilatsmitglieder 62, die der zur Abhaltung von
Vorlesungen verpflichteten Stipendiali 26. Die Stellung als letz-
terer, d. i. als Professor, gewährte an sich keinen Anspruch auf
Bekleidung von Universitätswürden, daher es geschehen konnte,
dass vom Staate angestellte Professoren niemals zum Recloral
oder Dccanat gelangten, während andererseits solche derlei
Amter bekleideten, die niemals gelehrt oder vom Staate eine
Besoldung genossen hatten. Die Folge war, dass die Würden-
träger der Universität als (-orporation (Recloren, Decane und
Procuratoren) dem Zwecke der Hochschule als Staatsiinstalt,
welcher in der regelmässigen Förderung der höheren wissen-
schaftlichen Studien gelegen war, immer ferner rückten, während
andererseits das Bedürfnis nach Ergänzung und Beaufsichtigung
der vom Staate angestellten und unterhaltenen Lehrer sich gel-
lend machte, dessen Befriedigung, wie oben erwähnt, in den
Händen des vom Staate zu dem Ende ernannten Superinten-
denten lag.
Letzteres Amt, das im Wesentlichen dem eines Directors
der Studien entsprach, ist von seinen Trägern auch in diesem
(leiste verwaltet worden. Der gelehrte Orientalist und Jurist
Widmannstetter, der den Kaiser Ferdinand bei der Reorgani-
siition der Hochschule unterstützte und von dem ein Thcil der
Reformatio twva, unter anderem die Instruction für den Super-
intendenten, herrührte, führte den Titel: ('onservator, ( Aistos und
protccior universitatis. Wolfgang Lazius, der I5(>3 -1565 das
Amt versah, grilf in die Studieneinrichtung unmittelbar ein, indem
I ^ Allgemeiner Theil.
er das schon von seinen Vorgängern wiederemeuerte humani-
stische Element zu beleben bemüht war, zu welchem Zwecke
das unter Kaiser Max I. gestiftete, nach dem Tode des Konrad Celtes
in Vergessenheit gerathene collegium poetarum bereits im Jahre
1557 wiedererweckt und nach der Krönung Ferdinands zum
römischen Kaiser bei dessen Rückkehr nach Wien (1558) in der
Aula eine feierliche Dichterkrönung vollzogen wurde, welcher in
den nächsten Jahren noch sechs andere nachfolgten.
Kaiser Ferdinands Reformen und die von ihm berufenen,
zum Theil ausgezeichneten Lehrer hoben die Universität zwar
nicht auf die unter Kaiser Max 1. erreichte, aber doch wieder auf
eine ansehnliche Höhe. Dieselben, im Vereine mit dem Kreise
gelehrter Männer, welche der Universität zwar nicht selbst als
Lehrer angehörten, aber mit deren Mitgliedern in naher Verbindung
standen, und der am Hofe seines Nachfolgers Max II. eine Art Akade-
mie der Wissenschaften bildete, umgaben die Hochschule bis zum
Tode des letzteren (1576) mit erneuertem Glänze. Kaiser Max IL,
selbst ein Freund der Naturwissenschaften, der Mathematik und Ge-
schichte, sammelte hervorragende Naturforscher, wie den «Hof-
bolanicus* (Charles de rEcluse{Clusius), den Astronomen Fabricius,
die Leibärzte Oato und Alessandrini, den Erklärer des Galenus
und C.ommentator des Dioskorides, Mattioli, den Historiker Busbecq
und den «Ilofbibliothekar» Blotius um seine Person, denen aus-
wärtige (jclehrte, wie die Philologen Justus Lipsius und Stephan
Pighius beigezogen wurden. Hatte schon sein Vater durch die
Aufhebung des Kheverbotes für den Kector und andere Würden-
träger der Universität eine mehr weltliche Aussenseite geliehen,
so wairde durch das von dessen Nachfolger schon im ersten
Jahre seiner Regierung (5. September 1564) erlassene Decret, laut
dessen der bei der Doctorproniotion von dem Promovenden zu
leistende «(ilaubenseid» künftig nicht mehr auf -römisch-katho-
lisch», sondern dahin zu lauten habe, dass man der « katholischen ^
Kirche angehöre, den Anhängern der neuen Glaubensrichtung,
von denen die meisten letztere Formel unanstössig fanden, der
Zugang zur Universität als (Korporation wesentlich erleichtert.
Bei den täglich wachsenden Fortschritten, welche die (ilau-
bensneuerung im Reiche und, seit das habsburgische Haus neben
Allgemeiner Theil. I ^
dem österreichischen Herzogshut auch die Kronen des utraquisti-
schen Böhmen und des halbcalvinistischen Ungarn auf seinem
Haupte vereinigte, auch in dessen deutschen Krblanden H irol
ausgenommen) unter der milden Regierung F'erdinands I. und
des aufklärungsfreundlichen Max II. machte, der selbst das Abend-
mahl unter beiden Gestalten empfangen zu dürfen beim Papst
angesucht hatte, waren die Folgen für die Hochschule voraus-
zusehen. In den drei, im Gegensätze gegen die theologische,
sogenannten « weltlichen > Facultiiten gewannen protestantische oder
doch dem Protestantismus innerlich zugeneigte Mitglieder, gleich-
viel ob sie Stipendiati oder von jeder Lehrverpflichtung freie
Doctoren waren, die Oberhand. Die theologische Facultiit, die
infolge der durch die Reformation herbeigeführten Auflösung der
kirchlichen und klösterlichen Zucht aus Mangel an Nachwuchs
viele Jahre hindurch nur einen einzigen Vertreter besass und
nicht selten ausser Stande war, die auf sie entfallenden Uni-
versitätsämter zu versehen, sank zur völligen Bedeutungslosigkeit
herab und vermochte ohne äusseren Beistand dem anwachsenden
Sturme nicht mehr Widerstand zu leisten.
Ihr einen solchen zu schaffen, hatte sich Kaiser Ferdinand
schon im Jahre 1537 an den Stifter des eben gegründeten Ordens
der (Jesellschaft Jesu gewandt. Im Jahre 1550 wiederholte er sein
Ansuchen mit dem Versprechen, ein Jesuit^ncollegium in Wien zu
gründen. Am 3i. Mai 1551 trafen zwölf Jesuiten in Wien ein,
denen das leer stehende l^armeliterkloster am Hof angewiesen und
von der Universität, als Schulbehörde, eine «lYivialschule» da-
selbst zu eröffnen gestattet wurde. Da um diese Zeit der
einzige Leonhard Villinus (Höfler), aus Leibnitz in Steiermark,
als Lehrer der l^heologie activ und das Bedürfnis, die er-
ledigten übrigen Lehrkanzeln neu zu besetzen, dringend war, so
ernannte Kaiser Ferdinand zwei derselben, den als Kanzelredner
und Verfasser des anlilutheranischen Katechismus berühmten
Niederländer Peter (".anisius (de Hondt) und dessen Landsmann
Nikolaus Goudanus, die beide vorher zu Ingolstadt gelehrt hatten,
zu Professoren an der Wiener Universität. Beide erscheinen in
der Reformatio tiova vom Jahre 1554 als < I^ofcssorcs Stipcn-
diati S. Theologiae»; ihr Jahresgehalt betrug 140 Gulden.
l6 Allgemeiner Theil.
Die theologische Facultät, dem Namen nach, war dadurch
wieder hergestellt; die Hoffnung aber, derselben den gebürenden
Einfluss in der Universität zu verschaffen, erfüllte sich nicht.
Statt, wie ihre Stellung als Facultätsprofessoren es erheischte,
dem bestehenden Universitätsverbande als organische Glieder
sich einzufügen und ihr Lehramt sowohl wie ihre Rechte, z. B.
das jus promovendi^ im Namen und in Vollmacht derselben
auszuüben, beanspruchten dieselben im Namen ihrer Gesellschaft
als Ordensmitglieder völlige Selbständigkeit und weigerten sich
nicht bloss rücksichtlich der Leitung und Einrichtung ihrer Col-
legien und der von ihnen errichteten Schulen und Convicte
unter der Aufsicht der Universität, sondern auch in Bezug auf
die von ihnen versehenen theologischen Professuren im Univer-
sitätsverbande und unter dem Rector und dem Consistorium zu
stehen. Auf die dem Orden durch Papst Julius III. (1550) und
Papst Pius IV. (1561) ertheilten Privilegien sich stützend, dass
jedes CoUegium der Jesuiten sich als Universität für die arti-
stischen und theologischen Fächer constituieren und in diesen
den Magister- und Doctorgrad ertheilen dürfe, sahen dieselben
ihre Aufnahme in den Verband der bestehenden Universität
als überflüssig, die Unterordnung unter den Rector als mit
ihrer ausschliesslichen Unterordnung unter ihre Ordensoberen
im Widerspruch befindlich an und gedachten das Recht, den
Doctorgrad zu ertheilen, das sie als Ordensmitglieder zu be-
sitzen glaubten, nicht erst von der Universität empfangen zu
müssen.
Der Kaiser rcsolvierte (1559): er wolle zwar nichts Neues,
was cum societatis Jesu institutione pugnaret ejusque libertati
adversaretur^ einführen; in der Hauptfrage aber, was die Stel-
lung der Jesuiten zum Rector und (Konsistorium betraf, wurde
keine Entscheidung getroffen. Die Folge war, dass zwischen
der Universität und der Ordensgesellschaft eine Spannung ent-
stand, die, durch den wachsenden Einfluss derselben auf die
Regierung und die kirchlichen Zustände, wie durch ihre un-
leugbar glänzenden Lehrerfolge noch verschärft, bei verschie-
denen Anlässen, namentlich bei den nicht selten mit einem
Übermass von Lebhaftigkeit geführten ölfentlichen Disputationen
Allgemeiner Theil. I 7
sogar in Thallichkeiten auszuarten drohte. Dieselbe nahm erst
ein Ende, als, nach dem Aufhören des duldsamen Regimentes
Max II. und der alsbald gefolgten Auflösung des von ihm prote-
gierten Gelehrtenkreises, die wahrend des in ewigen Schwanken
zwischen Strenge und Nachgiebigkeit gegen die Neuerer begrif-
fenen Regicrungssystems der feindlichen Brüder Rudolf II. und
Matthias von der steirischen Linie des Hauses mit Nachdruck
betriebene gegenreformatorische Strömung Oberwasser bekam
und nach der Niederlage der evangelischen Stande in Wien
und vor Prag mit Kaiser Ferdinand II. zur Herrschaft gelangte.
Die Folge des hauptsachlich durch die thatige Beihilfe des
Ordens errungenen Sieges für die Universität war die, dass
nicht nur die zwischen dieser und der Gesellschaft strittige
Frage zu Gunsten der letzteren entschieden, sondern dieser
über die theologische Facultat hinaus noch eine weitere ganzlich
eingeräumt wurde. Im Jahre 1623 übergab Kaiser Ferdinand II.
die theologische und artistische (philosophische) Facultat in die
Hände des Jesuitenordens, welcher dieselbe der ralio sludiorum
und den Institutionen seines Ordens gemäss einrichtete und
ordnete, wahrend für die beiden übrigen Facultiiten die Ferdi-
nandeische Reform mit einigen Abänderungen, welche die Auf-
nahme nichtkatholischer Kiemente in die Universität für die
Zukunft zu erschweren oder völlig zu verhüten bestimmt waren,
vorläufig in Geltung blieb. Der dadurch eingeleitete Zustand
der Universität, der einen Zeitraum von fast anderthalb Jahr-
hunderten währt, für die medicinische und juristische Facultat
bis zu den Reformen van Swietens (1749), für die theologische
und philosophische bis zur Aufhebung des Jesuitenordens (i773)
reicht, stellt sich dem Blicke des Beobachters für die beiden
letztgenannten als eine Periode des Stillstandes, für die erst-
genannten allmählich als eine solche des Niederganges heraus.
Durch den Ausschluss aller nicht zu der nämlichen Glaubens-
genossenschaft gehörigen Kiemente und die Unterordnung der
Wissenschaft unter den Buchstaben der Gonfession wurde unter
den Wirren des dreissigjährigen Religionskrieges an den katholisch
gebliebenen Hochschulen des Reiches eine ähnliche Lage herbei-
geführt, wie sie in den ersten Jahrhunderten nach der Refor-
Gcschichtc der Wiener Univer»itÄt. 2
I 3 Allgemeiner Tlieil.
mation an den evangelisch gewordenen zu finden war. Medi-
ciner lasen an der hessischen Universität zu Marburg in der
medicinischen Facultät über die interpretatio psalmorum; der
Jurist Carpzow in Leipzig vertheidigte bis zu seinem Tode
(1666) die Hexenprocesse, gegen welche der humane Jesuit
Friedrich von Spee schon im Jahre 1627 seine Stimme erhoben
hatte. Gegen den ihres innigen Zusammenhanges mit dem
praktischen Leben halber merklichsten und bedenklichsten Rück-
gang der rechtswissenschaftlichen und medicinischen Studien
ordneten schon der Urheber des Rückschrittes, Ferdinand IL,
und nach ihm, als die lürkengefahr i683, bei der die Stu-
denten tapfer mithalfen, glücklich beseitigt war, Kaiser Leopold I.,
selbst ein Gelehrter und Freund der Gelehrsamkeit, und dessen
Sohn Karl VI., der Gönner Leibnizens, der diesen dauernd
nach Wien zu ziehen und mit dessen Beistand eine Akademie
der Wissenschaften zu errichten gedachte, die erst anderthalb
Jahrhunderte später zustande kam, neue Reformen an, die, wie
man munkelte, nicht ohne Mitschuld des Ordens, sämmtlich
ohne Erfolg blieben.
Wieder wie schon zu Kaiser Ferdinands 1. Zeit gieng das
Beispiel zu der endlich durchdringenden Reform von einer aus-
wärtigen Hochschule, der Anstoss und die mächtigste Unter-
stützung von dem Leibarzt des Herrschers aus. Dem Urheber
der Reformatio nova schwebte bei seinem Werke das Muster
der niederländischen Hochschulen vor; die mächtigste Förderung
ward demselben von seinem Leibarzt, dem Welschtiroler Julius
Alessandrini von Neustein (geb. zu Trient 1506, zum Doctor
promoviert zu Padua, nach Wien berufen 1553) zutheil. Der unter
den Augen Maria Theresias vollzogenen Umgestaltung des Stu-
dienwesens, insbesondere des juristischen, lag als Vorbild die im
Jahre 1734 neugegründete Lieblingsschöpfung König Georgs II.
von England, die Georgia Augiista zu Göttingen vor; die durch-
greifende Reorganisation zunächst der medicinischen, im w^eiteren
Verlaufe aller übrigen Facultäten setzte Maria Theresias von
ihrer einzigen Schw^ester Marianne, der Regentin der Nieder-
lande, schon im Jahre 1 745 warm empfohlener Leibarzt, der
Niederländer Gerhard van Swieten ins Werk.
Allj^cmcincr Thcil. I o
Dem Schüler des in der Geschichte der medicinischen
Wissenschaft durch seinen classischen Wahlspruch: ^Naturam
sequi bonos medich unvergänglichen Boerhaave schwebte als
Ideal bei der Neugestaltung des medicinischen Unterrichtes die
Anordnung der auf Beobachtung der menschlichen als Theil
der allgemeinen Natur und praktische Ausbildung des künf-
tigen Arztes gebauten medicinischen Schule zu Leyden vor,
von welcher er als Leibarzt und vertrauter Rathgeber in
allen Wissenschaft und Geistescultur betreffenden Angelegen-
heiten an den Hof Maria l'heresias gekommen war. Die Re-
form der juristischen Studien, die wenige Jahre spater folgte,
und für die sich der staatskluge Reichskanzler Kaunitz, der,
wie fast alle seine Standesgenossen, seine wissenschaftliche Aus-
bildung an fremden Hochschulen (zuletzt an der Universität
van Swietens in Leyden) empfangen hatte, besonders einsetzte,
sollte sich nach dem Vorgange von Güttingen vollziehen, wel-
che Hochschule König Georgs Minister v. Münchhausen in der
Absicht mit ausgezeichneten Lehrern der realen und insbeson-
dere der neu aufkommenden politischen Wissenschaften ausge-
rüstet hatte, um den zur Regierung von Land und Leuten be-
rufenen Söhnen der höheren Stande einen Sammelpunkt zur
Aneignung praktisch nützlicher und zugleich mit weltmänni-
scher Bildung verbundener Kenntnisse darzubieten. Für das
Ansehen, das Göttingen, seiner Jugend als Hochschule unge-
achtet, als anerkannter Hochsitz staatsmännischen Urtheils und
Staats wissenschaftlicher Gelehrsamkeit genoss, ist der bekannte
Ausspruch, den Maria Theresia bei wichtigen Vorfallen und
Entscheidungen im Staatsleben zu wiederholen pflegte, und der
sich auf die von diesem redigierten «Staatsanzeigen» bezog,
charakteristisch: «Was wird Schlözer dazu sagen?» Durch die
Erhebung der Wiener Rechtsstudien auf diejenige Höhe, welche
in ihrem und ihrer Berather Augen jene ausländischen ein-
nahmen, sollte zugleich ein Lieblingswunsch der Kaiserin erfüllt,
das Studieren der jungen österreichischen Adeligen an prote-
stantischen Hochschulen künftig überflüssig gemacht, nebenbei,
dem die staatswirlschaftliche Anschauung des achtzehnten Jahr-
hunderts beherrschenden Grundsatz des phvsiokratischen Svstems
20 Allgemeiner Theil.
entsprechend, das «Ausdemlandetragen» des Geldes für kost-
spielige Studien wie für andere Zwecke möglichst hintangehalten
werden. Durch die Erweiterung der Grenzen der bisher auf
die Rechtswissenschaften beschrankten juridischen Facultät nach
dem Beispiele von Göttingen über das staatswissenschaftliche
Gebiet wird der allmählich sich einbürgernde Name der «juridisch-
politischen» anstatt des bisher gebräuchlichen der «juridischen
Studien» vorbereitet, der seitdem bis auf den heutigen Tag der
Juristen facultät geblieben ist. Sonnenfels war der erste, welcher
im Jahre 1776, der von Göttingen gekommenen Anregung fol-
gend, Vorlesungen über politische Ökonomie und Staatswissen-
schaften hielt und, der im theresianischen Zeitalter in den Vor-
dergrund tretenden Staatsidec entsprechend, der eingetretenen
Umwandlung der bisherigen, nur Advocaten und Richter, zu
einer auch «brauchbare politische Beamte» zu bilden bestimmten
und geeigneten Fachschule äusserlich sFchtbar zum Ausdruck
half. Während in solcher Weise die medicinischen und rechts-
wissenschaftlichen Studien eine gründliche innere Umgestaltung
erfuhren, indem sowohl ihr Lehrstoff als dessen Anordnung
und Methode umgeändert wurden, fand eine solche bei den
beiden «geistlichen* Facultäten nur insofern statt, als die durch
Ferdinand II. verfügte Übertragung derselben an den Jesuiten-
orden infolge der Aufhebung des letzteren, welche für Oster-
reich im Jahre 1773 erfolgte, von selbst entfiel und der Status
quo ante wieder hergestellt wurde.
Nur insofern trat gegen den vor dem Jahre 1623 bestan-
denen Zustand der theologischen und philosophischen Studien
eine Abänderung ein, als die durch die Reformatio nova vom
Jahre 1554 festgesetzte Studienordnung, an deren Stelle die
Jesuiten die ihres Ordens gesetzt hatten, nicht wieder hergestellt,
sondern die von der (jcsellschaft eingeführte auch nach ihrer
Entfernung, wenigstens in der philosophischen Facultät, beibe-
halten wurde. Die Stellung, welche die Jesuiten den Studien
der artistischen Facultät als «Vorstufe^ zu den drei übrigen
angewiesen hatten, blieb unverändert. Jedermann, welcher Theo-
logie, Jurisprudenz oder Medicin studieren wollte, musste nach
wie vor vorher die winfänglich drei, später zwei) Jahrgänge
Allgemeiner Thcil. 2 I
der «Philosophie» zurückgelegt haben. Dieselben machten den
Übergang von dem (ursprünglich fünf-, später sechsclassigen)
Gymnasium zum Studium der drei «oberen» Facultäten aus
und umfassten ausser der reinen und angewandten Mathe-
matik, Physik und classischen Philologie die Hauptzvveige der
Philosophie in der Weise, dass im ersten Jahre Logik und
Psychologie, im zweiten Metaphysik und Naturphilosophie, im
dritten Moralphilosophic vorgetragen wurde. Auch die Vortrags-
sprache blieb, wie sie bei den Jesuiten gewesen war, die latei-
nische. Da es sich zeigte, dass infolge der ausschliesslichen Ver-
wendung der Jesuiten im höheren artistischen Lehramt weder
im C.lerus, dem sacularen sowohl wie dem regulären, noch in
der Laien weit genügend ausgebildete Fachgelehrte vorhanden
waren, um die durch das Ausscheiden der Glieder der aufge-
hobenen Gesellschaft freigewordenen Lehrkanzeln würdig aus-
zufüllen, so stellte sich in sehr vielen Fällen (an manchem Orte,
z. B. in Prag, in allen) die Nothwendigkeit heraus, die als
«Jesuiten» verabschiedeten Professoren als «Kxjesuiten» wieder
einzusetzen.
Das gesammte Reformwerk fand durch die im Jahre 1753
von der Kaiserin anbefohlene und schon am 5. April 1756 (nach
N. Jadots Plane) durchgeführte Errichtung eines monumentalen
üniversitätsgebäudes, welches heutzutage der Akademie der
Wissenschaften als Wohnsitz dient, in der Nähe und an der Stelle
ehemaliger zerstreuter Corporationshäuser in der oberen und
unteren Bäckerstrasse, seine Krönung. Zum Gedächtnis derselben
wurde vom Jahre 1 763 an alljährlich am Eröffnungstage ein
feierliches Dankamt abgehalten. Die neue Organisation hatte,
dem Sinne und Geist des theresianisch-josephinischen Zeitalters
entsprechend, das ausgesprochene Ziel, «die Hochschule den
Zwecken und Diensten des Staates gemäss einzurichten».
Der Gedanke, der schon der Ferdinandeischen Reform in be-
scheidenem Masse zugrunde lag, kam in der Kpoche der auf-
geklärten Staatsomnipotenz in umfassender Weise zur Alleinherr-
schaft. An der äusseren Gestalt der l'niversität als ('orporalion
mit ihren wie bisher freigewählten Vorständen und Würdenträgern
wurde nichts \»errückt; aber das ihr noch gebliebene Hecht der
2 2 Allgemeiner Thcil.
Jurisdiction über sämmtliche Mitglieder (mit Ausnahme der selbst-
verständlichen Disciplinargewalt über die akademische Zuhörer-
schaft) wurde im Jahre 1783 von der Regierung für ungiltig
erklärt und die Gesammtheit der Facultätsangehörigen den allge-
meinen bürgerlichen Gerichten unterstellt. Auf die Regelung der
Studien, auf Lehrplan und Methode, auf die Bestellung der
Lehrer und Ergänzung der Fächer übte die Universität als Corpo-
ration keinerlei Einfluss aus. Der Staat stellte die Lehrer an,
schrieb die Lehrbücher vor und überwachte ihren Gebrauch.
Das in der Ferdinandeischen Reform als Organ der Regierung vor-
gesehene Amt des Superintendenten lebte in der theresianisch-
josephinischen Zeit in der Gestalt der den einzelnen Facultäts-
studien vorgesetzten Directoren (in Wien Vicedirectoren) auf, in
deren Händen die Leitung derselben lag. Diese Directoren, die
nicht Facultätsmitglieder zu sein brauchten, unterschieden sich
von den Superintendenten der Reformatio noi^a dadurch, dass
sie nicht, wie diese, Professoren sein durften. Sie führten, auch
wenn sie nicht Facultätsmitglieder waren, bei den Facultäts-
prüfungen (pro doctoratu)^ bei welchen der Decan der betreffenden
Facultät gegenwärtig sein musste, den Vorsitz. Ihnen, die ihrem
Amt nach Regierungsbeamte waren, ihrem Stand und Beruf nach
ebenso gut geistlich als weltlich, Prälaten, Hofräthe, Advocaten,
Arzte u. s. w. sein konnten, lag es ob, bei Besetzung erledigter
Lehrkanzeln Vorschläge über die wissenschaftliche Befähigung
der jeweiligen Bewerber oder Candidaten zu erstatten. Zu diesem
Zwecke wurden unter ihrer Aufsicht schriftliche und mündliche
Concursprüfungen abgehalten, über welche im Amt befindliche
Fachprofessoren ihr Gutachten abgaben. Den Wiener Professoren
war der Vorzug eingeräumt, dass die in den Provinzen einge-
lieferten Concursarbeiten, auch wenn es sich nicht um die Besetzung
einer Wiener Lehrkanzel handelte, ihnen zur Beurtheilung zu-
kamen. Feinen weitergehenden Einfluss auf die Besetzung der
Lehrkanzeln, wie er an deutschen Hochschulen durch gemein-
same Berathung der Professorencollegien und Berufung ausge-
zeichneter Lehrkräfte durch diese ausgeübt wurde, bcsassen die
inländischen Professoren nicht. Ein gegen das Rinde des Jahr-
hunderts aufgetauchter Vorschlag, die Leitung der Studien unter
Allgemeiner Thcil. 23
Vorsitz des Directors der Gesammtheit der Professoren unter
dem Titel des ^Professoren- consessiis* zu übergeben, ver-
schwand gleich wieder, weil er mit dem auf bureaukratische
Bevormundung in täglich steigendem Grade gerichteten Geiste
des josephinischen und noch mehr des francisceischen Zeitalters
unverträglich schien.
Dieser bureaukratische Geist, der in den Zeiten der Auf-
klärung den Rückfall in die Finsternis, in der darauf gefolgten,
von der Furcht vor politischen l-msturzbewegungen beherrschten
Kpoche der Revolution und Restauration das Kindringen die
mühsam hergestellte und künstlich aufrecht erhaltene innere und
äussere Unbeweglichkeit störender (icdanken durch Massregeln
von oben zu verhindern bestrebt war, hat die ursprünglich
wohlthätigen Folgen der theresianisch-josephinischen Studien-
reform allmählich gelähmt und die durch dieselbe anfänglich
bewirkte Neubelebung des Universitätsorganismus einer neuer-
lichen Periode der Erstarrung und Verknöcherung zugeführt.
Die F^inführung vorgeschriebener Lehrbücher, die auf der Höhe
der damaligen Wissenschaft standen, hob das geistig zurück-
stehende Niveau der österreichischen Hochschulen von damals
mit einmal auf die Stufe der gleichzeitigen deutschen Wissens-
stätten empor. Ausgezeichnete Lehrer, wie. Allen voran, Peter
Frank, der Krlinder der Miiedicinischen Polizei , beide Hildebrand
(Vater und Sohn) u. A. in der medicinischen, v. Riegger, Martini,
Zeiller, die Bahnbrecher und Scliöpfcr des iSii ins Leben ge-
tretenen bürgerlichen Gesetzbuches, Royko, Haulenstrauch und vor
allen Thomas Dolliner, die Revisoren des canonischen Rechtes
im Sinne des selbst von Jer frommen Kaiserin Maria Theresia
sorgsam gehüteten pUicctum rc^iuffK in der juristischen, der
Astronom und Theilnehmer an der durch Maupertuis begon-
nenen nordeuropäischen (iradmessung, l\ Maximilian Hell, der
wie van Swicten aus den Niederlanden nach Wien gelangte
Botaniker unJ ('hemiker .lacquin. der Gründer des botanischen
(iartens, jener an der philosophischen, dieser gleichfalls an der
medicinischen l'acultät thätiu, \erbreitetcn um die Wiener l'ni-
versität gegen das l\nde des letzten und im Anfang dieses
,Iahrhunderts einen wohlverdienten (ilanz, der, was die letzt-
24 Allgemeiner Theil.
genannte Facultät betrifft, auch in der späteren, ungünstigeren
Zeit namentlich seitens der praktischen, insbesondere klinischen
Leistungen derselben niemals erloschen ist. Aber die ursprünglich
wertvollen Lehrbücher hielten dem unaufhaltbaren Fortschreiten
der seit der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts in
ungehemmter Entwicklung auftretenden Wissenschaft nicht stand.
Die durch Kant eingeleitete Umwälzung des philosophischen
Denkens, die durch Lavoisier, Cuvier, A. v. Humboldt er-
öffnete Erweiterung der empirischen Naturkenntnis führten eine
gänzliche Umgestaltung des Wissens herbei, während die vor
derselben entstandenen Lehrbücher der österreichischen Hoch-
schulen zum l'heile noch bis tief in die Mitte des laufenden
Jahrhunderts herein zwar nicht in thatsächlicher, aber dem
Staate gegenüber als Lehrstoff und Prüfungsgegenstand in offi-
cieller, von Staatswegen festgehaltener Geltung blieben. Wäh-
rend die Lehrbücher veralteten, blieben die Lehrer aus. Die
ehemaligen Koryphäen der Reformepoche starben aus, ohne ge-
nügenden Nachwuchs zu finden. Der bei der Ausdehnung der
Rechtsstudien auf das staatswissenschaftliche Gebiet mit Recht
aufgestellte Grundsatz, dass dieselben dazu da seien, dem Staate
nicht nur Richter und Advocaten, sondern auch Beamte zu
bilden, schien unter der immer weiter greifenden Vorherrschaft
der Burcaukratic sich dahin zu verkehren, dass dieselben nur
dazu da seien, «gute Beamte» zu liefern. Das Erfordernis des
Dienstes wurde bald ausschliesslicher Zweck; der eigentlichen
Aufgabe der Universität, welche im übrigen Deutschland den
Stolz derselben ausmachte, der selbständigen Förderung der
Wissenschaft als solcher wurde kaum weiter gedacht. Ge-
lehrte, wo es dergleichen in einem Staate, der es seit 150 Jahren,
der wiederholten Versuche mit Leibniz unter Karl VI., mit
Cjottsched und nachher mit Lessing unter Maria Theresia unge-
achtet, nicht vermocht hatte, eine Akademie der Wissenschaften
zu gründen, noch gab, hielten sich von der Katheder fern, die
weder Freiheit noch Aussicht bot. Der bevormundende Druck,
der auf den Lehrern lastete, hielt auch die Studentenschaft
nieder. Strebsame Köpfe fanden im Hörsaale, in dem nicht der
freie Hauch selbständiger wissenschaftlicher Forschung, sondern
Allgemeiner Theil. 2^
die dumpfe Schwüle und nüchterne Trockenheit des vorge-
schriebenen, längst ausser Curs gekommenen Lehrbuches
herrschte, keine Befriedigung. Das an deutschen Universitäten
herkömmliche bunte und ungebundene, aber harmlose Studenten-
leben war an der Wiener Hochschule schon seit den Zeiten der Ge-
genreformation verschwunden; seit dem Entstehen der burschen-
schaftlichen Verbindungen, dem Wartburgfest und den dadurch
hervorgerufenen Karlsbader Beschlüssen war es in Wien, am
Ausgangs- und Stützpunkt der letzteren, wenn es (im Geheimen)
überhaupt bestand, zugleich politisch verdachtig und straflich
geworden. Schülerhafte Massregelungen, wie der durch Namen-
verlesung erzwungene Besuch der Vorlesungen, die durch halb-
jährlich wiederkehrende Prüfungen ebenso oberflächlich als
willkürlich gehandhabte (x)ntrole des nicht selbständig verarbei-
teten, sondern mechanisch eingeprägten Lehrstoffes, gedanken-
loser Gedächtniskram und lebloses Formelwesen, das sich für
Wissenschaft ausgab, riefen bei Besseren Kkel, bei den meisten
Geringschätzung des Studiums überhaupt hervor. Die Befreiung
von dem unerträglichen Zwang bureaukratischcr Bevormundung
war gegen das Ende dieses Zeitraumes (1848) für lehrende und
lernende Mitglieder der Universität, für die ersteren durch Ge-
währung der an den Hochschulen des übrigen Deutschlands zu
dessen l^hre niemals erloschenen Lehr-, für die letzteren durch
(iestattung der an denselben niemals aufgehobenen Lernfrei-
heit, einmüthig empfundenes Bedürfnis geworden.
Dieses Bedürfnis machte sich Luft in der am 12. März
184S, dem Datum der Stiftungsurkunde der Wiener Univer-
sität, in einer vom damaligen Hector. dem ehrwürdmen v. Jenull,
in die Aula einberufenen X'ersamnilunt^ sämmtlicher Univer-
sitätsangehörigen einstimmig angenommenen und unterzeichneten
Petition, welche am folgenden Tage von einer Deputation, die
aus dem Rector und zwei Professoren, dem berühmten Bota-
niker und Sinologen Endlicher und dem nachheriizen Justiz-
t. «
minister, damaligen Professor des Natur- und Völkerrechtes,
26 Allgemeiner Theil.
Hye bestand, dem regierenden Kaiser Ferdinand I. übergeben
wurde. Die ein Jahr zuvor, am 14. Mai 1847, endlich nach
jahrhundertelangem Harren erfolgte Gründung der Akademie der
Wissenschaften, welche der wissenschaftlichen Forschung (zu-
nächst noch mit Ausschluss der Philosophie und der Staatswissen-
schaft) freie Bahn eröffnete, hatte die Aussicht belebt, dass auch
der Lehre der Wissenschaft das hemmende Band bureaukrati-
scher Bevormundung werde abgenommen werden. Eine directe
Entscheidung erfolgte, durch die inzwischen eingetretenen poli-
tischen Ereignisse verhindert, nicht; aber der durch die letzteren,
an welchen sich auch die Universität, insbesonders durch die
auf behördlichen Befehl erfolgte Bewaffnung der Studentenschaft
(als «Akademische Legion») betheiligte, herbeigeführte Wechsel
des Regierungssystems und die bereits wenige Tage später
(26. März) verfügte Errichtung eines besonderen Unterrichts-
ministeriums Hessen die Erfüllung des in derselben ausgesprochenen
Wunsches als bevorstehend erscheinen. Wirklich wurde in der
von dem ersten Unterrichtsminister der neuen Ära, dem Frei-
herrn von Sommaruga, wenige Tage nach seinem Amtsantritte
(am 3o. März 1848) in der Aula an die Universität gerichteten
officiellen Ansprache der Grundsatz der Lehr- und Lernfreiheit
für die österreichischen Universitäten ölfentlich ausgesprochen und
die Reform der allgemeinen Studienordnung in diesem Sinne in
nächste Aussicht gestellt. Die unmittelbare Folge war, dass die
bereits im Jahre 1845 durch den damaligen Vicekanzler Frei-
herrn V. Pillersdorff angeregten, aber schon nach zwei Jahren
wieder eingestellten Reformbestrebungen, welche zunächst dem
Gymnasium und den sogenannten «philosophischen Studien»
galten, wieder aufgenommen und zur Durchführung der ersteren
H. Bonitz (aus Preussen), zu jener der letzteren F. Exner (aus
Prag) nach Wien berufen wurden. Erstere traten mit den
letzteren insofern in engen Zusammenhang, als die Umgestal-
tung der Universität nach dem Princip völliger Lehr- und Lern-
freiheit eine entsprechende Umwandlung des Gymnasiums als
der gesetzlichen und natürlichen Vorbereitungsanstalt zu jener
bedang. Die F>höhung des Reifegrades in wissenschaftlicher
und (Charakterbildung, welche durch die dem Studierenden an der
Allgemeiner Thcil. 2 7
Hochschule einzuräumende Freiheit nöthig gemacht wurde,
setzte eine entsprechende Erweiterung des am Gymnasium zu
verbringenden Zeitraumes voraus. Letzterer wurde von den
bisherigen sechs auf acht Jahre verlängert, dafür das bisher be-
standene, zwischen dem Gymnasium und den drei sogenannten
«oberen» Facultaten eingeschobene Vorstudium der zwei soge-
nannten «philosophischen» Jahrgange aber aufgehoben. Beide
Massregeln fanden mit der durch Allerhöchste Kntschliessung
vom 29. September 1850 kundgemachten neuen, im wesent-
lichen noch heute giltigen Studienordnung ihre Durchführung.
Das F>scheinen derselben war der erste Lichtpunkt, welcher
seit der Thronbesteigung des jugendlichen Monarchen am 2. De-
cember 1848 die aussichtsreiche Perspective zwangfreien selb-
ständigen Gedeihens für die österreichischen Hochschulen er-
öffnete. Die Wiener Universität, durch ihre Lage im Mittelpunkt
des Reiches und im Schosse einer europaischen Grossstadt, der
Berührung durch alle von innen und aussen vordringenden Er-
schütterungen ausgesetzt, hatte im Laufe des aufgeregten Sturm-
jahres unter der Macht über den Staat und die Stadt herein-
brechender F^reignisse zu leiden, welche zunächst eine Störung
und vorzeitige Schliessung der ('.ollegien des Sommersemesters
1848, nach den unseligen Octobercreignissen eine Besetzung und
Verwendung des Lniversilätsgebäudes zu militärischen Zwecken
und dadurch eine zeitweilige völlige rnlcrbrcchung der X'or-
lesungen während des Wintersemesters 184S49 herbeiführten.
F>st im März des Jahres 1849 konnte der l'nterricht wieder
aufgenommen und der obdachlos gewordenen Lniversität in den
weitläufigen, aber zu diesem Zweck wenig passenden Räumen
des infolge der damals eben verfügten, nach einigen Jahren
wieder zurückgenommenen Aufhebung der ehemaligen Ritter-
akademie leerstehenden 'i'heresianunis eine zeitweilige Zufluchts-
stätte für die philosophischen und juridischen, im Josephinum
für die medicinischen Studien uewährt werden.
Das lebendige Interesse aller rniversitätsanuehöriuen an der
künftigen, im (ieiste akademischer Freiheit sich vollziehenden
Organisation der Hochschule hatte indessen ihrer traurigen äusseren
Schicksale ungeachtet keinen Augenblick aufgehört. Zugleich aber
28 Allgemeiner Theil.
waren die eigenthümlichen Schwierigkeiten, mit welchen deren
äusserliche Gestaltung zu kämpfen haben werde, anschaulich ans
Licht getreten. Noch im selben Jahre, in dem die Verheissung
akademischer Lehr- und Lernfreiheit erfolgt war, betheiligte sich
die Wiener Universität durch eine aus ihrer Mitte gewählte De-
putation an der im September 1848 zu Jena abgehaltenen all-
gemeinen Versammlung sämmtlicher deutscher Universitäten zum
Zweck, deren bisherige Organisation einer Reform zu unterziehen.
Es war das erstemal, dass Vertreter österreichischer Hochschulen
durch ihr Erscheinen von der Zusammengehörigkeit mit jenen
des übrigen Deutschland öffentlich Zeugnis ablegten, und die
Aufnahme derselben von Seite der Versammlung war eine be-
geisterte. Aber nicht weniger gross war das Befremden, als man
erfuhr, dass von den acht Abgeordneten, welche die vier Facul-
täten repräsentierten, nicht weniger als vier weder Docenten noch
Studenten, sondern Deputierte von Corporationen waren, die
lediglich aus promovierten Doctoren bestanden. Das Befremden
steigerte sich, als einer der letzteren im Namen seiner Genossen
den Anspruch erhob, die Reform der Universitätsorganisation
müsse vom Standpunkt der « DoctorencoUegien » ihren Ausgang
nehmen. Diese als Gesammtheit der Universitätsmitglieder, von
welchen die Professoren als «Lehrende», wenn überhaupt, nur
einen kleinen Theil ausmachten, seien im ursprünglichen Sinne
des Wortes die wahre ^universitas* und berufen, nicht bloss
die akademischen Würden aus ihrer Mitte zu besetzen und die
akademischen Grade zu vergeben, sondern auch an der Be-
setzung und Berufung der Lehrstellen thätigen Antheil zu nehmen.
Die Universität, führte der Sprecher des Wiener Doctorencolle-
giums aus, als «freie Association aller Doctoren, der lehrenden
und nicht lehrenden, regiere sich selbst als unabhängige Ge-
meinde». In ihr erscheine das Lehrercollegium nur als eine be-
sondere Section, als Departement zunächst für Studienangelegen-
heiten, dem die Besorgung der richtigen Vorträge obliegt. Das
Besetzungsrecht, Begutachtungsrecht und Wahlrecht aber werde
von allen Gliedern der Universität, die Studenten nicht aus-
genommen, geübt, welche letzteren, so lautete der Antrag, wenig-
stens durch Deputationen Antheil daran nehmen sollten.
Allgemeiner Theil. 2Q
Ähnliches war kurz zuvor auf dem zu Frankfurt a. M. ein-
berufenen Congress czur Gründung einer freien akademischen
Universität» nach dem Muster der Londoner und Brüsseler be-
antragt und beschlossen und zur Abwehr der Umgestaltung der
längst bewährten deutschen Universität in diesem radicalen Sinne
eben die Versammlung deutscher Hochschullehrer in Jena als
Gegenpart veranstaltet worden. Die Versammlung, mit Aus-
nahme der genannten vier Abgesandten der Wiener Doctorcn-
coUegien, aber mit Inbegriff der vier Vertreter der Wiener Fa-
cultätsprofessoren, war einig in der Ansicht, dass eine Umge-
staltung der Universitätsverfassung auf einer derartigen Basis
nicht sowohl deren Reform, als vielmehr deren völligen Um-
sturz bedeuten würde. Der Antrag der Vertreter der Wiener
Doctorencollegien wurde mit allen gegen vier Stimmen abge-
lehnt, mit Rücksicht auf die an den österreichischen Universitäten
herrschenden eigenthümlichcn Zustände aber bei der Abstimmung
über die künftige allgemeine Universitätsverfassung für diese eine
(Klausel oircngelassen.
Was den Vertretern aller deutschen Hochschulen zu Jena
unverständlich und mit dem Begrilf einer solchen unverträglich
erschien, die Stellung nicht lehrender Doctoren inmitten der Uni-
versität, ist bei der Durchführung der Reorganisation der Wiener
(und Prager) Universität durch das provisorische (iesetz über
die Organisation der akademischen Behörden (1S49), wenn auch
in .sehr beschränkter Weise, wirklich zur Durchführung gelangt
und erst nach lange anhaltenden und stets sich wiederholenden
Streitigkeiten durch das definitive (leset/ über denselben (iegen-
stand (vom Jahre 18731 gänzlich beseitigt worden. Dasselbe war
nichts anderes als das nach Beseitigung des bureaukratischen
Zwanges wiederkehrende Auftreten des durch die l'erdinandeische
Rcjonnatio uova begründeten (iegensatzes der Jociorcs stiycn-
diati et non stipcndiati im Schosse der Universität. Wahrend
der bureaukratischen Bevornuinduni; i^euenüber alle Universitäts-
mitglieder einig waren, deren Aufhebung und die Wiederher-
stellung akademischer .Autonomie anzustreben, gieng innerhalb
derselben eine Scheidung nach zwei entgegengesetzten .\nschauungs-
weisen vorsieh, deren eine, die der * Doctoren >, den lehrenden als
3o Allgemeiner Theil.
einen dem Ganzen untergeordneten und verhältnismässig kleinen
«Bruchtheil», die andere, die der «Professoren», den nicht lehren-
den, wenn auch zahlreicheren, überhaupt nicht als «Theil» der
Universität wollten betrachtet wissen. Der Kampf zwischen
beiden hat ein Vierteljahrhundert (1848 — 1873) ausgefüllt.
In dem neuen Unterrichtsministerium, an dessen Spitze nach
dem Rücktritt Sommaruga's der ehemalige langjährige Decan und
Vicedirector der medicinischen Facultät, der Arzt, Dichter und
Popularphilosoph E. Freiherr v. Feuchtersieben als Unterstaatssecre-
tär stand, und in welches schon unter dessen Vorgänger als sachver-
ständiger Leiter gleichfalls ein Philosoph, aber strenger methodischer
Denkart, F. Exner, als Ministerialrath getreten war, trafen die
Strömungen zusammen. Der Erstgenannte, selbst Mitglied der
Doctoren facultät und ein Bewunderer des dem iMittelalter näher-
gebliebenen englischen College-, wie des auf naturwissenschaft-
lichem und medicinischem Gebiete von glänzenden Erfolgen
begleiteten französischen Fachschulensystems, neigte den «Doc-
toren», der andere, selbst eine Zierde des Professorenstandes,
mit dem Wesen der deutschen Hochschulen vertraut, in der
freien Förderung und einheitlichen Durchdringung des Wissens
aller Facultäten mit dem Geiste unabhängiger Forschung die Auf-
gabe derselben ehrend, neigte den «Professoren» zu. Aus der
Berührung beider, vom edelsten Versöhnlichkeitsgeiste beseelten
Denkweisen ist nach dem frühzeitigen Tode des ersteren zu-
nächst ein (x)mpromiss, zuletzt mit der wachsenden Bedeutung
des Lehrerberufes für die Hochschule die endgiltige Lösung
hervorgegangen.
Wieder wie bei van Swietens Reform war es das medi-
cinische Studium, bei dem sie begann; diesmal aber gieng die
Initiative von unten, vom Lehrkörper selbst aus. Die medi-
cinischen Professoren übergaben einen Reformplan, worin sie
für sich diejenigen Rechte in Anspruch nahmen, deren Ausübung
durch die Lehrer an den übrigen deutschen Universitäten durch-
aus nicht in Zweifel gezogen ward. Sie verlangten die Wahl
der höchsten akademischen Würden und die Bildung des aka-
demischen Senats aus der Mitte der Professoren, das Recht
der Berufung und Slellenbesetzung durch den Lehrkörper und
Allgemeiner Thcil. 3 I
die völlige Selbstverwaltung der Hochschule durch die Glieder
der verschiedenen Lehrercollegien. Aber sie giengen, dem libe-
ralen Geiste der Zeit entgegenkommend, über die üblichen,
oligarchisch gezogenen Grenzen der bisherigen deutschen Uni-
versitätsverfassung hinaus. Schon auf der Jenenser Versamm-
lung hatten die Wiener Professoren sich der fortschrittlichen,
durch den greisen Philologen Fr. Thiersch vertheidigtcn Ansicht
angeschlossen, dass in den Schoss des regierenden Lehrkörpers
nicht bloss ordentliche Professoren zugelassen, sondern auch die
ausserordentlichen Professoren und Vertreter der Privatdocenten
aufgenommen werden sollten. Der Reformplan des medicinischen
Lehrkörpers enthielt dieselbe Forderung. Die künftige Lniversitat
sollte und durfte, dessen Ansicht nach, nur eine C.orporation der
Lehrer und Lernenden sein; die bisher uneigentlich sogenannten
Facultiiten, d. i. Doctorengremien, hatten fortan, allenfalls als der-
selben aggregierte, aber von ihr unabhängige Körperschaften
immerhin fortbestehen mögen.
Fast kein Gedanke ist in diesem Keformplan enthalten, der
sich nicht in dem mit Allerhöchster F^ntschliessung vom 27. Sep-
tember 1849 genehmigten und durch Ministerialcrlass vom M:>. Sep-
tember desselben Jahres kundgemachten provisorischen (leselz über
die Organisation der akademischen Behörden überhaupt und zu
Wien und Prag insbesondere wiederfände. Dasselbe ist aus den
Berathungen hervorgeganiien, welche unmittelbar nach der Schaf-
fung des Interrichtsministeriums im Schosse desselben begonnen,
unter den rasch wechselnden X'orslanden desselben bis auf (iraf
Leo Thun (22. August iS4()) fortgesetzt und unter diesem zum
Abschluss gebracht wurden. Minister Sommaruga hatte schon
am 5. April 1S4S eine Reihe hervorragender ('apacitiiten. darunter
die Wiener l'niversitatsprofessoren Scheiner, llye und Fndlicher,
den damalii;en \'icedirector Ireiherrn v. Feuchtersieben, die
Prager Professoren Fxner und .1. A. /immermann u. a. als '(ie-
hilfen für die Vorarbeiten /u den Antrauen, welche in Bezuu auf
die X'erbesseruni^ und Re^ulierunu des ollentlichen Interrichtes
den einzuberufenden Reichsstanden uestellt werden sollten , ins
Ministerium berufen. Prof Fxner, der von da an .ständig im
Ministerium als dessen Seele verblieb, .sollte auf (irundhme
32 Allgemeiner Theil.
der einzelnen Vorschlage und Anträge einen allgemeinen Entwurf
zur Umgestaltung des gesammten Unterrichtswesens ausarbeiten.
Der als Resultat dieser Vorarbeiten zustande gekommene «Ent-
wurf der Grundzüge des öffentlichen Unterrichts in Osterreich»,
in allem Wesentlichen Exner's Werk, wurde — eine in dem bisher
bureaukratisch geheim regierten Osterreich unerhörte Neuerung —
in der «Wiener Zeitung» (vom i8. — 21. Juli) veröffentlicht, um
die Ansichten des Ministeriums «dem öffentlichen Urtheil zur
Prüfung» darzulegen. Nach dem Rücktritte Sommaruga's und
der Ernennung Feuchtersleben's zum Unterstaatssecretär dienten
diese «Grundzüge» als Grundlage der zur Durchführung der
Reform getroffenen Massregeln. Nachdem schon im Mai die
Vereinigung der bisher bestandenen zwei philosophischen Jahr-
gänge mit dem bisher nur sechsclassigen Gymnasium ausge-
sprochen worden und damit dasjenige, was bisher den Namen
der philosophischen Facultät trug, von der Universität so gut wie
verschwunden war, stellte sich die Nothwendigkeit einer völligen
Neuschaffung derselben als ebenso dringlich wie wünschens-
wert heraus. Da es aber zur Gründung einer solchen, sowie
überhaupt zur Erneuerung und Belebung der Lehrkanzeln an
passenden Lehrkräften fehlte, war das Ministerium bemüht,
durch Heranziehung einheimischer, bisher dem Lehrberuf fern-
gebliebener Gelehrten, wie durch Berufung auswärtiger bewährter
Lehrer diesem Bedürfnis entgegenzukommen. Noch unter Somma-
ruga (9. Juli 1848) erschien eine provisorische Vorschrift über
die Habilitierung akademischer Docenten an der philosophischen
Studienabtheilung. Die Mitglieder der kaiserlichen Akademie der
Wissenschaften in Wien wurden eingeladen, «sich bei Wieder-
eröffnung der Wiener Universität durch ausserordentliche Vor-
lesungen zu betheiligen». Ihnen, sowie den Mitgliedern der
königlich böhmischen Gesellschaft der Wissenschaften zu Prag
wurde das Recht zuerkannt, an jeder österreichischen Universität
Vorlesungen abzuhalten. Von den schon zu Feuchtersleben's
Zeit in Aussicht genommenen, unter dem zeitweiligen Ministerium
Stadion's in Ausführung gebrachten Berufungen auswärtiger
(lelehrter an die Wiener Universität waren die üppolzer's, der
als geborener Österreicher damals in Leipzig wirkte, und Brücke's
Allgemeiner Thcil. 33
an die medicinische, des Philologen und künftigen Mitschöpfers des
österreichischen Organisationsentwurfes für Gymnasien und Real-
schulen, Bonitz, an die philosophische Facultat die glänzendsten.
Als Graf Leo Thun, ein Mann, der nach Exner's glaub-
würdigem Zeugnis «alles nur aus lautersten Motiven that», am
22. August 1849 das Ministerium des Unterrichts antrat, das bei
diesem Anlasse zum erstenmal mit dem des Cultus verbunden
erscheint, waren die Vorbereitungen der künftigen Reform auf
allen Gebieten des öffentlichen Unterrichts so weit gediehen, dass
die organisatorischen Verfügungen für das Hoch- und Mittelschul-
wesen in rascher Folge getroffen werden konnten.
Am So, September 1849, knapp vor Beginn des mit
dem I. October anfangenden Studienjahres, erschien das vor-
läufig «provisorische» Gesetz «über die Organisation der aka-
demischen Behörden» und gelangte noch in demselben Jahre zur
Ausführung. Dasselbe zerfiel in zwei Theile, deren erster für
sämmtliche österreichische Universitäten, deren zweiter nur für
diejenigen von Wien und Prag, an denen «eigenthümliche» Ver-
hältnisse bestanden, Geltung haben sollte. Die (iliederung der
Universität in die bisherigen vier ^Facultätcn» wurde beibehalten;
denjenigen Hochschulen, welche als ehemalige «Lyceen» einer
oder mehrerer derselben entbehrten (Graz, Innsbruck, I-emberg
und Olmütz der medicinischen, Salzburg überdies der juridischen),
wurde der Name der Universität nur unter der Bedingung zuge-
standen, dass sie di<* philosophische und wenigstens eine der
anderen Facultäten umfassten, was bei Salzburg, dessen « philo-
sophische ^ Jahrgänge zum (jymnasium geschlagen wurden, nicht
der Fall war. Die bisherige bureaukratische Leitung der Studien
durch vom Staate ernannte Directorcn oder <wic es in Wien
stattfand! Vicedirectoren, deren Würde erlischt (Ji. ^)». wurde
aufgehoben und der Universität die Selbstverwaltung durch aus
ihrer Mitte frei uewählte Vorstände <l)ecane) wiederbeleben. Aus
dem Lehrercollegium jeder Facultat, welches als solches sämmt-
liche ordentliche und ausserordentliche Professoren, Privatdocenten
und i -ehrer im engeren Sinne d-ectoren' in sich begriff «S- 3»,
sollte fortan als «unmittelbare leitende Behörde der Studienab-
theilung das Professorencollegium, aus sämmtlichen Professoren-
(.jiovhichtc der \\ icncr riiivcr^iijt 3
34 Allgemeiner Thcil.
collegien jährlich der akademische Senat (§. lo) hervorgehen.
Mitglieder des ProfessorencoUegiums sollten nicht nur sämmt-
liche ordentliche, sondern im Sinne der liberalen Anschauung
der Majorität deutscher Universitätsprofessoren auf dem Jenenser
Congresse auch ausserordentliche Professoren und Privatdocenten
sein. Doch sollte die Zahl der Extraordinarien die Hälfte jener
der Ordinarien nicht übersteigen (§. 4) und von den Privat-
docenten nur zwei als von denselben gewählte Vertreter und nur
mit berathender, nicht mit beschliessender Stimme Sitz im Col-
legium haben (§. 5). Der akademische Senat sollte an allen Uni-
versitäten (mit Ausnahme von Wien und Prag) aus dem Rector,
Prorector, den Decanen und Prodecanen der ProfessorencoUegien
bestehen (§. 10); der Rector alljährlich aus einer anderen Facul-
tät der Reihe nach, und zwar «aus der Zahl der ordentlichen
Professoren oder derjenigen Personen, welche ordentliche Pro-
fessoren waren», gewählt werden. Die wichtigste Neuerung war,
dass die Wahl des Rectors nicht mehr (wie es bisher in Wien
und Prag geschah) durch die «historischen» Nationsprocuratoren,
deren «Würde erlischt» (§. 39), sondern an allen Universitäten
durch aus der Mitte der Facultäten zu diesem Zwecke gewählte
Vertreter statthaben solle. An allen Universitäten (mit Ausnahme
von Wien und Prag) waren nach Vorschrift des Gesetzes (§. 11)
aus jedem der ProfessorencoUegien vier Wahlmänner zu wählen,
von welchen zwei ordentliche Professoren sein mussten, die
beiden anderen «ausserordentliche Professoren oder Privatdo-
centen» sein konnten. Die Betheiligung der Privatdocenten, die
als solche «nicht vom Staate angestellte, sondern von diesem nur
zugelassene Lehrer» (§. 3) waren, an der Rectors-, wie in der
Facultät, der sie angehörten, durch ihre Vertreter an der Decans-
wahl athmele seitens des Ministeriums eine Liberalität, wie sie
bis dahin an keiner deutschen Hochschule zu finden war und
noch jetzt nicht zu finden ist.
Der Grund, dass für Wien und Prag besondere Bestimmun-
gen getroffen wurden, lag in den an beiden Orten bestehenden
«Doctorencollegien». Eine Zeitlang hindurch hatte im Ministe-
rium bezüglich derselben von sachverständiger Seite aus die
Ansicht gewaltet, dieselben gänzlich «aufzuheben»; sie war aber
Allgemeiner Theil. 35
bei massgebenden Männern, deren «conservativer Sinn sich da-
gegen sträubte, an dem Hergebrachten zu stark zu rütteln», auf
erfolgreichen Widerstand gestossen. Das provisorische Gesetz
Hess dieselben vorläufig neben den Professorencollegien bestehen,
war aber bemüht, möglichen nachtheiligen Wirkungen auf die
künftige Studienordnung die Spitze abzubrechen. Die Facultäten
zu Wien und Prag sollten demnach neben dem Lehrercollegium
und der immatriculierten Studentenschaft noch je das entspre-
chende Doclorencollegium umfassen (§. 27), dessen freigewählter
Vorsitzender den Titel «Decan des DoclorencoUegiums» führen
und «Sitz und Stimme» im ProfessorencoUegium haben sollte,
letzteres unter der Voraussetzung, dass dem Decan des Professoren-
collegiums im Doctorencollegium das gleiche Recht eingeräumt
werde (§. 3o). Die Decane der Doctorencollegicn sind Mitglieder
des akademischen Senats, der sonach in Prag vierzehn, in Wien
unter dem alten Namen cUnivcrsitätsconsistorium» fünfzehn Mit-
glieder zählt, da hier gleichfalls nach altem Herkommen der
€ Kanzler» (der jeweilige Dompropst von St. Stephan) hinzukommt
(§. 3i). Die Rectorswahl wird an beiden Universitäten in der
Weise vorgenommen, dass sowohl das Professoren- als das Doc-
torencollegium der Facultät, an welcher die Reihe ist, je zwei
Personen bezeichnet; aus sämmllichen Vorgeschlagenen, deren
nicht weniger als zwei und nicht mehr als vier sein können,
wählt (in Prag der akademische Senat) in Wien das «venerabile
Consistorium » den Reclor (g. 32), Während an allen übrigen
Universitäten nur ordentliche Professoren Rectoren sein konnten,
wurde durch §. 33 des (Jesetzes für Wien und Prag die Aus-
nahme gestattet, dass auch jeder dem betreffenden Doctorencol-
legium immatriculirte Doctor zum Rector < wählbar > sein solle.
Derselbe Paragraph sprach jedoch zugleich aus, dass «die Natur
des dem Rector zugewiesenen Wirkungskreises, welcher einen
wesentlichen Kinfluss auf den Unterricht und auf die Disciplin der
Lehrer und der Studierenden in sich schliesst, es mit sich bringe
und es sich daher mit Zuversicht erwarten lasse, dass in der
Regel ausgezeichnete Professoren als Rectoren gewählt werden».
Ks war ein (^ompromiss, ähnlich dem bereits im Reform-
plane des medizinischen Lehrkörpers angedeuteten, welcher im
36 Allgemeiner Theil.
provisorischen Gesetze zwischen den alten «Doctoren-» und den
neuen cProfessorenfacultäten» angebahnt werden sollte. Um die
dauernde Möglichkeit friedlichen Zusammenbestehens beider Arten
von Universitätskörperschaften zu sichern, bezeichnete §.28 des
Gesetzes als «wünschenswert», dass die Mitglieder des Lehrer-
collegiums zugleich Mitglieder des DoctorencoUegiums derselben
Facultät seien. Die zunächst «durch einen Cyklus von vier
Jahren» zu erprobende Organisierung (§. 25) Hess eine definitive
Regelung der Frage des Bestandes und der Stellung der Doctoren-
coUegien für die Zukunft offen.
Dem provisorischen Gesetze über die Organisation der aka-
demischen Behörden vom 3o. September 1849 folgte schon am
i3. des nächsten Monats die mit Allerhöchster Entschliessung
vom 1 1. October des Jahres genehmigte «Allgemeine Anordnung
über das Studien wesen an den k. k. Universitäten» (mit Aus-
nahme der theologischen Studien), die «provisorische Disciplinar-
ordnung», sowie die Bekanntgabe der «Grundsätze, nach welchen
mit dem Studienjahre 1850/51 die Entrichtung von CoUegien-
geldern einzutreten haben wird», auf dem Fusse. Schon §. i der
ersteren hätte hingereicht, den in seinen Folgen kaum zu er-
messenden Umschwung einleuchtend zu machen, der in der
I.eitung des österreichischen Studien wesens seit dem Beginn der
neuen Ära eingetreten war. Der Besuch auswärtiger Universi-
täten war unter der Herrschaft eines Regierungssystems, durch
dessen Mitwirkung die berufenen Karlsbader Beschlüsse zustande
gekommen waren, den österreichischen Staatsangehörigen, wenn
nicht verboten, doch durch die P>schwcrung des Reisens und
Aufenthaltes im Auslande so gut wie unmöglich gemacht. Der
Unterschied des geistigen Lebens an jenen, wo Lehr- und Lern-
freiheit bestand, und an den österreichischen Hochschulen, wo
Zwangsstudium und Prüfungszwang herrschte, war zugleich zu
tiefgehend, um dessen Genuss fruchtbar und dessen Aneignung
förderlich für das Fortkommen in der Heimat erscheinen zu
lassen. Die neue Studienordnung begann mit den Worten: «§. i.
Es ist den österreichischen Staatsangehörigen, welche die gesetz-
lichen Eigenschaften besitzen, um an einer österreichischen Uni-
versität immatriculiert zu werden, gestattet, solche nichtösler-
Allgemeiner Theil. 37
reichische Universitäten, an welchen Lehr- und Lern-
freiheit besteht, zu besuchen, und es soll ihnen die an den-
selben zugebrachte und ausgewiesene Studienzeit unter den §. 3
aufgestellten Beschränkungen ebenso angerechnet werden, als
wäre sie an einer österreichischen Universität zugebracht.» Reci-
prok wurde den Angehörigen fremder Staaten unter gleichen
Bedingungen dasselbe Recht eingeräumt. Nur die an den Hoch-
schulen fast aller Staaten herrschende Beschränkung, dass von
der gesetzlich für jedes Facullätsstudium vorgeschriebenen Studien-
zeil ein gewisser Theil an einer inländischen Hochschule zurück-
gelegt werden solle, wurde auch hier festgehalten und dieser in
der philosophischen Facullät auf ein Jahr, in der juristischen
und medicinischen auf zwei Jahre festgesetzt (S. 3). Das bis-
herige Ausmass der zur Kriangung des juridischen Doctorats
oder zur Ablegung der gesetzlichen Staatsprüfungen erforderlichen
Universitälsbesuchszeit von vier, für das medicinische Doctorat
von fünf Jahren wurde beibehalten, für die künftige Erlangung
des Doctorats der Philosophie ein solches von drei Jahren nor-
miert, in welches die seither aufgehobenen und zum (ivmnasium
geschlagenen ehemaligen zwei philosophischen Vorbereitungs-
jahre nicht eingerechnet werden sollten ({5. 2). Die Zulassung zur
Immatriculation an einer Universität wurde durch S- 9 der ein
Jahr später infolge Allerhöchster Hntschliessung vom 29. Sep-
tember 1850 kundgemachten «Sludienordnung» an den Nach-
weis der '^ Universitätsreife» (Maturitäls- oder Abgangszeugnis
von einer anderen Universität) geknüpft, dem immatriculierten
Studierenden nebst den Rechten eines -^akademischen Bürgers»
(^. 5) durch J^. 8 der (lenuss der I.ernfrciheil>, d. i. «der Frei-
heit, die Fächer, welche, die Zeil, wann, und die Lehrer, bei
welchen er sie hören will, zu wählen», zugestanden. Neben den
immatriculierten oder ordentlichen» sollte auch nichlimmatri-
culierten oder «ausserordentlichen» Hörern, wenn sie einen ge-
nügenden (irad geistiger Bildung > nachzuweisen vermögen, der
Zugang zu Vorlesungen gestaltet werden. An die Stelle der bis
dahin üblichen Annual- und Semestral- traten ausschliesslich
Doctorats- und vom Staate für die Zulassung zu gewissen
Zweigen amtlicher ihäligkeit geforderte Staatsprüfungen; die
38 Allgemeiner Theil.
ehemaligen schulmässigen Prüfungszeugnisse wurden durch blosse
Besuchs- oder Abgangszeugnisse ersetzt, ohne solche «Universi-
tätszeugnisse» aber «niemand zu strengen Prüfungen, zu Staats-
prüfungen oder, nachdem er von einer Universität abgegangen
ist, an einer anderen österreichischen Universität zur Immatricu-
lation zugelassen» (§. 25).
Die unter gleichem Datum kundgemachte «Provisorische
Disciplinarordnung für die Universitäten» wich von der ursprüng-
lich in Wien (und Prag) bestandenen, an manchen deutschen
Hochschulen (z. B. Göttingen) noch bestehenden insofern ab, als sie
einen ausschliesslich akademischen Charakter trug. Die durch
das mittelalterliche Statut der Wiener Universität als Corporation
zuerkannte, im Jahre 1783 endgiltig aufgehobene Jurisdiction
derselben über ihre sämmtlichen Mitglieder wurde nicht wieder-
hergestellt. Die den akademischen Behörden zustehende Disci-
plinargewalt, durch deren Pflicht bedingt, «die Freiheit des aka-
demischen Unterrichts und Lebens im Einklang mit dem Zwecke
der Universität, welcher zu oberst in der Pflege echter Wissen-
schaft und Charakterbildung besteht, kräftig zu schützen, zu-
gleich aber den Missbrauch jener Freiheit und die Gefährdung
dieses Zweckes mit Entschiedenheit hintanzuhalten», äussert sich
«in der Aufsicht und in Anordnung und Vollziehung derjenigen
Massregeln, welche allgemein oder durch jeweilige Umstände
geboten erscheinen, um Ordnung und Anstand auf den Hoch-
schulen aufrechtzuerhalten, den Charakter derselben als wissen-
schaftlicher Lehranstalten auf das strengste zu wahren und die
Ehre und Würde der ganzen Anstalten sowohl als ihrer Glie-
derungen rein zu erhalten» (§. i). Die Studierenden unterstehen
nach §. 3 «in Ansehung ihrer bürgerlichen Verhältnisse, sowie
der bürgerlich strafbaren Handlungen den allgemeinen Gesetzen
und Behörden», in Ansehung «ihres akademischen Verhaltens
aber noch überdies den besonderen akademischen Anordnungen
und Disciplinarvorschriflen und den akademischen Behörden»,
sind demnach gleichsam einer verdoppelten Gerichtsbarkeit unter-
worfen. Dieselben bilden nach §. 6 in ihrer Gesammtheit ^ keine
Corporation», haben aber nach §. 7 und 8 das Recht, «in den
Localitäten des für den Unterricht bestimmten Gebäudes» mit
Allgemeiner Theil. 3q
Zustimmung des Rectors und unter Angabe des Berathungs-
gegenstandes «bestimmte, sie betreffende akademische Angelegen-
heiten zu berathen», an welchen Versammlungen jedoch nur
immatriculierte Studierende theilnehmen dürfen (§. lo). «Stu-
dentenverbindungen», wie sie an deutschen Hochschulen seit
deren Bestand unter den verschiedensten Namen (Corps, Lands-
mannschaft U.S.W.) vorkommen, sind nach §. ii «nicht ge-
stattet». Dieser den Stempel des Datums allzu deutlich an sich
tragende Paragraph hat durch nachfolgende Verordnungen an-
sehnliche Milderung erfahren.
Die dritte und einschneidendste Anordnung betraf die Ein-
führung der Collegiengelder. Dieselbe wurde vorläufig nur als
Grundsatz ausgesprochen und gelangte erst mit dem infolge
Allerhöchster Entschliessung vom 12. Juli 1850 kundgemachten
Erlass des Unterrichtsministeriums vom gleichen Datum zur
Durchführung. Der alle drei vorstehenden Punkte umfassende
und mit ihnen zugleich im Reichsgeselzblatt vom Jahre 1849
unter Nr. 416 veröffentlichte «Allerunterthiinigste Vortrag» des
Ministers an den Kaiser wird für alle Zeiten ein glänzendes
Zeugnis des humanen und aufgeklarten (ieistes des (Jrafen Eeo
Thun und ein Muster ebenso unbefangener als beredter Ver-
theidigung des oft angefochtenen Princips der (lollegiengelder
bleiben. Dasselbe ergibt sich «in einfacher Weise» aus dem
Grundsatz der Lernfreiheit. *Es ist mir nicht unbekannt,»
schreibt der Lnterrichtsminister, «dass die Lernfreiheit, welche
allein die I^ntwicklung selbständiger wissenschaftlicher Kräfte in
grösserer Ausdehnung möglich macht, auch manche bedauer-
liehe Übel im Gefolge hat, denen man heim System des Lern-
zwanges entgeht; dennoch habe ich geglaubt, das System der
Lernfreiheit möglichst rein von beengenden Schranken erhalten
zu sollen, überzeugt, dass eine ungehörige Mischung beider
Systeme nicht die N'ortheile beider, wohl aber die mit beiden
verknüpften l'bel herbeizuführen im Stande sei . . . Eine wirk-
same Lernfreiheit ist nicht trennbar von dem Institute der
Privatdocenten ; dies aber ist zum voraus zu einem steten
Sicchthum verurtheilt, ja es wird geradezu unmöglich, wenn
dadurch, dass alle wichtigeren GoUegien von den angestellten
40 Allgemeiner Theil.
ordentlichen und ausserordentlichen Professoren unentgeltlich
gelesen werden, den Privatdocenten die Bedingungen ihrer
Existenz entzogen sind. Die Lernfreiheit in Verbindung mit
Unentgeltlichkeit der einzelnen GoUegien verleitet, wie schon
eine kurze Erfahrung gezeigt hat, die Studierenden leicht, gleich-
zeitig eine solche Menge von GoUegien bunt durcheinander
ohne Überlegung und Wahl zu hören, dass ein erfolgreiches
Studium irgend einer Wissenschaft nicht möglich ist, ja wie
unzulässig es auch sein mag, Werke des Geistes mit einem
materiellen Massstabe zu messen, so wäre es doch vergeblich,
vor der Wirklichkeit die Augen verschliessen und verkennen
zu wollen, dass der Unterricht, wenn er von allen Seiten un-
entgeltlich angeboten wird, leicht geringgeschätzt, im Gegentheil
aber in der Regel höher geachtet, fleissiger besucht und ernstlich
benutzt wird, wo er nicht ohne pecuniäre Kosten zugänglich
ist.» cAber auch für die Lehrer,» fährt der Minister fort,
«sind GoUegiengelder ein geeignetes Mittel, sie zu gesteigerter
Thätigkeit zu bestimmen, und der Vortheil, welchen sie den
Professoren an nicht österreichischen Universitäten bieten, würde
Berufungen ausgezeichneter Männer, darunter auch hervor-
ragender, auswärts wirkender Österreicher, an einheimische
Universitäten sehr im Wege stehen, wenn sie nicht auch hier
eingeführt würden.» «Nicht dahin,» heisst es weiter, «geht die
Absicht, die bisherigen Kosten des Studiums zu erhöhen, sondern
mit ihnen andere Wirkungen hervorzubringen.» Der
bisherige Unterricht an der Universität war nicht unentgelt-
lich, sondern wurde vom Studierenden mit einem Unterrichts-
geld von durchschnittlich 3o fl. im Jahre bezahlt. Dadurch,
dass dieses letztere als GoUegienhonorar künftig den einzelnen
Docenten zufliesst, wird es möglich sein, ohne Vermehrung der
Kosten für den Studierenden wichtige Vortheile für die Lehrer
und Lehre der Wissenschaft zu erzielen.
Das provisorische Gesetz über die Organisation der aka-
demischen Behörden bildete bis zum Erscheinen des definitiven
Gesetzes (1873), die Studien- und die Disciplinarordnung, sowie
das Gesetz über die GoUegiengelder machen noch heute die
Grundlage der inländischen Universitätsverfassung aus. Letztere
Allgemeiner Theil. ^ I
haben im Laufe ihres Bestandes mannigfaltige Ergänzungen,
Zusätze und Abänderungen im einzelnen erfahren, im ganzen
sind sie bis auf das Gesetz über die (^ollegiengelder, deren Auf-
hebung unter dem Ministerium Gautsch im Jahre 1897 vom
Reichsrath beschlossen, aber bis zur Stunde nicht sanctioniert
worden ist, dieselben geblieben. Die wichtigste unter den Ab-
änderungen der Studienordnung bestand darin, dass sie im
Jahre 1851 auch auf die theologische Facultät ausgedehnt und
dadurch deren Sonderstellung im Umfang der «neuen» Univer-
sität für immer beseitigt wurde. Für die Disciplinarordnung
machte die Aufhebung des §. 11, welcher das Verbot der
Studentenverbindungen enthielt, P^poche. Dieselbe erfolgte auf
Grund des §. 38 des Vereinsgesetzes vom 15. November 1867
durch Hrlass des Unterrichtsministeriums vom 10. April 1868,
Z. 141 7 und vom 20. Juni 1876, Z. 7914. In letzterem wurde
ausdrücklich erklärt, dass «zwar die Studentenverbindungen als
solche nicht der akademischen, sondern der allgemeinen Vereins-
aufsichl unterliegen, dass aber die Studierenden persönlich auch
für jenes, was sie in der Eigenschaft als Mitglieder eines Ver-
eines unternehmen, ihren akademischen Behörden verantwortlich
bleiben». Von diesem Zeitpunkt datiert der augenfällige Auf-
schwung, den das bis dahin nur geduldete Verbindungswesen an
den österreichischen Hochschulen, darunter an der Wiener, ge-
nommen hat.
Das nach den Worten des Ministers von der Lernfreiheit
«untrennbare» Princip der (^ollegiengelder wurde mit äusserster
Schonung der gegebenen Verhältnisse durchgeführt. Man gieng
davon aus, dass, wenn der Student täglich so viele U.ollegien
hört, als bisher üblich war, das für dieselben zu erlegende
Honorar nicht mehr ausmachen solle, als das bisher übliche
Unterrichtsgeld betrug. Um dieses Ziel zu erreichen und doch
zugleich die Zahl der vom Studenten zu hörenden ('ollegien
nicht zu beschränken, musste die für die Bemessung des (-0I-
legiengeldes erforderliche Einheit möglichst niedrig angesetzt
werden. Dieselbe betrug nach 55.3 des (Jesetzes vom 12. Juli
1850 «für jedes Semestralcollegium so viele (uilden (damals
noch geltender) (-onventionsmünze, wie viele Stunden das (>ol-
4 2 Allgemeiner Theil.
legium wöchentlich ausfüllt». Der Student, dessen bisher ent-
richtetes «Unterrichtsgeld» dreissig Gulden erreicht hatte, erhielt
durch das neue Gesetz das Recht, für denselben Betrag als
«CoUegiengeld» wöchentlich dreissig entgeltliche und überdies,
so viel es ihm beliebt, «unentgeltliche» {publica §. 2) Collegien-
stunden zu besuchen. Mit den auswärtigen deutschen Universi-
täten verglichen, war dieser Ansatz ein ausserordentlich geringer
zu nennen; das an denselben übliche Princip der «Stundung»,
das den Hörer dem Lehrer gegenüber in das Verhältnis eines
persönlichen Schuldners versetzt, wurde mit Recht an den
österreichischen Universitäten nicht eingeführt; die Bedingungen
der theilweisen oder gänzlichen Befreiung von der Entrich-
tung des Collegiengeldes wurden durch §. 28 flf. in liberalster
Weise festgesetzt und die Entscheidung über dieselbe vertrauens-
voll in die Hände der betreffenden Professorencollegien selbst
gelegt.
Durch die genannten Gesetze und ihre Verwirklichung waren
die österreichischen Universitäten, was ihre äussere Gestalt be-
traf, den einzigen Punkt der «DoctorencoUegien» (zu Wien und
Prag) ausgenommen, den deutschen Hochschulen gleichgestellt;
an ihnen selbst lag es nun, es auch nach ihrem inneren geistigen
Leben zu werden. Die Wiener Universität, die sich bereit machte,
wenige Jahre darauf (1865) die Feier ihres halbtausendjährigen
Bestandes zu begehen, ist ihren einheimischen Schwesteranstalten
mit hingebungsvollem Eifer und, wie sie sich sagen darf, un-
bestrittenem Erfolge vorangegangen. Wie von ihr die Forderung
der Lehr- und Lernfreiheit zuerst erhoben, von einem ihrer Lehr-
körper der erste in seinen wesentlichen Bestandtheilen mit den
neuen Anordnungen übereinstimmende Reformplan ausgegangen
ist, so war sie es auch, welche die neugeschaffenen Institutionen
mit Feuer und Verständnis der Verwirklichung zuführte. Die
(Konstituierung der akademischen Behörden nach dem neuen
provisorischen (besetze vollzog sich unmittelbar nach dessen Er-
scheinen in sämmtlichen Facultäten ohne Schwierigkeit. Die bis-
herigen Vicedirectoren legten ihre Stellen nieder und übergaben
die Leitung der Geschäfte in die Hand der unter ihrem Vorsitz
zum erstenmal gewählten Decane der Professorencollegien. Das
Allgemeiner Thcil. A^
neue k. k. Universitätsconsistorium constituiertc sich, um nach
%. 32 zur Wahl des Rectors zu schreiten. Die an der Reihe
befindliche Facultät war die philosophische, also gerade die-
jenige, welche dem neuen System nicht bloss ihre «Wieder-*,
sondern im eigentlichen Sinne ihre «Neugeburt» zu verdanken
hatte. Sie legte ihr dankbares Verständnis dieser Lage an den
Tag dadurch, dass sie den geistigen Urheber der neuen Organi-
sation, Exner, als ehemaligen ordentlichen Universitiitsprofessor,
als Candidaten für den Rector vorschlug. Exner wurde that-
sächlich der erste nach dem neuen System gewählte Kcttor
der Wiener Universität.
Exner lehnte die Würde ab. In einem am 2(k November
1849 an den Decan des philosophischen Professorencollcgiums,
den Astronomen Karl v. I.ittrow, gerichteten Schreiben erklärte
er sich mit der Wiener Universität ^aufs innigste verbunden».
Aber die Zeit sei vorüber, wo das Amt des Kectors ein blosses
«Ehrenamt» war, dasselbe verlange eine •ungetheilte» Kraft, und
die Menge seiner Amtsgeschafte erlaube ihm nicht, ihr eine
solche zu widmen. Infolge dieser Ablehnung wurde der Physiker
Andreas (spater Freiherr von» Baumgartner zum Uector ge-
wählt.
Die vor der Erlassung des provisorischen (ieset/es so streit-
bar» aufgetretenen Dc^ctorencollegien hatten sich nach dcssrii
Erscheinen demselben gefügt und M)W()hl an der ('.onstituicniiig
des venerabile (Konsistorium wie an ihrer eigenen den ihnen zu-
kommenden Antheil genommen. Ein Vorfall, der sich ein
Jahr darauf ereignete, wurde Veranlassung, sichtbar /u fnachefi,
dass die humane Scheu, am Herkonjmlichen */u stark /u
rütteln», unvf>rhergesehenen Störungen die I hiir geöffnet hatte.
Das philosophische ProfesvirencoUcgium. vvekheni der vom
fjymnasium des :::rauen Klosters /u Ikrrliri als l'^nrath bej
dem Entwürfe der Mittelschulreform und Neube^^rinitlrr de^
classischen AiterthnmsstuJiums nach Wien berufrnr Prof l*,omf/
als wivsenschaftlxhe Zierde an^'chorte. hatte denNf-llw-n. um ihm
einen Beueis >ciner A^-htun;.' un 1 s/:ines V*;rtr/iiKTis /u /rl»f n,
im Jahre r-i^r /.'irr\ f)e. .m i\ir Its n.uhsr^- ^fi l:'*:i .»hr /'-^^ '^»If
Da er hieJurch /mAcuA, \ijrjhe 1 l<:s l ui\rr.[tM^* '»u ,\^t'>tinu\<
44 Allgemeiner Theil.
werden musste, so wurden von Seite des theologischen Doctoren-
collegiums gegen die Wahl «Bedenken» erhoben, «welche für
den katholischen Charakter dieser altehrwürdigen Universität und
somit gegen den Eintritt eines Nichtkatholiken oder NichtChristen
in das venerabile Gonsistorium sprechen». Dieselben waren ähn-
licher Art, wie sie schon zur Zeit Kaiser Ferdinands I., wie er-
wähnt, gegen die Wahl eines «verheirateten» Rectors geltend
gemacht und von diesem mit dem Bescheide beseitigt worden
waren, ein solcher solle, wenn ad censuras ecclesiasticas pro-
cediert werde, eben seine Gewalt ad hoc an einen Stellvertreter
abgeben, der in sacris sei. Zu dieser bereits im Jahre 1534
getroffenen Entscheidung kam in der neuen Aera noch der Um-
stand hinzu, dass vermöge der Verfassung alle drei christlichen
Hauptconfessionen für gleichberechtigt und die Bekleidung eines
öffentlichen Amtes von dem Glaubensbekenntnisse für unabhängig
erklärt waren. Demungeachtet gab das k. k. Universitätscon-
sistorium der Einsprache des theologischen DoctorencoUegiums,
mit welchem in diesem Falle das theologische Professorencol-
legium zusammenfiel, weU sämmtliche Mitglieder des letzteren
im ersteren Sitz und Stimme hatten, Folge und Hess sich von
einem der jener Zeit angesehensten Advocaten und als Redner
schlagfertigsten, aber auch ehrgeizigsten Parlamentarier Wiens,
Dr. Eugen v. Mühlfeld, welcher in eben dem Jahre Decan des
juristischen DoctorencoUegiums war, über die Giltigkeit der Wahl
ein Gutachten abgeben. Dasselbe fiel aus Gründen, die sich auf das
ursprüngliche, schon seit der Reformation obsolet gewordene Uni-
versitätsstatut stützten und die Berufung auf die Verfassung in
diesem Falle, wo es sich «um so gut wie Privatrechte» handle,
für unzulässig erklärten, gegen dieselbe aus und das gesammte
Gonsistorium, mit einziger Ausnahme des Decans des philoso-
phischen ProfessorencoUegiums, schloss sich dem Proteste des
theologischen DoctorencoUegiums an. Dieser gipfelte in dem
Satze, «dass durch das provisorische Gesetz über die akademi-
schen Behörden die Universität nicht aus dem kirchlichen Ver-
bände gelöst worden sei, und so lange dies nicht geschehe, was
von der höheren competenten Behörde abhänge, die Wahl nicht
zu Recht bestehen könne». Darin war zugleich die Min Weisung
Allgemeiner Theil. ^5
enthalten, dass eine endgiltige Lösung dieser und ähnlicher Con-
flicte durch ein definitives Gesetz möglich und aussichts-
voll sei.
Minister Graf Leo Thun, der selbst die Berufung protestan-
tischer Gelehrten wie Bonitz und Brücke nach Wien, Curtius
und Schleicher nach Prag betrieben und genehmigt, die bestan-
dene evangelisch-theologische Lehranstalt in Wien schon im
Jahre 1850 zum Range einer Facultat erhoben und mit den
Rechten und Ansprüchen einer solchen, der Befugnis, Doctoren
der evangelischen 1 heologie zu promovieren, ausgestattet hat,
war über den Verdacht confessioneller Unbilligkeit erhaben. Der
Protest des Consistoriums, der sich auf «erworbene» Rechte be-
rief, stellte sich dar als ein Act der wiederhergestellten Auto-
nomie der Universität und wurde als solcher vom Ministerium
respectiert. Die Wahl wurde demselben entsprechend annulliert,
dieser Kntscheidung jedoch durch die im Erlasse der Unterrichts-
behördc enthaltene ausdrückliche Hervorhebung «der gerechten
Ansprüche» und «ausgezeichneten Wirksamkeit» des (iewählten
jede persönliche Spitze gegen denselben genommen. Dennoch
hatte die für beide Theilc peinliche Angelegenheit die unangenehme
P'olge, dass ein nicht der katholischen Confession angehöriger,
erst vor kurzem angestellter bedeutender Professor der Wiener
Universität sein Amt freiwillig niederlegte und die Annahme
nach Wien berufener nichtkatholischer (ielehrter von deren Seite
Schwierigkeiten begegnete.
Der politische Takt der Professorencollegien und der (le-
rechtigkeitssinn des Ministeriums haben vereint dazu beigetragen,
dass in den für die freie Bewegung des Wissens und seiner
Träger (iefahr bergenden Zeiten des Sy Ilabus und des U.oncor-
dats Reibungen dieser Art nicht wiedergekehrt sind. So lange (Jraf
Leo Thun das Steuer des Unterrichts führte, war das Schilf des
wissenschaftlichen Kntdeckungsreisenden sicher, auch unter den
heftigsten Stürmen ungeschädigt zum Hafen zu gelangen. Ks
war die seltene Kigenschaft dieses ungewöhnlichen C'harakters,
eigene unerschütterliche Iberzeugungstreue mit bedingungsloser
Achtung der anderslautenden Iberzeugung anderer zu verbinden.
Als nach dessen Rücktritt das Ministerium des Unterrichts n86i)
a6 Allgemeiner Theil.
aufgehoben und statt dessen (nach einem von Miklosich ausge-
arbeiteten Plane) ein oberster Unterrichtsrath (i863 — 1867) er-
richtet wurde, an dessen Spitze Prof. v. Hasner, der nachmalige
Organisator des Volksschulwesens, trat, waren zumeist Wiener
Universitätsprofessoren Mitglieder desselben, und die Leitung des
öffentlichen Unterrichtes im Thun'schen Reformgeiste erfuhr
keinerlei Störung. Dennoch, da, so lange das Concordat fort-
bestand, eine gesetzliche Sicherung des ungehemmten Erhaltens
und Fortschreitens des wissenschaftlichen Geistes nicht gegeben
war, gieng das Streben dahin, die noch immer nur provisorische
Ordnung des Universitätswesens in eine definitive zu verwan-
deln. Die Wiederherstellung des Verfassungslebens nach den
unglücklichen Kriegsereignissen des Jahres 1859, die Berufung
des einstigen freisinnigen Justiz- und Frankfurter Reichsministers
Anton V. Schmerling als Staatsminister an die Spitze der Ge-
schäfte, die Einführung der Februarverfassung, die den alt-the-
resianisch-josephinischen Gedanken einer einheitlichen Zusammen-
fassung aller unter der Habsburgischen Dynastie vereinigten König-
reiche und Länder zu einem festgefügten Grossösterreich in sich
trug, belebten die Hoffnung auf eine von keiner Seite her mehr
anfechtbare endgiltige Regelung des Universitätsorganismus, und
die im Jahre 1865 bevorstehende fünfhundertjährige Wiederkehr
des Stiftungstages der Wiener Universität schien zu einer Kund-
gebung nach dieser Richtung hin die erwünschte Gelegenheit zu
bieten.
Im Beginne des Jubiläumsjahres, am 9. Januar 1865 über-
reichte eine Deputation dem Staatsminister v. Schmerling, wel-
chem damals auch das Unterrichtswesen unterstand, eine von
58 Professoren der Wiener Universität unterzeichnete Adresse,
welche in gewisser Hinsicht als späte, aber nicht verspätete
Erwiderung auf das Votum des venerabile Consistorium in der
erwähnten Decansangelegenheit, im allgemeinen aber als Aus-
druck der Gesinnung gelten kann, von welcher die Elite der
Wiener Universitätskreise hinsichtlich der Aufgabe und des
Zieles der Universitätsbildung beseelt war. In derselben wird
«der ausschliesslich katholische Charakter der Universität als
nicht mehr zu Recht bestehend» erklärt, der Ausbau des (bis-
Allgemeiner Thcil. ^J
her nur provisorischen) Universitätsorganismus auf den Grund-
lagen der im Jahre 1849 begonnenen Umgestaltung, insbeson-
dere die Ausscheidung der Universität aus dem Verbände mit
allen heterogenen Elementen, namentlich den Doctorencollegien
verlangt und die historisch und juristisch begründete Überzeu-
gung geäussert, es habe sich die Universität zu einer Staats-
anstalt herausgebildet, deren Regelung im ausschliesslichen Inter-
esse der Wissenschaft und des Unterrichts lediglich durch die
Staatsgewalt zu erfolgen hat. Dieselbe schloss mit den Worten:
«Ein halbes Jahrtausend ihres Bestandes hat die Universität
demnächst erfüllt, und schon rüstet man sich, die Wiederkehr
des Tages festlich zu begehen, an welchem vor 500 Jahren das
Wort eines erleuchteten Fürsten die Universität ins Leben rief.
Wir verhehlen uns nicht, dass, wenn die Feier die Universität
noch in der gegenwärtigen unausgebauten und von Conflicten
zerrissenen Verfassung trifft, in den Jubel, an dem wir freudig
Antheil nehmen möchten, sich ein xMisston des Bedauerns und
der Verstimmung mischen wird».
Unter den Unterzeichnern finden sich die Namen: Hyrtl,
V. Ettingshausen, Aschbach, v. Miklosich, v. Litlrow, Bonitz,
Brücke, Rokitansky, Skoda, Oppolzer, Vahlen, die nachherigen
Minister Josef Unger und Julius (ilaser, Lott, Lorenz, Hans-
lick u. V. a.. Eingeborene und Auswärtige, ohne Unterschied
der Herkunft, Facultät und C'onfession. Es war die Stimme
der Wissenschaft selbst, ohne irgend fremde Zuthat, die sich
für die Sache und den Sitz derselben erhob.
Der am Schlüsse der Adresse vorhergesehene «Misston» in
der Feststimnuing des Jubeljahres ist leider nicht ausgeblieben.
Die Feier, welche nicht, wie es ursprünglich in Aussicht genom-
men war, am Stiftungstage (12. xMärz), sondern nach dem Bei-
spiele anderer Universitäten zu Beginn der Ferienmonate (vom
I. — 3. August) und, da die Universität über kein ausreichendes
Local verfügte, durch besondere Gnade Sr. regierenden Majestät
in den prächtigen Redoutensälen der kaiserlichen Hofburg statt-
fand, fiel zwar grossartig aus, aber ein beträchtlicher Theil der
Universitätsmitglieder, darunter die meisten der Unterzeichner
obiger Adresse, hielten sich derselben ferne. Der für das
/^,S Allgemeiner Theil.
Jubiläumsjahr zum Rector gewählte mehr als europäisch berühmte
Anatom J. Hyrtl entfaltete bei dieser Gelegenheit sein glänzendes
oratorisches, das Hörerpublicum, aber mitunter auch den Redner
selbst mit sich forlreissendes Talent in deutscher wie in lateini-
scher Sprache. Bei der F'eier waren 63 Abgeordnete von 28
deutschen und ausserdeutschen Hochschulen, unter welch letz-
teren auch das ferne Moskau sich befand, gegenwärtig; einige,
wie Marburg und Erlangen und in der letzten Stunde Padua,
hatten ihr Ausbleiben schriftlich entschuldigt. Die Universität
Paris, die einstige Muster- und Mutteranstalt der Wiener Uni-
versität, die, wie Documente im Archiv der letzteren darthun,
noch im 15. Jahrhundert mit ihr im regen schriftlichen Verkehr
in Conciliensangelegenheiten stand, hatte, obgleich besonders ge-
laden, keinen Vertreter gesandt, sondern sich brieflich ent-
schuldigt.
Anlass zur Verstimmung gab, von verschiedenen mit dem
Geiste der von ihm selbst unterzeichneten Adresse nicht über-
• *
einstimmenden Äusserungen in der Festrede des Rectors abge-
sehen, die Liste der bei dieser Veranlassung zu ernennenden
Ehrendoctoren, über welche Professoren- und Doctorencollegien
mehrerer Facultäten sich nicht zu einigen vermochten. Die
Folge war, dass die medicinische und juristische Facultät über-
haupt keine Ehrendoctoren creirten, die von allen vier Facul-
täten ernannten «Elhrenmitglieder» aber nur von den betreffenden
Doctorencollegien derselben erwählt wurden. Unter den «Ehren-
doctoren* der theologischen und philosophischen Facultät, deren
(A)llegien sich über ihre (Kandidaten verständigt hatten, befanden
sich: Anton Graf Auersperg (Anastasius Grün), ^Castalidum
soronim amor^j und J. J. DöUinger in München, ^rerum eccle-
siasticarum scriptor f^ravissitnus*. Unter den einheimischen
«Ehrenmitgliedern des philosophischen Doctorencollegiums waren
Franz (irillparzer und der Biograph Maria Theresias, Alfred
V. Arneth die vornehmsten.
Das Festcomite halte ausserdem als F'eslschrift die Heraus-
gabe der <(jeschichte der Wiener l-niversität innerhalb ihres
ersten Jahrhunderts (1365 — 1465)» beschlossen, deren Abfassung
Professor Aschbach übernahm, und die nach dessen l\)de von
Allgemeiner Theil. ^Q
A. Horawitz und C. Schrauf bis zum Tode Kaiser Maximilians II.
(1576) fortgesetzt worden ist. Ein im Auftrage des Staats-
ministeriums von dem Schüler (Ihr. Ruben's, Karl Swoboda, ent-
worfener, die Kestfeier illustrierender, allegorischer Carton war
zur Ausführung in Fresco bestimmt, die durch des Künstlers
vorzeitigen Tod vereitelt wurde. Eine von J. Radnitzky er-
fundene, in Bronze geprägte Medaille mit dem Bilde des Stif-
tungsactes und der Umschrift: ^Unwersitas literanim Vindobo-
nensis amdita a Rudolpho IV die XII. Martii AICCCLXV*
wurde an die Festtheilnehmer vertheilt.
Das zahlreich besuchte Jubiläum hatte die Tniversitat den
Mangel eines eigenen, ihren gesteigerten Bedürfnissen ent-
sprechenden Gebäudes doppelt schmerzlich emplinden lassen.
In den an sich wenig geeigneten Räumen des Theresianums war,
als noch unter dem Ministerium Thun dessen Wiederherstellung
(in vervollkommneter Form) beschlossen ward, ihres Bleibens
nicht langer gewesen; sie ward, da ihr ursprünglicher Sitz, das
ihr von Maria Theresia gewidmete (Jebaude, dessen Aula einst
Guglielmi mit allegorischen Fresken, Metastasio mit schwung-
vollen Inschriften geschmückt hatte, seit dem 2(>. October 1S57
in die Iliinde der kaiserlichen Akademie dier Wissenschaften
übergegangen war, zwar in dessen Niihe, an den ehemaligen
Universitiitsplatz, aber in die Räume des ehemaligen (^onvicts-
gebiuides und das anstossende, zum Theil langst baufällige I laus
verlegt, dessen die zwei oberen Stockwerke einnehmender Saal
zu den Zeiten des Jesuitenordens als naturgeschichtliches Museum,
dessen Erdgeschoss ehemals als Pferdestall gedient hatte. Wah-
rend rings um das alte Dominikanerkloster am ehemaligen
Stubenthor, in dessen Nahe Herzog Albrecht sein C-ollegium
Albertinum gestiftet hatte, die Wiille fielen, die innere Stadt
den engen Ring ihrer Basteien sprengte und an der Stelle der
grünen Wiesen und schattigen Alleen, welche den alten Stadt-
kern umgaben, mit Prachtgebäuden gesiüimte Strassen, mit
Statuen und Brunnen gezierte Plätze, monumentale Kirchen und
ötfentliche Palastbauten aus dem Boden schössen, sah sich die
vom Gefühl ihres hohen Berufes uetranene Inivcrsität, ihres
Sitzes beraubt, auf einen Ort angewiesen, der kaum für niedere
(icscliivtitc Jcr Wiener rnncr^^itat. 4
^O Allgemeiner Theil.
Schulen als Zufluchtsstätte genügend, als Heimstätte der Wissen-
schaft aber beschämend erscheinen musste.
Die Munificenz des Monarchen, unter dessen fünfzigjähriger
Regierung das einstige Römercastell an der Wien zur Weltstadt
geworden ist, hat, auch in diesem Zuge der grossen Ahnfrau
ähnlich, der neuen Universität eine neue, der Erhöhung ihres
Berufes und der Erweiterung ihres Umfanges entsprechende
Wohnstätte geschaffen. Die Neubelebung des constitutionellen
Lebens nach dem Kriege von 1866 mit Preussen, die Wieder-
herstellung des seit dem Rücktritt Thuns ruhenden Unterrichts-
ministeriums, an dessen Spitze als seiner würdige Nachfolger
L. V. Hasner und K. v. Stremayr traten, die Aufhebung des
Concordats, welche die Freiheit der Wissenschaft für immer
sicherstellte, boten ebensoviele Gründe, den ersehnten defini-
tiven Ausbau des Universitäsorganismus nach innen, wie den
unausbleiblich gewordenen Neubau einer derselben angemessenen
Heimstätte nach aussen zu erhoffen.
Beides sollte der Wiener Hochschule fast gleichzeitig zu-
theil werden. Der 28. April des Jahres 1873 (des Jahres der
«Wiener Weltausstellung») brachte, von Auersperg als Minister-
präsidenten, von Stremayr als Unterrichtsminister gegengezeichnet,
das «mit Zustimmung beider Häuser des Reichsraths» erlassene
«Gesetz, betreffend die Organisation der Universitätsbehörden».
Der Inhalt desselben, dessen «definitiver» Charakter, mit der
«Anordnung» vom 3o. September 1849 verglichen, unbestreitbar
war, stimmte im wesentlichen mit dem Inhalt dieser zweiten
überein, unterschied sich aber von vornherein von derselben
dadurch, dass es für alle Universitäten galt und nicht wie diese
für Wien und Prag Ausnahmen statuierte. Der Satz §. i: «Die
Facultäten bestehen aus den Lehrcrcollegien und den immatri-
culierten Studenten» Hess für «DoctorencoUegien» keinen Platz;
§. 2^ des Gesetzes, welcher lautete: «Die an den Universitäten
Wien und Prag bestehenden Doctorencollegien hören auf, Theile
der Facultäten und der Universitäten zu sein», schloss sie von den
Universitäten aus. Damit sollten zugleich «alle jene Satzungen
und Gepflogenheiten aufgehoben sein, vermöge welcher: aj den
gedachten Doctorencollegien ein Antheil an dem Vermögen oder
Allgemeiner Theil. C I
eine Betheiligung an der Leitung und Verwaltung der Facultät
oder Universität, insbesondere die Theilnahme an den Doctorats-
prüfungen und Promotionen, sowie der Bezug von Taxen für
dieselben zustand; ferner bj die Zulassung zur l^raxis durch den
Eintritt in eines dieser CoUegien bedingt war, oder cj aus An-
lass der Promotion bestimmte Zahlungen zu Gunsten der Doc-
torencollegien einzelner F'acultäten oder ihrer Witwensocietäten
geleistet werden mussten». Dieselben sollten fortan nach S- 24 als
«selbständige (Korporationen» fortbestehen, ihr Vermögen, ihre
Stiftungen, Archiv u.s. w., soweit sie dieselben bisher «unabhängig
vom akademischen Senat besessen und verwaltet haben>, be-
halten. Die Frage, welche den innern Zustand der Universität
als (Korporation seit Kaiser Ferdinands I. Zeit im steten Schwan-
ken erhalten hatte, war hiermit endgilt ig gelöst; die schärfere
Auffassung, welche im Unterrichtsministerium von 1849 der
Anhänglichkeit an das «Herkömmliche» gewichen war, hatte
die Oberhand gewonnen.
Der Rückkehr ähnlicher (Konflicte, wie sie bei der Wahl
des IVofessorendecans der philosophischen Facultät im Jahre 1851
vorgekommen waren, war durch §. 11, welcher «die Fähigkeit,
zu akademischen Würden gewählt zu werden, für unabhängig
von dem Glaubensbekenntnis erklärt», für künftige Zeiten ein
Riegel vorgeschoben. Die Ausdehnung des «katholischen» (Cha-
rakters auf alle Pacultäten wurde durch JJ. 26, welcher «das
Kanzleramt an den Universitäten Wien und Prag auf die katho-
lische theologische Facultät beschränkt», für die Zukunft un-
möglich gemacht. Die in der Adresse der 58 Professoren vom
Jubeljahr 1865 angeführten Beschwerdepunkte erscheinen durch
das Gesetz von 1873 ausnahmslos im Sinne derselben ent-
schieden.
Von nun an erst konnte der Reformbau der Wiener Uni-
versität als vollendet und auf eine unangreifbare Grundlage ge-
stellt angesehen werden. Wenige Monate bevor das neue (iesetz
erschien, am i3. October 1872, hatte sich der damalige Kector,
Freiherr v. live, in der Lage gesehen, dem Unterrichtsminister
zu berichten, das Universitätsconsistorium habe in seiner Sitzung
vom vorhergegangenen läge beschlossen, ^ Seine Kxcellenz zu
4»
C 2 Allgemeiner Theil.
bitten, Hochdieselben möchten Seiner kaiserlichen königlichen
apostolischen Majestät die ehrerbietige Bitte des Universitäts-
consistoriums um Allerhöchste Vornahme der feierlichen Grund-
steinlegung (zum neuen Universitätsgebäude) vorzutragen geruhen».
Der Beschluss eines Neubaues für die Wiener Universität
wurde bereits im Jahre 1854 gefasst, aber erst im Jahre 1870,
nachdem die grossartige Stadterweiterung Wiens die bisher zu
militärischen Zwecken verwendeten, zwischen der inneren Stadt
und den westlichen Vorstädten sich ausbreitenden weiten Flächen
in ihren Bereich gezogen hatte, konnte demselben eine ange-
messene Baustelle zugewiesen werden. Dfer Platz, an dem sich
die Stätte der «freien Wissenschaft» erheben sollte, war bestimmt,
einst der schönste der schönen Donaustadt zu werden. Die der
Stadt näherliegende Langseite desselben sollte das neue Burg-
theater, die ihr fernerliegende das kolossale künftige Rathhaus
einnehmen; an den Schmalseiten sollten links vom Rathhause
das Parlaments-, rechts von demselben das Universitätsgebäude
seine Stelle finden; die Mitte des riesigen Gevierts füllte der
«Rathhauspark» aus. Für die Dauer der Bauführung wurde
ein Baucomite eingesetzt, dem ausser den Baureferenten des
Unterrichtsministeriums und den Architecten Bergmann, dem
Erbauer der Elisabethkirche, Schmidt, dem Schöpfer des Rath-
hauses, und Ferstel, dem Meister der Votivkirche, der Gründer
des Osterreichischen Museums für Kunst und Industrie, Prof.
V. Eitelberger, und zwei gewählte Vertreter der Universität, die
Professoren M. Heysslcr und V. v. Lang beigezogen wurden. Die
Führung des Baues wurde Ferstel übertragen; für die Ver-
gebung der Erd- und Maurerarbeiten wurde von der Staats-
regierung ein Betrag von 3,011.575 fl. bewilligt; die Gesammt-
kosten des unter Maria Theresia der Universität errichteten
Prachtbaues, der in den Augen des damaligen Europas, wie
man aus Voltaires demselben gewidmeten Versen sieht, als ein
Ereignis ersten Ranges erschien, hatten 320.000 fl. betragen!
Der im edelsten Renaissancestile gehaltene Bau bildet
ein freistehendes oblonges Viereck, das nach Art des be-
rühmten «II B6> zu Padua einen von Arcaden umgebenen
geräumigen Hof umschliesst. Die nach der Hingstrasse gekehrte
Allgemeiner Thetl. ^3
Frontseite enthalt die imposante Aula und die Empfangs- und
Sitzungssäle des Rectors und des akademischen Senates, die
entgegengesetzte, nach der Reichsrathsstrasse gerichtete Schmal-
seite beherbergt die Universitätsbibliothek mit ihrem durch Ober-
licht erhellten geräumigen Lesesaale, an den nach der Grillparzer-
einer-, nach der Universitätsstrasse andererseits schauenden, in
Pavillons endenden Langseiten sind links vom Haupteingang,
zu dem eine Rampe und Freitreppe emporführt, die juridische,
rechts von demselben die philosophische Facultät (und zahlreiche
wissenschaftliche Institute und Sammlungen) untergebracht; einen
'I heil des Untergeschosses nehmen die Amtslocalitäten der medi-
cinischen Facultät in Anspruch, die theologische Facultät be-
hauptet den Oberstock. Die Arcadengänge des Hofes haben
die Bestimmung, zum (^ampo santo der Hochschule zu werden;
wie in den Bogengängen, die den Bau Sansovino's schmücken,
die Namen und Wappen ehemaliger Lehrer und Studenten,
so sollen in jenen der Wiener Universität die Denkmäler,
Büsten oder Reliefmedaillons berühmter Professoren und Gönner
angebracht werden. Schon finden sich daselbst neben den
älteren Brustbildern van Swietens, v. Jaquins u. a., die aus
dem alten Universitätsgebäude dahin verpflanzt wurden, die
Monumente Rokitanskv\s, Skodas, livrlFs, Schuhs, der beiden
Littrow (Vater und Sohn), der beiden Oppolzer (des als
Kliniker berühmten Vaters und des als Astronom hervorragenden
Sohnes), Billroths, Stefans u. v. a. Dort ist auch seit 1893 das
im Auftrage des Unterrichtsministers von Kundmann ausgeführte
Standbild des Reformators des österreichischen Unterrichts wesens,
des Grafen Leo Thun, zwischen den Büsten seiner vornehmsten
Mitarbeiter, Franz Kxner's für die Universitäts-, Hermann Bonitz's
für die (Jymnasialreform, aufgestellt.
Die feierliche Kinweihung des neuen (Jebäudes fand am
II. October 1884 in (Jegenwart Seiner .Majestät des regierenden
Kaisers statt. Schon ein Jahr vorher war die juridische und
theilweise die philosophische Facultät in der Stille «ohne Sang und
Klang» in die ungewohnte prangende Wohnstätte übergesiedelt.
Angesichts der von Zumbusch gebildeten lebensgrossen Statue
des .Monarchen, welche das monumentale Treppenhaus des der
C 4 Allgemeiner Thcil.
Wissenschaft geweihten Palastes beherrscht, durfte der damalige
Rector Zschokke in seiner Ansprache mit Recht sagen: cDer
kaiserliche Name Franz Josef des Ersten werde, wie in der Ge-
schichte der Stadt Wien überhaupt, so in den Annalen der
Wiener Universität stets in goldenen Lettern prangen.»
Mit ihrer im Geiste wissenschaftlicher Forscher- und Lehr-
freiheit gesicherten akademischen Autonomie und ihrem im Sinne
individueller Persönlichkeit erlangten Recht in Besitz und Um-
fang des eigenen Hauses hat die Wiener Universität den Gipfel-
punkt ihrer mehr als halbtausendjährigen Entwicklungsgeschichte
erreicht. Die glänzende Reihe berühmter Namen und Lehrer,
auf die sie zurückschauen, die den bisherigen Umkreis mensch-
lichen Forschens und Wissens nahezu erschöpfende Fülle von
Lehrkanzeln, Lehrkräften, Seminarien und Instituten, auf die
sie als die ihrigen umherblicken kann, geben ihr wohl das Recht
zu dem befriedigenden Gefühl, mit dem ihr anvertrauten Pfund
nicht ohne Frucht gewirtschaftet zu haben, wie sie ihr anderer-
seits die Pflicht der Dankbarkeit gegen diejenigen in Erinnerung
bringen, die ihr dies anvertraut haben. Dass sie darüber
weitergehenden, in früheren Zeiten kaum geahnten Aufgaben,
die an die Universitäten der Gegenwart herantreten und an jene
der Zukunft vielleicht herantreten werden, sich nicht verschlossen
hat, noch zu verschliessen gedenkt, davon legt das Entgegen-
kommen, das sie zwei der jüngsten Zeit angehörigen Problemen, der
Frage des PYauenstudiums und der Einrichtung volksthümlicher
Universitätsvorträge, nach dem Muster der von England ausgegan-
genen University Extensions, an den Tag legt, ehrendes Zeugnis
ab. Ersteres ist durch eine Reihe von Ministerialerlässen seit
dem Jahre 1878 bis 1897 in der Weise geregelt worden, dass
die Ablegung der für männliche Schüler vorgeschriebenen Ma-
turitätsprüfung Frauen befähigt, als ordentliche Hörerinnen zu den
Vorlesungen der philosophischen Facultät und auf Grund der an
dieser zurückgelegten Studien zu den Doctoratsprüfungen der Philo-
sophie, auf Grund eines im Ausland erworbenen medicinischen
Doctordiploms aber zu jenen Ergänzungsprüfungen zugelassen
zu werden, welche die Anerkennung dieses ausländischen Doc-
tordiploms ermöglichen. Letztere verdanken ihre Anregung
Allgemeiner ThcM. 55
einer am i6. December 189,1 von 5,^ Docenten, darunter 37
oriientlichen Professoren aller Facuttäten, dem akademischen Senat
überreichten Kingahe zum Zwecke der Organisation volkslhüm-
lichcr, aber mit Wissenschaft hchem Krnst, Unparteilichkeit und
Unabhängigkeit abzuhaltender Vorträge, welche von diesem ge-
nehmigt und von dem L'nterrichtsm in ister Freiherrn v. Gautsch
vom Jahre 1895 angefangen mit einer jährlichen Subvention
aus Staatsmitteln (6000 fl.) ausgestattet wurde. Dieselben haben
nach den Berichten über die Jahre 1X95 — T«g7 die Zahl von do
halbjährigen (Kursen über die verschiedensten Fächer ((ieschichtc,
classische und moderne Philologie, Naturwissenschaften. Volks-
wirt.schafislehre u. a.) erreicht, und die Zahl der Zuhörer hat
7(XK) weit überschritten.
Die Wiener Universität, diese uralte Stiftung des habsburgi-
schen Hauses, hat durch eine halbtausendjährige Verflechtung mit
den Schicksalen desselben wohl das Hecht erlangt, sieh die habs-
burgische llausunivensität zu nennen. Unter dem glorreichen
Schutze des ritterlichen Knkels, dessen fünfzigjähriges Hegierungs-
jubiläum diese Schrift in ehrfurchtsv()ller Theilnahme mit zu
feiern bestimmt ist. hat sie die hehre Klüte und die .stattliche
riörerzahl wieder erreicht, die sie im goldenen Zeilalter des
deutschen Humanismus, zur Zeit des kiinst- und wissensfreund-
lichen Ahnherrn, des cictztcn Ritters» bese.s.scn hat. Möchte es
ihr. die unter Diesem ihre erste (ilanzcpoche. die unter Jenem
ihr halbtausendjähriges Jubiläum erlebt hat, gegönnt sein, unter
einem erliiuchten Zukunftssprossen derselben Familie ihr tausend-
jähriges zu begehen!
THEOLOGISCHE FACULTÄT.
I. Wirken der Facultät als solcher.
Wie schon im allgemeinen Theile dar-
gelegt ist, hat überhaupt der Begriff «Fa-
cultät» bis zum Jahre 1873 einen anderen
Inhalt und Umfang als nachher. Aber
strenge genommen, hat die theologische
Facuitat um eine Behörde mehr als die
drei weltlichen Facultaten, da die cano-
nischc Giltigkeit des höchsten Actes, den
die Facultät vornimmt, der Promotion,
an die Mitwirkung des Kanzlers (der
Facultät, ehemals der Universität) gebun-
den ist, welche Würde stiftsbriefmässig
immer der Propst des Domcapitets von
St. Stephan innehat.
Im Jahre 1848 stand eigentlich an
der Spitze der Facultät. mit dem aus-
die Sitzungen derselben einzuberufen und
zu leiten, der Studiendirector in der Person des l")r. l-'ranz Zenner.
D()mcant<irs vim St. Stephan; Decan war (gewühlt October 1847)
Dr. Johann Scala und nach ihm (gewühlt im October 18481
Dr. Franz Hasel, IMarrcitnpaator /.u Sl. Augustin. der als der
letzte Decan der (iesaiiunlfaiulläl crscluiiil. Von den 1 *rofes.soren
waren nur jene /ugli-ich Mitglifilir ili-r l'aculiäl. welche in die-
ichliesslichcn K
Theologische FacuItäL ^J
selbe aufgenommen waren. Vorstand des Lehrkörpers war der
tVicedirector der theologischen Studien*, Dr. Sigmund Schultes,
Abt des Benedictinerstiftes Schotten.
Das Gesetz vom Jahre 1849 (R.-G.-Bl. Z. 401) machte
dieser künstlichen Maschinerie ein fi)nde, indem es die Gesammt-
facultüt in zwei Körperschaften theilte und zugleich die Würden
des Studiendirectors und seines Stellvertreters unterdrückte, so
dass über Aufforderung der Regierung (Decret vom 8, October
1849, Z. 43841) die neugeschaffenen Facultätscollegien zur ersten
Wahl ihrer Vorstände schreiten konnten: der erste Decan des
neugeschaffenen ProfessorencoUegiums, mit dem Wirkungskreise
des ehemaligen Vicedirectors, war Prof. Dr. Johann Seh wetz,
während das DoctorencoUegium den Spiritualdirector bei den
Augustinern Dr. Georg Anibas zum ersten Decan wählte,
welcher nun auch den Vorsitz in den Facultätssitzungen führte.
Es ist nicht zu leugnen, dass, nachdem der Alp des vor-
märzlichen Reglements gewichen, sich allsogleich in beiden
theologischen Facultätscollegien Kräfte regten, welche schon im
Sturm- und Drangjahre 1848 das Aufleben wissenschaftlicher
'l'hätigkeit und das Bewusstsein der Nothwendigkeit echt kirch-
lichen Strebens ankündeten. Im DoctorencoUegium war der
Mittelpunkt dieser jüngeren Schule der k. k. Hofcaplan Dr. Joh.
Mäusle, im ProfessorencoUegium der talentvolle, von den
Schülern hochgeehrte Dr. Josef Scheiner. Mäusle fasste die
Aufgabe der nun getrennten, aber immer zusiimmenwirkenden
Facultätscollegien so auf, dass beiden zusammen die gemein-
schaftliche Pflege der höheren, über die blosse Seelsorgerbildung
hinausgreifenden theologischen Wissenschaft zukomme, während
speciell dem ProfessorencoUegium der akademische Lehrstuhl
und das Mitwirken bei den Promotionen gehöre (vgl. die
- Wiener Zeitschrift für die gesammtc katholische Theologie > III,
i8s2, S. i63k denn nach Beschluss des rniversitätsconsistoriunis
vom 17. November 1849 ^>tand dem Professorendecan der Vor-
sitz bei den strengen Prüfungen und die Leitung der Disputa-
tionen zu.
Dieser Anschauung entsprechend wurde eine Hinrichtung
wiedererweckt, welche schon unter Maria Theresia eine /eit-
ijc!»chu'titc der Wtcnci riii%cr»itj(. s
c8 Theologische Facultiu
lang bestanden hatte: die Consessus litterarii. Die erste Ver-
sammlung fand am 14. Jänner 1852 unter dem Vorsitze des
Doctorendecans Dr. Ernst Hauswirth statt. Aber auch dieses-
mal hielt sich die Institution nicht lange. Das Programm dieser
«litterarischen Zusammenkünfte» findet sich in der Beilage zum
2. Jahrgange der Scheiner'schen «Zeitschrift für die gesammte
katholische Theologie» S. 57 f.
Eine zweite gemeinsame Gründung war die «Wiener Zeit-
schrift für die gesammte katholische Theologie», deren Heraus-
gabe (am 4. und ii.December 1849) von beiden CoUegien be-
schlossen und deren Redaction dem Dr. Johann Michael Häusle
und dem Prof. Dr. Josef Scheiner übertragen wurde. Ein
ernster, wissenschaftlicher, gut kirchlicher Geist weht durch
diese Blätter. «Die Wissenschaft und das Leben Vieler ist von
(Christus und seiner Kirche thatsächlich abgefallen. Eine Ver-
söhnung der ewigen Grundlagen unseres Heiles mit der Zeit, in
welcher wir leben, und mit dem Standpunkte ihrer Wissen-
schaft auf dem eigenen Boden der letzteren, eine Ansprache an
die Gegenwart, welche von dieser verstanden werden kann, über
das, was ewig wahr und heilbringend ivSt, thut in unseren Tagen
vor allem noth.» Die Mitarbeiter waren nicht bloss Facultäts-
mitglieder, sondern man erwartete solche aus allen Lehranstalten
der Monarchie, auch solche waren willkommen, welche nicht
im theologischen Lehramte sich befanden. So treffen wir
Arbeiten von Ginzel, Hofrath Hurtcr, Dr. Franz und Karl
Werner in St. Polten, F2hrlich in Graz später in Prag, Hasel,
Schcincr, (iruscha, Stiefelhagen, Gogala, Friedhotf in Münster
u. a. Auch (jünther lieferte Beiträge, in denen er seine Zeit-
genossen vor dem Rationalismus und Pantheismus bewahren
wollte. Dass sein geistiger Kinfluss durch ein paar Jahre in
einzelnen Aufsätzen dieser Zeitschrift erkennbar ist, wird nie-
manden wundernehmen, der die geistige Einwirkung Gün-
thers auf seine /eitnenossen kennt. Mit dem Jahre 1860 hörte
die Zeitschrift auf zu erscheinen. Es fehlte ihr der genügende
Abnehmerkreis. Die darnach erscheinende, von Dr. Th. Wiede-
niann redigierte -(Vsterreichische \'ierteljahresschrift^ kann nicht
als deren h'ort.set/ung betrachtet werden.
Theologische Facultftt. ^C)
Die Gesammtfacultät hat den Bemühungen, den corpora-
tiven katholischen (Charakter der Universität zu erhalten, ihre
volle Kraft gewidmet; mit dieser Frage hieng die andere zusam-
men, ob der protestantisch-theologischen I.ehranstalt ein Platz
im Universitätskörper, spater (nach 1873) im neuen Universitüts-
gebaude einzuräumen sei. Das erstemal wurde die Frage schon
1848 angeregt und von da ab fast regelmassig alle 10 Jahre:
1851, 1861, 1871 und folgende. Das erstemal wurde sie durch das
Universitatsconsistorium (23. September 1848) und durch Mi-
nisterialerlass vom 7. Januar 1849, Z. 6665/1 761 negativ be-
schieden. Aber die Bewegung führte dazu, dass die protestan-
tisch-theologische Lehranstalt zu einer theologischen Facultüt -
wie die katholisch-theologischen Facultaten in Salzburg und
Olmütz ohne Anlehnung an eine Universität — umgestaltet und
munificent ausgestattet wurde (Ministerialerlass vom 8. October
1850, R.-G.-Bl. Z. 388).
Mehr konnte die protestantisch-theologische Facultät nicht
erreichen; ihre mehrfachen Ansuchen wurden vom Universitats-
consistorium wiederholt abgelehnt; zuletzt 1873 that dies auch
das Herrenhaus, nachdem Gardinal Rauscher am 27. und 28. Januar
jenes Jahres zwei glänzende, tiefgehende Reden gehalten hatte.
Wir führen nur eine R^pisode aus jener Zeit an, da die
Frage nach dem katholischen (Charakter der Universität eine
brennende war. Für das Jahr 1851/52 war Prof. Dr. Bonitz
zum Decan des philosophischen Professorencollegiums gewählt
worden. Da ihm, dem Protestanten, hiemit Sitz und Stimme
im Universitatsconsistorium gebürte, welches eine Reihe kirch-
licher Rechte und PHichten auszuüben hatte, so brachte das
theologische Doctorencollegium (4. Juli 1851) eine Vorstellung
beim Minister vor (vgl. die Scheiner'sche Zeitschrift für die ge-
sammte katholische l'heologie II., S. 500 f., wo der Wortlaut
des Protestes des theologischen Doctorencollegiums vom 29. Juli
abgedruckt ist, S. 503 ). Das .Ministerium forderte die Ansicht
des Univcrsitätsconsistoriums, welches sich in der Sitzung
vom 29. Juli jenes Jahres für den katholischen C-harakter
der Universität aussprach. Daher verweigerte das Ministerium
unter dem i. August jenes Jahres die Bestätigung der Wahl.
6o Theologische Facultät.
Es musste zu einer Neuwahl geschritten werden. Wir wür-
den diesen Fall nicht besonders herausgehoben haben, wenn
nicht der bekannte Anwalt Dr. Eugen Megerle v. Mühlfeld sich
als Consistorialreferent in jener Sitzung mit Entschiedenheit gegen
die Aufnahme eines protestantischen Professors in das Consisto-
rium — wegen des stiftungsmässig katholisch-corporativen Cha-
rakters der Universität — ausgesprochen hätte.
Die Gründe, welche die verschiedenen UniversitätscoUegien
in der Frage der Einverleibung der protestantisch-theologischen
Facultät dem Petitum derselben entgegensetzten, waren einander
ähnlich. Speciell die theologische Facultät führte mehrmalen
an, «dass die protestantische Facultät kein Recht habe auf In-
corporierung, dass sie mit dem Rechte der Promotion und auch
sonst in munificenter Weise vom Staate ausgestattet sei, also
die Incorporierung nicht benöthige, dass die Gewährung der
Einverleibung nachtheilige Folgen für die ganze Universität, ja
sogar für die Monarchie nach sich ziehen würde. Die ange-
stammte theologische Facultät würde aufhören zu existieren ...»
Es müssten, so ungefähr äusserte sich einmal die philosophische
Faculät, seinerzeit auch die Anstalten anderer Religionsgenossen-
schaften, etwa der griechischen Kirche oder eine jüdische An-
stalt an die Universität angegliedert werden, wenn man so weiter
schreiten wolle. Variationen dieser und ähnlicher Gründe finden
sich in zahlreichen, auch dem Drucke übergebenen Schriften,
welche von den verschiedenen Collegien in dieser Frage ver-
fasst worden sind.
Wenn wir in diesem Abschnitte das Zusammenwirken
der Gesammtfacultät als Glied des Universitätskörpers behan-
delt haben, so kommen wir im nächsten zur Darstellung der
inneren Thätigkeit der Facultät als Lehrkörper. Den Schluss
wird die (ieschichte der einzelnen Lehrkanzeln und der der
Facultät zu Gebote stehenden wissenschaftlichen Hilfsmittel
bilden.
II. Innere Thätigkeit der Facultät. — Der theologische
Lehrplan. Gerade am Eingange des Jahres 1848 steht ein
neuer Studienplan, welchen der letzte Director der theologischen
Studien (1840 — 1849), Dr. Franz Zenner, ausgearbeitet hatte
62 Theologische Facultas
das Unterrichtsministerium dem <k. k. Lehrkörper der theologi-
schen Studienabtheilung», dass die definitive Organisation des
Universitätsconsistoriums oder akademischen Senates in kurzer
Zeit erfolgen werde. Zunächst aber kam ein Erlass, welcher
allerdings bewies, dass die Regierung mit den febronianisch-
josefinischen Traditionen gebrochen hatte: das Ministerium ge-
stattete unter dem 25. März 1849 über Einschreiten des Wiener
P>zbischofs, dass die Vorlesungen über Kirchenrecht im Sommer-
halbjahre vom regulirten Chorherrn und approbierten Professor
an der theologischen Hauslehranstalt zu Klosterneuburg, Florian
Thal 1er, im fürsterzbischöflichen Alumnate abgehalten wurden.
(Dorthin waren mit Genehmigung der Regierung vom i3. De-
cember 1848 alle theologischen Vorträge verlegt worden, bis am
3. Mai 1852 die Hörsäle für die Theologie im «Convictsgebäude»
eröffnet wurden.) Auch wurde gestattet (29. April 1849), dass
der Adjunct der theologischen Studien, Ernest Müller, die Vor-
lesungen über Erziehungskunde im Alumnate für jene Theologen
halte, welche diesen Lehrgegenstand während ihrer philosophi-
schen Studien nicht gehört hatten.
Dass ein theologischer Lehrplan, der sowohl für Diöcesan-
und klösterliche Lehranstalten als auch für theologische Facul-
täten bestimmt war, sich auf Grundsätzen aufbauen muss, welche
die lehrende Kirche aufzustellen hat, erkannte die Regierung als
richtig; wurden ja doch auch bei der Ausgestaltung der an-
deren Facultäten Fachmänner consultiert. Daher lud der
Minister des Innern, Graf Stadion, der zugleich das Unter-
richtsministerium leitete, unter dem 3i. März 1849 die Bi-
schöfe ein, in Wien sich zu Berathungen zu versammeln.
Das geschah am 3o. April 1849. Die Bischofsversammlung
stellte die Grundsätze fest, nach welchen der theologische
Unterricht und insbesondere die Heranbildung der Candidaten
des geistlichen Standes zu geschehen habe: den theologischen
Facultäten wurde der ihnen im Organismus der Universität ge-
bürende Platz anerkannt, zugleich aber ausgesprochen, dass sie
«nicht das sein würden, was sie sein sollen, wenn sie ausser
die Beziehung zur kirchlichen Autorität gesetzt würden ... So
wie die theologische Facultät jede Wirksamkeit verlieren und
Theologische Facult&t. 63
ZU einem bedeutungslosen Institute herabsinken müsste, wenn
das Lehramt an derselben nicht von der kirchlichen Autorität
anerkannt würde, so ist auch die Bedeutung der theologischen
Doctorwürde von ihrer kirchlichen Geltung abhängig. Um diese
zu wahren, erscheint es ganz zweckmässig, dass der Bischof die
I lälfte der Prüfungscommissäre ernennen, und dass jeder, welcher
zu dieser akademischen Würde befördert wird, das tridentinische
Glaubensbekenntnis abzulegen habe».
Diese directe Einflussnahme auf akademische Grade mochte
auffallend erscheinen, wie ohne Beispiel aus den alten Zeiten.
Doch muss gerade aus der (iründungszeit der Universität hier
angezogen werden, dass es zum Vortrage der Theologie an einer
Universität einer speciellen päpstlichen Erlaubnis bedurfte, dass
die Wiener Universität diese Erlaubnis erst spät erhielt (1384),
wodurch ausgedrückt war, wie die Mission zum theologischen
Eehrvortrag direct von der lehrenden Kirche ausgieng, und die
Ertheilung des in der ganzen katholischen Welt giltigen theo-
logischen Doctorgrades ein Kecht war, das der I^apst eben der
Universität verlieh. Was vom Papste geübt wurde, auch
das Reformationsrecht der theologischen Facultäten, wird unter
geänderten Umständen vom Bischöfe in seinen Pflichten- und
Kcchtsbereich gezogen *et si aliqua alia in praedictis Unwersi-
tatibus correctione et reforfnatione digna fuerint, ab eisdem, ad
quos spectat, pro reliponis et disciplinae ecclesiasticae aug-
mento emendentiir et statuantiir*. - ((^mc. Trid. Sess. 25. de
reform. c. 2.)
Kurz vor Beginn der Vorlesungen des Jahres 1849/50
erschien das provisorische (iesetz über die Neuorganisierung der
akademischen Behörden (1849, September 3o, U.-(j.-B1. Z. 41)1).
Ein Ministerialerlass vom 29. März 1850, Z. 4487 151, welcher
binnen vier Wochen von dem Universitätsconsistorium nach Ein-
vernehmung der Professorencollegien abgesendete gutachtliche
• • • * * •
Äusserungen über etwa notwendige und zweckdienliche Ände-
rungen an der provisorischen Studienordnung zu erhalten
wünschte, kam dem Professorencollegium erst am 4. Juni 1850
zu. Inzwischen hatte die kaiserliche Verordnung vom 23. April
1850 <U.-G.-Bl. Z. 157, Schweickhardl 1, 270» die Beziehungen
64 Theologische Facultas
der katholischen Kirche zum öffentlichen Unterrichte näher be-
stimmt, und den Wünschen des Episcopates entsprochen (In-
gerenz der Bischöfe bei Bestellung von Religionslehrern und
Professoren der Theologie, die Venia legendi j die Vorträge für
die Alumnen der Clericalseminarien, die theologischen Rigorosen
und Promotionen).
Die Ausführung dieser Grundzüge, angewendet auf den Or-
ganismus der Universität bietet die Verordnung des Unterrichts-
ministeriums vom 3o. Juni 1850, welche mit kaiserlicher Ge-
nehmigung ausdrücklich besagt, dass die vollständige Durch-
führung der Beschlüsse der im vorigen Jahre (1849) in
Wien versammelt gewesenen Bischöfe über die Einrichtung der
theologischen Diöcesan- und Klosterlehranstalten keine
Schwierigkeit finde ... §. 2 ist besonders wichtig: «^dass da,
wo in Zukunft eine theologische Facultät bestehen wird, zugleich
eine Diöcesanlehranstalt eingerichtet werde». Nun folgen die
Beschlüsse der Bischofsversammlung vollinhaltlich. Wir setzen
nur dasjenige hieher, was den Lehrplan betrifft: «In die Theo-
logie sind nur solche Candidaten aufzunehmen, welche das Unter-
und Obergymnasium mit hinreichendem Erfolge zurückgelegt
haben.» Daran ist anzufügen, «dass nach §. 2 der Ministerial-
verordnung vom 16. September 1851 (R.-G.-Bl. Z. 216) solche
Candidaten, welche das Maturitätszeugnis nicht aufzuweisen haben,
an der Facultät nicht zu immatriculieren, sondern als ausser-
ordentliche Hörer zu behandeln sind».
«Die Theologie zerfällt (und hier macht die Verordnung
keinen Unterschied zwischen den theologischen Lehranstalten)
in vier Jahrgänge und wird von wenigstens sechs Professoren
vorgetragen. Allgemein verbindliche Lehrgegenstände vsind: he-
bräische Sprache, Bibelkunde des alten und neuen Bundes,
Kirchengeschichtc, Patrologie, Kirchenrecht, Dogmatik, Moral,
Pastoral- und Unterrichtslehre. Doch steht es den Bischöfen frei,
einzelne Candidaten vom Studium der hebräischen Sprache loszu-
zählen. Das Studium der semitischen Sprachen und der höheren
Exegese ist für alle erforderlich, welche die theologische Doctors-
würde zu erlangen wünschen. Überdies sollen ausserordentliche
Lehrfächer, wie christliche Archäologie, Apologetik, Geschichte
Theologische Facultit. 6^
der Ofrenbanmg, Synodologie, Dogmengeschichte, Symbolik nach
Massgabe der Lehrkräfte vorgetragen werden. Jenen Hörern
der Ideologie, welche Metaphysik und Moralphilosophie vor
ihrem Eintritte in das theologische Studium nicht gehört haben,
wird Cielegenheit geboten werden, in diesen Wissenschaften durch
einen Professor der Theologie Unterricht zu erhalten. Die Bi-
schöfe behalten sich vor, die Reihenfolge der ordentlichen Lehr-
vorträge zu bestimmen . . .»
Man sieht, dass es den Bischöfen nicht um Abrichtung ihres
jungen Clerus, sondern um dessen wissenschaftliche Bildung zu
thun ist; ja sie bezeichnen eine Reihe von theologischen Disci-
plinen, für welche bis heute noch keine Lehrkanzeln, selbst keine
Docenturen, ins Auge gefasst sind.
Im Ministerialerlasse vom 3o. Juni i8si wurden die Pro-
fessoren der Facultäten aufgefordert, sich als Diöcesan-Lehrer-
collegien zu constituieren und die Theologie nach den von der
Bischofsversammlung festgestellten Bestimmungen vorzutragen.
Über Kinladung des Ministers (Jrafen l'hun (25. Januar iH5())
kamen 66 österreichische Kirchenfürsten zu einer Bischofsver-
simimlung in Wien zusammen, welche am 6. April 1856 eröll-
net wurde. Kine Frucht dieser Berathungen war der von (kar-
dinal Rauscher gearbeitete theologische Studienplan, der auf
einer ganz anderen (irundlage aufgebaut ist als der alte Rauten-
strauch sehe. Schon am 6. October jenes Jahres forderte das
rnterrichtsministerium die Facultät auf, nach dem von den Bi-
schöfen adoptierten Studienplane die theologischen Vorträge ein-
zurichten, obschon die betreffende Ministerialverordnung erst am
29. März 1858 (R.-(;.-Bl. 1858, Nr. 50, Schweickhardt 1, S. 273)
mit (lesetzeskraft erschien. Diese Verordnung spricht schon in
ihrer 'I'itelüberschrift aus, dass sie als Durchführung der Artikel
VI und XVII des Concordates vom 23. September 1855 er-
scheinen will. Die Beschlüsse der Bischofsversammlung von i85()
sind vollinhaltlich in die Ministerialverordnung aufgenommen.
Die Unterschiede von den Beschlüssen der bischöflichen Ver-
sammlung von 1849 sind folgende: Ks heisst jetzt: ^Die Theo-
logie wird von sechs, wenigstens vier Professoren vorge-
tragen.»
66 Theologische Facultftt.
cAn allen theologischen Lehranstalten müssen Dogmatik,
Moral, Pastoral, Kirchengeschichte, Kirchenrecht, die heilige
Schrift des alten und neuen Bundes und hebräische Sprache
gelehrt werden. §. 4. Insoweit es nach Massgabe der Verhält-
nisse möglich ist, sollen vorzüglich über die Väterkunde, doch
auch über andere dem Diener der Kirche nützliche Gegenstände
ausserordentliche Vorlesungen gehalten werden. §. 5. Die Bischöfe
beabsichtigen bei dem Unterrichte ihrer Seminariumszöglinge
die Reihenfolge der ordentlichen Lehrfächer nach folgendem Ent-
würfe zu bestimmen:
«Erster Jahrgang: Allgemeiner Theil der Dogmatik.
Einleitung in die heilige Schrift.
Erklärung der heiligen Schrift des alten Bundes
aus der Vulgata.
Hebräische Sprache.
«Zweiter Jahrgang: Besonderer Theil der Dogmatik.
Erklärung der heiligen Schrift des neuen Bundes
aus der Vulgata mit fortlaufender Rücksicht
auf die Begründung der Glaubenslehre.
Erklärung des Urtextes.
«Dritter Jahrgang: Kirchengeschichte mit vorherrschender Rück-
sicht auf Dogmen- und Verfassungsgeschichte.
Moraltheologie mit besonderer Rücksicht auf
die Bedürfnisse des Beichtvaters.
«Vierter Jahrgang: Pastoraltheologie im engeren Sinne.
l^iturgik.
Geistliche Beredsamkeit.
Katechetik, Unterrichtslehre.
Kirchenrecht.
«Das Latein ist die ordentliche Sprache der theologischen
Lehrvorträge. Eine Ausnahme soll nur für einzelne Lehrfächer
und aus wichtigen (Gründen gemacht werden.»
Obschon das Allerhöchste Handschreiben an den Minister
für (Ailtus und Unterricht, Stremayr, vom 3o. Juli 1870 die
Kündigung des Concordats enthält, ist der oben angeführte I^ehr-
plan heute noch in Geltung, da das (iesetz vom 7. Mai 1874
(R.-(j.-Bl. Nr. 50) die Einrichtung der katholischen theologischen
Theologische Facultit. 67
Facultätcn durch ein besonderes Gesetz in Aussicht stellt — ein
Gesetz, das heute noch nicht existiert. Aber es scheint, als be-
dürfe der Ausbau der theologischen Studien vorläufig nicht eines
(iesetzes, sondern sei im lunvernehmen mit dem Kpiscopat durch
die Regierung selber ins Werk zu setzen, ein Gesetz darüber
könnte nachfolgen. Dass der Kpiscopat, specicll der Wiener Krz-
diöcese die Möglichkeit des Ausbaues der theologischen Facultät
anerkennt, zeigt er im Tit. VI, (lap. II des Provinzialconcils von
Wien 1859.
Nach Aufnahme des Rauscher'schen I.ehrjManes in seine
Acten sagt er: «z/W plures habentur dogmaticae professores^ plures
institui possunt disputatumesT^. Diese Disputationes sind aber eben
an der philosophischen Facultät in die Seminarien verlegt. Und
ein Ubelstand der theologischen Facultät besteht darin, dass
für die allerwichtigsten Fächer nur Hin IVofessor bestellt ist.
Das Concilhim Vindobonense spricht sodann von Unterrichts-
stunden in der «Väterkunde», spricht von llbungen in der
geistlichen Heiedsamkeit (die ins «Seminar» gehören); es spricht
von tiefergehenden, einzelne l\irtien der Wissenschaft behan-
delnden Vorträgen; es sollen ausgezeichnete, besonders talentierte
junge Männernach vollendetem Universitätscurs bestimmt werden,
um durch drei oder vier Jahre die theologischen Disciplinen oder
das Jus canoniaim gründlich zu studieren. Besonders betont das
(-oncilium das Studium der l^hilosophie und das der biblischen
Sprachen.
Verstehen wir das (^oncilium recht, so kann unbeschadet
des I. ehrplanes eine Weiterbildung der theologischen Facultät
sich vollziehen. Und theilweise ist das ja geschehen in Bezug
auf die Fundamentaltheologie i Kriass des Staatsministeriums vom
22. December 1H65, Z. i2o<j3), und auf die Katechetik und Me-
thodik (Ministerialerlass vom 2(^, August 18761, endlich in Bezug
auf die philosophischen Vorträge, für die eine eigene I-ehrkan/el
errichtet wurde.
Die Reform vorschlage, welche nach diesem (-oncil erschie-
nen, unter denen die in der «Presse» 1S72 (auch im Separat-
abdrucke) veröffentlichten und die Vorschläge des Prof. (Jinzl 1X73
hier zu erwähnen sind, haben den einen mitwirkenden lactor.
68 Theologische Facuhät.
die lehrende Kirche, nicht in genügender Weise in Rechnung
gebracht, ja der erste dieser Reformvorschläge bekämpft den Epi-
scopat direct und beklagt es, dass die theologische Wissenschaft
dem Episcopat ausgeliefert worden sei.
Im selben Jahre 1873 wurde in Graz ein Reform Vorschlag
veröffentlicht, welcher, wie wir erfahren, aus der Feder des Prof.
Stanonik in Graz stammt und auf eine Ausgestaltung der theo-
logischen Facultaten drängt, welche diese nach allen Richtungen
der philosophischen Facultät ähnlich machen würde; nebstbei
fordert er Ausdehnung des Dogmatikstudiums, der Moraltheo-
logie, der Kirchengeschichte und der biblischen Fächer auf
mehrere Jahre.
Wie der Episcopat einer Erweiterung der theologischen
Studien günstig gegenübersteht, ersieht man aus dem Beschlüsse
der bischöflichen Versammlung zu Wien 1 889, von den einzelnen
theologischen ProfessorencoUegien Äusserungen in Betreff einer
etwaigen Abänderung des theologischen Lehrplanes und Einbe-
ziehung der Philosophie in denselben einzuholen (1891, April 6).
Das Wiener theologische ProfessorcncoUegium berichtete unter
dem 21. Juli 1891: es begrüsst die Einbeziehung der Philosophie
in den theologischen Lehrplan mit Freuden, betont besonders
das Studium der thomistischen Philosophie und wünscht die
Vermehrung der Lehrstunden aus der Dogmatik.
Schon aus dem Vorhergegangenen, im einzelnen aber aus
der Darstellung der Lehrthätigkcit und den sonstigen Bemühungen
der Wiener theologischen Facultät, welche wir im nächsten Ab-
schnitte behandeln, ist zu ersehen, in welcher Richtung sich eine
Ausgestaltung der Facultät bewegen könnte. Ganz besonders
wichtig waren die Ansuchen der Facultät, welche in dem Jahre
1897 an das hohe Ministerium gestellt wurden; auch die Um-
gestaltung der Lackenbacher'schen Prämienstiftung zeigt einen
Schritt vorwärts auf dieser Bahn.
Cardinal Rauscher hatte mit seinem Lehrplane eben alle
theologischen Lehranstalten, bischöfliche wie klösterliche Insti-
tute, ins Auge gefasst. Die theologischen Facultaten hatte er als
zum wissenschaftlichen Betriebe der Ideologie berufen erklärt
und die Art, wie er sich denselben dachte, durch Anempfehlung
Theologische FacultÄt. 69
und Vermittlung zwischen der Regierung und zwei an die
Wiener theologische Facultät zu berufenden berühmten Dogma-
tikern angedeutet, welche neben dem schon bestehenden Ordi
narius dieses Gegenstandes in erweiterter und vertiefter Methode
bestimmte Partien der Dogmatik vortragen sollten. Damals
hatte also die Dogmatik drei ordentliche Professoren. Aber es
blieb bei diesem Anlaufe.
Sicher hätte der (kardinal auch in anderer Beziehung auf
den Ausbau der Kacultat eingewirkt, wenn er die ausländischen
katholischen theologischen Facultäten scharfer hatte ins Auge
fassen wollen. Die von den Jesuiten geleitete theologische
Facultät in Innsbruck hat eben nicht den Rauscher'schen Studien-
plan und wird gerade vom Auslande besonders frequentiert. So
kam es, dass eigentlich jetzt nach fünfzig Jahren fast dieselben
Gegenstände (nur in anderer Gruppierung und theilweise mit
geänderten Namen) vorgetragen werden wie im Jahre 1849,
dass nur ein paar Disciplinen zugewachsen sind, im übrigen die
Facultät wegen der ungenügenden Anzahl der Professuren, wegen
des zu geringen Zeitausmasses für sehr wichtige Disciplinen,
wegen des fast völligen Mangels von staatlich zu dotierenden
Instituten zur Heranbildung eines gelehrten Nachwuchses, nur
wenig über das Niveau der besten bischöflichen Anstalten sich
erheben konnte. Ks ist aber (Jrund zur Hoffnung vorhanden,
dass das Jubiläumsjahr der Beginn einer neuen Ära für die
Facultät werde, denn in diesem Jahre hat das k. k. Ministerium
für (-ultus und Unterricht im Kinverständnisse mit dem fürst-
erzbischötlichen Ordinariate die Bereitwilligkeit kundgethan, die
Wiener theologische Facultät ähnlich wie eine philosophische
auszugestalten, so dass sie in Zukunft nicht allein den Bedürf-
nissen der Wiener Diöcese, wie eine erweiterte bischöfliche An-
stalt, genügen soll, sondern als ein wichtiger Bestandthcil der
ersten Universität Österreichs dastehe. Wird sie doch frequen-
tiert nicht allein von den Zöglingen des fürsterzbischöflichen Semi-
nars, sondern auch von tüchtigen Jünglingen, welche Ungarns
Bischöfe nach Wien senden, von holl'nungsvollen (icistlichen der
österreichischen Diöcesen, die zu künftigen Lehrern und zu
höheren Kirchenämtern seinerzeit sollen berufen werden: sie alle
yO Theologische Facultät.
werden von den Bischöfen nach Wien gesendet, um jene höhere
theologische Bildung zu erlangen, welche ihnen die heimatliche
bischöfliche Lehranstalt zu bieten nicht im Stande ist, und welche
auf dem Wege des Autodidaktenthums nicht erworben wird.
Rigorosenordnung. Die Rigorosenordnung hängt mit dem
Studienplan enge zusammen. So kommt es, dass die vier
Rigorosen, w^elche heutzutage als Vorstufen zur Erlangung des
theologischen Doctorgrades nothwendig sind, wohl dieselben
Benennungen haben wie vor dem Jahre 1849, allein die Forde-
rungen an Prüfungsgegenständen haben sich nicht unbedeutend
geändert. Was die Rigorosencommission anbelangt, so ist zu
erwähnen, dass noch im Jahre 1848 der Studiendirector (Dr.
Zenner) den Vorsitz führte, das Gesammtergebnis notierte und
unterfertigte. Die Kinzelcalcule waren: Valde bene^ bene, suffi-
cicntery insiifjkienter. Der Ciesammtcalcul konnte lauten: Appro-
balus per vota unanimia cum applausu, per vota unamtnia, per
Vota maiora^ reprobatiis.
Gemäss dem provisorischen Gesetze vom 27. September
1849 wurde vom Universitätsconsistorium verfügt, dass den
Vorsitz bei den Rigorosen der Professorendecan zu führen habe.
Das Begehren des Doctorencollegiums nach Vertretung bei den
Rigorosen wurde mit Ministerialerlass vom i3. iMai 1850 ab-
gelehnt.
Wir haben schon oben gesehen (S. 63), dass 1849 die
österreichischen Bischöfe begehrt und erwirkt haben, bei den
theologischen Rigorosen die Hälfte der Prüfungscommission zu
ernennen. Kigenthümlich war die (x)mmissi()n für das Rigorosum
aus Kirchengeschichte und Kirchenrecht zusammengesetzt, so-
lange die Theologen das Kirchenrecht auf der juristischen
Facuhät zu hören hatten. I^s sassen (1848) entweder Prof. Dr.
Anton V. (iapp, der auf der juristischen Facultät das Kirchenrecht
vortrug, oder Dr. Szajbeli, oder beide in der (Kommis-
sion, ja selbst noch im Wintersemester 1850/51 prüfte der
Jurist Prof. Dr. Pachmann die theologischen Rigorosanten, bis
endlich der supplierende Prof. Dr. Vinccnz Seback mit Mi-
nisterialdecret vom 22. April 1S51, /. 3544 '72 die Krmächti-
ung erhielt, Kirchenrechl bei ^Ww Rigorosen zu prüfen, «da
Theologische Facuhit. ^ I
keiner der wirklichen Professoren einen Zweiggegenstand des
Kirchenrechtes vorträgt». Überhaupt war den Supplenten das
Prüfen bei den Kigorosen nur mit höherer Genehmigung ge-
stattet; der Lehrkörper hatte im erforderlichen Falle die ge-
eigneten Antrüge zu stellen.
Der Ministerialerlass vom 21. December i883, Z. 21296
trifft eine Änderung in den (>alculen. Der Krlass vom 16. Juni
i8(j4, R.-G.-BI. Z. 27 hat eine neue Higorosenordnung auf-
gestellt, welche eine wesentliche Krleichterung des Rigorosums
aus dem Bibelstudium enthält und eben dadurch den Wunsch
anregt, es möge mit der Zeit die ganze Higorosenordnung nach
der Analogie der philosophischen eingerichtet werden. Man kann
die jetzige Rigorosenordnung mit als einen (Jrund der Thatsache
erkennen, dass verhältnismassig wenig Österreicher sich zu den
vier schweren Rigorosen, d. h. zum Krwerben des Doctortitels
entschliessen, weil er bei der geringen Aussicht, den er den
österreichischen theologischen Doctoren bietet, den meisten als
unnütze Zierde erscheint; und weiter, dass in dem Decennium
1888/89 bis 1897/98 keine einzige Promotio sub auspiciis
Imperatoris an der theologischen F'acultät stattgefunden hat;
die nächste wird voraussichtlich erst im Studienjahre 1898/99
vollzogen werden. Die philosophische Kacultät hatte in diesem
Zeiträume dreizehn solche ehrenvolle Promotionen.
Nach der Ablegung der vier Rigorosen hatte der (Kandidat
seine Theses für die Disputation zu überreichen, welche in
feierlicher Weise vollzogen wurde. Sie entfiel seit dem Jahre
1873, da sie bei den anderen Facultäten schon seit längerer
Zeit ausser Gebrauch gekommen war. Dafür sollte die schrift-
liche Dissertation umfangreicher werden. Unerlässlich ist das Ab-
legen der Professio fidei Tridentina in die 1 lande des Kanzlers,
des jeweiligen Propstes am Domcapitel bei St. Stephan.
Auch die theologische Promotion hat in diesem Zeiträume
Änderungen erfahren. Nach der Theilung der Faculläi in zwei
(-ollegien (1849) geschah sie durch den theologischen Doctoren-
decan, unter dem Vorsitze des Rectors, in Gegenwart des Ini-
versitätskanzlers und der weltlichen Doctorendecane. auch der
Notar des Doclorencollegiums unterfertigte das Diplom. Dem
72 Theologische Facultät.
Professorendecan wurde durch den Pedell über die geschehenen
Promotionen Bericht erstattet. Mit dem gänzlichen Ausscheiden
des DoctorencoUegiums trat die Änderung dahin ein (Ministerial-
crlass vom 15. October 1873, Z. i8o3i), dass der Promotor
immer ein ordentlicher Professor ist, der unter dem Vorsitze
des Rectors und in Gegenwart des Facultätskanzlers und des
Decans die Promotion vornimmt. Wenn der Rector nicht der
katholischen Kirche angehört, so wird nach dem Ministerial-
erlass vom 19. Mai 1880, Z. 267 (an das Rectorat) cdie Auto-
rität der Universität durch den Prorector, eventuell, falls näm-
lieh auch bei letzterem aus dem gleichen Grunde der Fall der
Verhinderung eintritt, durch den Decan der Facultät, aus welcher
der Rector hervorgegangen ist, vertreten, von welchem Func-
tionär dann auch die betreffenden Doctorsdiplome zu unter-
fertigen sind».
Nostrification der an den römischen Universitäten er-
worbenen Doctordiplome. Über Antrag des Professoren-
coUegiums vom 1 1 . Februar 1 895 erfolgte der Ministerialerlass
vom 6. September 1895, ^- ^7^7? welcher die Bedingungen fest-
stellte, unter denen die theologischen Facultäten ermächtigt sind,
die an der gregorianischen Universität, am römischen Seminar
bei St. ApoUinar und an dem CoUegium Urbanum de propaganda
fide erworbenen Doctordiplome ohne Einholung der im Ministe-
rialerlass vom 6. Juni 1850, Z. 4513, § 3 vorgeschriebenen
ministeriellen Genehmigung zu nostrificieren.
Promotiones sub auspiciis Imperatoris sind in der theo-
logischen Facultät ganz besonders selten; gemäss Allerhöchster
Kntschliessung vom 17. Mai 1S88 wurde der Priester der Graner
Krzdiöcese, Mitglied des höheren Priesterbildungsinstitutes zu
St. Augustin, Herr August Fischer-('.olbrie, am 28. Juni 1888 sub
auspiciis Imperatoris promoviert. Genau zehn Jahre darauf hat
sich um dieselbe Allerhöchste Auszeichnung Herr Johann Sedlak,
Priester der Diöcese Brunn, Mitglied des obgenannten Institutes,
beworben; doch wird die eventuelle Promotion erst am An-
fange des Studienjahres 1898/99 stattfinden können.
Von Ehrendoctoraten verdient besondere Krwähnung die
Krnennung des grossen Archäologen ('ommendatore Giovanni
Theologische Facultlt. 7 3
ßattista de Rossi, welcher, obschon I^aie, wegen seiner grossen
Verdienste um die theologische Wissenschaft, mit Zustimmung
des heiligen Vaters Leo XIII. (Schreiben des (Kardinals RampoUa
vom II. April 1892) und mit Genehmigung Seiner Majestät
(Allerhöchste Entschliessung vom 24. Mai 1892) zum Ehren-
doctor der Theologie ernannt wurde. Das Diplom wurde ihm
bei der in Rom stattfindenden Feier seines siebzigsten Geburts-
tages von einem Abgesandten der Wiener Universität persönlich
überreicht.
III. Die einzelnen Lehricanzeln und ihre Inhaber. Nach dem
alten Lehrplane trugen vor (1848/49):
Im ersten Jahrgange: Das Bibelstudium A. B. der o. Prof.
Dr. Josef Scheiner;
die Kirchengeschichte Prof. Dr. Johann
Stark.
Im zweiten Jahrgange: Das neutestamentarische Bibelstudium der
o. Prof. Dr. Wenzel Kozelka;
die semitischen Dialecte und höhere Ex-
egese A. T. der a. o. Prof. Dr. Josef
Kaerle.
Im dritten Jahrgange: Die Dogmatik der o. Prof. Dr. Johann
Schwetz;
die Moraltheologie der o. Prof. Dr. Stephan
Teplotz.
Im vierten Jahrgange: Die Pastoraltheologie der o. Prof. Michael
Schauberger.
Bei der Besprechung der Lehrkanzeln gehen wir so vor,
dass wir die angestammten ordentlichen wie ausserordentlichen
Lehrkanzeln an der Stelle behandeln, die sie im Lehrplane ein-
nehmen, und diejenigen Disciplinen an den Schluss setzen,
die erst in den letzten Jahren als Lehrgegenstände an der theo-
logischen Facultät herausgebildet worden sind.
Prof. Dr. Josef Scheiner, welcher seit i833 an der Uni-
versität die alttestamentarischen Bibelfächer vertrat, trug im
ersten Semester des Jahres 1848/49 biblische Archäologie und
hebräische Sprache, im zweiten die alttestamentarische h^inleitungs-
wissenschaft und Exegese nach dem hebräischen Grundtexte vor.
Gctcbicbtc der >\'icncr UntvcruUu 6
JA Theologische Facultät.
Kr wirkte anregend durch seine Vorträge, die nur im Ganzen
den vorgeschriebenen l^ehrbüchem folgten, viele Partien in
eigener Auffassung darstellten. Später trug Scheiner (seit 1851/52)
Encyklopädie der theologischen Wissenschaften vor, welches Col-
legium in jenem Jahre 54 Hörer aus dem ersten und vierten
Jahrgange frequentierten. 1852/53 trug er als «Publicum» bibli-
sche Theologie vor (90 Hörer). Scheiner wurde als Domherr
von St. Stephan 1855 installiert, blieb aber mit der Facultät als
bischöflicher Examinator bei den Rigorosen in Verbindung.
Sein Nachfolger, der nach einer Zeit der Supplentur die Lehrkanzel
bestieg, Dr. Josef Danko (Ministerialdecret vom 3. September
1857, Z. 141 53), hatte schon nach dem neuen Lehrplane
vorzutragen: Geschichte der Offenbarung (A. und N. T.) mit
einem Anhange über Bibelcodices und Versionen, hebräische
Sprache (nicht obligat, zwei Stunden wöchentlich durch beide
Semester), Vulgataexegese (obligat, im ersten Semester vier Stun-
den, im zweiten fünf Stunden wöchentlich). Er verfasste ein
umfangreiches Lehrbuch in drei Bänden, welches als Nach-
schlagewerk noch jetzt gute Dienste leistet. («Historia revela-
tionis divinae V.l\», Pars 1, Vindobona 1862, Pars II, 1867. — III.
«De Sacra scriptura eiusque interpretatione commentarius», 1867.)
Danko übersiedelte 1868 als Domherr nach Gran. Nach ihm
erhielt, nachdem eine Zeit der Supplentur vergangen war,
Dr. Josef Vitvar (mit Allerhöchster Entschliessung vom
6. August 1868) die ordentliche Professur, doch starb er schon
im nächsten Jahre. Sein Nachfolger war der Professor der
semitischen Dialecte, Dr. H. Zschokke, welcher eine Änderung
im Vortrage der Ilistoria sacra beantragte, die auch mit Mini-
sterialerlass vom 17. October 1870 genehmigt wurde: es sollte
aus der Historia revelationis divinae der neutestamentliche
Theil ausgeschieden und dem Professor des N. B. zugewiesen
werden. Die biblische Hermeneutik trug Zschokke vor, welche
Disciplin seither bei dieser Lehrkanzel verblieb. Zschokke hat
ein den Bedürfnissen des akademischen Vortrages besser ent-
sprechendes Lehrbuch der Ilistoria sacra A. 7'. geschrieben, das
in immer verbesserter Weise in vier Auflagen erschien, die
letzte 1894, Vindobonae et Lipsiae, Braumüller. Andere biblische
Theotogische FacuUit. ^C
Werke, die er schrieb, wenden sich an ein weiteres Publicum.
Im Schuljahre 1886/87 wurde er Hofrath, 1888 erhielt er ein
Referat im Unterrichtsministerium, 1892 verliess er, als Dom-
pralat von St. Stephan, die Lehrkanzel. Nach einem durch
Dr. Reinholds Supplentur ausgefüllten Zeiträume wurde mh
Decret vom 24. Juni 1893 Prof. Dr. Bernhard Schäfer von der
theologischen F'acultät Münster in Westphalen wegen seiner aus-
gezeichneten Leistungen als Biblist an unsere Facultät berufen.
Er behandelt die bedeutsameren und schwierigen Punkte in
Zschokkes Historia sacra ausführlicher und legt in der Exegese be-
sonderes Gewicht auf die Würdigung der heiligen Bücher für
Offenbarungsgeschichte. Im einzelnen sucht er einen philo-
logisch gesicherten Text herzustellen und lässt den typischen
Sinn und die praktische Anwendung der Bibelstellen zu ihrem
Rechte kommen.
Neutestamentliches Bibelstudium (ordentliche Lehr-
kanzel). 1848 trug Prof. Dr. Wenzel Kozelka vom Orden der
Kreuzherren in Prag die Einleitungswissenschaft ins Neue Testa-
ment, Hermeneutik, griechische Sprache des Neuen Testaments,
Exegese des Neuen Testaments und die sogenannte höhere Exegese
des Neuen Testaments nach eigenen Schriften vor, an denen
die Hörer die Klarheit der Darstellung und Tiefe der Gelehr-
samkeit rühmten. Der Ministerialerlass vom 6. October 1856,
Z. 1488, sowie die Eröffnung des Cardinal-Erzbischofs Rauscher
vom 6. October 1856, Z. 881, hatten die neue Studienordnung vor-
geschrieben. Für das Jahr 1857 ward ein Übergang geschaffen.
1857/58 trat durch das Betonen des Vulgatastudiums eine
Änderung insofern ein, als die Vulgataexegcse obligat wurde,
dafür aber die Hermeneutik (wöchentlich zwei Stunden) un-
obligat. Im Sommersemester 1870 zog sich Kozelka von der
Lehrkanzel zurück. Nach kurzer Supplentur (durch Dr. Josef
Seywald) wurde der gelehrte Dr. Karl Werner von der
bischöflichen theologischen Lehranstalt zu St. Polten nach Wien
berufen. Er trug nach eigenen Schriften vor, die, wie alle seine
Werke, durch Tiefe der Gelehrsamkeit und der Spekulation sich
auszeichneten. Er wurde correspondierendes Mitglied der Aka-
demie, Hofrath und Referent im Unterrichtsministerium, abge-
6*
76 Theologische Facuhät.
sehen von hohen geistlichen Würden. Da er eine Zeitlang die
Professur weiter führen wollte, wurde er entlastet dadurch, dass
der (mit Decret vom 26. März 1881, Z. 3906 ernannte) ausser-
ordentliche Professor der Fundamentaltheologie Dr. Johann
Schneider den Auftrag erhielt, statt Werners die neutestament-
liche Isagogik (wöchentlich vier Stunden) und neutestamentliche
Gräcität (eine Stunde) vorzutragen. Das dauerte aber nur so-
lange, bis nach dem Rücktritte des Hofrathes Werner (Mai 1882)
der dasselbe Fach an der Universität Graz vertretende Prof. Dr. F.
Pölzl nach Wien berufen wurde (Allerhöchste Entschliessung
vom 23. August 1882). Pölzl änderte nichts an der bisherigen
Lehrweise. Ein dankenswertes Werk war es, dass er den
Schülern seinen allgemein als sehr tüchtig anerkannten Com-
mentar zu den vier Evangelien gedruckt in die Hand gab. Der
Johannescommentar erschien 1897 in einer neubearbeiteten
zweiten Auflage. Die Leidensgeschichte des Herrn behandelt
Pölzl in einem besonderen Commentar 1892. Da in diesen
Werken das gelehrte Element mit dem für jeden Geistlichen noth-
wendigen praktischen Element in glücklicher Verbindung sich
befindet, hollt Prof. Pölzl mit Recht seinen Zweck zu erreichen,
der durchaus nicht allein in den Schulzwecken aufgeht.
Die ausserordentliche Lehrkanzel für semitische Dialecte
und sogenannte höhere Exegese des Alten Testaments. Dr.
Josef Kaerle war i836 von der fürstbischöflichen Diöcesanlehr-
anstalt zu Brixen als Professor nach Wien berufen worden. 1852
wurde er mit Minislerialerlass dahin begünstigt, «dass er als ordent-
licher Professor anzusehen sei, ohne das Recht, in eine höhere
Gehaltsstufe vorzurücken». Er hat nach den Grammatiken von
Oberleithner und nach eigenen Schriften, welche manche schwie-
rige Partien der arabischen Sprache in leichterer Methode be-
handelten, vorgetragen. Seine exegetischen Dictate werden der
Klarheit wegen geachtet, l^r stellte, zum Theile nach Hand-
schriften der Wiener llofl^ibliothek, eine Chreslomathia chaldaica
für Schulzwecke zusammen, welche ausgezeichnet genannt wer-
den muss und durch Ministcrialdecret vom Jahre 1851 den
I.ehranstalten besonders empfohlen wurde. Kaerle starb 1860
125. FebruarV Darauf supplierlc Dr. Anton Horny und seit
Theologische FacultäL 77
Februar 1871 Dr. Vitvar, welcher i863 (4. Januar) diese ausser-
ordentliche Professur erhielt und bis 1 868 innehatte, bis er zur
ordentlichen Professur des Bibelfaches A. B. vorrückte. Der hierauf
alsSupplent eintretende Dr. Hermann Zschokke erhielt (mit Aller-
höchster EntSchliessung vom 29. Januar 1869) diese Lehrkanzel.
Zschokke hat sich durch Abfassung einer arabischen und einer
aramäischen Grammatik, die sein Nachfolger mit Recht bei-
behalten hat, Verdienste um die Lehrkanzel erworben. Als
Dr. Hermann Zschokke nach Vitvars Tode 1869 in dessen er-
ledigte Lehrkanzel vorrückte (1870), versah er eine Zeitlang beide
Professuren. Doch die Last war zu gross. Es trat eine lange
Zeit der Supplentur des Dr. Johann Mally ein, bis Dr. Wilhelm
Neumann, der seit i863 beide Lehrkanzeln an der theologischen
Klosterlehranstalt in Heiligenkreuz innegehabt hatte, die ausser-
ordentliche Lehrkanzel der semitischen Dialecte an der Wiener
Universität erhielt (Decret vom 18. Juni 1874) und im October
antrat. Neumann blieb bei der Vortragsweise seiner Vorgänger,
nur strebt er eine den Proseminarien entsprechende Behandlung
bei den sprachlichen Übungen an und sucht, wie einst Schcincr
gethan, über die bei den Prüfungen nothwendigen Kenntnisse
dadurch hinauszugreifen, dass er in den sogenannten l^ublicis
über syrische Literatur, samaritanische und andere semitische
Sprachdenkmäler u. a. Vorträge hält. Als er ad personam zum
Ordinarius ernannt wurde, erhielt er direct einen dem Gesagten
entsprechenden Lehrauftrag (eine Stunde wöchentlich).
Dass in den Vorträgen, welche die drei Biblisten der theo-
logischen Facultät halten, der Vulgata jene bevorzugte Stellung
eingeräumt ist, die ihr an sich, als kritischer Behelf und nament-
lich als lateinische Kirchenübersetzung gebürt, versteht sich
von selbst, wie auch dass für die biblischen Studien derselben
die Encyklica Leo XIII. € Providentissimus Deus* vom 18. No-
vember 1893 als Wegweiser dient.
Fundamentaltheologie. Die Kundamentaltheologie war
als «allgemeine» Dogmatik, als Hinleitung in das Studium der
Dogmatik mit dieser Disciplin vereinigt, als Dr. Johann Schwetz
1841, der von dem Lyceum in Olmütz nach Wien gekommen
war, dieselbe übernahm. Den Übergang zur neueren Studienord-
7 8 Theologische Facultät.
nung regelte ein Erlass des Cardinal-Erzbischofs Rauscher (6. Octo-
ber 1 856), der freilich zunächst nur die Alumnen des fürsterzbischöf-
lichen Seminars betrifft, aber eben dadurch für die Facultät mass-
gebend wurde, dass das Ministerium selbst in einer Zuschrift an
den Cardinal die beschleunigte Ausführung des geänderten Lehr-
planes bewerkstelligt wissen wollte. Er verfügte, dass in diesem
Jahre die Hörer des ersten, zweiten und dritten Jahrganges die
«allgemeine Dogmatik» zusammen hören sollten (im nächsten
Jahre sollten die Hörer des jetzigen zweiten mit denen des
dritten zusammen die specielle Dogmatik hören). Als Schwetz
1862 zum Burgpfarrer ernannt worden war, supplierte Dr. Martin
Bauer (seit i. Dccember 1862 durch acht Monate) beide Lehr-
kanzeln, bis Dr. Kisser (mit Allerhöchster Entschliessung vom
8. September i863) dieselben erhielt. Nach Kisser, welcher im
April 1867 als Domherr von St. Stephan installiert wurde, sup-
plierte Dr. Martin Bauer zunächst beide Lehrkanzeln, bis er als
Docent für Fundamentaltheologie (1868, 3. August) bestellt
wurde und die Trennung der beiden Kanzeln de facto vollzogen
war, um deren dauernden Bestand die Facultät zunächst sich
bestrebte. Das erreichte sie wohl, allein alle ihre Bemühungen,
sie zu einer ordentlichen Professur auszugestalten, blieben bis
jetzt fruchtlos. In der Sitzung vom 14. Mai 1869 beantragte
die theologische Facultät beim hohen Unterrichtsministerium die
System isierung einer ordentlichen Lehrkanzel für Fundamental-
theologie, Patristik und Patrologie mit wöchentlich neun Stunden,
Das wurde freilich, nicht bewilligt; aber (mit Decret vom
19. März) 1870 der Docent Dr. Martin Bauer zum ausserordent-
lichen Professor der Fundamentaltheologie ernannt, wie es sich
zeigte, nur ad personam^ obschon in der Sitzung des Pro-
fessorencollegiums vom 23. Juni 1871, in der es sich um die
Vorrückung des a. o. Prof. Dr. Bauer zum ordentlichen Professor
der Dogmatik handelte, der verdiente Prof. Dr. Karl Werner sich
bereit erklärt hatte, die Fundamentaltheologie als ordentliche
Lehrkanzel zu übernehmen. Das hohe Ministerium ernannte
wirklich dem Vorschlage gemäss den Prof. Dr. Martin Bauer zum
ordentlichen Professor der Dogmatik (October 1871), allein der
Ministerialerlass vom 14. October 1871 beschied das Professoren-
Theologische Facultit. 7Q
collcgium dahin, dass in der Vertretung des Lehrfaches der
Fundamentaltheologie eine Änderung nicht eintrete; und im Er-
lasse, in welchem das Ministerium dem Professorencollegium
den Besetzungsvorschlag für die Fundamentaltheologie aufträgt,
wird diese Kanzel eine Docentur genannt (15. November 1881,
Z. i3i8o) und war Dr. Johann Schneider nur als Supplent der
Fundamentaltheologie als einer Docentur (3 1 . October) bestellt
worden. 1880/81 (Ministerialerlass vom 26. Mai 1881, Z. 3906)
wurde Dr. Schneider zum ausserordentlichen Universitatsprofessor
ernannt. Nachdem dieser zum Hofburgpfarrer bei St. Auguslin
berufen worden war, gestattete das Ministerium (24. Dccember
1885, Z. 23605), ^^^^ er noch im laufenden Semester tradiere.
Darauf trat das Professorencollegium bittlich ein, dass die Funda-
mcntaltheologie nicht eine Docentur bleibe, sondern der Nach-
folger Schneiders ausserordentlicher Professor werde (8. Juni
1886). Das wurde gewährt. Wir handeln von dieser Angelegen-
heit noch einmal. Dr. Gustav Müller wurde mit Allerhöchster
Kntschliessung vom 3i. August 1886 ausserordentlicher Professor,
hatte aber im Bedarfsfalle auch über andere theologische Disci-
plinen ordnungsmässigc Vorlesungen zu halten. Auch Dr. Georg
Reinhold ist seit seiner Ernennung (Decret vom 4. Juli) 1893
Extraordinarius.
Specielle Dogmatik. Die Geschichte dieser I.ehrkanzel bis
zur Ernennung des Dr. M. Bauer 1868 zum Docenten der
Fundamentaltheologie haben wir oben gegeben. Hier haben wir
nur Weniges aus jener Zeit nachzuholen. Neben dem Ordina-
rius für Dogmatik wurden, entsprechend den Beschlüssen der
Bischöfe von 1856 über Anregung und durch Vermittlung des
Cardinais Rauscher, zwei Ordinarien für Dogmatik nach Wien
berufen, um eine wissenschaftliche Vertiefung dieser Disciplin
ins Werk zu setzen: P. Philipp (juidi, vom Orden der Domi-
nikaner, und P. Clemens Schrader S. J., Männer von bedeuten-
dem Rufe als Kenner der thomistischen Literatur. Es war dies
ein bedeutender Schritt nach vorwärts, der die Facultät damals
in neuem Glänze erscheinen Hess. Diese Professoren fungierten
auch als zweite Examinatoren bei den strengen Prüfungen. Die
Vorlesungen, wenngleich nicht obligat, waren sehr gut besucht.
8o Theologische Facultät.
Guidi, ein strenger Thomist, trug in fünf wöchentlichen Stun-
den vor: 1857/58 (im ersten Semester) den Tradatus de Deo uno
et trino ex theologica summa Divi Thomae Aquinatis^ im zweiten
Semester Tractatus de gratia u. s. f. Er blieb in Wien, bis er
i863 als Cardinal nach Rom übersiedelte.
Dr. Clemens Schrader S. J. trug in der Weise seines Ordens
thomistische Theologie vor, also mit vorzüglicher Anlehnung an
Suarez. Er war am gleichen Tage wie Guidi (Allerhöchste
EntSchliessung vom 6. October 1857) berufen worden. Schrader
trug 1857/58 in fünf wöchentlichen Stunden vor: De triplici
ordine naturali, praeternaturali et supernaturali, deque habitii
inter rationem et fidem. In sehr gründlicher Weise behandelte
er jedes Jahr andere Partien der Dogmatik und bot seinen
Hörern eine Reihe von ziemlich starken Heften unter dem Titel:
€TTieses theologicae qttas in Vindobonensi Academia Synopsis
instar auditoribus tradidit 1861.^ (Neun Hefte 1861 — 1866.)
Dazu kamen 1864 und 1866 zwei Werke ^De triplici ordine»
und <De unitate Romana» ^ die er mit dem Titel ^Commentarius»
bezeichnet.
Guidis Nachfolger war (im Mai i863) der Dominikaner
Hyacinth Josef Pcllegrinetti, der nach denselben Grundsätzen
lehrte wie sein Vorgänger. Schrader und Pellegrinetti ver-
liessen 1868 die Lehrkanzel.
Den nach Kisscrs Tode und Bauers Beförderung verwaisten
Lehrstuhl erhielt 1868 Dr. Josef Tosi, Professor an der Grazer
Universität, welcher nach eigenen Schriften vortrug; er wurde
bald Domherr bei St. Stephan, installiert 23. April 1871. Eine
Zeitlang supplierte Dr. Johann Schneider, bis Prof. Dr. Martin
Bauer 1871 auf dieses Ordinariat vorrückte F> trägt nach
eigenen Schriften vor, in denen er den heiligen Thomas ab
Aquino als Führer benützt. Auch er hält die gesetzlichen
I\iblica, in denen er in tieferer Behandlung einzelne Partien der
Dogmatik durchnimmt.
Die ordentliche Lehrkanzel der Moraltheologie. Im
Jahre 1848 starb der bisherige Vertreter dieses Faches, Prof.
'I'heobald Fritz, ('anonicus regularis vom Stifte Klostcrneuburg.
Ihn supplierte im Keste des vSchuljahres Dr. Ernst Hauswirth,
Theologische Facultät. 8 1
Capitular des Stiftes Schotten. Im April 1850 erscheint als
Supplent Dominik Mayer, «Doctorand der Theologie», Coope-
rator an der Stadtpfarre zu den neun Chören der Engel, bis
1850/51 Dr. Stephan Teplotz, Capitular des Cistercienserstiftes
Reun in Steiermark, welcher bis dahin die Professur in Prag
innehatte, diese Lehrkanzel erhielt. Er trug nach eigenen Schriften
vor. 1857 trat er in den Ruhestand, und Dr. filmest Müller
wurde sein Nachfolger (Decret vom 27. August 1857, Z. 14154).
Dieser ersetzte das in den österreichischen theologischen Lehr-
anstalten bis dahin übliche Lehrbuch des S. Stapf, welches
oft mehr einem Erbauungsbuche glich, durch sein ausgezeich-
netes Lehrbuch der Moral, das den Bedürfnissen der Neu-
zeit Rechnung zu tragen sich bemühte. Als Ehrendomherr
(seit 1864) setzte er seine Vorträge fort, bis er 1868 (im März)
als Domherr bei St. Stephan installiert wurde. Ihn supplierte
Dr. Karl Krückl, der im März 1869 die Professur erhielt, und
lehrte bis 1887, da er im Mai ins Domcapitel gewählt wurde.
Mit Decret vom i3. September 1887 wurde Prof. Dr. Eranz M.
Schindler von der bischöflichen theologischen Lehranstalt Leit-
meritz noch Wien berufen. Schindler ist bestrebt, den Bedürf-
nissen unserer Tage in der Ausbildung der jungen Geistlichen zu
entsprechen. fi> trägt die Moraltheologie vor als die Wissenschaft
von den Bedingungen, den (Jesetzen und der praktischen Aus-
gestaltung christlich-sittlichen Lebens im einzelnen Menschen
sowie in der menschlichen Gesellschaft als (Janzem, im An-
schlüsse an die philosophisch - theologische Lehrüberlieferung
der christlichen Vorzeit und unter besonderer Rücksichtnahme
auf die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der
Gegenwart. In Nebenvorlesungen behandelt er speciell die
Principien der Gesellschaftslehre im Geiste des Christenthums.
Die Abhaltung eigener Vorträge über Sociologie, zu der Schindler
sich bereit erklärt hat, ist von den competenten Behörden im
Principe genehmigt.
Die ordentliche Lehrkanzel der Kirchengeschichte. Nach
dem alten Rautenstrauch'schen Lehrplane wurde die Kirchen-
geschichte als zum wissenschaftlichen geschichtlichen F'undamcnte
für die Lehrentwicklung gehörend, im ersten Jahrgange vorge-
82 Theologische Facultät.
tragen. Nach dem Lehrplane, der seit 1788 bis in die francisceische
Zeit immer wieder umgestaltet wurde, hatte der Professor in
den Vorlesungen auch Rücksicht auf Patrologie und theologische
Literaturgeschichte zu nehmen. Prof. Stark, der im Jahre 1848
auf dieser Katheder sass, trug, da das Lehrbuch seines Vor-
gängers Klein doch zu umfangreich war, nach eigenen Schriften
vor. Im Jahre 1852 starb Prof. Stark; die Stelle wurde durch
Dr. Vincenz Seback suppliert, bis (Decret vom 3o. Juni 1852,
Z. 6273/128) Prof. Dr. Josef Kessler dieselbe erhielt, der bis
dahin dieses Fach an der bischöflichen theologischen Lehr-
anstalt, neben dem des Kirchenrechtes, gelehrt hatte. Er blieb,
bis er die neucrrichtetc Lehrkanzel des Decretalenrechtes als
Ordinarius übernahm (6. October 1856). Da nach dem neuen
Studienplane die Kirchengeschiche in das dritte Jahr verlegt
wurde, entfielen die Vorlesungen aus derselben auf einige Zeit,
so dass der im Studienjahre 1858/59 supplicrende Professor
P. Leopold Jan au sehe k, Cistercienser von Zwettl, im Sommer-
semester 1859 dort mit den drittjährigen Hörern die Kirchen-
geschichte begann, wo sie bei Kessler zu Ende gekommen waren.
October 1859 supplierte wieder Prof. Seback, bis der (mit Aller-
höchster EntSchliessung vom 8. November 1859) ernannte Prof.
Dr. Anton Horny von der Universität Olmütz nach Wien über-
siedelt war. Auch dieser wurde Domherr von St. Stephan.
Ihm folgte (mit Allerhöchster EntschliCvSsung vom 15. Februar
1868) Dr. Anton Wappler, der sich als Religionslehrer an der
C.ommunal-Oberrealschule im Bezirke Wieden in Wien durch
Abfassung tüchtiger Lehrbücher für den Religionsunterricht an
Mittelschulen hervorgethan hatte. Dass er länger als mancher
seiner Vorgänger als I^rofessor an der Universität blieb, hat seinen
Grund darin, dass ihm jene günstigen Aussichten auf ein
(^anonicat bei St. Stephan seit dem 28. Mai 1875 benommen
waren, da ein ministerieller Erlass verfügte (auf Grund kaiser-
licher Entschlicssung), dass hinfort die Mitwirkung des Senates
bei Besetzung der «Universitätscanonicate» (in Wien und Linz) zu
entfallen habe. Schliesslich erhielt er doch eines der alten Uni-
versitätcanon icate, ja er supplierte noch als l^anonicus (mit
Decret vom 24. December 1885, Z. 23605) sein eigenes Fach,
Theologische Facultät. 83
bis mit Decrct vom 15. April 1886, Z. 6167, der Professor der
Kirchengeschichte an der Olmützer theologischen Facultät, Dr.
Josef Kopallik, nach Wien berufen und übersiedelt war. Ko-
pallik, ein Wiener Diöcesan, betonte besonders die Kirchen-
geschichte Österreich-Ungarns. Dass er auch einen Lehrauftrag
für Patrologie hatte, ist schon oben erwähnt. Das Professoren-
collegium betonte, da es nach dem tragischen Tode des Prof.
Kopallik einen Vorschlag zur Besetzung dieser Lehrkanzel an
die hohen Behörden leitete, ganz besonders das Studium der
Patrologie und die baldige Einführung der Seminareinrichtungen
in der Facultät, und es wurde, da diese beiden Begehren An-
erkennung von Seiten der Behörden fanden, ein Mann zum
Nachfolger Kopallik's ernannt, dessen Namen weit über die
Grenzen Deutschlands guten Klang hat: Dr. Albert Khrhard,
Professor der Kirchengeschichte an der Universität Würzburg,
der im October 1898 seine Stelle antreten soll. Einstweilen
suppliert ihn mit gutem Erfolge Dr. Eduard Krauss.
Die Lehrkanzel des Kirchenrechtes. Bis zum Jahre
1848 wurden an der Wiener-, wie auch an allen übrigen Uni-
versitäten Österreichs Vorlesungen über Kirchenrecht nur an
der juristischen F'acultät, und zwar für Juristen und Theologen
gemeinschaftlich und nur durch ein Semester in wöchentlich
fünf Stunden gehalten.
Jedoch allmählich hatte man die Überzeugung gewonnen,
den Theologen müsse das Kirchenrecht in einer anderen Weise
vorgetragen werden als den Juristen, und zwar theils wegen
der Verschiedenheit ihrer juristischen Vorbildung, theils auch
deswegen, weil manche Partien des Kirchenrechtes für die
Theologen von ungleich grösserer praktischer Bedeutung sind
als für die Juristen und daher jenen auch ausführlicher vor-
getragen werden müssen.
Aus diesen Gründen hat infolge Allerhöchster Entschliessung
vom 20. December 1850 der Minister für Cultus und Unterricht
mit Erlass vom 16. Januar 1851 verordnet, dass für die Theo-
logen auch dort, wo das Kirchenrecht an der juristischen Facultät
vorgetragen wird, darüber eigene Vorträge, und zwar, so lange
nicht an den theologischen Facultäten Professoren dieses Faches
84 Theologische Facultät
angestellt sind, von einem der vorhandenen theologischen Pro-
fessoren oder einem anderen geeigneten Manne in wöchentlich
fünf Stunden das ganze Studienjahr hindurch gehalten werden.
Für Wien wurde mit Abhaltung dieser Vorträge der da-
malige Professor des Bibelstudiums an der theologischen Stifts-
lehranstalt zu Klostemeuburg, Dr. Vincenz Seback, betraut,
welcher mit Erlass des Ministers für Cultus und Unterricht vom
18. Februar 185 1 zunächst als Docent des Kirchenrechtes ange-
stellt') und sodann mit Allerhöchster Entschliessung vom 7. Januar
1856 zum ausserordentlichen und mit Allerhöchster Entschliessung
v(;m 15. Dccember 1858 zum ordentlichen Professor dieses
Faches ernannt wurde.
Um jungen Geistlichen, welche den obligaten Cursus
der theologischen Studien bereits absolviert hatten, die Gelegen-
heit zu bieten, im Kirchenrechte sich weiter auszubilden, wurde
überdies der damalige, durch seine wissenschaftlichen Arbeiten
berühmte Professor der Kirchengeschichte an der theologischen
Facultät der Wiener Universität, Dr. Josef Fessler, nach ein-
gehenden in dieser Beziehung in Rom gemachten Studien, mit
Allerhöchster Entschliessung vom 8. October 1856 zum Pro-
fessor des Decrctalenrechtes ernannt, mit der Verpflichtung, in
wöchentlich neun Stunden das Corpus juris canonici und ins-
hes(;ndere die officiellen Decretalcnsammlungen, mit Rücksicht
auf das zur Zeit geltende Kirchenrecht, zu erklären. In dieser
in hohem (irade erspricsslichen Lehrthätigkeit verblieb derselbe
bis zum Jahre 1862, da er zum Weihbischof des F'ürstbischofs
von lirixen und zum (jcneralvicar von Vorarlberg ernannt wurde.
'j Die theologische l-aciiliäi hatte schon in einer Sitzung vom 25. Februar 1852
nn Jas Ministeriuni die Bitte um eine Vermehrung der Lehrkräfte gestellt und
namentlich lietont, ilass neben den Vorträgen des Prof. Dr. Vincenz Seback noch
eigene umibligaie erweiterte wöchentliche Vorträge über einzelne wichtigere Theilc
«les ./i/A canonicum gehalten werden. Sie nahm es dankend an, als der ausgezeich-
i»ele Kechtslehrer l'rof. Dr. (i. Phillips sich erbötig machte, für die Theologen Vor-
träge aus dem canonischen Pecht zu halten und liess in der Sitzung vom io. April 1852
demselben die Wahl des VorfragNsaales im neuen Convictsgebäude im dritten Stock-
werke frei. Die Vorträge iles Prof. (i. Phillips wurden im Studienjahre 1853/54 in
drei wöchentlichen Stunden abgehalten.
Theologische Facultftt. 85
Die Sup^licrung der dadurch erledigten Lehrkanzel des
Decretalenrechtes wurde mit Erlass des Staatsministeriums vom
12. Januar i863 dem k. und k. Flofcaplan und Studiendirector
im k. und k. höheren Priesterbildungsinstitute zum heiligen
Augustin in Wien, Dr. Franz Laurin, übertragen, welcher so-
dann mit Allerhöchster Entschliessung vom 3o. August 1864,
unter Belassung in seiner bisherigen Stellung als Studiendirector
im gedachten höheren Priesterbildungsinstitute, zum wirklichen
Professor dieser Lehrkanzel ernannt wurde, als welcher er in
wöchentlich sieben Stunden die im Corpus juris canonici ent-
haltenen officiellen Decretalensammlungen zu erklären und mit-
unter in wöchentlich zwei Stunden auch kirchliches Kherecht
vorzutragen hatte.
Nachdem im Jahre 1876 der Professor des Kirchenrechtes
an der theologischen Facultüt, Dr. Vincenz Seback, nach viel-
jährigem, treuem und verdienstlichem Wirken im Lehramte auf
Grund Allerhöchster Entschliessung vom q. October desselben
Jahres in den bleibenden Ruhestand getreten war, wurde die
dadurch erledigte Lehrkanzel des Kirchenrechtes mit der Lehr-
kanzel des Decretalenrechtes vereinigt und als neu systemisierte
Lehrkanzel des Kirchenrechtes mit Allerhöchster Entschliessung
vom 5. November 1876 dem bisherigen Professor des Decre-
talenrechtes übertragen, mit der Verpflichtung, mindestens in
jedem Semester wöchentlich ein Collegium von fünf Stunden
über Kirchenrecht in deutscher Sprache und ein Collegium von
vier Stunden über Einleitung in das Corpus juris canonici und
Exegese ausgewählter Theile desselben in lateinischer Sprache
zu lesen, welcher Lehrverpflichtung derselbe von da ab bis jetzt
in der Weise zu enlsprechen sucht, dass er, neben dem wöchent-
lich vierstündigen Collegium über Corpus juris canonici^ über
Kirchenrecht ein Collegium in wöchentlich sechs Stunden liest.
Die ordentliche Lehrkanzel der Pastoraltheologie. Die
Facultät hatte dem seit 1841 lehrenden Pastoralprofessor Michael
Schauberger ein Ehrendiplom vorbereitet, aber er hat die Über-
reichung nicht mehr erlebt (begraben anfangs April 1 850). Er hatte
sich nach Rcichenbergers Pastoralanweisung zu richten gehabt
(5 Bände, Wien 1805 — 1811), wie überhaupt die gedruckten Vor-
86 Theologische Facultät.
leseverzeichnisse jener Zeit die Bücher angeben, nach welchen sich
die einzelnen Professoren in ihren Vorträgen zu richten hatten. Aber
er las dazu noch nach eigenen Heften. Im Wintersemester 1850/51
supplierte Dominik Mayer, der im Mai 185 1 die Professur er-
hielt. 1854, Juli 7. wurde er zum Doctor promoviert, gleich
darauf Professorendecan, 1862 apostolischer Vicar der k. k. Heere.
Er kündigte die Pastorahheologie an als Homiletik, Liturgik und
Seelsorge, ein anderesmal als Homiletik, Liturgik, Beichtstuhl
und Seelsorge. Ihm folgte i863 der Domprediger Dr. Anton
Gruscha auf der Lehrkanzel, wie später als apostolischer Vicar.
Gruschas Vorträge wirkten erwärmend und begeisternd durch
Formvollendung. Er betonte die Homiletik und leitete seine
Schüler auf ein Gebiet, auf dem er sich selbst, Vater Kolpings treuer
Schüler, bewährt hat, auf das der Seelsorge für den Stand der
Arbeiter, den er durch die Begründung der Gesellenvereine in
sittlicher und in bürgerlicher Hinsicht auf ein höheres Niveau
gehoben hat. 1871 wurde er Domherr bei St. Stephan. Dr.
Johann Seywald supplierte die Stelle, bis 1872, März 7. (Mini-
sterialdecret) Dr. Anselm Ricker, Capitular des Stiftes Schotten,
berufen wurde. Dieser legte den Hörern ein Lehrbuch der
Pastorahheologie (1874) ^^s Leitfaden vor, schrieb auch mehrere
Werke, die in das Gebiet dieser Wissenschaft gehören. Er
schloss, da er im Schuljahre 1893/94 sein siebzigstes Lebens-
jahr erreicht hatte, seine Laufbahn, die ihm hohe Ehren einge-
tragen hatte, mit dem sogenannten Ehrenjahre 1894/95 ^Is Pro-
fessor. Im Studienjahre 1894/95 wurde Dr. Heinrich Swoboda,
k.und k. Burgpfarr vicar, alsDocent angestellt, der aber bald (Aller-
höchste E^ntschliessung vom 10. September 1895) die Professur
erhielt, zunächst ausserordentlich. Swoboda betont in der
Liturgik neben dem literargeschichtlichen auch das archäologische
Moment, ohne übrigens das praktische zu vernachlässigen. Als
C^uriosum diene es, dass ein gewisser Dr. Vogel sich im Schul-
jahre 1852/53 zu Vorlesungen über Pastoralmedicin an der
theologischen Facultät anbot, aber von der Facultät nicht zu-
gelassen wurde. Ein Lehrbuch der Pastoralmedicin hat Prof.
Dr. Anselm Ricker verfasst (1892. dritte Auflage 1895) in der
Erkenntnis, dass manchmal der Seelsorger auch als Arzt inter-
Theologische Fncultät. 87
verlieren müsse, wie der Arzt am Krankenbette, aber besonders
als Psychopathiker, der Mitwirkung des geistlichen Seelenarztes
nicht entbehren kann.
Pädagogische Wissenschaften. Das alte System hatte
die Katechetik und Methodik aus den Räumen der Facultät in
die k. k. Normalhauptschule von St. Anna verlegt, wo sie 1848
von Prof. Franz Schmid vorgetragen wurde. Erziehungskunde
wurde als eine philosophische Disciplin betrachtet, welche 1 848/49
der supplierendc Prof. Krnst Müller lehrte, meist vor Hörern
des zweiten theologischen Jahrganges. Seit 1852/53 erscheint
er als Docent, mit einer Remuneration von 200 fl. und dem
Rechte auf (>ollegiengeId, welches dem Prof. Schmid nicht zu-
kam. 1854/55 wurde Christian Sc hü Her supplierender Professor
für die pädagogischen Wissenschaften; 1857 wurde er wirklicher
Professor. 1874/75 übernahm er die Pädagogik. Auch nach
Schüllers Tode wurde die Pädagogik von Prof. Hofer in den
Räumen der Universität vorgetragen, wenngleich sie in den
Lectionskatalogen nicht angeführt wurde, so wenig wie die
Methodik. Als eine Lehrkanzel für christliche Philosophie 1886
(Ministerialdecret vom 19. August, Z. 558/559) an der theo-
logischen P'acultät errichtet und dem Dr. Laurenz Müllner über-
tragen wurde, zog dieser die Pädagogik wieder in den Bereich
seiner Vorträge-, und dabei blieb es, so dass jetzt der für die
christliche Philosophie bestellte Prof. Virgil Grimm ich auch
diese Disciplin vorträgt, für welche er den Hörern einen von
ihm verfassten gedruckten Leitfaden in die Hand gibt. Die
Katechetik aber wurde, wie es sich gebürt, dem Pastoralprofessor
übertragen, so dass Prof. Dr. Anselm Ricker dieselbe lehrte,
wie sie auch dem Prof. Dr. Heinrich Swoboda (Ministerialerlass
vom 23. October 1895, Z. 2471 1) zugewiesen wurde.
Philosophische Propädeutik, christliche Philosophie.
Nach dem alten Systeme hatten die Theologen vorher die
philosophischen Curse durchzumachen gehabt. Es gehört nicht
in unser Ressort, über die Art dieser Vorträge etwas zu sagen.
Auch äussern sich 1849 die Bischöfe nicht über die philosophi-
sche Vorbildung ihrer Theologen, sondern stellen nur das Be-
gehren, dass den Hörern der Theologie, welche nicht Gelegen-
88 Theologische Facultät.
heit hatten, Metaphysik und Moraltheologie zu hören, diese
Gegenstände durch einen theologischen Professor sollten vor-
getragen werden. Aber so wenig auch der Vortrag der philo-
sophischen Propädeutik des modernen Gymnasiums eine irgend
genügende philosophische Basis für die Theologie bietet, kam
die Angelegenheit doch viele Jahre nicht in einen lebhafteren Fluss
und blieb es den theologischen Professoren anheimgestellt, dasjenige
an philosophischen Kenntnissen ihren Hörern beizubringen, was
die unerlassliche Basis ihrer Vorträge bietet. Ganz besonders
aber wurde die sogenannte allgemeine Dogmatik, spätere Funda-
mentaltheologie, mit solchen philosophischen Disciplinen beladen:
Krkcnntnislehre, Ontologie, Kosmologie, Metaphysik, Psychologie,
natürliche Theologie. Als Prof. Dr. Karl Werner in der Sitzung
des Professorencollegiums vom 29. März 1870 sich bereit er-
klärte, wöchentlich eine Stunde lang Privat vortrage über Zweige
der Philosophie zu halten, und zwar für alle Hörer der Facultät,
wurde der Antrag mit Freuden begrüsst. Das Professoren-
collegium strebte die philosophischen Disciplinen mit der Lehr-
kanzel der Fundamentaltheologie zu vereinigen und ein Ordi-
nariat daraus zu schaffen. Dem entsprach es, dass das CoUe-
gium in der Sitzung vom 4. März 1872 den Antrag des Prof.
Dr. Karl Werner, Vorträge (etwa drei Stunden wöchentlich) über
christliche l^hilosophie für die Theologen zu halten, in schein-
barem Widerspruche gegen obigen Beschluss nicht annahm,
wohl aber das Referat des Prof. Dr. Bauer, welches die Ver-
einigung der Fundamentaltheologie mit Philosophie begehrte,
das heisst eine dementsprechende Erweiterung der Lehrstunden
der P'undamentaltheologie. Das an das Ministerium geleitete
Gesuch wurde «ad acta» gelegt. Die ganze Angelegenheit kam
erst in Fluss, als 1879/S0 der (^ardinal-Fürsterzbischof, Cölestin
(Janglbauer, den Dr. Laurenz Müllner für tauglich erklärte zum
Vortrage der philosophischen Disciplinen an der theologischen
Facultät. Dem Kinflussc Werners und des (Kardinals dürfte es
zu danken sein, dass nunmehr zunächst vom Ministerium (mit
Decret vom 23. September 1880, Z. 14756) gestattet wurde,
dass vom Studienjahre 1880/81 an Vorträge über philosophisch-
theologische Propädeutik gehalten werden, wöchentlich neun
Theologische FacultAt. 89
Stunden, durch das ganze Jahr. 1880 habilitierte sich Dr. phil.
Laurenz Müllner als Docent für christliche Philosophie (Mini-
sterialdccret vom v^o. September 1880). Nach Decret des Ministe-
riums vom 9. October 1880, Z. 15790, sollten diese Vorlesungen
in deutscher Sprache gehalten werden. Das war ein Anlass für
die Behörden des Pazmancums, ihren Alumnen diese Vorträge
in lateinischer Sprache von einem Priester der Anstalt zu bieten.
Prof. Dr. Laurenz Müllner hatte in vier wöchentlichen Stunden
vorzutragen: den speculativen Theil der Logik, Erkenntnislehre,
Metaphysik mit der weiteren Gliederung in Ontologie, Kosmo-
logie, speculative Anthropologie, natürliche Theologie und Moral-
philosophie; in drei Stunden: Geschichte der christlichen Philo-
sophie. Da das erste (>)llegium für die Studierenden des ersten
Jahrganges der Theologie obligat war, so haben wir hier die
erste Etappe für Erweiterung des Lehrj^lanes vor uns; als solche
fasste das fürsterzbischöfliche Ordinariat die Angelegenheit auf,
da es 1891 (über Beschluss der in Wien versammelten Bischöfe
1889) von der Wiener theologischen Facultat eine gutacht-
liehe Äusserung einholte «in Betrefl einer etwaigen Ände-
rung des theologischen Lehrplanes und Einbeziehung der Philo-
sophie in denselben» (Erlass vom 6. April 1891). Wir haben
schon oben S. 88 angegeben, dass das Professorencollegium das
Einbeziehen der Philosophie in den theologischen Lehrplan mit
Freude begrüsst habe. Als Prof. Dr. Laurenz Müllner als Ordi-
narius an die philosophische P'acultät übergetreten war, supplierte
ganz kurze Zeit Dr. Rein hold, dann erhielt Prof. Virgil (irim-
mich, (>apitular des Stiftes Kremsmünster (Ministerialdecrel vom
2. April 1897), diese Lehrkanzel als ausserordentliche IVofessur,
mit dem Lehrauftrage, Vorlesungen über christliche Philosophie
nach den Principien des heiligen Thomas von Aquino in latei-
nischer (sieben Stunden) und über Pädagogik in deutscher
Sprache (zwei Stunden) abzuhalten. Dem entsprechen seine Vor-
trage, welche jedoch auch beständig auf die Entwicklung philo-
sophischer Probleme, besonders in unserer Zeit, Rücksicht
nehmen.
Vorträge über Vätcrkundc. Kür Patrologic und Patristik
gibt es seit 1788 keine spccicllc Lehrkanzel, obschon das Be-
Geschiclite der Wiener l'ui%cr»iUi:. 7
QO Theologische Facuhftt.
dürfnis immer gefühlt wurde. So hat zum Beispiel in der Sitzung des
Profe^sorencoUegiums vom 17. März 1869 Prof. Dr. W. Kozelka
den Antrag gestellt, das ProfessorencoUegium möge dem hohen
Ministerium die Bitte unterbreiten, für die Errichtung einer
eigenen Lehrkanzel dieser Gegenstände Sorge zu tragen, da,
dem Bedürfnis entsprechend, fast an allen katholischen ausser-
österreichischen Universitäten solche Lehrkanzeln bestehen. In
der Sitzung vom 14. Mai 1869 wurde die Ausführung dieses
Antrages beschlossen und die Bitte dahin präcisiert, dass diese
Lehrkanzel (vier Stunden wöchentlich) mit der der Funda-
mentaltheologie (fünf Stunden) verbunden und eine ordentliche
Lehrkanzel geschaffen werde. Das Ansuchen wurde nicht er-
ledigt. Als es sich 1886 um die Besetzung der Fundamental-
theologie und Kirchengeschichte handelte, führte das betreffende
Referat des Professorencollegiums (vom 29. Januar 1886) aus,
dass auf den katholisch-theologischen Facultäten Würzburg, Frei-
burg i. Br., Breslau, Bonn, Tübingen, sowie auf den nicht katho-
lischen Facultäten Strassburg, Basel, Berlin, Göttingen, Zürich,
Tübingen, Leipzig eigene Vorträge für diese Disciplinen be-
stehen. Das Referat wies auf den innigen Zusammenhang dieser
Disciplinen mit der Fundamentaltheologie hin und ersuchte um
Erhebung der Fundamentaltheologie zu einer ordentlichen Lehr-
kanzel mit fünf Stunden für diesen Gegenstand und vier Stunden
Patrologie. Das Ministerium gicng auf die Bitte des Professoren-
collegiums nicht ein, sondern beauftragte den neuernannten Pro-
fessor der Kirchengeschichte, Dr. Josef Kopallik, einen drei-
jährigen Lehrcurs über Patristik mit wöchentlich einer Stunde
abzuhalten (1886). Dabei blieb es. Daher dachte, als nach
Kopalliks jähem Tode ein Besetzungsvorschlag abzugeben war,
das ProfessorencoUegium an die Berufung einer gerade in dem
F'ache der Vaterkunde erprobten Kraft, Prof. Dr. Ehrhard von
Würzburg, welchem, da er wirklich ehrenvoll berufen wurde
und die Stelle annahm, der Lehrauftrag wurde, ein sieben-
stündiges (Kollegium über Kirchengeschichte und ein zwei-
stündii^cs über Patrologie als (jeschichte der kirchlichen Lite-
ratur des christlichen Alterthums und Patristik» zu lesen.
Ausserdem wird demselben die Leitung des kirchengeschicht-
Theologische Faculfit. QI
liehen Seminars, dessen Plrrichtung in Aussicht genommen ist,
obliegen.» (Ministerialdecret vom 29. März 1898, Z. 7241.)
Kirchliche Archäologie, kirchliche Kunstgeschichte. Die
Wichtigkeit der kirchlichen Archäologie anerkennen alle theo-
logischen Disciplinen dadurch, dass sie gerne die Ergebnisse der
Archäologie in ihren Lehrausführungen anwenden. So fliessen
der ßogmatik, der Moral, der Liturgik, dem Jus canonicum
u. s. \v. eine Menge monumental und literaturgeschichtlich fest-
stehender 1 hatsachen zu, welche diese Wissenschaften in ihrer
Beweiskraft zu stärken geeignet sind. Aber auch die Kunst-
geschichte erscheint als eine dem Theologen nützliche, ja noth-
wendige Wissenschaft, wenn man bedenkt, was (irosses und
Schönes die Vorzeit zur Ehre Gottes und zur Erbauung der
Gläubigen geschaffen: Schätze, welche dem Seelsorger von Kirche
und Staat zur Obhut anvertraut sind, und die er als treuer
Verwalter in gutem Zustande erhalten, vor Verfall möglichst
bewahren soll. Auch hat er den Beruf, dort, wo Neu-
anschaffungen nothwendig sind, dieselben im Sinne der kirch-
lichen Vorschriften und Anschauungen zu machen, in kleinem
Kreise, mit schwachen Mitteln, doch immer bei allen Neu-
anschaffungen veredelnd, geistig hebend auf das Volk zu wirken
und so im kleinen die kirchliche Kunst zu beschäftigen. Daher
wird an fast allen theologischen Lehranstalten, der Bischöfe wie
der Klöster, kirchliche Kunstgeschichte vorgetragen; und ertheilt
seit Eitelbergers 'l'ode, der bereitwillig die Theologen im öster-
reichischen Museum unterrichtete, Prof. Dr. W. Neu mann all-
jährlich (anderthalb Stunden wöchentliche ohne staatliche Besol-
dung solchen Unterricht. 1891/92 habilitierte sich Dr. Heinrich
Swoboda als Privatdocent für kirchliche Archäologie, hat aber
in der Folge die Professur der Pastoraltheologie übernommen.
Adjuncten. Die vielen Suppicnturen, von denen wir im
Laufe unserer Darstellung sprachen, waren dadurch bedingt,
dass für jedes theologische Fach nur ein Professor ernannt war,
der ohne alle Beihilfe dastand, (kmz kurz ist der Zeitraum,
dass neben dem eigentlichen Fachprofessor der Dogmatik noch
zwei Ordinarien desselben Faches gelehrt haben. Einige Aus-
hilfe boten allerdings die sogenannten Adjuncten der theo-
92 Theologische Facuhät.
logischen Facultät, welche seit 1811 bestanden haben. Es sollte
diese Einrichtung für Nachwuchs an Lehrkräften zunächst für
die Dogmatik, Moral und Pastoral sorgen. Zwei junge Geist-
liche, welche für die Lehrthätigkeit am besten geeignet schienen,
wurden im fürsterzbischöflichen Seminar vollständig verpflegt
und erhielten einen kleinen Gehalt aus Staatsmitteln. Sie hatten
sich auf eine Lehrkanzel vorzubereiten und gegebenenfalls die
Professuren zu supplieren. Die Bestellung und der Gehaltsbezug
dauerten immer je zwei Jahre, konnten aber auf weitere zwxi
Jahre verlängert werden. Am Anfange des Zeitabschnittes,
welchen wir zu behandeln haben, gieng der Vorschlag und die
Empfehlung vom fürsterzbischöflichen Ordinariate aUvS, die Er-
nennung geschah durch das Professorencollegium, die Genehmi-
gung aber und Gehaltanweisung durch das Ministerium. Eine
Erklärung des Ministers 1870 December 21, besagt, «dass die
Bestellung und Bestätigung der systemisierten Adjuncten, sow4e
die Bclassung auf ihren Posten Sache der Professorencollegien
ist. . . . Dagegen bleibt die Beibehaltung eines Assistenten über
vier Jahre auch weiterhin von der ministeriellen Genehmigung
abhängig». Aus dem Institute der Adjuncten, so mangelhaft es
war, sind nicht wenige wirkliche Professoren der Universität er-
wachsen: Ernst Müller, Karl Krückl, Martin Bauer, Anton
Wappler, Johann Schneider, Gustav Müller, Josef Kopallik.
Immer wieder wurde die Bestellung von Privatdocenten an der
theologischen Facultät angestrebt, nie aber dauerte die Einrich-
tung länger, als bis der I^rivatdocent eine Professur erhalten
hatte (Müllner, vSwoboda), ohne Nachfolger. Das Ministerium
selbst hat seine Geneigtheit ausgesprochen, das Institut der
IVivatdocenten zu fördern, auch durch Remunerationen. «Hiebei,»
so sagt das Ministerium, <\vird kein Hindernis obwalten, dass,
gleichwie die theologischen Adjuncten sich als theologische
IVivatdocenten habilitieren und in letzterer Beziehung unter Bei-
behaltung ihrer ersterwähnten Stellung Remunerationen erhalten
können, so auch remunerierte theologische Privatdocenten die
obenbezeichneten Stellen erlangen können, ohne deshalb von
der Remunerierung in ersterer Hinsicht ausgeschlossen zu werden.
Bezüglich der Vertretung eines verhinderten Professors der Fa-
Theologiüche FacultAt. gS
cultät wird von Fall zu Fall zu entscheiden, selbstverständlich aber
auf die zur Verfügung stehenden Privatdocenten stets besondere
Rücksicht zu nehmen sein, und behält sich das Ministerium
vor, die Bewilligung der oberwähnten Remunerationen an die Be-
dingung zu knüpfen, dass die betreffenden Privatdocenten im
Pralle einer an sie ergehenden Aufforderung verhinderte Pro-
fessoren bei den Vorträgen ohne weiteres Entgeld zu supplieren
haben.» (Ministcrialdecret vom 5. October 1890.) Wenn seit
1882 keine Adjuncten mehr in den Acten der Facultät er-
wähnt sind, wissen wir nicht, wo eigentlich der Grund dieser
Thatsache zu suchen sei. Im Profcssorencollegium scheint er
nicht zu liegen.
Mittel, welche der Facultät zu Gebote stehen, um
einen tüchtigen Nachwuchs an Lehrkräften heranzuziehen.
In erster Linie sind die Stipendien zu nennen, welche schon
fertigen Doctorcn verliehen werden, zuerst das Universitäts-
Jubiläumsstipendium, welches aus Krsparnissen des Univer-
siläts-Jubiläumsfondes 1865 gegründet wurde 1 Stiftbrief vom i. Juli
1866), 600 Gulden in Silber für Lehramlscandidaten, schon
fertige Doctoren, aus allen vier Facultäten. Zweck ist die wissen-
schaftliche Ausbildung an auswärtigen, vorzüglich deutschen
Flochschulen. Von den (-andidaten, welche die theologische
Facultät vorschlug, gehörte nur einer der Wiener Diöcesu an,
Dr. Josef Sey wald, den wir als supplierenden Professor zu
nennen öfter in der Lage waren. Alle (Kandidaten aber waren
in Wien promoviert und haben in ihrem engeren Vaterlande
Stellungen als Lehrer der theologischen Wissenschaften ge-
funden, so dass die Wiener Tniversität gerade durch dieses
Stipendium als mächtige Förderin der Wissenschaften in den
Ländern der Monarchie bis zu deren entferntesten (irenzen er-
scheint. Der Zeit nach älter ist die Lackenbacher'sche
Prämienstiftung. Sie muss aber wegen ihrer geschichtlichen
Kntwicklung, die in die neueste Zeit fällt, hier an zweiter Stelle
genannt werden. Es hatten laut Stiftbrief vom 21. März 1840
die Gebrüber Lackenbacher ein (-apital von 9000 (lulden be-
stimmt, dessen Zinsen zu einer jährlichen Prämie von 450 fl.
(-onv.-M. für die beste Übersetzung von ungefähr zwanzig Ver-
ß*9
siktin aus dtm hi:i;t7c.ycben GnuKTtexie ics Pentaicucfas in das
Anbvkcht i':tnt^ vJiäczi^ Im Faüe ier N^chtverecroos in einem
Jahre vAüt i^ zsts nächste Jahr der ioppehe. eventuell im
jritten Jahre der creifiache Ektraz zur Ai:s7ahlnng k-xnmen.
I>ie 'Aeiteren BeJfrorunaen Qberzehen wir. Die Prjftmz kaim
v/'Aohl in Wien, ais :n Praz. als m Bukarest wohin die durch
ias lyj^ a;j^we'Aähjten \'ersikel in ver5ie;2ehen C>uvens zu senden
^ini HC'4t\i:zl Aerien. Nutzen hat die Wiener theologische
f-ac'jitat a'is dieser Stiftuns bL> jetzt nicht gezogen, deim keiner
Jer Prafr*;:crten hat an dieser Facultät eine SteUuns erhallen.
Ikt 'Ai^v:r,>chamiche Nutzen Ist eigentlich an sich nicht so hoch
;jrj/ .s^.hb^fer). als die Lrheber sich denselben dachten. Dass
'^'C,i^:u Jer 2ariz bes^^nders schwierigen Arbeit, welche die
1^'si.k'rnbacher ?>che Prämienstiftung den Candidaten vorl^. sich
:,uAd viele meiJen werden, war an sich klar, und dass das
Oi{/ital desselben bedeutend anwuchs, war eine Nothwendigkeit.
baher Aurde über Krmächtigung des k. k. Ministeriums fiir
^.lillus unJ L'nterricht vom 4. Januar 1^96. Z. 5041 3 (bc-
/lehiiri;: »weise vom 14. Januar 1807, Z. I2i36 auf Grund der
Allerhöchsten Knt>chlies^uni^ vom 20. December 1893) ^^"^
'^fi/tbnefe ein Anhang beigefüjzt. dessen Gesammtinhalt darauf
hin;iiisgeht. J;l>s Jie Krtragnis- Überschüsse dieser Stiftung «bei
völlig iritacteni lortbestande der bisherigen Bestimmungen» zu
verv/enJen siriJ in erster Linie für ein standiges Institut von
l'rer.fr;igen ; und in zweiler Linie für die Stiftung von Reise-
vtipefi'lien. Infolge Jer Aufforderung, welche dieser Anhang
'le> L;i<.kenl);icher\chen Sliflhriefcs enthält, hat die Wiener
tlieologr,i,he liicuhiil im Hin vernehmen mit den übrigen inter-
<:v.irrten theologischen I acultiiten in Prag und Budapest ein ge-
n;iijr', Statut für beide diese l'Jnrichtiingen ausgearbeitet, welches
von den hohen Behörden genehniigt wurde. Auf Grund dieses
'; l)nti.\t li'-.r. Iir.fiiiif war auf einen Kriass des Ministeriums vom 22. Mai 1872
/•ini' t-j/« f^nlfrii, ili-f r. ;il-. 'A ünvcKcnsweri !»ezcichnei, das Institut der Preisfragen an
i\rti I fii ,«-r .it.it«-n h.irtrviüi . riiiziifiilinrn. hiiscm Krlasse gemäss halte das Pro-
fr 01 «m ffll<'^iitfii III -firr Mt/MMf/j \oiii II. luiii 1H72 den Antrag ge^itelli, es möge das
hi-.iiiur d' f PfM dr.ij^rii /IM Wrt.knrig und Fönierung wissenschaftlichen Strebens
iiiiU'f ijrii I Im'oIo^m fi t'iiigellihit werden.
Theologiftche Facultit 95
Statutes wurde die erste Preisfrage im Schuljahre 1897/98 aus-
geschrieben. — Da der aus den Überschüssen entstandene Neben-
fond die Vergebung eines Reisestipendiums als Unterstützung
einer wissenschaftlichen Forschung zuliess, wurde mit Ministe-
rialdecret vom i3. Januar 1898 dem damals in Beirut weilenden
Priester der Erzdiöcese Olmütz, Dr. Theol. Alois Musil über sein
Ansuchen zur Förderung seiner Forschungsreise in dem südlich
vom Todten Meere gelegenen noch unbekannten Gebiete eine
Keiscsubvention von 600 fl. auf Rechnung der Überschüsse aus
dem Lackcnbacher'schen Stiftungsfonde verliehen. Die Kqjeb-
nisse stehen noch aus, dürften aber schon deshalb interessant
sein, da Musil sich schon auf früheren Reisen in jenem Gebiete
als muthiger Forscher gezeigt hat: er hat mit P. Lagrange eine
Ürtlichkeit entdeckt, über deren Lage man Jahrhunderte lang
nichts Sicheres wusstc: Phunon, wahrscheinlich den Ort, wo die
eherne Schlange Mosis gegossen wurde, da auf dem ganzen
Zuge der Israeliten keine passendere Localitat gefunden werden
kann, wo man in Krz giessen konnte, wo aber noch in diocle-
tianischer Zeit christliche Verbannte in den Bergwerken arbeiten
mussten und einige den Martertod erlitten. Auch Basiliken haben
Lagrange und Musil in diesem Thalkesscl gefunden.
Die Reiseunterstützung, welche dem Dr. A. Musil zutheil
wurde, war eine ausserordentliche, indem nicht eine Bcwcrbc-
ausschreibung voraufgieng, auch jene Bedingungen nicht erst zu
stellen waren, welche das Statut für das l^ackenbachcr'sche
Reisestipendium fordert: i. Ks muss im Gesuche die Zustim-
mung des Diöcesanbischofs oder des Ordensoberen beigebracht
sein, dass der Bewerber ein oder zwei Jahre ausser der Diöcese
oder des Klosters Studien halber weilen dürfe; 2. Ks muss der
Nachweis erbracht sein, ob der Bewerber als Professor (Privat-
docent, Supplent) auf dem Gebiete des Bibelstudiums thiitig ist,
eventuell ob der Bischof oder Ordensobere denselben seinerzeit
als Lehrer der Bibelfacher selbst zu verwenden beabsichtigt
oder doch geneigt ist, einer etwaigen Bemfung desselben als Pro-
fessor dieser Fächer an eine theologische Facultiit zuzustim-
men. Auch war dem Dr. A. Musil das Forschungsgebiet nicht
erst anzuweisen.
96 Thcolc^ische Facullit.
Seminarien und Lehrmittelsammlungen. Noch stehen sie
der Faculiät nicht zu Gebote, nur grundsätzHch sind die wissenschaft-
lichen Seminarien vom hohen Ministerium genehmigt, wenigstens
im Anstellungsdecrete des Prof. Dr. Ehrhard direct in Aussicht
gestellt. Damit würde die theologische Facultät einen mächtigen
Schritt vorwärts kommen, sich der philosophischen Facultät nähern
und als wissenschaftliche Anstalt hergestellt sein, wert der ersten
Universität von Österreich. Es liegt alles bereit: die Grundzüge
der Einrichtung, die Statutenentwürfe, die Vorschläge zur Be-
schaffung eines vollständigen Lehrapparates für die biblischen
Fächer, die Liturgik und kirchliche Kunstgeschichte. Würde
das Jubeljahr unseres allgeliebten Monarchen die Errichmng
der Seminarien bringen, so wäre dies für unsere Facultät die
Krone aller Wohlthaten, die Seine kaiserliche Huld derselben
hat angedeihen lassen.
RECHTS- UND STAATSWISSENSCHAFTLICHE
FACULTÄT
Darf man den Urtheilen'der Zeitgenossen
glauben, so befanden sich die juridischen Studien
in (Jsterreich in der ersten Hiilfle dieses Jahr-
hunderts in einem Überaus klüglichcn Zustande.
*Die Vernachlüssigunp der historischen
Wissenschaften und die völlige Lostrennung des
österreichischen fttudJenwesens v()n dem des
übrigen Deutschlands hat nirgends nachtheiliger
gewirkt als bei der Jurisprudenz- — sagt der
streng kirchlich gesinnte Verfasser der 1853
auf amtliche Anregung von der Staatsdruckerci
anonym herausgegebenen «Betrachtungen über
das L'nterrichtswesen , insbesondere über die
juridischen Studien in Osterreich».
Aus entgegengesetzten politischen Lagern
kamen gleich scharfe l"rtheile über die Leistungen des vormarz-
lichen Systems:
*So lange (Werreich seinen Universitäten einen strengen
Studicnplan vorschrieb, in Schulweise den Kleiss beaufsichtigte
und den Vortrag in bestandigem Wechsel mit Kinzelprüfungen
regelte, lehrte man im ganzen Kenntnisse, nicht Wissen-
schaften*, schreibt 1851 der überzeugte Anhänger der Lehr-
und Lcrnfreiheil. (i. llöfken ('Über das Studium der Hechts-
und Staatswissenschaften-), während ein ebenso überzeugter
Verächter eben dieser Lehr- und Lernfreiheit, der die letztere
q3 Rechu- uod &taats«-isseiuchaftliche Facultit.
bloss als «Schlagwörter* bezeichnet, mit denen < nichts g^eben,
sondern nur eine destructive Tendenz ausgedrückt» werde,
doch nicht umhin kann, zu erklären: «Die überaus nüchterne
Anschauung, die nur das für die grosse Menge der Staats-
beamten uncrlässliche Mass positiver Kenntnisse im Auge behielt,
musste auf die Strebsamkeit der Jugend lähmend zurückwirken.»
CAnonyme Broschüre «Über die neueste Regelung der rechts-
und staatswissenschaftlichen Studien». Wien 1856.)
Freilich — die allgemeinen Universitätseinrichtungen theilte
die juridische Facultät mit allen übrigen Facultäten, so die
Siudicndirectoren und Vicedirectoren, das Institut der Adjunctur,
als einer l^flanzstätte für die Professur, verbunden mit dem
Mangel an Privatdocenten. die beamtenmässige Amterbesetzung,
die Semestral- und Annualprüfungen, die staatlichen Prüfungs-
commissäre, welche nicht sowohl selbst Prüfer als vielmehr
• •
Über wacher der prüfenden Professoren sein sollten, — aber
ganz abgesehen von all diesen, in der Folgezeit wenig freund-
lich beurtheilten Einrichtungen hatte speciell die juridische Lehr-
weise auch noch unter der Vernachlässigung der historischen
Grundlagen des Hechtsstudiums zu leiden, und indem der Staat
gerade diese Facultät vornehmlich für seine nächsten Zwecke
einzurichten bemüht war, trat hier der Mangel eines über die
praktischen Ziele hinausgehenden wissenschaftlichen Strebens
besonders grell hervor.
Nicht plötzlich ist diese Depression eingetreten, und es
wäre ungerecht, sie ausschliesslich auf die Herrschaft jener Reac-
tionszeit, die zwischen den Freiheitskämpfen und dem Jahre 1848
liegt, zurückzuführen. Im Gegcntheile, man kann ihren Ursprung
bis in das vorige Jahrhundert hinein verfolgen.
Die von Maria Theresia 1753 gegebene Studieneinrichtung
verfolgte noch den doppelten /weck, dass die juridische Facultät
♦ zu einer l^llanzschulc für den österreichischen Staatsdienst und
zu einer Quelle wissenschaftlicher Bildung werden sollte, welche
auch im Auslande grösseres Ansehen zu verschaffen geeignet ist».*)
M WahIhc^^, Die Kcforn» der Kechlsichre an der Wiener Flochschule etc.
1KO5. In den ^esaniinellen kleinen Sthiitlen 1.S75, z. liand.
Rechts- und Staats wissenschaftliche Facultit. QQ
Aber schon gegen das Knde der theresianischen Zeit trat
die Maxime immer schroffer hervor, «dass die Wissenschaften
für die Zwecke des Staatsdienstes einzurichten und den jungen
Leuten an der Universität nur solche Kenntnisse beizubringen
seien, welche sie zum Besten des Staates brauchen können. . . .
Als unanfechtbares Dogma galt die Bestimmung, dass die FacuU
tätsstudien Staatsdiener, nicht Gelehrte heranzubilden haben».')
Wahrend somit das eine Moment der theresianischen
Studieneinrichtung, nämlich die Fürsorge für die Geschäfts-
qualificierung in den Vordergrund trat, wurde die andere Auf-
gabe, wissenschaftlichen Glanz auch nach aussen zu verbreiten,
nicht nur vernachlässigt, sondern geradezu perhorresciert, ins-
besondere infolge der nunmehr auftretenden, auch von G. v.
Swieten propagierten Idee einer övSterreichischen National-
erziehung.')
Dieser letztere Gedanke wurde unterstützt durch zwei Mo-
mente: die politischen Ereignisse zu Anfang dieses Jahrhunderts
und die Codification des allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches.
Die politische Auseinandersetzung Österreichs mit dem
übrigen Deutschland führte zu einer an allen österreichischen
Kacultäten fühlbaren Abschliessung vom deutschen Geistesleben ;
speciell an der juridischen F'acultät aber kam hinzu, dass hier
das grosse nationale Gesetzgebungswerk den Bruch wesentlich
erleichterte.
Kine kurze Vergleichung des theresianischen Studienplanes
von 1753 mit den Studienordnungen von 1804 und 1810 zeigt
deutlich die geänderte Tendenz.
Jener verlangte für die höheren Zweige des (^onceptfaches
und die höchste Stufe der Rechtsgelehrsamkeit ein fünf|ähriges
Studium. Dasselbe begann mit Kechtsgeschichte und Naturrecht,
dann sollten Institutionen gelehrt werden; hierauf im zweiten
Jahre: Pandekten, l-odex mit Novellen, zum Schlüsse Jus
criminale: auch das dritte Jahr beschäftigte sich noch mit
Digesten, daneben Krblandsrechte: im vierten Jahre kam: cano-
nisches Recht, Völkerrecht, allgemeines Staatsrecht und zum
') Wahlbcrg, a. a. O.
QO Theologische Facultiit.
dürfnis immer gefühlt wurde. So hat zum Beispiel in der Sitzung des
ProfeSsorencollegiums vom 1 7. März 1869 Prof. Dr. W. Kozelka
den Antrag gestellt, das ProfessorencoUegium möge dem hohen
Ministerium die Bitte unterbreiten, für die Errichtung einer
eigenen Lehrkanzel dieser Gegenstände Sorge zu tragen, da,
dem Bedürfnis entsprechend, fast an allen katholischen ausser-
österreichischen Universitäten solche Lehrkanzeln bestehen. In
der Sitzung vom 14. Mai 1869 wurde die Ausführung dieses
Antrages beschlossen und die Bitte dahin präcisiert, dass diese
Lehrkanzel (vier Stunden wöchentlich) mit der der Funda-
mentaltheologie (fünf Stunden) verbunden und eine ordentliche
Lehrkanzel geschaffen werde. Das Ansuchen wurde nicht er-
ledigt. Als es sich 1886 um die Besetzung der Fundamental-
theologie und Kirchengeschichte handelte, führte das betreffende
Referat des Professorencollegiums (vom 29. Januar 1886) aus,
dass auf den katholisch-theologischen Facultäten Würzburg, Frei-
burg i. Br., Breslau, Bonn, Tübingen, sowie auf den nicht katho-
lischen Facultäten Strassburg, Basel, Berlin, Göttingen, Zürich,
Tübingen, Leipzig eigene Vorträge für diese Disciplinen be-
stehen. Das Referat wies auf den innigen Zusammenhang dieser
Disciplinen mit der Fundamentaltheologie hin und ersuchte um
Erhebung der Fundamentaltheologie zu einer ordentlichen Lehr-
kanzel mit fünf Stunden für diesen Gegenstand und vier Stunden
Patrologie. Das Ministerium gieng auf die Bitte des Professoren-
collegiums nicht ein, sondern beauftragte den neuernannten Pro-
fessor der Kirchengeschichte, Dr. Josef Kopallik, einen drei-
jährigen Lehrcurs über Patristik mit wöchentlich einer Stunde
abzuhalten (1886). Dabei blieb es. Daher dachte, als nach
Kopalliks jähem Tode ein Besetzungsvorschlag abzugeben war,
das l^rofessorencoUegium an die Berufung einer gerade in dem
Fache der Väterkunde erprobten Kraft, Prof. Dr. Ehrhard von
Würzburg, welchem, da er wirklich ehrenvoll berufen wurde
und die Stelle annahm, der Lehrauftrag wurde, ein sieben-
stündiges (Kollegium über Kirchengcschichte und ein zwei-
stündiges über Patrologie als (ieschichte der kirchlichen Lite-
ratur des christlichen Alterthums und Patristik» zu lesen.
-Ausserdem wird demselben die Leitung des kirchengeschicht-
Theologische Facultftt. 9I
liehen Seminars, dessen Errichtung in Aussicht genommen ist,
obliegen.» (Ministerialdecret vom 29. März 1898, Z. 7241.)
Kirchliche Archäologie, kirchliche Kunstgeschichte. Die
Wichtigkeit der kirchlichen Archäologie anerkennen alle theo-
logischen Disciplinen dadurch, dass sie gerne die fi)rgebnisse der
Archäologie in ihren Lehrausführungen anwenden. So fliessen
der Dogmatik, der Moral, der Liturgik, dem Jus canonicutn
u. s. w. eine Menge monumental und literaturgeschichtlich fest-
stehender Thatsachen zu, welche diese Wissenschaften in ihrer
Beweiskraft zu stärken geeignet sind. Aber auch die Kunst-
geschichte erscheint als eine dem Theologen nützliche, ja noth-
wendige Wissenschaft, wenn man bedenkt, was (Grosses und
Schönes die Vorzeit zur Ehre Gottes und zur Erbauung der
Gläubigen geschaffen: Schätze, welche dem Seelsorger von Kirche
und Staat zur Obhut anvertraut sind, und die er als treuer
Verwalter in gutem Zustande erhalten, vor Verfall möglichst
bewahren soll. Auch hat er den Beruf, dort, wo Neu-
anschaffungen nothwendig sind, dieselben im Sinne der kirch-
lichen Vorschriften und Anschauungen zu machen, in kleinem
Kreise, mit schwachen Mitteln, doch immer bei allen Neu-
anschaffungen veredelnd, geistig hebend auf das Volk zu wirken
und so im kleinen die kirchliche Kunst zu beschäftigen. Daher
wird an fast allen theologischen Lehranstalten, der Bischöfe wie
der Klöster, kirchliche Kunstgeschichte vorgetragen; und ertheilt
seit Kitelbergers Tode, der bereitwillig die Theologen im öster-
reichischen Museum unterrichtete, Prof. Dr. W. Neu mann all-
jährlich (anderthalb Stunden wöchentlich) ohne staatliche Besol-
dung solchen l-nterricht. i8()i/t)2 habilitierte sich Dr. Heinricli
Swoboda als Privatdocent für kirchliche Archäologie, hat aber
in der Folge die Professur der Pastoraltheologie übernommen.
Adjuncten. Die vielen Supplcnturen, von denen wir im
Laufe unserer Darstellung sprachen, waren dadurch bedingt,
dass für jedes theologische Fach nur ein Professor ernannt war,
der ohne alle Beihilfe dastand, (ianz kurz ist der Zeitraum,
dass neben dem eigentlichen Fachprofessor der Dogmatik noch
zwei Ordinarien desselben Faches uelehrt haben. Kiniue Aus-
hilfe boten allerdings die sogenannten Adjuncten der theo-
4
g2 Theologische Facuhät.
logischen Facultät, welche seit 1811 bestanden haben. Es sollte
diese Einrichtung für Nachwuchs an Lehrkräften zunächst für
die Dogmatik, Moral und Pastoral sorgen. Zwei junge Geist-
liche, welche für die Lehrthätigkeit am besten geeignet schienen,
wurden im fürsterzbischöflichen Seminar vollständig verpflegt
und erhielten einen kleinen Gehalt aus Staatsmitteln. Sie hatten
sich auf eine Lehrkanzel vorzubereiten und gegebenenfalls die
Professuren zu supplieren. Die Bestellung und der Gehaltsbezug
dauerten immer je zwei Jahre, konnten aber auf weitere zwei
Jahre verlängert werden. Am Anfange des Zeitabschnittes,
welchen wir zu behandeln haben, gieng der Vorschlag und die
Empfehlung vom fürsterzbischöflichen Ordinariate aus, die Er-
nennung geschah durch das ProfessorencoUegium, die Genehmi-
gung aber und Gehaltanweisung durch das Ministerium. Eine
Erklärung des Ministers 1870 December 21, besagt, cdass die
Bestellung und Bestätigung der systemisierten Adjuncten, sowie
die Belassung auf ihren Posten Sache der ProfessorencoUegien
ist. . . . Dagegen bleibt die Beibehaltung eines Assistenten über
vier Jahre auch weiterhin von der ministeriellen Genehmigung
abhängig». Aus dem Institute der Adjuncten, so mangelhaft es
war, sind nicht wenige wirkliche Professoren der Universität er-
wachsen: Ernst Müller, Karl Krückl, Martin Bauer, Anton
Wappler, Johann Schneider, Gustav Müller, Josef Kopallik.
Immer wieder wurde die Bestellung von Privatdocenten an der
theologischen Facultät angestrebt, nie aber dauerte die Einrich-
tung länger, als bis der Privatdocent eine Professur erhalten
hatte (Müllner, Swoboda), ohne Nachfolger. Das Ministerium
selbst hat seine Geneigtheit ausgesprochen, das Institut der
Privatdocenten zu fördern, auch durch Remunerationen. «Hiebei,»
so sagt das Ministerium, «wird kein Hindernis obwalten, dass,
gleichwie die theologischen Adjuncten sich als theologische
l^rivatdocenten habilitieren und in letzterer Beziehung unter Bei-
behaltung ihrer ersterwähnten Stellung Remunerationen erhalten
können, so auch remunerierte theologische Privatdocenten die
obenbezeichneten Stellen erlangen können, ohne deshalb von
der Remunericrung in ersterer Hinsicht ausgeschlossen zu werden.
Be/üj^lich der Vertretung eines verhinderten Professors der Fa-
Theologische Facultät. <)3
cultät wird von Fall zu Fall zu entscheiden, selbstv^erständlich aber
auf die zur Verfügung stehenden Privatdocenten stets besondere
Rücksicht zu nehmen sein, und behält sich das Ministerium
vor, die Bewilligung der oberwähnten Remunerationen an die Be-
dingung zu knüpfen, dass die betreffenden Privatdocenten im
Falle einer an sie ergehenden Aufforderung verhinderte Pro-
fessoren bei den Vorträgen ohne weiteres Entgeld zu supplieren
haben.» (Ministerialdecret vom 5. October 1890.) Wenn seit
1882 keine Adjuncten mehr in den Acten der Facultät er-
wähnt sind, wissen wir nicht, wo eigentlich der Grund dieser
Thatsache zu suchen sei. Im Professorencollegium scheint er
nicht zu liegen.
Mittel, welche der Facultät zu Gebote stehen, um
einen tüchtigen Nachwuchs an Lehrkräften heranzuziehen.
In erster Linie sind die Stipendien zu nennen, welche schon
fertigen Doctoren verliehen werden, zuerst das Universitäts-
Jubiläumsstipendium, welches aus Krsparnissen des Univer-
sitäts-Jubiläumsfondes 1865 gegründet wurde (Stiftbrief vom i. Juli
1866), 600 Gulden in Silber für Lchramtscandidaten, schon
fertige Doctoren, aus allen vier Facultäten. Zweck ist die wissen-
schaftliche Ausbildung an auswärtigen, vorzüglich deutschen
Hochschulen. Von den C.andidatcn, welche die theologische
Facultät vorschlug, gehörte nur einer der Wiener Diöcese an,
Dr. Josef Seywald, den wir als supplicrcnden Professor zu
nennen öfter in der Lage waren. Alle (Kandidaten aber waren
in Wien promoviert und haben in ihrem engeren Vaterlande
Stellungen als Lehrer der theologischen Wissenschaften ge-
funden, so dass die Wiener Tniversität gerade durch dieses
Stipendium als mächtige Förderin der Wissenschaften in den
Ländern der Monarchie bis zu deren entferntesten (irenzen er-
scheint. Der Zeit nach älter ist die Lackenbacher'sche
Prämienstiftung. Sie nuiss aber wegen ihrer geschichtlichen
Entwicklung, die in die neueste Zeit fällt, hier an zweiter Stelle
genannt werden. Es hatten laut Stiftbrief vom 21. März 1840
die Gebrüber Lackenbacher ein (Kapital von 9000 (Juldcn be-
stimmt, dessen Zinsen zu einer jährlichen Prämie von 450 tl.
Conv.-M. für die beste Übersetzung von ungefähr zwanzig \'er-
QA Theologische Facuhät.
sikeln aus dem hebräischen Grundtexte des Pentateuchs in das
Arabische dienen sollten. Im Falle der Nichtvergebung in einem
Jahre sollte für das nächste Jahr der doppelte, eventuell im
dritten Jahre der dreifache Betrag zur Auszahlung kommen.
Die weiteren Bedingungen übergehen wir. Die Prüfung kann
sowohl in Wien, als in Prag, als in Budapest (wohin die durch
das Los ausgewählten Versikel in versiegelten Couverts zu senden
sind) abgelegt werden. Nutzen hat die Wiener theologische
Facultät aus dieser Stiftung bis jetzt nicht gezogen, denn keiner
der Prämiierten hat an dieser Facultät eine Stellung erhalten.
Der wissenschaftliche Nutzen ist eigentlich an sich nicht so hoch
anzuschlagen, als die Urheber sich denselben dachten. Dass
wegen der ganz besonders schwierigen Arbeit, welche die
Lackenbacher'sche Prämienstiftung den Candidaten vorlegt, sich
nicht viele melden werden, war an sich klar, und dass das
Capital desselben bedeutend anwuchs, war eine Nothwendigkeit.
Daher wurde über Ermächtigung des k. k. Ministeriums für
Cultus und Unterricht vom 4. Januar 1896, Z. 3041 3 (be-
ziehungsweise vom 14. Januar 1897, Z. I2i36 auf Grund der
Allerhöchsten Entschliessung vom 20. December 1895) J^™
Stiftbriefe ein Anhang beigefügt, dessen Gesammtinhalt darauf
hinausgeht, dass die Erträgnis-Überschüsse dieser Stiftung (bei
völlig intactem Fortbestande der bisherigen Bestimmungen) zu
verwenden sind in erster Linie für ein ständiges Institut von
Preisfragen') und in zweiter Linie für die Stiftung von Reise-
stipendien. Infolge der Aufforderung, welche dieser Anhang
des Lackenbacher'schen Stiftbriefcs enthält, hat die Wiener
theologische Facultät im Einvernehmen mit den übrigen inter-
essierten theologischen F'acultäten in Prag und Budapest ein ge-
naues Statut für beide diese Einrichtungen ausgearbeitet, welches
von den hohen Behörden genehmigt wurde. Auf Grund dieses
') Durch dieses Institut war auf einen Krlass des Ministeriums vom 22. Mai 1872
zurückgegriffen, der es als wünschenswert bezeichnet, das Institut der Preisfragen an
den Universitäten Österreichs einzuführen. Diesem Erlasse gemäss hatte das Pro-
fessorencollegium in der Sitzung vom 21. Juni 1872 den Antrag gestellt, es möge das
Institut der Preisfragen zur Weckung und Förderung wissenschaftlichen Strcbens
unter den Theologen eingeführt werden.
Thcologiftche FacuItAt. 95
Statutes wurde die erste Preisfrage im Schuljahre 1897/98 aus-
geschrieben. — Da der aus den Überschüssen entstandene Neben-
fond die Vergebung eines Reisestipendiums als Unterstützung
einer wissenschaftlichen Forschung zuliess, wurde mit Ministe-
rialdecret vom i3. Januar 1898 dem damals in Beirut weilenden
Priester der Erzdiöcese Olmütz, Dr. Thcol. Alois Musil über sein
Ansuchen zur Förderung seiner Forschungsreise in dem südlich
vom Todten Meere gelegenen noch unbekannten Gebiete eine
Reisesubvention von 600 fl. auf Rechnung der Überschüsse aus
dem Lackenbacher'schen Stiftungsfonde verliehen. Die Ergeb-
nisse stehen noch aus, dürften aber schon deshalb interessant
sein, da Musil sich schon auf früheren Reisen in jenem Gebiete
als muthiger Forscher gezeigt hat: er hat mit P. Lagrange eine
Örtlichkeit entdeckt, über deren Lage man Jahrhunderte lang
nichts Sicheres wusste: Phunon, wahrscheinlich den Ort, wo die
eherne Schlange Mosis gegossen wurde, da auf dem ganzen
Zuge der Israeliten keine pasvsendere Localität gefunden werden
kann, wo man in Krz giessen konnte, wo aber noch in diocle-
tianischer Zeit christliche Verbannte in den Bergwerken arbeiten
mussten und einige den Martertod erlitten. Auch Basiliken haben
Lagrange und Musil in diesem Thalkessel gefunden.
Die Reiseunterstützung, welche dem Dr. A. Musil zuthcil
wurde, war eine ausserordentliche, indem nicht eine Bcwcrbc-
ausschreibung voraufgieng, auch jene Bedingungen nicht erst /u
stellen waren, welche das Statut für das Lackenbachcr'schc
Reisestipendium fordert: i. Ks muss im (Jesuchc die Zustim-
mung des Diöcesanbischofs oder des Ordensoberen bei;;cbraclit
sein, dass der Bewerber ein oder zwei Jahre ausser der Diöcesc
oder des Klosters Studien halber weilen dürfe; 2. Ks muss der
Nachweis erbracht sein, ob der Bewerber als Professor (Privat-
docent, Supplent) auf dem (Jehiete des Bibelstudiums thiitig ist,
eventuell ob der Bischof oder Ordensobere denselben seinerzeit
als Lehrer der Bibelfacher selbst zu verwenden beabsichtigt
oder doch geneigt ist, einer etwaigen Berufung desselben als IVo-
fessor dieser Kacher an eine theolouische l'acultat zuzustim-
men. Auch war dem Dr. A. Musil das Korschungsgebiet nicht
erst anzuweisen.
96
Thcol<^ischc Facultit.
Seminarien und Lehrmittelsammlungen. Noch stehen sie
der Facultät nicht zu Gebote, nur grundsätzlich sind die wissenschaft-
lichen Seminarien vom hohen Ministerium genehmigt, wenigstens
im Anstellungsdecrete des Prof. Dr. Ehrhard direct in Aussicht
gestellt. Damit würde die theologische Facultät einen mächtigen
Schritt vorwärts kommen, sich der philosophischen Facultät nähern
und als wissenschaftliche Anstalt hergestellt sein, wert der ersten
Universität von Österreich. Es liegt alles bereit: die Grundztige
der Einrichtung, die Staiutenent würfe, die Vorschläge zur Be-
schaffung eines vollständigen Lehrapparates für die biblischen
Fächer, die Liturgik und kirchliche Kunstgeschichte. Würde
das Jubeljahr unseres allgeliebten Monarchen die Errichtung
der Seminarien bringen, so wäre dies für unsere Facultät die
Krone aller Wohlthaten, die Seine kaiserliche Huld derselben
hat angedeihen lassen.
RECHTS- UND STAATSWISSENSCHAFTLICHE
FACULTÄT
Darf man den Urthcilen"der Zeitf^enosscn
glauben, so befanden sich die juridischen Studien
in Österreich in der ersten Hälfte dieses Jahr-
hunderts in einem Überaus kKijilichcn Zustande.
• Die Vernachlässigung der historischen
Wissenschaften und die völlige Lostrcnnung des
österreichischen Studienwesens von dem des
übrigen Deutschlands hat nirgends nachtheiliger
gewirkt als bei der Jurisprudenz- - sagt der
streng kirchlich gesinnte Verfasser der 1X53
auf amtliche Anregung von der Staatsdruckerei
anonym herausgegebenen 'Betrachtungen über
das l'ntcrrichtswesen, insbesondere über die
juridischen Studien in Österreich».
Aus entgegengesetzten politischen Lagern
kamen gleich scharfe Irtheile über die Leistungen des vurmiirz-
lichcn Systems:
«So lange (Österreich seinen rniversttäten einen strengen
Studienplan vorschrieb, in Schulweise den l-'leiss beaufsichtigte
und den Vortrag in beständigem Wechsel mit Kinzelprüfungen
regelte, lehrte man im ganzen Kenntnisse, nicht Wissen-
schaften ■, schreibt 1S51 der überzeugte Anhänger der Lehr-
und l.enifreiheit. (J. Möfken 1 ("ber das Studium der Uechts-
und Stnatswissenschaften 1. während ein ebenso überzeugter
Verächter eben dieser l.ehr- und Lernfreiheit, der die letztere
q8 Rechts- und staatswissenschaftliche Facultät.
bloss als «Schlagwörter» bezeichnet, mit denen «nichts gegeben,
sondern nur eine destructive Tendenz ausgedrückt» werde,
doch nicht umhin kann, zu erklären: «Die überaus nüchterne
Anschauung, die nur das für die grosse Menge der Staats-
beamten unerlässliche Mass positiver Kenntnisse im Auge behielt,
musste auf die Strebsamkeit der Jugend lähmend zurückwirken.»
(Anonyme Broschüre «Über die neueste Regelung der rechts-
und staatswissenschaftlichen Studien», Wien 1856.)
Freilich — die allgemeinen Universitätseinrichtungen theilte
die juridische Facultät mit allen übrigen Facultäten, so die
Studiendirectoren und Vicedirectoren, das Institut der Adjunctur,
als einer Pflanzstätte für die Professur, verbunden mit dem
Mangel an Privatdocenten. die beamtenmässige Amterbesetzung,
die Semestral- und Annualprüfungen, die staatlichen Prüfungs-
commissäre, welche nicht sowohl selbst Prüfer als vielmehr
Über wacher der prüfenden Professoren sein sollten, — aber
ganz abgesehen von all diesen, in der Folgezeit wenig freund-
lich beurtheilten Einrichtungen hatte speciell die juridische Lehr-
weise auch noch unter der Vernachlässigung der historischen
Grundlagen des Rechtsstudiums zu leiden, und indem der Staat
gerade diese Facultät vornehmlich für seine nächsten Zwecke
einzurichten bemüht war, trat hier der Mangel eines über die
praktischen Ziele hinausgehenden wissenschaftlichen Strebens
besonders grell hervor.
Nicht plötzlich ist diese Depression eingetreten, und es
wäre ungerecht, sie ausschliesslich auf die Herrschaft jener Reac-
tionszeit, die zwischen den Freiheitskämpfen und dem Jahre 1848
liegt, zurückzuführen. Im Gegentheile, man kann ihren Ursprung
bis in das vorige Jahrhundert hinein verfolgen.
Die von Maria Theresia 1753 gegebene Studieneinrichtung
verfolgte noch den doppelten Zweck, dass die juridische Facultät
♦ zu einer i^flanzschulc für den österreichischen Staatsdienst und
zu einer Quelle wissenschaftlicher Bildung werden sollte, welche
auch im Auslande grösseres Ansehen zu verschaffen geeignet ist».*)
M Wahlbcrg, Die Kcfnrni der Rechislehre an der Wiener Hochschule etc.
1805. In den i;esanimellen kleinen Schlitten 1S75, 2. liand.
Rechu- und ttaatswisnenschaftliche Facultit. gg
Aber schon gegen das Ende der theresianischen Zeit trat
die Maxime immer schroffer hervor, «dass die Wissenschaften
für die Zwecke des Staatsdienstes einzurichten und den jungen
Leuten an der Universität nur solche Kenntnisse beizubringen
seien, welche sie zum Besten des Staates brauchen können. . . .
Als unanfechtbares Dogma galt die Bestimmung, dass die Facul-
tätsstudien Staatsdiener, nicht Gelehrte heranzubilden haben».*)
Wahrend somit das eine Moment der theresianischen
Studiencinrichtung, nämlich die Fürsorge für die Geschäfts-
qualificierung in den Vordergrund trat, wurde die andere Auf-
gabe, wissenschaftlichen Glanz auch nach aussen zu verbreiten,
nicht nur vernachlässigt, sondern geradezu perhorresciert, ins-
besondere infolge der nunmehr auftretenden, auch von G. v.
Swieten propagierten Idee einer österreichischen National-
erziehung.')
Dieser letztere Gedanke wurde unterstützt durch zwei Mo-
mente: die politischen Ereignisse zu Anfang dieses Jahrhunderts
und die Codification des allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches.
Die politische Auseinandersetzung Österreichs mit dem
übrigen Deutschland führte zu einer an allen österreichischen
Facultäten fühlbaren Abschliessung vom deutschen Geistesleben ;
spcciell an der juridischen Facultät aber kam hinzu, dass hier
das grosse nationale Gesetzgebungswerk den Bruch wesentlich
erleichterte.
Eine kurze Vergleichung des theresianischen Studienplancs
von 1753 mit den Studienordnungen von 1804 und 1810 zeigt
deutlich die geänderte Tendenz.
Jener verlangte für die höheren Zweige des (^onceptfaches
und die höchste Stufe der Rechtsgelehrsamkeit ein fünf|ähriges
Studium. Dasselbe begann mit Hechtsgeschichte und Naturrecht,
dann sollten Institutionen gelehrt werden; hierauf im zweiten
Jahre: Pandekten, Codex mit Novellen, zum Schlüsse Jus
criminale; auch das dritte Jahr beschäftigte sich noch mit
Digesten, daneben Erblandsrechte: im vierten Jahre kam: cano-
nisches Recht, Völkerrecht, allgemeines Staatsrecht und zum
') Wahlbcrg, a. a. O.
fOO Rechu- und staatswisscnschanBche Facuhit.
Schiasse I.ehensrecht ; im fünften Jahre endlich: Jus canonicum^
Jus publicum particulare. Repetitorium der Reichsgeschichte.
Neben diesen < höheren > Rechtsstudien bestand die Einrich-
tung? minderer Studiengänge für untergeordnete öffentliche Dienste
und für minder wichtige Branchen des Staatsdienstes von zwei-,
beziehungsweise dreijähriger Dauer, welche sich ausschliesslich
mit Institutionen. Digesten und Erblandsrechten «der dreijährige
(>ursus auch mit Kirchenrecht» befassten.
Während also das Studium des römischen Rechtes nach
der theresianischen Einthcilung zwei Jahre des höheren Studiums
fast ganz ausfüllte und auch die minderen Studienclassen wesent-
lich beherrschte, wurde dasselbe schon in der Studienordnung
von 1804 auf den zweiten Jahrgang (allerdings mit zwei Stunden
täglich; verwiesen, um 18 10 gar auf das erste Semester dieses
Jahrganges eingeschränkt zu werden.
Desgleichen findet sich die Rechtsgeschichte, mit welcher
der theresianische Studienplan anhub, 1804 nicht mehr als ein-
leitendes Studium. Auch die im letzteren Studienplane für das
zweite Jahr angesetzte Heichsgeschichte wurde durch das Hof-
kanzleidecret vom g. .März 1809 gänzlich eliminiert, welches
erklärte, <Se. Majestät haben befohlen, dass das Studium des
deutschen Staatsrechtes und der Reichsgeschichte überall aufzu-
hören habe-, und im Studienplane von 18 10 ist von beiden
letztgenannten Fächern gleichfalls nicht mehr die Rede.
Einen um so breiteren Raum nahm seit 1804 Naturrecht ein,
welches das ganze Jahr hindurch gelehrt und die eigentliche
Grundlage des Kechtsstudiums wurde; denn als Vorbereitungs-
studien können weder deutschrechtliche Fächer, noch das «nun
abgekürzte l'ach des römischen Hechtes* (Studienhofcommis-
sions-Dccret vom 7. September 1810 gelten, welches hauptsäch-
lii h vom (lesichtspunkte seiner praktischen Brauchbarkeit in den
Lehrplan autgenoininen wurde. iX'gl. die unten S. 144 fol-
genije Darstellung diir Behandlung des römischen Rechtes.)
Dass auch dem Kirchenrechte nicht etwa die Bedeutung
eines vorbereitenden Studiums zukommen sollte, zeigte schon
dessen rnterbringuii^ im dritten Jahre des Studienplanes von
i8().t, noch deutlicher aber die dem Sludienplane von 18 10 bei-
Rechu- und staatswissenschaftliche Facuhit. lOI
gegebene Instruction der Studienhofcommission vom 7. September
dieses Jahres, welche für dieses Fach vorschreibt, dass «die allen-
falls dem vorigen Zeitalter angemessenen langen Controversen . . .
zu vermeiden . . ., dafür sowohl in dem öffentlichen, als in dem
Privatkirchenrechte die österreichischen Gesetze zu erörtern» seien.
Der positive Rechtsstoff, dessen die Juristen im praktischen
Leben bedürfen, wird im Studienplane stets einen breiten Raum
einnehmen; daher ist der Geist, welcher dem Rechtsstudium
einer bestimmten Epoche innewohnt, am leichtesten aus der
weit mehr in der Willkür der Verfasser des Studienplanes
gelegenen Einrichtung der vorbereitenden Rechtsstudien zu er-
kennen. Selten ist dieser Geist so deutlich zutage getreten wie
im Studienplane von 18 10. Sein Verfasser, Zeil 1er, der be-
kannte Mitschöpfer des allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches,
wurde durch eine etwas nüchterne Wertschätzung positiver Ge-
setzesstudien, verbunden mit der gewiss berechtigten 1 lochschätzung
seines Hauptwerkes, veranlasst, die mit dem übrigen Deutschland
gemeinschaftlichen Grundlagen des römischen, deutschen und
amonischen Rechtes bewusstermassen zurückzusetzen.
Zum grossen Theile lag dies wohl in der Natur der Sache,
und Pfaff- Hof mann glauben in ihrem (Kommentar (S. 37,
Anm. 193) annehmen zu dürfen, «dass der Lehr Vortrag über
das bürgerliche Gesetzbuch auch dann, und zwar auf Kosten
der Lehrvorträge über das römische Recht zu seiner vollen
Geltung gelangt wäre, wenn jene politischen Thatsachen des
Jahres 1806 (Auflösung des römisch-deutschen Reiches) nicht
eingetreten wären » .
Was die Regierung mit ihrem Studienplane bezweckte, hat
sie in unübertrefflicher (Charakteristik mit folgenden Worten des
bereits citierten Studienhofcommissions-Decretes vom 7. Sep-
tember 18 10 ausgesprochen: «Der Professor (sc. des philosophi-
schen Rechtes) wird den Schülern zuvcirderst die Absicht der
Regierung bei Einrichtung des juridisch-politischen Studiums bc-
merklich machen, nämlich: dass der öffentliche rntcrricht auf
alles, was in den deutschen Erbländern zur Besorgung der
Justiz oder politischen Geschäfte zu wissen nöthig ist, ausgedehnt,
aber auch darauf eingeschränkt werden solle.-
I02 Rechts- und staatswisseoschaftliche FacuhiL
In diesem Geiste wurde nun durch nahezu 40 Jahre ge-
lehrt und gelernt, so dass, wie der bereits citierte anonyme
Verfasser der Broschüre cüber die neueste Regelung der rechts-
und staatswissenschaftlichen Studien in Osterreich» bemerkt,
«wenn die Professoren in ihren Vorträgen den wissenschaft-
lichen Gehalt der wichtigsten Doctrinen tiefer zu erfassen suchten,
ihre Worte von den Studierenden als nicht zur Sache gehörig,
ihrer Aufgabe ferne liegend betrachtet, allenfalls für eine litera-
rische Unterhaltung angesehen wurden».
Allerdings wurde die Unhaltbarkeit dieser Zustände schon
vor dem Jahre 1848 anerkannt und nach langen, schon 1826
begonnenen Berathungen im Jahre 1847 ein Entwurf fertigge-
stellt, welcher über das Zcillersche Princip den Stab brach.*)
Derselbe wollte ein nach Berufen abzweigendes Rechts-
studium gestatten, schenkte dem römischen und deutschen
Hechte einige Beachtung und Hess den Hörern eine gewisse
Freiheit in der Ordnung und Aufeinanderfolge der Collegien;
auch ist er durch die beabsichtigte Heranziehung cöifentlicher
Docenten für Rcchtsgeschichte, vergleichende Jurisprudenz und
kritische Literaturgeschichte der Rechts- und Staats Wissenschaften»
bemerkenswert.
Aber dieser Entwurf ist niemals ins Leben getreten, und
so trafen die bereits im allgemeinen Theile geschilderten Ereig-
nisse des Jahres 1848 die juridischen Studieneinrichtungen in
jenem Zustande, der 1804 vorbereitet, 18 10 petrificiert worden
war — und warfen sie mit einem Schlage gänzlich über den
Haufen.
Eine der ersten -Errungenschaften» jener Zeit, der Ministe-
rialerlass vom 26. Mar/ 1848, Z. 120 bewilligte, «dass den
Hörern der juridisch-politischen Studien an der hiesigen Univer-
sität die Ablesung der Scniestral- und Annualprüfungen im
laufenden Studienjahre nicht zur unbcdinj^tcn Pflicht zu machen,
sondern in ihre freie Wahl zu stellen sei*, und damit war die
bisherige strcnf^e (icbundcnheit beseitif^t.
*) WiihlhcPf;, S. 4').
Rechte- und staatswissenschaftliche Facultit. lo3
Die grossen Umwälzungen, welche das Jahr 1848 im ge-
sammten Universitätsleben herbeiführte, wurden bereits im all-
gemeinen 1 heile dieses Werkes geschildert.
Es ist begreiflich, dass bei der juridischen Facultät, wo
eine straffe Gebundenheit geherrscht hatte, die Einführung der
Lehr- und Lernfreiheit — zumal dieses Princip durch «kein
organisches Gesetz geregelt» war*) — das plötzliche Fallenlassen
des bisherigen Prüfungszwanges und das Aufgeben eines in 's
Detail geordneten Studienplanes sich zunächst nach der negativen
Seite äussern mussten: als eine Zerstörung dessen, was bisher
den ganzen Bau zusammengehalten hatte.
Nicht mit Unrecht betonte daher der Minister Thun in
seinem a. u. Vortrage vom 3o. September 1849, dass «die
bisherigen Bestimmungen . . . grösstentheils völlig unanwendbar
geworden», und dass man «die Ungewissheit, welche . . . auf
Lehrer und Studierende zugleich unangenehm und nachtheilig
wirke», entfernen müsse. Er bezeichnete es daher als eine
seiner dringendsten Aufgaben, «der Verwirrung abzuhelfen, mit
welcher das höhere Unterrichtswesen durch die überstürzte, ohne
alle Vorbereitung geschehene Einführung eines von dem bisher be-
standenen Systeme ganz verschiedenen Principes bedroht war».')
«Aber nicht an diesen kleinen Unzukömmlichkeiten und
groben Vcrirrungen möge das grosse Jahr des Regierungs-
antrittes Seiner Majestät gemessen werden; nicht die unmittel-
baren Ereignisse, welche vorübergehend die äussere Ordnung
zerstörten, können zur Beurtheilung seiner grundlegenden Bedeu-
tung herangezogen werden.
Das Dauernde war hier, wie immer, das, was nicht so-
fort fertig war, st)ndern was die schwerste aller Aufgaben in
solcher Zeit löste: nicht den fertigen, abgemachten Fortschritt
selbst, sondern die grossen fundamentalen, aber dafür auch
dauernden Bedingungen desselben . . . herzustellen.»';
^^ A. u. Vortrag vom lo. August 1850.
^) A. u. Vortrag vom 22. Juli 1850, betreffend Jie Kintührung ilcr theoretischen
Staatsprüfungen.
"*) Stein, Lehrfreiheit. Wien 1.^75.
I04 .Rechts- und staatswissenschaftliche Facultät.
Übrigens wurde die nothwendige äussere Ordnung bereits
für das folgende Studienjahr (1849/50) wie für alle übrigen, so
auch für unsere Facultät durch die provisorische Studienord-
nung vom 18. October 1849 vorübergehend und durch die so-
genannte allgemeine Studienordnung vom i. October 1850
definitiv hergestellt.
Die erstere gab eine gesetzliche Definition des bisher vagen
und vieldeutigen Begriffes der Lernfreiheit mit den Worten:
«Die inmatriculierten Hörer geniessen die Lernfreiheit, d. i. die
Freiheit, die Fächer, welche, die Zeit, wann und die Lehrer,
bei welchen sie hören wollen, zu wählen.»
Den Rechtshörern wurde die Auswahl der CoUegien und
die Art, in welcher sie ihre Studienzeit ausnützen wollen, voll-
ständig freigestellt; der Erfolg sollte lediglich durch die Prüfungen
sichergestellt werden; diejenigen, welche sich den Doctors- oder
Staatsprüfungen unterziehen wollten , hatten ein vierjähriges
Studium nachzuweisen, mit der Erlaubnis, ein Jahr ganz an der
philosophischen Facultät, zwei Jahre im Auslande zuzubringen.
Für ein Semester sollte nach der Studienordnung von 1849
die Anmeldung und der Besuch zweier CoUegien genügen; die
Studienordnung von 1850 normierte diese Anordnung dadurch
etwas genauer, dass ein Minimum der wöchentlichen Stunden-
zahl (zehn Stunden) festgesetzt wurde, «durch welche einem
naheliegenden Missbrauche der Lernfreiheit wenigstens einiger-
massen vorgebeugt werde».')
Allerdings bemerkte die Studienordnung von 1849 im
völligen Widerspruche zu ihren sonstigen Bestimmungen: «Die
Studierenden haben, bis die definitive Regulierung der Prüfungen
für das Doctorat und der Staatsprüfungen kundgemacht sein
wird, anzunehmen, dass das Studium derjenigen Lehrgegen-
stände, welche bisher die Obligatlchrfächer eines jeden Facultäts-
studiums gebildet haben, zum Bestehen der Staatsprüfungen und
der strengen Prüfungen erforderlich sein werde» (S. 8).
Iliedurch waren den Prüfungscandidaten provisorisch die
alten Obligatfächcr der vormärzlichen Studienordnung wenigstens
*) A. u. Vortrag vom i<». August 185« ».
Rechu- und staatswissenschaftliche FacultAt. 105
anempfohlen worden, da "sie sich darauf gefasst machen mussten,
diesen Obligatfächern in der künftigen Prüfungsordnung zu be-
gegnen.
Allein auch diese Einschränkung schwand bald, denn die
Studienordnung von 1850 kennt gar keine ZwangscoUegien
mehr: «Es werden nicht bestimmte Gegenstände für Zwangs-
coUegien vorgezeichnet, weil eine solche Anordnung, auf alle
(Gegenstände, deren Studium wünschenswert ist, ausgedehnt, die
Freiheit der wissenschaftlichen Laufbahn vernichten würde, —
wenn aber nur einige Collegien zu ZwangscoUegien erhoben
würden, der Besuch aller übrigen . . . darunter leiden und
dadurch der wesentlichste Vortheil, den das System der Lehr-
und Lernfreiheit zu gewähren geeignet ist, in vielen Fällen be-
einträchtigt würde.»')
In eine specielle Regelung des rechts- und staatswissen-
schaftlichen Facultätsstudiums haben sich somit diese Studien-
ordnungen überhaupt nicht eingelassen. Eine solche erfolgte nur
mittelbar durch den Erlass über die theoretischen Staatsprüfungen
vom 3o. Juli 1850, welcher, indem er die Voraussetzungen für
die Zulassung zu diesen Prüfungen und die Anforderungen der-
selben bestimmt, indirect auf den Studiengang der meisten
Rechtshörer Einfluss zu nehmen geeignet war, zumal ja der
überwiegende Theil der Juristen mit seinen Studien praktische
Lebenszwecke erstrebt.
In dieser Prüfungsordnung gelangt eine Reihe grosser
Principien zum gesetzlichen Ausdrucke, die bis auf den heutigen
Tag massgebend und als dauernde \'erdienste der Thun'schcn
Ära für das Rechtsstudium in Österreich anzusehen sind.
\'()r allem ist es das Staatsprüfungssystem als solches,
welches an Stelle der alten Schulprüfungen tritt und durch seine
blosse Existenz mit der schulmässigen Lehr- und Lernweise
defmitiv bricht. Der Minister charakterisiert seine Tendenz im
a. u. Vortrag vom 22. Juli 1850 mit folgenden Worten:
«Die an österreichischen l'niversitäten bestandenen Semcstral-
und Annualprüfungen hatten, abgesehen von der nachtheiligen
*) A. u. Vortrag vom 22. Juli 1^5*».
Io6 Rechts- und staauwisseoschaftUche FacoläL
Wirkung des beengenden Zwanges, durch welchen sie die
Studierenden ohne Ausnahme hinderten, in ihrer Wissenschaft-
liehen Ausbildung diejenige Bahn zu verfolgen, die ihren indivi-
duellen Anlagen und Bestrebungen am besten entsprochen haben
würde, den wesentlichen Mangel, dass sie immer nur Belege
eines in den verschiedenen Prüfungsstadien erprobten, successiv
angeeigneten Erlemens der einzelnen Lehrfächer gewährten.
Wieviel hievon der Studierende am Schlüsse seiner Studien-
laufbahn noch behalten, wieviel davon er schon wieder der
Vergessenheit überliefert hatte, das waren sie nachzuweisen
nicht geeignet, ja sie verleiteten geradezu den Studierenden,
immer nur einen einzelnen Gegenstand des Unterrichts für die
Prüfung zu studieren, und nachdem dieser überstanden war, ihn
nicht mehr zu beachten.»
* Durch die nun vor dem Eintritt in den öffentlichen Dienst
abzulegende Staatsprüfung soll dagegen mehr das Gesammt-
ergebnis der in gewissen Hauptgruppen der Rechts- und Staats-
wisscnschaft erworbenen Bildung erprobt werden. Es wird
dadurch ein sicherer Masstab für die Befähigung des zu Prü-
fenden erlangt und zugleich der Vortheil erreicht werden, dass
die Studierenden sich angeregt fühlen, den inneren Zusammen-
hang der Wissenschaften, welche das Gebiet ihrer Berufsstudien
bilden, zu erfassen, und das Erlernte mit gehöriger Selbstthätig-
keit sich wahrhaft anzueignen, ohne gleichwohl die Freiheit
ihrer Thatigkeit wahrend der Studienzeit durch die engen
Schranken einförmiger Hegeln gelähmt zu sehen.»
Vor zwei Extremen wollte der Minister dieses System der
Staatsprüfungen gesichert wissen: sie sollten weder reine Studien-
prüfungen, noch praktische Berufsprüfungen sein.
I'm den (^hnrakter dieser Prüfungen als Staatsprüfungen
zu wiihren. um ihre Ausartung in reine Studienprüfungen
zu verhindern.* sollten die C.ommissionen nicht bloss aus Uni-
ver.sitatspn)fessr)ren bestehen, sondern auch ausgezeichnete Prak-
tiker und l'achgelehrte beigezogen werden.'}
') iKiss «licsL- Tr.uliiioii noch Kin^c fortwirkte, zci^t die interessante Bemerkung
Leina\ei \ in '.cincin Heuthte iil-er tiic \eiwaltung der österreichischen Hochschulen
Rechts- und sutts wissenschaftliche Facultlt 107
Andererseits werden die Prüfungen ausdrücklich als «theo-
retische, im Gegensatz zu den praktischen Staatsprüfungen, die
bei einer Behörde vorgenommen werden (§. 2)>, bezeichnet.
Es soll also die Universität keineswegs schon abgerichtete
Praktiker für den Staatsdienst liefern, vielmehr das im Gegen-
sätze zur theoretischen Schulung für den Beruf nöthige, rein
positive Wissen einer späteren Aneignung vorbehalten werden.
Gleichzeitig wird mit grosser Entschiedenheit gegen den
Gedanken einer etwaigen Bifurcation des Rechtsstudiums im
Hinblicke auf die künftige Berufswahl Stellung genommen und
damit die Einheit der rechts- und Staats wissenschaftlichen Facultät
gewahrt:
«Der Gedanke lag zwar nahe, schon für den Eintritt zur
Praxis je nach den verschiedenen Dienstzweigen auch ver-
schiedene Anforderungen an die Candidaten zu stellen und
daher mehrere Arten der theoretischen Staatsprüfung, je nach
den verschiedenen Richtungen der staatsdienstlichen I.aul'bahn,
einzurichten. Dennoch schien es sowohl aus Rücksichten für
den Staatsdienst selbst, als für den Studierenden und endlich
wegen der Rückwirkung der theoretischen Staatsprüfung auf
das Studienleben zweckmässiger, jene Scheidung nicht hier,
sondern vielmehr nur bei den praktischen Prüfungen eintreten
zu lassen. Die verschiedenen Sphären des ötfentlichen Dienstes
berühren sich vielseitig. Kein österreichischer Beamter kann
seinem Berufe vollkommen genügen, wenn er nicht einen Über-
blick über das Gesammtgebiet der österreichischen positiven
(lesetzgebung genommen und darüber wenigstens einmal
Rechenschaft abgelegt hat. So selten ein österreichischer Richter
in die Lage kommen mag, von seinen erworbenen Kenntnissen
über die österreichische Finanz- und N'erwaltungsgesetzkunde
' einen unmittelbaren (iebrauch zu machen, so ziemt es sich doch
von 1S6S — 1877. S. 202: «In den letzteren Jahren hat das Ministerium bei K^ncnnun^
der Vorstände der PrUfungscommission den Grundsalz vorwalten lassen, in tÜeses
Präsidium womöglich nicht Professoren eines der Prüfungstacher zu berufon: inslnr-
sondere dort nicht, wo eine solche Krnennung dem betretFenden Professor ein nicht
zu rechtfertigendes Obergewicht Über einen anderen Professor desselben l'aches
verleihen würde.»
I08 Rechts- und staatswissenschaftliche Facultät.
ebenso wenig, dass ihm diese Gebiete der vaterländischen Ge-
setzgebung ein unbekanntes Land seien, als dass dem Verwal-
tungs- oder Finanzbeamten die Grundsätze des österreichischen
(Zivilrechtes, des Processes, des Strafrechtes u. s. w. ganz un-
bekannt bleiben. Der bei weitem grössere Theil der Rechts-
hörer verfolgt in seinen Studien eine praktische Richtung. Die
Art der Einrichtung der Staatsprüfung wirkt notwendig auf die
Wahl der Vorlesungen ein. Würden nun in derselben an die
Candidaten der verschiedenen Dienstzweige wesentlich verschie-
dene Anforderungen gestellt, so dürften sie sich in ihrer Univer-
sitätszeit lediglich auf die denselben entsprechenden wenigen
Lehrfächer beschränken. Ihre ganze Vorbildung für den Staats-
dienst würde somit einseitiger werden und den Anforderungen
desselben noch weniger als bisher entsprechen.»*)
In diesen grossen Principien liegt der dauernde Wert der
Prüfungsordnung.
Weit weniger Befriedigung dürfte, zumal nach unserer
heutigen Auffassung, die Auswahl der Prüfungsgegenstände er-
regen (vgl. die Tabelle Seite 137), denn diese entspricht noch so
ziemlich dem vormärzlichen Lehrsysteme: die Rechtsphilosophie
steht im Vordergrunde der allgemeinen Prüfungsabtheilung; das
Kirchenrecht erscheint, ganz im Geiste der Studienordnung von
18 10, unter den staatsrechtlich-administrativen Fächern; vom
deutschen und römischen Rechte findet sich keine Spur! Das
letztere ist demnach noch schlechter bedacht als im Vormärz,
wo es doch wenigstens durch ein Semester gehört und für die
Semcstralprüfung studiert werden musste.*)
') Interessant ist, Jass die — übrigens schon bei den früheren Schiilprüfungen
vorhandene - OtTentlichkeit nicht sowohl als eine Controle der Unparteilichkeit,
sondern im (leiste des constiiutionellen Lebens und zu dem fkhufc eingeführt» '
wurde, «dem crtliessenden l rtheile tue in der ötfentlichkeii wurzelnde Autorität
zu geben».
^) l^opp^*^^ erfreulich muss dem gegenüber die von dem Autor «der neuesten
Regelung.* etc. (vgl. S. cjS) beliauptetc Thatsache berühren, dass infolge der blossen
Gestaltung einer freieren Bewegung . . . das curpits juris aus allen Laden der Anti-
quare, bei denen es durch Jahrzehnte unter Staub begraben gewesen war, verschwand,
um von Mand zu Mand zu gehen, dass die Werke der grossen deutschen Kcchtslehrer,
Rechts- und staatswissenschaftliche FtcultAt.« IO9
An einem inneren Widerspruche leidet die Prüfungsord-
nung insofern, als sie (in g. 3) die Prüfungen in eine allgemeine
und zwei besondere Abtheilungen sondert, was, wie man meinen
sollte, den Sinn hat, dass zuerst die allgemeine und erst auf
dieser (Grundlage eine der speciellen Prüfungen vorgenommen
werde, so dass dementsprechend auch das Studium zuerst ein
allgemeines Kinführungs- und Vorbereitungsstudium, und dann ein
specielles sein werde. — Allein ganz im Gegensatze hiezu stellte
g. 4 es in die freie Wahl der Studierenden, welcher von den
drei Prüfungen sie sich zuerst unterziehen wollen.
Ks bestand somit für den Hörer keine Pflicht, den Besuch jener
Fächer auszuweisen, aus denen er sich einer Prüfung unterziehen
wollte; er musste nur überhaupt während seines Quadrienniums
vierzehn juridische Collegien (jedes vierstündig) und je zwei
philosophische und historische Collegien (jedes dreistündig) hören,
und es konnte der Fall eintreten, dass sein Prüfungsgang sich
in diametralem Gegensatze zu seinem durch den Vorlesungs-
besuch nominell ausgewiesenen Studiengange befand.
Der a. u. Vortrag motiviert diese Bestimmung des ^. 4 mit
folgenden Worten:
«Kine gesetzliche Anordnung, welche die eine oder die an-
dere Abtheilung als die zuerst abzulegende bestimmte, würde
den grösseren Theil der Studierenden mittelbar nöthigen, bei der
Wahl der Vorlesungen die dieser Abtheilung entsprechenden
Ix*hrfacher zuerst zu hören. Dies würde zu einer wesent-
lichen und sehr nachtheiligen Beeinträchtigung der Lernfreiheit
führen.»
(iegen diese Argumentation Hesse sich zweierlei einwenden:
einmal, dass eine «mittelbare Nöthigung> zum Besuche bestimmter
(Kollegien durch das Vorhandensein von Prüfungen immer ge-
geben ist, gleichgiltig in welcher Reihenfolge diese Prüfungen
stattlinden; und zum zweiten, dass, logisch betrachtet, die Lern-
freiheit auch mit einer vorgeschriebenen Reihenfolge der Prüfungen
nicht unvereinbar ist.
die der studierenden Jugend fast unbekannt gewesen waren, eine gebuchte Ware
wurden. .
I lO Rechts- und staatswissenschaftliche Facultät.
Hier aber wurde das Princip der Lemfreiheit weit über seine
natürlichen Consequenzen hinaus verfolgt und diesen Conse-
quenzen zuliebe darauf verzichtet, eine gesetzliche Reihenfolge
der Prüfungen zu fixieren, an welche ein geordnetes Studien-
system sich hatte anschliessen können.
So haben wir denn als das nächste Ergebnis der Um-
wälzungen des Jahres 1848 und der Reformen der beiden fol-
genden Jahre zwar eine von grossen Gesichtspunkten ausgehende,
in ihren Principien noch heute mustergiltige Prüfungsordnung,
aber durchaus keinen organischen Aufbau des juridischen Stu-
dienwesens zu verzeichnen.
Einen organischen Aufbau des Rechtsstudiums schuf erst
der Ministerialerlass vom 2. October 1855 «über die Regelung
der rechts- und Staats wissenschaftlichen Studien».
Dieser Erlass hat mit der bisherigen Lernfreiheit ganz ent-
schieden gebrochen und in ziemlich umfassender Weise Obligat-
coUegien eingeführt, welche der Studierende zu hören hatte;
zugleich wurde die Reihenfolge des Besuches derselben Jahr-
gangs-, ja semesterweise vorgeschrieben.
Der Bruch mit dem noch 1850 so hochgehaltenen Systeme
der Lernfreiheit erfolgte 1855 nicht ganz unvermittelt; schon
im Erlasse vom 5. Juli 1851 sah sich das Ministerium veran-
lasst, zu erklären: «das Recht der Lernfreiheit kann nicht als
ein Recht zum absolut Unvernünftigen aufgefasst werden», und
wenngleich es sich damals noch gegen «eine zu weit gehende
Bevormundung» sträubte, welche «zuletzt zu dem Aufdringen
eines Studienplanes führen, somit das Wesen der Lernfreiheit
zerstören» würde, so erkannte es doch schon «schreienden Miss-
bräuchen der Studierenden» gegenüber den akademischen Be-
hörden das Recht zu, die Inscription in einzelne Collegien zu
verweigern.
Das Ministerium suchte schon damals durch eine einschrän-
kende Auslegung seiner früheren Erlässe in diesen selbst die
I landhabe zu einer Durchbrechung des Systems der Lernfreiheit
zu linden:
«Der §. 44 Mer allgemeinen Studienordnung) stellt es zwar
den Studierenden frei, zu wählen, welche Vorlesungen und bei
Recbu- und staatowissenschaftliche FtculUt. III
welchem Lehrer sie dieselben hören wollen. Allein der ebenda
vorkommende Ausdruck: «im allgemeinen» deutet schon darauf
hin, dass dieses Recht kein unbeschränktes sei. Diese Beschran-
kungen liegen ebensowohl in positiven Verfügungen, z. B. in den
Bestimmungen über die theoretischen Staatsprüfungen, als auch
in einer natürlichen Stufenfolge der wissenschaftlichen Disci-
plinen» (Ministerialerlass vom 5. JulF 1851) — eine Auslegung der
Staatsprüfungsordnung von 1850, die allerdings mit den früher
citierten a. u. Vorträgen schwer in Einklang zu bringen ist.
Überhaupt scheinen die Erfahrungen, welche speciell an der
rechts- und staatswissenschaftlichen Facultät mit der absoluten
Lernfreiheit gemacht wurden, nicht besonders günstig gewesen
zu sein, und zwar nicht etwa in der Richtung, dass die Rechts-
hörer aus allzu idealem Wissensdrange fernabliegende Wissens-
gebiete studiert hätten, sondern umgekehrt: «dieselben sahen das
Fachstudium einzig als Mittel zum künftigen Broterwerbe an
und beachteten nur wenig den eigentlichen Zweck des l'niversi-
tätsstudiums, d. i. die wissenschaftliche Bildung».')
In dem vorerwähnten Erlasse constatiert das Ministerium ins-
besondere, «dass die Collegien von den Rechtshörern nicht mit
dem Fleisse besucht werden, welcher in wissenschaftlicher und
auch in disciplinärer Hinsicht zu wünschen ist».
Die neue Studienordnung suchte daher einer doppelten Auf-
gabe gerecht zu werden, einerseits dem Fachstudium eine geord-
nete Bahn vorzuschreiben, andererseits den (ieist der Wissen-
schaftlichkeit in diesem selbst zu pflegen und die Aneignung all-
gemeiner höherer Bildung zu befördern.
Es kann dieser Studienordnung das Zeugnis nicht versagt
werden, dass sie beiden Aufgaben in hohem .Masse gerecht
wurde. Anknüpfend an die besten Traditionen der Studienein-
theilung von 1753 hat sie die Rechtsstudien auf eine wissen-
schaftliche Basis gestellt') und, obwohl sie das Princip der Lern-
freiheit einem geordneten Studienplane zum Opfer bringen musste,
*» liankicwicz, rnivcrsilätsgesctzc, S. 4^.
^) ^ßl* Wahlhcrg. a. a. O.. S. ^7.
112 Rechts- und staatswissenschaftliche Facultät.
dennoch so viel als möglich die Freiheit in der Auswahl der
Lehrgegenstände zu wahren versucht.
Wenn auch, ebenso wie in der Studienordnung von 1810,
ein Studien plan normiert wurde, so ist es doch ein wesentlich
anderer. Die so sehr vernachlässigten Fächer des römischen
und des deutschen Rechtes treten wieder in den Vordergrund;
ja sie füllen die beiden ersten Studienjahre fast völlig aus;
römisches, deutsches und canonisches Recht sollen die Vorbildung
abgeben für alle weiteren Studien. Sie dienen als rechtshisto-
rische Vorbereitungsfächer auch methodisch einem anderen
Zwecke als früher, wo sie ihres positiven Werthes halber gelehrt
wurden.
Schon die Verordnung vom i3. September des voraus-
gegangenen Jahres, vermöge welcher die Rechtsphilosophie als
theoretischer Staatsprüfungsgegenstand entfiel, hatte die Richtung
angedeutet, in welcher die neue Ordnung sich bewegen sollte.
Das naturrechtliche System hatte einst das österreichische
Kechtsstudium beherrscht, nach dem im Studienhofcommissions-
decrete vom 7. September 18 10 ausgesprochenen Satze, <dass
das Philosophische dem Positiven, das Allgemeine dem Beson-
deren, die l'heoric der Praxis vorausgehen müsse»; dasselbe hatte
dazu mithelfen müssen, die Abschliessung von den an deutschen
Universitäten gelehrten Rechtsstoffen möglichst vollständig zu
machen; und nun wurde es bewusstermassen in den Hintergrund
gedrängt, einerseits um den unterbrochenen Anschluss an deut-
sches Hochschulwesen wieder zu ermöglichen, andererseits in
der didaktischen Krwägung, dass erst concrete Rechte gelehrt
werden müssen, bevor eine Philosophie des Rechtes von
Nutzen sei.
Ja es wird in etwas radicaler Weise ihr absoluter Wert
für das Rechtsstudium überhaupt in Frage gestellt: «Jede gründ-
liche Behandlung der Hechtsphilosophie wird übrigens in der
Kegel nur solchen Studierenden fruchtbringend sein, welche
philosophische Studien im allgemeinen mit einiger Vorliebe be-
trieben haben. Diejenigen, welchen es hiezu an Neigung mangelt,
werden statt der Hechtsphilosophie das Collegium über Ency-
klopädie hören können. >
Rechu- und Staats wissenschaftliche FacuItAL I 1 3
So haben zweimal im Laufe dieses Jahrhunderts zwei ganz
verschiedene Momente: politische und didaktische Erwägungen
zusammengewirkt, um einmal die Rechtsphilosophie, das andere-
mal die rechtshistorischen Fächer in den Vordergrund zu rücken.
Indem die beiden ersten Jahre dem Vorbereitungsstudium
gewidmet wurden, konnten römisches, deutsches und canonisches
Recht bequem mit einer grösseren Stundenzahl bedacht und
ausserdem noch Raum für allgemeine bildende (historische und
philosophische) CoUegien gewonnen werden.
Umso grössere Schwierigkeiten ergaben sich für das zweite
Biennium, in welches der gesammte ungleich umfangreichere
Stoff des österreichischen positiven Rechtes und der Staatswissen-
schaften zusammengepresst werden musste.
Über diese Schwierigkeit ist auch diese Studienordnung
nicht hinweggekommen: das Vorbereitungsstudium, die Staats-
wissenschaften und die judiciellen Fächer ergeben eine natürliche
Dreitheilung, welcher die Zweitheilung der Studien in zwei
Biennien unmöglich gerecht werden kann.
Man versuchte es mit verschiedenen Auskunftsmitteln.
Zunächst fiel eine Einrichtung der Prüfungsordnung von
1850 zum Opfer, wonach der Studierende, «wenn er in den vor-
ausgegangenen sieben Semestern den Anforderungen genüge-
geleistet hat, das achte Semester zum Selbststudium bestimmen
kann». Damals hatte der Minister diese Freigebung eines Se-
mesters mit folgenden Erwägungen motiviert:
«Es wäre aber auch ganz unfruchtbar, ihm den Zwang
eines (^ollegiumbesuches während eines Zeitraumes aufzulegen,
in welchem die Richtung seiner (iedanken und seines Siudiums
auf die Staatsprüfung und in ihr auf einen Wendepunkt seines
ganzen künftigen Lebens zielt.»
Nun wurde diese Einrichtung kurzweg fallen gelassen; auch
wurde empfohlen, den Donnerstag als Ferialtag aufzugeben.
Andere Mittel, um Raum zu gewinnen, waren eine Ein-
schränkung des österreichischen bürgerlichen Rechtes und des
Handels- und Wechselrechtes, die seit 1810 (zusammen mit
Lehenrecht; 3o Stunden umfasst hatten und nun auf 10-20
reduciert wurden. Die vorher erworbene gründliche Kenntnis
Gckcliiclitc Jlcr NVieoer Uoivemut. 9
I I i| Rechts- und staatswissenschaftliche Facultät.
des römischen und deutschen Rechtes mochte hiefür eine Er-
klärung bilden.
Bedenklicher war schon, dass die Zusammendrängung der
judiciellen und staatswissenschaftlichen Lehrfächer in das zweite
Biennium hauptsächlich auf Kosten der letzteren erfolgte, indem
Staatsrecht unter den Obligatfächern gänzlich fehlte. Verwaltungs-
recht dortselbst keine ausdrückliche Erwähnung fand, und «die
politische und Finanzgesetzkunde nicht unter den Gegenständen
erschien, welche die Studierenden zu hören verpflichtet waren».')
Natürlich konnte auch bei der nunmehr detailliert vorge-
schriebenen Zahl und Reihenfolge der Obligatcollegien von einer
allgemeinen Gestattung, zwei Semester an der philosophischen
Facultät zuzubringen, «keine Rede sein» (Ministerialerlass vom
28. April 1865).^)
Auch der Besuch auswärtiger Universitäten, obwohl er im
Principe nach wie vor gestattet war, erfuhr eine factische Ein-
schränkung, da derselbe kaum anders als im ersten Biennium
ohne Gefährdung des Obligatstudiums durchgeführt werden
konnte.
Es entbehrt nicht einer gewissen Tragik, dass gerade Thun,
der mit so entschiedenen Worten noch kurz vorher für die
Lernfreiheit eingetreten war, diese für unsere Facultät fallen
lassen musste.
In seinem a. u. Vortrage vom 3o. September 1849 hatte er
jedes Compromiss zwischen Lernfreiheit und Lernzwang zurück-
gewiesen, «überzeugt, dass eine ungehörige Mischung beider
Systeme nicht die Vortheile beider, wohl aber die mit beiden
verknüpften Übel herbeizuführen geeignet sei», und gerade
seine juridische Studienordnung trägt den Stempel einer ins
Detail durchgeführten und wohldurchdachten «Mischung beider
Systeme*.
^) Allerdings bestand das Ministerium in einem späteren Krlasse (vom
7. Februar 1856) nachdrücklich darauf, dass politische und Finanzgesetzkundc,
welche von verschiedenen Nominalprofessoren dieser Fächer ganz fallen gelassen
wurden, überhaupt gelesen werden.
^) Diese Massregel wurde allerdings später durch die Ministerialverordnung
vom I. Juni 1880 wesentlich gemildert.
Rechu- und staatswissenschaftliche Facultit. I I C
Der Kechtshörcr wurde gezwungen, während des Quadrien-
niums 144 Wochenstunden zu hören (in jedem Semester je 20, nur
im vierten und achten Semester je 12), und von diesen waren
120 — i3o mit den * vom Gesetze so gering als möglich bemessenen»
Obligatcollegicn ausgefüllt, wahrend die Freiheit in der Verwen-
dung der übrigen Stunden den Hörern «einen Impuls geben
sollte, noch andere ihrer Bildung dienliche Vorträge zu besuchen».
Dementsprechend wurden die an der Kacultät zu lesenden
(Kollegien unterschieden in solche, welche jeder Kechtshörcr, um
zu Staatsprüfungen und Rigorosen zugelassen zu werden, hören
musste, und in solche, für deren Abhaltung die Kacultät in
angemessenen Zeiträumen» Vorsorge zu trelfcn hatte. Überdies
hatte der Jurist an der philosophischen Facultät ein (>)llegium
über praktische Philosophie, eines über österreichische Geschichte
und ein weiteres geschichtliches Collegium zu belegen.
Die Lernfreiheit reducierte sich demnach auf die Wahl
zwischen verschiedenen Docenten desselben Gegenstandes (falls
solche vorhanden warenj, auf die Auswahl der nicht obligaten
C-ollegien und auf das Recht, noch weitere Fächer zu hören
— obwohl auch diese Auswahl unter die Aufsicht der Decane
und der betreffenden Docenten gestellt wurde.
Der Übergang von der durch sechs Jahre gewährten Lern-
freiheit zu der nunmehrigen Gebundenheit scheint sich keines-
wegs leicht vollzogen zu haben, wenigstens wird in ausführ-
lichen späteren .Ministerialcrlässen darüber geklagt, dass Ab-
weichungen von dem Studienplane mehrfach von Studierenden
beliebt und von Docenten und Facultäten geduldet werden.
Die Studienordnung von 1855 hatte die Reihenfolge der
Fächer mehr als eine Norm hingestellt, die in der Regel» ein-
zuhalten sei (Punkt 4); einmal in die Bahn des gebundenen
Studienganges gerathen, haben die späteren Frlässe diese Norm
viel strenger aufgefasst und nicht nur den Studierenden, sondern
bald auch den akademischen Behörden das Recht abgesprochen,
von derselben abzuweichen, vielmehr die fallweise Kntscheidung
auch in untergeordneten Fragen dem Ministerium vorbehalten.
Die neue Studienordnung war zugleich eine Staatsprüfungs-
ordnung; überdies stellte sie lür die Rigorosen neue Principien
9»
I I 6 Rechts- und staatswissenschaftliche Facultät.
auf, wobei insbesondere entsprechend der neuen Gruppierung
der Studienfächer die Dreitheilung der Doctoratsprüfungen in
Aussicht genommen wurde.
Zur Ausführung der auf die Rigorosen bezüglichen Grund-
sätze kam es aber bis zum Jahre 1872 überhaupt nicht. Da-
gegen wurden die in der Studienordnung von 1855 getroffenen
Bestimmungen über die Staatsprüfungen alsbald durch eingehende
Durchführungsverordnungen (insbesondere jene vom 16. April
1856) zur Geltung gebracht.
War einmal das System der Lernfreiheit aufgegeben, so
bestand nun auch in den Augen des Unterrichtsministers kein
Hindernis mehr, eine systematische Reihenfolge der Prüfungen
festzustellen. Die Dreizahl der theoretischen Staatsprüfungen blieb
zwar bestehen; aber die Gruppierung der Prüfungsfächer, die sich
strenge an den neuen Studienplan anschloss, wurde eine weit
systematischere, als dies früher der Fall war (vgl. die Übersichts-
tabellen Seite 137). An Stelle der früheren «allgemeinen» trat, ent-
sprechend dem nunmehr rechtshistorisch fundamentierten Bil-
dungsgange der Juristen, die rechtshistorische Prüfung, welche
schon nach vier Semestern, also während der Studienzeit abzu-
legen war, und die eine besondere Bedeutung dadurch gewann,
dass nur, wenn sie mit Erfolg abgelegt war, die weiteren Se-
mester in die Studienzeit eingerechnet werden konnten, sowie
dass sie für die Candidaten des Doctorates obligat gemacht
wurde. Dadurch wurde sie zu einer Zwischenprüfung, die «als
der legale Beweis der erlangten hinreichenden Fundamental-
bildung dienen» sollte (Ministcrialerlass vom 15. April 1857); sie
war darnach angethan, den Studierenden vor der nutzlosen
Vergeudung der ersten IJniversitatsjahre zu bewahren, und wurde
um dieser Kigenschaften willen von deutschen Rechtslehrern
wiederholt als mustergiltig gepriesen.
An sie reihte sich als zweite die judicielle Prüfung an, die
frühestens in den letzten sechs Wochen des achten Semesters
abgelegt werden konnte, während die Zulassung zur dritten,
der slaatswissenschaftlichcn Prüfung erst nach vollständig zurück-
gelegtem Quadriennium erfolgen durfte.
Rechts- und staatswiMcnschaftliche Facultäu I I 7
Wegen ihrer stofflichen Fülle bot zwar die judicielle Staats-
prüfung dem Candidaten die grösste Schwierigkeit, aber man
durfte hoffen, dass das gründliche rechtshistorische Vorbereitungs-
studium die Bewältigung gerade dieses Stoffes wesentlich er-
leichtern werde.
Vielfach beklagt wurde, dass sie schon während des achten
Semesters abgelegt werden konnte, weil hiedurch der Student
verleitet wurde, sich jene Freiheit vom Collegienbesuche während
dieses Semesters, die ihm 1850 vorübergehend zugestanden
worden war, auch jetzt noch selbst zu gewähren.
Die zu geringe Berücksichtigung der staatswissenschaftlichen
Fächer, die bereits früher betont wurde, kam durch diese Me-
chanik des Staatsprüfungswesens in besonders nachtheiliger Weise
zum Ausdruck. Es war naturgemäss, dass sich der Studierende
nach der rechtshistorischen Staatsprüfung den zunächst ver-
wandten judicicllen Fächern ernstlich zuwandte, denn für diese
P'ächer diente ja das erste Bicnnium vornehmlich als Propädeutik,
und aus ihnen wurde er zunächst geprüft. Aus diesem Grunde
war kaum zu erwarten, dass er sich gleichzeitig mit den F'ächern
der staatswissenschaftlichen Gruppe befassen werde.
Demgemäss waren die Studierenden geneigt, die Vorlesun-
gen über diese Fächer weniger zu frequentieren und sich für
die betreffende Prüfung erst nach Ablauf ihres Quadrienniums
vorzubereiten.
Da überdies der Mangel an vollständig qualificierten (>andi-
daten die Regierung zeitweise zwang uind neuestens wiederum
zwingt), absolvierte Juristen, welche nur die rechtshistorische
und judicielle Prüfung abgelegt hatten, zur Praxis zuzulassen,
so mochte das Studium der Staatswissenschaften leicht den
(-harakter des reinen Privatstudiums annehmen, welches sich
nachträglich ausserhalb der L'niversitätszeit an die Kechtsstudicn
anschliesst.
T rotz dieser Mängel, welche die Trsache fortgesetzter Ke-
formbestrebungen in der Folgezeit bildeten, muss die Thunsche
Regelung der rechts- und staatswissenschaftlichen Studien als
ein mustergiltiges Werk anerkannt werden, welches das früher
hinter Deutschland so weit zurückgebliebene österreichische Rechts-
I I 8 Rechts- und staatswissenschaftliche Facultät.
Studium mit einem Schlage auf die gleiche Stufe mit jener des
Auslandes stellte und den Gegenstand der Bewunderung, wenn
auch nicht der Nachahmung deutscher Universitäten bildete.
Durch fast 40 Jahre blieb die Thun'sche Studienordnung
in Geltung, ihrem Geiste und ihren grundlegenden Bestimmungen
nach ist sie es noch heute; was während dieser Zeit geschah,
war ihr Ausbau im E^inzelnen, waren Änderungen im Detail
und Änderungen der Änderungen. Es mag dahingestellt sein,
ob alle diese Detailarbeiten ausnahmslos heilsamer Art waren.
Von einigen einschränkenden Auslegungen der Studienordnung
wurde schon gesprochen; weitere folgten nach.
Hatte die Studienordnung selbst nur verboten, dass ohne
erfolgreiche Ablegung der rechtshistorischen Staatsprüfung dem
Rechtshörer «die weiteren Semester, in welchen er vor Ablegung
der Prüfung noch inscribiert sein mag, nicht in das gesetzliche
Quadriennium einzurechnen» sind, so verschärfte der Erlass
vom 15. April 1857 diese Bestimmung dahin, dass ein Studie-
render, der sich der Zwischenprüfung nicht unterzogen hatte,
«für die Gegenstände des dritten Jahrganges in keinem Falle in-
scribiert werden» dürfe; und der Ministcrialerlass vom 5. Fe-
bruar 1865 verbot in solchen Phallen die Inscription in die Vor-
lesungen des dritten Jahrganges, «sei es auch in der Eigenschaft
als ausserordentlicher Hörer* -— ja der stricte Wortlaut dieser
Bestimmungen musste Zweifel erwecken, ob auf solche Jüng-
linge, welche ohne Prüfungsabsichten sich der Rechtswissenschaft
widmen wollten, noch eine besondere, diesen Zwang aufhebende
Rücksicht genommen werden konnte. Noch straffer wurden die
Zügel angezogen durch eine Ministerialverordnung vom i. August
18S5: Während bisher (Kandidaten, die sich der rechtshistorischen
Staatsprüfung zwar unterzogen hatten, bei dieser aber auf ein
Semester reprobiert worden waren, sich während dieses Se-
mesters provisorisch in Gegenstände des dritten Jahrganges in-
scribieren konnten, wurde dieses Zugeständnis gleichfalls aufge-
hoben — allerdings mit Rücksicht auf die gewonnene Erfahrung,
Rechts- und ttaatswisseDschaftliche Facultit. I I Q
dass viele Studierende sich leichtsinnig und auf gut Glück zur
Zwischenprüfung meldeten.
In Consequenz der gebundenen Marschroute, mit welcher
der Studierende das erste Biennium durchwandern sollte, hatte
schon die Min isterial Verordnung vom 8. Februar 1856 bestimmt,
dass Rechtshörer, die ihr Studium mit einem Sommersemester
begannen, «so zu behandeln seien, als ob sie in diese Studien
erst mit dem nächst darauffolgenden Wintersemester eingetreten
waren». Der genauen Kinhaltung der Reihenfolge der Fächer
wurde also hier ein Studiensemester zum Opfer gebracht!
Im (Jegensatze hierzu gestattete wiederum die Ministerial-
verordnung vom i.Juni 1880 solchen Studierenden, dass «sie
nach vier in der Kigenschaft von ordentlichen Hörern zuge-
brachten Semestern im sogenannten Ostertermine zur rechts-
historischen Staatsprüfung zugelassen werden» können — eine
Krlaubnis, die zugleich mit dem Wegfalle des Ostertermines wieder
rückgängig gemacht wurde (Ministerialcrlass vom i. August 1885).
F]ine gleichfalls bald wieder zurückgenommene Neuerung
führte der Ministerialcrlass vom 27. October 1860 ein; er ge-
stattete ausgezeichneten Candidaten sogar, die dritte Staatsprüfung
noch innerhalb ihres Quadrienniums, und zwar in den letzten
zehn lagen des Juli abzulegen. Diese Anordnung wurde mit
F>lass vom 6. October 1874 wieder ausser Kraft gesetzt, und
die bereits citierte Ministerialverordnung vom i. August 1885 er-
klärte, dass von nun an auch die judicielle Staatsprüfung erst
nach vollständig absolviertem Quadriennium abgelegt werden
dürfe. So war nach wiederholten Schwankungen der (Jedanke
zum Durchbruche gekommen, dass die Studienjahre voll und
ganz dem (-ollegienbesuche vorbehalten seien, und abgesehen
von der rechtshisiorischen Zwischenprüfung — nicht durch Prü-
fungen unterbrochen oder vorzeitig beendet werden dürfen.
Nicht minder schwankend waren die Regierungserlässe über
die Behandlung der bei Prüfungen Reprobierten; da eine Vor-
sorge für die dauernd als unfähig Krklärten, wie sie etwa die
theresianische Studieneintheilung durch Schalfung untergeord-
neter juristischer Berufe angebahnt hatte, nicht mehr besieht, so ist
die Kntscheidunu, durch welche ein Studierender für immer vom
I 20 Rechts- und staauwisseoschafdiche Facultäu
Prüfungstische verwiesen wird, eine der folgenschwersten. Es fragt
sich darum: soll etwa die erste, die zweite oder die dritte Prü-
fung zugleich die letzte sein, oder sollen Reparatursprüfungen
in inßnitum gestattet werden? Insofeme die Prüfung eine Probe
des Intellcctes ist, genügt eigentlich eine einzige Reprobation,
um auszusprechen, dass der Candidat das erforderliche Mass
von Intellect nicht besitze, und eine Wiederholungsprüfung könnte
höchstens den Sinn haben, gleichsam als Superarbitrium zu
dienen oder Zufälligkeiten, die das erstemal Einfiuss gehabt
haben mögen, auszuschalten. Umgekehrt, wenn die Prüfung
einen Ausweis über angeeigneten Lernstoff bedeutet, so kann sie
unzähligcmale wiederholt werden, bis sich der Candidat den
Stoff angeeignet hat.
Diese F>wägungen scheinen bei den verschiedenen Anord-
nungen über die Wiederholung der juridischen Prüfungen nicht
angestellt worden zu sein, denn sonst hätte bei den Rigorosen,
welche als F>probung wissenschaftlicher Vertiefung gedacht sind
und daher in einem gewissen Sinne als Intelligenzprüfungen zu
gelten haben, die Wiederholung wesentlich eingeschränkt werden
müssen, im Vergleiche zu den Staatsprüfungen. Nun waren
aber gerade, wenigstens an der Wiener Universität, bei den ju-
ridischen Rigorosen bis zum Jahre 1855 drei Versuche möglich,
während bei den staatlichen Prüfungen älteren und neueren Sy-
stems ein viel strengerer Vorgang bis 1859 vorherrschte. Schon
während der Herrschaft der Studienordnung vom 7. September
1810 sollten Studierende, die reprobiert waren und auch bei
der Wiederholung die zweite Gasse aus irgend einem Gegen-
stande erhalten hatten, von der Fortsetzung des Studiums bei
allen k. k. Lehranstalten ausgeschlossen sein. Ebenso durfte nach
der Prüfungsordnung von 1850 ein reprobierter Candidat die
Prüfung nur «einmal* wiederholen (^. 36), und noch J^. 34 der
Minislcrialvcrordnung vom 16. April 1856 bestimmte, dass eine
misslungene Prüfung nur einmal wiederholt werden kann.
Mine radicale Änderung trat durch die Ministerialverordnung
vom 5. October i85(> ein. welche diese Bestimmungen gänzlich
aufhob und Wiederholungsprüfungen in unbegrenzter Zahl ge-
slaltclc. Allerdings wurde gleichzeitig den Prüfungscommissionen
Rechu- und staatswissenschaftliche Facultftt. 121
zur Strengen Pflicht gemacht, gewissenhaft darauf zu bestehen,
dass bei allen Wiederholungsprüfungen denselben Anforderungen
entsprochen werde, welche an die sich zum erstenmale einer
Prüfung unterziehenden Candidaten gestellt werden».
Man sieht daraus, dass es ein psychologisches Moment ge-
wesen, welches das Verbot wiederholter Reprobationen auf die
Dauer unhaltbar machte. Das Mitleid mit den auf immer Zu-
rückzuweisenden stimmte die Commission milde und hatte zur
Folge, dass bei der letzten Zulassung geringere Anforderungen
gestellt wurden als früher.
Dem 1859 ausgesprochenen Grundsatze ist auch die neueste
Prüfungsordnung des Jahres 1893 treu geblieben, daher jetzt die
Staatsprüfungen in infinitum wiederholt werden können. Bei den
Rigorosen ist zufolge der Rigorosenordnung vom 15. April 1872
nur eine zweimalige Reparatur möglich, und so ist doch das
früher betonte Princip allmählig zum Durchbruche gelangt.
Auch des Privatstudiums wäre hier mit einigen Worten zu
gedenken. .Man versteht unter demselben ein Studium ohne
den Besuch öffentlicher Vorlesungen mit der Berechtigung, auf
(irund besonderer Cautelen zu den Prüfungen zugelassen zu
werden. Im vormarzlichen Studiensystem nahm das Privat-
Studium der Rechte eine durch zahlreiche F>lässe genau geregelte
Stellung ein; es wurde nach «Ausweisung aller übrigen gesetz-
lichen Krfordernisse» unter «Namhaftmachung des befähigten
(>orrepetitors» von der Landesstelle bewilligt (Studienhofcom-
missions-Decret vom 8. September 1827). Die Bewerber durften
nicht bei einer Behörde prakticieren oder eine Privat- oder
Staatsanstellung haben (Siudicnhofcommissions-Decret vom R.Ja-
nuar 181 3), sie waren an die vorgeschriebene Studienordnung ge-
bunden, und «es wird bei ihren Prüfungen mit noch grösserer
Strenge als bei den Prüfungen der ölfenllichen Studierenden vor-
gegangen, weil hier bei dem Wegfallen der (-ollegialprüfungen
durch eine einzige Prüfung über den Fortgang entschieden werden
muss» (Siudienhofcommissions-Decret vom 4. .April 18271.
Die den heutigen Staatsprüfungen zugrunde liegende Idee
findet sich also bei der Behandlunt: dieser Kategorie von Stu-
dierenden schon damals ausgesprochen.
12 2 Rechts- und staatswissenschaftliche Facultät.
Man möchte meinen, dass die Studienordnungen von 1849
und 1850 mit ihrer weitgehenden Lernfreiheit in der Frage des
Privatstudiums sich besonders nachgiebig gezeigt hätten. Die
letzte und logisch fast nothwendige Consequenz der absoluten
Lernfreiheit wäre eigentlich die völlige Gleichstellung des pri-
vatim betriebenen Studiums mit jenem an der Universität, so
zwar, dass nur die Prüfungen einen Masstab für den Erfolg
bilden.
Und in der That hat der Minister diesen Gedanken venti-
liert und im a. u. Vortrage vom 10. August 1850 bemerkt: «Mit
Recht könnte aber sofort die Frage aufgeworfen werden, wozu
denn eigentlich die Inscription diene, zu welchem Ende sie ge-
fordert werde, und warum nicht auch ohne dieselbe jeder Auto-
didakt nach drei oder vier Jahren von dem Tage seiner Ma-
turitätsprüfung, allenfalls nach Erlag eines bestimmten, an die
Stelle der Collegiengelder tretenden Geldbetrages, ja vielleicht
auch ohne denselben zu den Doctorats- oder Staatsprüfungen
zugelassen werden solle?»
Aber die aufgeworfene Frage wurde sofort entschieden ver-
neint; man fürchtete, «dass dann das Universitätsstudium der
Rechte überhaupt aufhören werde, als Regel betrieben zu werden,
dass dann aus Schriften und Büchern studiert werde und der
Correpetitor an Stelle des Professors trete». Daher wurde das
Privatstudium in der provisorischen Studienordnung von 1849
nur noch für das Ubergangsjahr 1849/50 anerkannt, und §. 50
der Studienordnung von 1850 bestimmte: «Das Privatstudium
im Sinne der bisherigen Anordnungen ist insofeme aufgehoben,
dass ein Studium ohne Besuch der öffentlichen Vorlesungen
künftig weder zur Ablegung einer strengen Prüfung, noch zur
Bestehung einer Staatsprüfung, welche ein Facultätsstudium vor-
aussetzt, befähigt».
Umgekehrt wurde gleichzeitig mit der Gebundenheit, welche
die Studien- und Prüfungsordnung vom 2. October 1855 ein-
führte, die, wenn auch ausnahmsweise Zulassung zu den theo-
retischen Staatsprüfungen zwei, beziehungsweise vier Jahre nach
der Maturitätsprüfung ohne ordnungsmässiges Universitätsstudium
ermöglicht, doch mussten solche (Kandidaten wenigstens einige
Rechts- und ttaatswisftenschaftliche FaculUt. 123
Nachweisungen liefern, «welche zur Annahme eines erfolgreichen
und unter zweckmässiger Anleitung unternommenen Studiums
berechtigen»; auch wurde für sie eine strengere Prüfungsform
(Beibehaltung der sonst abgeschafften Clausurarbeit) vorgeschrie-
ben. In dieser Gestalt erhielt sich das sogenannte Privatstudium
bis zur Studienordnung von 1893, ohne praktisch von beson-
derer Bedeutung zu sein. Die neueste Regelung hob dasselbe
gänzlich auf.
Wie bereits erwähnt, hatte die Studienordnung von 1855
sich zwar die Aufgabe gestellt, auch die juridischen Doctorats-
prüfungen einer Reform zu unterziehen, aber dieser Gedanke
kam damals nicht zur Ausführung; daher blieben die älteren
Vorschriften in Geltung bis 1872, in welchem Jahre gleichzeitig
für alle weltlichen Facultäten neue Rigorosenordnungen geschaffen
wurden. So kam es, dass noch durch beinahe zwei Decennien
nach Einführung einer neuen Grundlage des Rechtsstudiums die
Doctoratsprüfungen im grossen und ganzen nach den älteren
Vorschriften (insbesondere nach dem Studienhofcommissions-
Decret vom 7. September 18 10) abgehalten wurden, und zwar
vornehmlich aus jenen Gegenständen, die damals im Lehrplane
standen. Im ungefähren Anschlüsse an die vier Jahrgänge des
Rechtsstudiums bestanden auch vier Rigorosen;') jede strenge
Prüfung hatte zwei Stunden zu dauern. Nach Vornahme der-
selben stimmte jeder Examinator mittels einer weissen oder
schwarzen Kugel für die Zulassung oder Verwerfung. Seit
1843 wurde ein Prüfungsprotokoll geführt, in welches die
Calcüle mit den Worten i^alde benc% bent\ sufficienter oder m-
sufficienter einzutragen waren. An der Wiener Universität be-
stand die Cbung, zweimal reprobierte (Kandidaten noch «zur
wiederholten Reparierung» zuzulassen, ein Vorgang, der jedoch
mit Ministerialerlass vom 14. Jänner 1855 als Abusus bezeich-
net und abgestellt wurde. Schliesslich musste der (Kandidat eine
Abhandlung oder vorgelegte PYagen schriftlich ausarbeiten, und
') Die Prüt'ungs^cgensländc sind aus der Tabelle S. iJö ersichtlich.
124 Rechts- und staatswissenschaftliche Facultät.
zuletzt folgte die öffentliche Vertheidigung der von dem Candi-
daten aufgestellten Streitsätze; doch sollte «bei den feierlichen
Disputationen bloss die doctrina plana und das jus planum vor-
genommen und stets nur das praktisch Brauchbare, wodurch
die gute Sache der Kirche und des Staates wahrhaft befördert
wird, ge wählet . . . werden». (Hofkanzleidecret vom lo. October
1810.) Auch konnten Doctorspromotionen ohne vorausgegan-
genes Urtheil der Universität im Wege einer Allerhöchsten
Gnade bewilligt werden, «da der höchste Wille Seiner Majestät,
jemanden in was immer für einer Facultät das Doctorat mit
Nachsicht der sonst gewöhnlichen Prüfungen ertheilen zu lassen,
der vollgiltigste Beweis der im Dienste des Staates oder der
Kirche oder in anderen Wegen erprobten Wissenschaft, Gelehr-
samkeit und übrigen hiezu erforderlichen Eigenschaften des
Dispensirten ist, das Urtheil der Professoren und des akademi-
sehen Senates ganz entbehrlich macht und bis zum Überflüsse
ersetzt». (Studienhofcommissions-Decret vom 6. October 182 1.)
Ebenso wie die Rigorosen Vorschriften von 18 10 den engen
Anschluss an die Studienordnung desselben Jahres erkennen
Hessen, so suchte die neue Rigorosenordnung vom 15. April
1872 den Anschluss an die damals bestehende Studienordnung.
Vor allem wurden einige veraltete Einrichtungen: die Disser-
tationen und Disputationen abgeschafft, die ohnehin längst zur
leeren Formalität herabgesunken waren.') Ferner wurde die
Dreizahl der Rigorosen, die schon vor 18 10 die Regel war,
wieder eingeführt, entsprechend der Dreitheilung der Rechts-
studien und der Staatsprüfungen, und dabei die verwandten
Fächer strenge in je einer Gruppe zusammengefasst. Indem
grundsätzlich die Fachprofessoren der betreffenden Wissenszweige
als Prüfer fungieren, wurde für eine wissenschaftliche Vertiefung
der strengen Prüfungen gesorgt.
Der Schwerpunkt der Reform aber liegt, wie bereits an-
gedeutet wurde, in dem engeren Anschlüsse der Rigorosenfächer
an die bestehende Studienordnung. Der rechtshistorischen Vor-
bildung entspricht eine aus rechtshistorischen Fächern zusammen-
^ Lcmavcr, a. a. O., S. 201.
Rechts- und staatswissenschaftliche Facultät.
125
gesetzte Rigorosenabtheilung; die judiciellen Fächer, welche in
der alten Prüfungsordnung in fast allen vier Abtheilungen zer-
streut waren, erscheinen in eine etwas umfangreiche Abthei-
lung zusammengefasst. In Bezug auf die staatswissenschaftliche
Gruppe eilte die Rigorosenordnung sogar dem bestehenden
Studienplane voraus, indem allgemeines und österreichisches
Staatsrecht zu Prüfungsgegenständen erhoben wurden.
Die Unsicherheit, welche bei der Behandlung der Staats-
wissenschaften herrschte, lässt sich deutlicher als durch eine
lange Abhandlung an einer vergleichenden Tabelle zeigen, welche
die Obligatfächer, die Staatsprüfungs- und die Rigorosengegcn-
stände dieser Gruppe nebeneinanderstellt.')
Diese noch heute geltende Rigorosenordnung beseitigte die
Anomalie, welche dadurch entstanden war, dass die Doctorats-
prüfung seit 1855 auf einer anderen Basis ruhte als die geltende
Studienordnung — eine Anomalie, die umso schwerer wog,
als das juridische Doctordiplom die judicielle und staatswissen-
schaftliche Staatsprüfung vollkommen ersetzte und für einige
praktische Berufszweige (Advocatur, Kinanzprocuratursdienst)
sogar unumgänglich wurde.
Es ist hier zwar nicht der Ort, die Bedeutung des Docto-
rates überhaupt darzustellen; gewiss aber ist, dass es eine höhere
Stufe gelehrter Ausbildung repräsentirt, als sie durch die Staats-
prüfungen dargethan wird, daher es keineswegs ungereimt er-
scheint, wenn das Doctordiplom als der Beweis höherer wissen-
schaftlicher Keife jene minderen Prüfungen vollkommen ersetzt,
vorausgesetzt, dass es sich bei beiden hlrprobungen im grossen
') Von den staats\\ isscnschaftlichcn Disciplincn erscheinen :
als Obligalcollegien als Siaaisprütungstacher als Higoro>entacher
nach der Studicnordiiinif:
xom 2. Oclobor i.s55
Nationalökonomie
Finanz wissenschafi
Vcrwaltunpslehre
österr. Statistik
lucli der Sta.iTv^iiuttm^N-
ordnuni; \om i'». Apr:l i*^r"
Nationalökonomie
Finanz Wissenschaft
österr. Statistik
iu«.ii der Ki^oro*»ci)i'idiniii^
%«>n» if». April i»*;!
Nationalökonomie
Finanz wisNen>cijaft
all^. u. österr. Staatsrecht
Völkerrecht
126 Rechts- und staatswissenschaftliche Facultät.
und ganzen um dieselben Wissenszweige handelt. Ja es können
sogar kleinere Abweichungen in den Prüfungsfachern unbedenk-
lich in den Kauf genommen werden, da der Vortheil einer
höheren Wissenschaftlichkeit wohl im Stande ist, Mängel an Detail-
kenntnissen aufzuwiegen, und die praktischen Berufszweige nur
gewinnen können, wenn ihnen von der Universität Männer zu-
geführt werden, die ein höheres Ausmass wissenschaftlicher
Schulung aufweisen, als von Staats wegen für diese Berufe ver-
langt werden kann.
Diese Erwägungen verlieren jedoch in dem Augenblicke an
Kraft, in welchem der Doctorgrad selbst wieder ein nothwen-
digcs Erfordernis für den Eintritt in bestimmte Berufszweige
wird, weil die Rigorosen in diesem Falle durch das Schwer-
gewicht der Thatsachen dasjenige werden, was die Staatsprü-
fungen vom Anfange an sind: Prüfungen nicht akademischen,
sondern praktischen Wertes. Das rein logische Postulat dieser
Erwägungen wäre somit, dass einerseits das Doctordiplom für
keinen praktischen Beruf — die akademische Laufbahn selbst-
verständlich nicht inbegriffen — gefordert werde, dass aber
andererseits die durch den akademischen Grad erwiesene höhere
Ausbildung jede Staatsprüfung ersetzte. Die österreichische Ge-
setzgebung schlug jedoch einen Mittelweg ein; das Doctordiplom
ersetzte zwar die Staatsprüfungen, allein ausserdem wurde es
aus rein äusserlichen Gründen*) für die Advocatie und die Fi-
nanzprocuratur gefordert. Diese Inconvenienz wurde keines-
wegs dadurch behoben, dass die neueste Studienordnung vom
20. April 1893 erklärt, dass der in Zukunft erlangte Grad eines
Doctors der Rechte nicht mehr die gleiche Wirkung mit den
vollständig abgelegten Staatsprüfungen habe, ohne gleichzeitig
die Anforderung des Doctorates für bestimmte praktische Be-
rufe zu beheben; denn dieser Ausweg vereinigt die Übel beider
Systeme in sich: die höheren wissenschaftlichen Anforderungen
') Wie Lemayer's Verwaltungsbcricht 1878 sich ausdrückt: «eingestandener-
massen in dem Bestreben, fUr die seit 1868 freigegebene Advocatie doch noch mög-
lichst viele Schranken festzuhalten, um wenigstens ganz Unberufenen den Eintritt in
den Stand zu verwehren >.
Rechts- und staatswissenschaftliche Facultät. 127
ersetzen nicht mehr die minderen, und die Rigorosen dienen
nach wie vor als unumgängliches Erfordernis für bestimmte
praktische Berufe.
Eine der wichtigsten Schöpfungen aus der Zeit zwischen
den beiden Studienordnungen von 1855 und 1893 ist die mit
Ministerialcrlass vom 27. September 1873 erfolgte Errichtung
rechts- und staatswissenschaftlicher Seminarien.
Diese Schöpfung ist umso beachtenswerter, als von allen
Facultätsstudien das juridische dasjenige ist, welches relativ am
wenigsten der äusseren Apparate sich bedient, gewiss weniger
als das medicinische und das philosophische; am meisten ver-
wandt ist es in dieser Hinsicht dem theologischen Studium;
theoretische Erörterungen, Bücher und Schriften sind hier die
«Lehrmittel».
Bei einer so abstracten Lehrmethode soll einzig das «leben-
dige Wort* des Vortragenden die fehlende Anschauung er-
setzen, zum Denken anregen und zur geistigen Mitarbeit ver-
anlassen. Der Hörer aber ist in den Vortragsstunden zu dauernd
receptiver Thätigkeit verurtheilt, bei der es ungewiss ist, ob der
Anregung auch das Selbstdenken wirklich folgt, ja ob es
physisch möglich ist, sich durch vier bis fünf Stunden dauernd
«anregen» zu lassen?
Der «Zauber des Wortes» mag gewiss öfter dieses Wunder
bewirken, aber doch nur dann, wenn der Lehrer über eine
hinreissende Beredsamkeit gebietet. In allen anderen Fällen ent-
steht die Frage, ob nicht etwa Bücher und Schriften den C-ol-
legienbesuch zu ersetzen im Stande sind.
Sicher ist, dass sich die Studierenden der Rechte die letz-
tere Frage jahraus jahrein vorlegen, und dass sie so mancher
— vielleicht aus Bequemlichkeit — bejaht.
Dies ist wohl der innerste (Irund des so oft, sowohl im
Vormärz als später beklagten lässigen ('ollegicnbcsuches an der
juridischen Facultät, den die verschiedensten, an Schärfe sich
überbietenden Erlässe der Studienbehörden zu heben nicht im
Stande waren.
128 Rechts- und staatswissenschaftliche Facultät.
Die theologische Facultät, an welcher das gleiche Problem
besteht, hat durch strenge Gebundenheit, durch individuelle
Controle, durch intersemestrale und Schlussprüfungen das Übel
sich fernezuhalten gevvusst — an der juridischen Facultät haben
die gleichen und ähnlichen Massregeln schon in der vormärz-
lichen Zeit nicht nur nichts gefruchtet,') sondern so sehr zur
Lähmung des Studiums beigetragen,^) dass sie wieder einzuführen
ernsthaft nicht mehr versucht wurde.
Dagegen wurde bald nach Einführung der Lernfreiheit eine
Einrichtung vom Ministerium angeregt, welche als Vorläufer der
späteren Seminarien aufgefasst werden kann. «Da die Klagen
(wegen mangelnden CoUegicnbesuches) sich vorzugsweise nur
auf die für Hörer der Rechts- und Staatswissenschaften be-
stimmten Collegien beschränken», so sei es, wie der Ministerial-
crlass vom 15. Juni 1851 meint, wünschenswert, dass diese
Studierenden «in nähere Berührung mit den Docenten gebracht
werden», was beim Mangel demonstrativer Collegien durch
«Examinatorien, Rcpetitorien oder Conversatorien wenigstens
zum Theile» geschehen könne.
Diese Anregung ist jedoch damals nicht auf fruchtbaren
Boden gefallen und wurde auch bei der Studienreform von
1855 nicht weiter verfolgt. Zum Theile mochte daran Schuld
sein die vom Ministerium in jenem Erlasse selbst erwähnte Be-
sorgnis, «durch diese Form gegen die wissenschaftliche Würde
der Universität zu Verstössen und den Schein einer schulmässigen
Führung der Studierenden zu veranlassen».
Gerade das war es, was die Wiener Facultät vermieden
wissen wollte, und als daher anfangs der Siebzigerjahre das
Ministerium mit einem neuerlichen derartigen Plane hervortrat,
erhob sie eben unter Berufung auf die wissenschaftliche Würde
der Universität dagegen Einspruch.
Allerdings haben die Seminare, wie das Ministerium sie
nunmehr ins Leben rief, einen Charakter erhalten, welcher wesent-
*) Vgl. die bekannten Schilderungen tAus dem Hörsaal», Leipzig 1848, ins-
besondere: Die Wiener im juridischen Collegium.
^) liötkcn, a. a. Ü.
4
Rechts- und staatswissenschaftliche Facultät. I 20
lieh verschieden ist von den im Jahre 1851 erwähnten «Exa-
minatorien, Repetitorien und Conversatorien» — ihr Zweck ist
als ein wissenschaftlicher, nicht schulmässiger definiert; es wird
kein Zwang auf den Besuch derselben ausgeübt, wohl aber die
wissenschaftliche Mitthätigkeit der Besucher angeregt.
Die Einrichtung der Seminare beruht auf der auf Grund
der Allerhöchsten Entschliessung vom 23. September 1873 er-
gangenen Ministerialverordnung vom 27. September desselben
Jahres. Die Verordnung verfügte, dass an jeder rechts- und
staatswissenschaftlichen Facultät zwei Seminare zu bestehen
haben, ein rechtswissenschaftliches und ein staatswissenschaft-
üches. Als Aufgabe derselben wurde hingestellt: «Erweiterung
und Vertiefung des in den rechts- und staatswissenschaftlichen
CoUegien gewonnenen Wissens, Anleitung der Studierenden zu
selbstthätiger wissenschaftlicher Arbeit, zum Theile auch die
Vorbereitung für die rechts- und staatswissenschaftliche Praxis.»
Die genannte Ministerialverordnung sollte als Normalstatut
gelten. Es war aber den einzelnen Professoren-C^ollegien vor-
behalten worden, innerhalb dieses allgemeinen Rahmens beson-
dere Statuten für ihre Seminare zu entwerfen. In dieser Weise
hat auch die rechts- und staatswissenschaftliche Facultät der
Wiener Universität ein gemeinsames Statut für beide Seminare
verfasst, welches am 26. November 1873 die Bestätigung des
Ministeriums als «provisorisches Statut > erhielt. Seit dieser Zeit
haben diese beiden Seminare in unablässiger Arbeit nicht bloss
ihrer statutenmässigen Aufgabe gedient, sondern auch darüber
hinaus einen hervorragenden Antheil an der Heranbildung
wissenschaftlicher Lehrkräfte gewonnen. Die von der Wiener
Facultät befürchteten nachlheiligen Folgen sind nicht einge-
treten. Das Interesse des Gesammtunlcrrichtes litt in keiner
Weise durch die individualisierende Lehrlhäliukcil, welche das
Seminar fordert, sondern der (icsammlunlerrichl gewann durch
diese Neuschöpfung eine Krgänzung, welche heute allgemein als
unentbehrlich anerkannt wird.
Jedes der beiden Seminare besteht, dem provisorischen
Statute entsprechend, aus der (icsammtheit derjenigen rechls-
und staatswissenschaftlichen l bungscollegien, welche von den
Geschichte der \\ leuer rmscrMlat. lo
I 3o Rechts- und staatswisseoschaftliche FacultAt.
dazu berufenen akademischen Lehrern unter der Bezeichnung
«Seminar» gehalten werden. Jedes dieser CoUegien bildet für
sich eine Abtheilung des betreffenden Seminars. Zur Leitung
von solchen Seminarabtheilungen sind die ordentlichen und
ausserordentlichen Professoren berufen. Ausnahmsweise können
auch Privatdocenten vom Professoren-Collegium dazu ermächtigt
werden. Das rechtswissenschaftliche Seminar enthält zehn solche
Abtheilungen, nämlich für das römische, deutsche, canonische
Recht und die österreichische Reichsgeschichte; für das österrei-
chische Civilrecht, das Handels- und Wechselrecht, das civil-
gerichtliche Verfahren, das Strafrecht und den Strafprocess und
das Bergrecht; das Staats wissenschaftliche nur drei, nämlich
für politische Ökonomie (Nationalökonomie und Finanzwissen-
schaft), für Statistik und für Staats- (Verfassungs- und Ver-
waltungs-) und Völkerrecht. Die Verwaltung der Seminaran-
gelegenheiten wird durch die Gesammtheit der an dem be-
treffenden Seminare jeweilig beschäftigten akademischen Lehrer
unter dem Vorsitze des ältesten derselben besorgt.
Jedes der beiden Seminare ist im Besitze einer aus staatlichen
Mitteln begründeten Handbibliothek. Eine werthvoUe Bereicherung
gewann die Handbibliothek des rechtswissenschaftlichen Seminars
durch eine letztwillige Zuwendung des im Jahre 1 894 verstorbenen
ordentlichen Professors der Wiener Universität Adolf Exner.
Eine besondere Fürsorge hat die Regierung den nationalöko-
nomischen und finanzwissenschaftlichen Studien an der Wiener
Universität zugewendet. Neben der von Prof. Karl Menger
seit vierundzwanzig Jahren geleiteten Abtheilung des staatswissen-
schaftlichen Seminars besteht unter dem Namen des staats-
wissenschaftlichen Institutes eine zweite ähnliche Einrichtung.
Dieselbe ist aber erst mit Erlass des Ministeriums für Cultus
und Unterricht vom 20. Juni 1890 ins Leben gerufen worden
und steht dermalen unter der Leitung des Professors v. Phi-
lippovich. Auch die hier geleisteten Arbeiten haben zu einem
nicht geringen Theile sich als wissenschaftlich werthvoll erwie-
sen, so dass sich der gegenwärtige Leiter entschlossen hat, in
Verbindung mit Professor Bernatz ik eine Sammlung staats-
wissenschaftlicher Studien herauszugeben, in welcher solche
Rechts- und staatswissenschaftliche FacultAt. I 3 I
unsere Erkenntnis der österreichischen staatswissenschaftlichen
Zustände fördernde Arbeiten veröffentlicht werden.
Bei aller Anerkennung, welche der Thun'schen Studienord-
nung zutheil wurde, erfuhr sie, wie aus der bisherigen Darstel-
lung hervorgieng, im Einzelnen zahlreiche Anfechtungen, die zu
fortwährenden Detailänderungen führten. Auch traten mit der
Ausbildung des öffentlichen Lebens neue Bedürfnisse hervor,
indem insbesonders die staatswissenschaftlichen Disciplinen ge-
bieterisch eine weitergehende Berücksichtigung verlangten, als
ihnen jene Studienordnung ihrer ganzen Anlage nach gewähren
konnte. Erwägungen dieser Art drängten zu einer umfassen-
deren Revision des Gesammtplanes, welche vom Unterrichts-
minister V. Gautsch in dem Erlass vom 7. August 1886 mit
einer Einladung an alle rechts- und staatswissenschaftlichen
Facultäten eingeleitet wurde, Gutachten über eine Studienreform
abzugeben, wobei jedoch ausdrücklich betont wurde, dass -die
wesentlichen Grundlagen dieser (der Thun'schcn) Studienordnung
sich bewährt haben». Gleichzeitig wurden formulierte Fragen
vorgelegt, betreffend die Beibehaltung der bisherigen, die Ein-
führung neuer Obligattacher und Prüfungsgegenstände — wobei
insbesondere auf die dem allgemeinen österreichischen Staats-
rechte (Verfassungs- und Verwaltungsrecht) einzuräumende Stel-
lung Rücksicht zu nehmen war --, ferner die Änderung der
Staatsprüfungen, insbesonders die eventuelle Theilung der um-
fangreichen judiciellen Staatsprüfung, die Bifurcation der Studien
und Prüfungen für den »Justiz- und Verwaltungsdienst, schliess-
lich die Hebung des C.ollegienbesuches und die Behandlung des
Privatstudiums.
Es ist hier nicht der Ort, die von den Facultäten ein-
gelangten, über 4(30 Druckseiten umlassenden (lUtachten und
Anträge zur Reform der juristischen Studien>') auch nur aus-
zugsweise wiederzugeben. So viel aber möge gesagt werden.
') Gcdrucki bei Carl (jorivchek, W icn i>*^7.
lo*
I 3 2 Rechts- und staatswissenschaftliche Facultät.
dass unter den überaus zahlreichen, meist wohlmotivierten
Vorschlägen kaum einer sich befindet, dem nicht ebenso moti-
vierte Gegen- und Abänderungsvorschläge entgegenstanden. Am
meisten Übereinstimmung konnte wohl in der Richtung con-
statiert werden, dass eine gänzliche Umgestaltung der Thun'schen
Studienordnung ebensowenig wie die angeregte Bifurcation des
Rechtsstudiums oder eine Theilung der judiciellen Staatsprüfung
gewünscht wurde, wohl aber eine Ausdehnung der Staatswissen-
schaften. Darüber, auf Kosten welcher bisherigen Fächer die
Staatswissenschaft eine Erweiterung erfahren sollte, herrschte
allerdings grosse Meinungsverschiedenheit; in der principiellen
Einschränkung «fremder» Fächer war man leicht einig, ebenso
darin, dass möglichst wenig Obligatstudien angesetzt werden
sollten, aber jedes einzelne Fach verwahrte sich dagegen, dass
gerade an ihm die capitis deminutio vorgenommen werden
solle, so dass, um allen Anforderungen gerecht zu werden,
eigentlich eine Verlängerung der Studienzeit unumgänglich
erschien.
Bevor diese «Gutachten und Anträge» zu einer Studien-
reform verwertet wurden, trat eine gesetzgeberische Massregel
in Kraft, welche die ohnehin bestehenden Bedenken gegen eine
etwaige Ausdehnung des Rechtsstudiums wesentlich erhöhen
musste. Bei Einführung der allgemeinen Wehrpflicht im Jahre
1869 hatte eine liberale Auffassung dem Studierenden ermög-
licht, sein Freiwilligenjahr innerhalb der Studienzeit zu absol-
vieren, aber beide Einrichtungen litten darunter: der Soldat
konnte sich seiner militärischen Ausbildung, der Student den
Studien nur in unvollkommener Weise hingeben, und die offen-
kundige Verletzung der Pflicht des Collegienbesuches seitens der
Soldat-Studenten war, wie einzelne Gutachten hervorheben, ein
böses Beispiel für ihre Collegen. Das Gesetz vom 11. April 1889
hob nun die Cumulicrbarkeit des Kinjährig-Freiwilligendienstes mit
dem Universitätsstudium gänzlich auf und zwang einen grossen
Theil der studierenden Jugend, ein weiteres Jahr in materieller
Abhängigkeit von ihren Ernährern zu verbleiben.
Dadurch wurde eine äusserst schwierige Situation geschaffen;
einerseits sollten grössere Wissenszweige in den Studienplan als
Rechts- und staatswissenschaftliche FacultAt. l 3 3
obligat eingeführt, andererseits die Gesammtdauer der Studien
eher verkürzt als verlängert werden. Das natürliche Experi-
mentierfeld boten — wie bei allen Studienreformen — die vor-
bereitenden Fächer; dass diesen bisher ein sehr breiter Raum
gewährt war — die ganze Hälfte der Studienzeit — konnte
verlocken, hier einschneidende Kürzungen vorzunehmen, zumal
die in den letzten Decennien erfolgte wissenschaftliche Behand-
lung des österreichischen Rechtes als Motiv dafür angeführt
werden konnte, bestimmte bisher bei Darstellung des römischen
Rechtes behandelte Partien im Zusammenhange mit dem heimi-
schen Rechtsstoffc zu lehren; auch wurde darauf hingewiesen,
dass die vier Semester des ersten Bienniums nicht von allen
Studierenden voll ausgenützt wurden.
Bei einer rein mechanischen Abwägung der Studienabschnitte
konnte daher hier am leichtesten eine Compression stattlinden,
ohne gerade den Stoff selbst wesentlich zu verringern. Aller-
dings standen einer solchen Auffassung ernste Bedenken pädago-
gischer Art entgegen, dahin gehend, dass der Abiturient des
Gymnasiums für juristisches Denken noch gar nicht reif sei, und
dass die Umschulung seines Geistes im Anfange naturgemäss
langsamer vor sich gehe als in späteren Semestern, daher das
propädeutische Biennium sehr wohl nöthig sei, um das specifisch
juridische Denkvermögen ausreifen zu lassen.
Hatte man sich aber einmal entschlossen, im Vorbereitungs-
studium das für spätere Studien unumgängliche Zeitersparnis zu
finden, so standen zweierlei Wege offen: man konnte das Vorberei-
tungsstudium zeitlich einschränken oder dasselbe inhaltlich durch
Einbeziehung staatswissenschaftlicher Vorbcreitungsdisciplinen in-
tensiver ausnützen. Bisher war die Propädeutik des ersten Stu-
dienabschnittes hauptsächlich der judiciellcn Gruppe zugute ge-
kommen, die staatswissenschaftliche uenoss dieses \'or/uues nicht
in gleicher Weise.
Durch Kinfügung propädeutischer Disciplinen der Staatswissen-
schaften in die vorbereitende Studiengruppe wäre das Rechts-
studium nach wie vor in zwei zeitlich uleich urossc Hälften zerfallen,
deren erste nunmehr für sänimtliche Fächer der /weiten Gruppe
von propädeutischem Werte geworden wäre. Allerdings wäre
l34 Rechts- und staatswissenschaftliche Facultftt.
dabei die bisherige Abrundung der rechtshistorischen Fächer ver-
loren gegangen und naturgemäss die sogenannte «allgemeine»
Staatsprüfung des Jahres 1850 mit einigen Variationen wieder
zutage getreten.
Die Regierung entschied sich aus wirtschaftlichen Rück-
sichten für eine Abkürzung der Gesammtstudiendauer auf sieben
Semester, die durch Zusammenziehung der rechtshistorischen
Studien auf drei Semester erreicht werden sollte. In den gesetz-
gebenden Körperschaften erfuhr dieser Plan lebhafte Opposition,
und als Resultat erschien ein Compromiss, wonach einerseits die
Gesammtstudiendauer von acht Semestern beibehalten, anderer-
seits die Ablegung der rechtshistorischen Zwischenprüfung dem
Studierenden bereits nach drei Semestern, und zwar in den
ersten vier Wochen des vierten Semesters freigestellt wurde.
Dabei sind die bisherigen rechtshistorischen Fächer in ihren
Prüfungsanforderungen und ihrem Umfange (bis auf Kirchenrecht,
welches eine geringfügige Einschränkung von acht auf sieben
Stunden erlitt) nicht nur nicht reduciert, sondern insoferne nicht
unmerklich erweitert worden, als zu der deutschen Rechts-
geschichte auch das deutsche Privatrecht als ObligatcoUegium
und Prüfungsfach hinzugefügt wurde. Zugleich wurde durch
die Einfügung der österreichischen Reichsgeschichte (an Stelle
der österreichischen Geschichte) wenigstens einigermassen eine
rechtshislorische Grundlage auch für die Staatswissenschaften
geboten.
Es entstand jetzt naturgemäss die Frage, wie der gewonnene
grössere Zeitraum der zweiten Abtheilung zu verwerten sei, ob
die eine oder beide bisherigen Schlussprüfungen nach vorne zu
rücken und so abermals eine Zwischenprüfung während der
Studienzeit einzuschalten sei. Der Intention der Regierung, die
Studenten möglichst rasch absolvieren zu lassen, damit das durch
die Militärzeit absorbierte Jahr einigermassen wieder eingebracht
werde, wäre am bequemsten dadurch Genüge geschehen, wenn
diese fünf Semester in drei für die judiciellen und zwei weitere für
die staatswissenschaftlichen Disciplinen eingetheilt worden wären.
Allein auch einer solchen Lösung der Frage standen ge-
wichtige Bedenken entgegen: das Resultat wäre gewesen, ein
Rechts- und Staats wissenschaftliche Facultftt. l35
judicielles Rechtsstudium in der Dauer von drei Jahren, an
welches sich rein äusserlich ein viertes Jahr für die Staats-
wissenschaften angeschlossen hätte; und die Befürchtung war
nicht zu unterdrücken, dass zwei Zwischenprüfungen während
der Studienzeit und eine Schlussprüfung tnutato nomine der
Universität den Stempel einer Rechtsakademie aufgedrückt hätten.
So blieb es denn dabei, dass der zweite Studienabschnitt, der
bei fleissigen Studierenden fünf, im allgemeinen aber vier
Semester umfasst, sowohl der judicicUen als der staatswissen-
schaftlichen Gruppe gewidmet ist. Feinen äusserlichen Vortheil
hat der Student aus der rascheren Ablegung der rechtshisto-
rischen Prüfung nicht, daher auch von dieser Ermächtigung kein
umfassender Gebrauch gemacht zu werden pflegt.
Allerdings die eine Consequenz wurde aus der möglichen
Zusammenziehung der ersten, der Ausdehnung der zweiten Stu-
dienabtheilung gezogen, dass eine der beiden Endprüfungen
schon innerhalb der letzten vier Wochen des letzten (achten)
Semesters abgelegt werden darf; dadurch ist der Vortheil er-
reicht, dass der fleissige Student nach den Sommerferien mit
allen Prüfungen fertig werden kann, aber, indem abermals
Prüfungen in die dem Collegienbcsuche eigentlich vorbehaltene
Zeit hineinfallen, ist ein früher oft beklagter und zeitweilig be-
hobener Nachtheil wiederum geschaffen worden.
Gleichzeitig wurde die Gesammtzahl der zu hörenden
Wochenstunden abermals um ein geringes erhöht. Die juridi-
sche Staatsprüfungsordnung vom 29. Juli 1850 verlangte nur
68, die allgemeine Studienordnung vom i. October 1850 schon
80, die Studienordnung von 1855 im ganzen 144 Wochen-
stunden als Minimalausmass; jetzt ist diese Anforderung auf 152
erhöht worden, darunter i3o für Obligatcollegien reservierte
Wochenstunden. Von dieser Erhöhung zogen den wesent-
lichsten Vortheil die Staats wissenschaftlichen Fächer, deren
Obligatstunden von 18 — 20 auf vU) vermehrt wurden.
Andererseits wurde das 1855 mehr beiläufige gegebene
Ausmass der Stunden für die Obligatfächer in ein lixes um-
gewandelt, durch die Vorschrift der Ourchführungsverordnung
vom 24. December i89v>, dass die \'orlesungen so einzurichten
i36
Rechts- und Staats wissenschaftliche Facultät.
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i38
Rechts- uod staatswissenschaftliche Facultät.
Übersicht über die Obligatcollegien in den
Theresianischer
Studienplan
von 1753
Studienordnung von 1804
{HofKanzleidecrct
vom 2 f.. August 1804)
Studienordnung von 18 10
(Studienhof oommissions-Decret
vom 7. September 1810)
Winter-
semester
I. Jahr
Sommer-
Semester
Winter-
semester
2. Jahr
Sommer-
semester
Winter-
semester
3. Jahr
Sommer-
semester
Winter-
Semester
4. Jahr
Sommer-
semester
5. Jahr
' Natur-, Staats- u.VÖlker-
Rechtsgeschichte ! recht, das peinliche
Naturrecht i Recht (10)
Statistik (5)
Institutionen
Natur-, Staats- u.VÖlker-
recht, das peinliche
Recht (ig)
Statistik (5)
Pandekten
Codex mit No-
vellen
Jus criminale
Römisches Recht (10)
Reichsgeschichte (5)^)
Römisches Recht (10)
Reichsgeschichte (5) ^)
1
Digesten
Erblandsrechte
Öffentliches Kirchen-
recht (10)
Lehen- und deutsches
Staatsrecht (5) 2)
Privat-Kirchenrecht (10)
Lehen- und deutsches
Staatsrecht (5) 2)
Naturrecht*^ und Crimi-
nalrecht*) (10)
Statistik (5)
Naturrecht und Crimi-
nalrecht (10)
Statistik (5)
Römisches Recht (10)
Ökonomie (5)^)
Kirchenrecbt (10)
Ökonomie (5)^)
Osterr. bürgerl. Recht
(10)
Leben-, Wechsel- und
Handelsrecht (5)
Canon. Recht
Völkerrecht
Allgem. Staats-
recht
Lehenrecht
Jus canonicum '
Jus publicum
Repetitorium
der Reichs- :
geschichte '
Polit. Wissenschaften
Osterr. Privatrecht (5)
Polit. Wissenschaften
.. (10)
Osterr. Privatrechl (5)
Geschäftsstil (5)
Osterr. bürgerl. Recht
(10)
Lehen-, Wechsel- und
Handelsrecht (5)
Polit. Wissenschaften
und Gesetzeskunde
(10)
Stil und Verfahren (5)
Polit. Wissenschaften
und Gesetzeskunde
(10)
Stil und Verfahren (5)
Rechts- und staatswissenschaftliche Facultflt.
i3g
juridischen Studienordnungen der letzten loo Jahre.')
Studienordnung von 1855
(Min.-Erl. vom 3. October i855)
Siudienordnung von 1893
(Gesetz vom 30. April,
Verordnung vom 34. Dccember 1893)
Anmerkungen
Deutsche Reichs- u. Rechts-
geschichte (4-5)
Geschichte des röm. Rechts
und Institutionen (8)
Deutsche Reichs- u. Rechts-
geschichte (4-5)
Pandekten (12)
Gemeines deutsches Privat-
^ recht (5-6)
j Ostcrr. Geschichte (5-6^*)
I Canonisches Recht (4) ^)
Rechtsphilosophie (5-6)
Encyklopädie (4)
Canonisches Recht (4)^)
- Österr. bürgerliches Recht
,(8-9)
Osterr. Strafrecht (5)
Polit. Wissenschaften (5)
Osterr. bürgerliches Recht
A6) *
Osterr. Strafprocess (4) f
Polit. Wissenschaften (5)
Osterr. civilgerichtliches
Verfahren (9-10)
Polit. Wissenschaften (4 5 )
Handels- und Wechselrecht
(i)_
österr. civilgerichtliches
Verfahren (4-5)
österr. Statistik (4-5)
Römisches Recht (20)
Kirchenrecht (7)
Deutsches Recht (10)
Osterr. Reichsgeschichte (5)
Philosophisches CoUeg (4)
Osterr. Privatrecht (18)
Osterr. Handels- u. Wechsel-
recht [j)
Osterr. civilgerichtliches
Verfahren (12)
Osterr. Strafrecht u. Straf-
process ( 10)
Allgem. und Österr. Staats-
recht (5)
Verwaltungslehre u. Österr.
Verwaltungsrecht (6)
Volkswirtschaftslehre und
Volkswirtschaftspolitik
( 10)
Finanzwissenschaft (5)")
') Die in Klammern betge-
setzten Zahlen sollen annähernd
die Wochenstunden angeben, wel-
che fQr das betreflfende Fach vor-
geschrieben waren; doch muss
hervorgehoben werden, dass in
der Praxis hie und da Änderun-
gen eintraten, und dass auch die
Stundenzahl keineswegs immer
mit absoluter Sicherheit aus den
betreffenden Vorschriften zu ent-
nehmen ist.
^) Das Studium des deut-
schen Staatsrechtes und der
Reichsgeschichte hatte seit 1808
«Oberall aufzuhören».
^)Kine encyklopädischeObcr-
sicht ist « vom Professor des phi-
losophischen Rechts sehr kurz
in einigen Collcgicn* vorzutragen.
*) Criminalrccht ist wenig-
stens zwei volle .Monate vor-
zutragen.
') Ökonomie wurde für alle
Facultäten gemeinsam gelehrt,
seit I H 1 1 nur mehr obligat fQr
jene, die eine Anstellung am
Lande wünschen. - Hingegen
wurde StaatsrechnungHwLssen-
schatt und (icfüUengesctzkunde
zeitweise obligat.
**) Durch Min.-Krl. vom 5.
November i>*S7 wurde r>sterr.
Cicschichte vom dritten in das
erste Semester verlegt, ausserdem
hatte der Studierende noch ein
geschichtliches CoUeg binnen der
acht Semester und während der
ersten drei Semester ein 0>lleg
über praktische Philosophie zu
h»>ren.
') Canon. Recht entweder
ganzjährig durch vier Stunden
Ovicr im Sommersemester durch
acht Stunden.
•) Ausserdem sind eine Vor-
lesung an der philost>phischen
Faculiäi (3), Geschichte der
Rechtsphih>sophic (4), allgemeine
vergleichende und österreichische
SiJti.Ntik (4^ vor txlcr nach der
rCvht>hisioriNchcii Slaatsprürung
zu hören.
I ^O Rechts- und staatswi$»senschaftliche Facultät.
seien, dass jeder Studierende Gelegenheit haben solle, die sämmt-
lichen obligaten Fächer in dem Minimum der vorgeschriebenen
Stundenzahl zu hören.
Beengt die abermals gesteigerte Zahl der ObligatcoUegien
die Freiheit der Studierenden neuerlich, so ist denselben in an-
deren Punkten eine grössere Freiheit gegeben worden. Ihre
Studien können sowohl mit einem Winter- wie mit einem
Sommersemester begonnen werden; die Vorbereitungsstudien
können in drei oder vier Semestern beendet werden; innerhalb
jeder der beiden Studienabtheilungcn ist eine bestimmte Reihen-
folge für den Besuch der Vorlesungen nicht vorgeschrieben,*)
und innerhalb desselben Studienabschnittes ist ein Virement der
zu hörenden Stundenzahl gewährt.
In Bezug auf die Einrechnung von im Auslande oder an
der philosophischen Facultät zugebrachten Semestern blieb die
Entscheidung dem Ministerium zunächst fallweise vorbehalten,
doch soll die dadurch bedingte Ungewissheit durch «generelle
Weisungen > noch behoben werden.
Conform der Vermehrung und Änderung der Obligatfächer
änderten sich auch die Anforderungen bei den Staatsprüfungen,
die sich in der staatswissenschaftlichen Gruppe den Gegenständen
der Rigorosenordnung von 1872 weit mehr näherten, als dies
bisher der Fall war.
Eine vergleichende Tabelle der Prüfungsgegenstände der
Staatsprüfungen und Rigorosen im Laufe dieses Jahrhunderts
dürfte diesen Wandel besser ajs jede ausführliche Darstellung zum
Ausdrucke bringen, und an diese tabellarische Übersicht möge
sich eine solche der ObligatcoUegien anschliessen (S. i36 — 139).
Die bisherige Darstellung wollte nur die Wandlungen wieder-
geben, welche die äussere Ordnung der Rechtsstudien während
der Regierungszeit Seiner Majestät durchgemacht hat.
Wir sehen einen kunstvollen Bau, dessen Fundamente oft
geändert wurden, bis eine anscheinend dauernde Basis gefunden
ward; kaum ein Baustein, der nicht sorgfältig geprüft, verschoben,
'> Nur muss das Studium mit einer Vorlesung beginnen, «in welcher die Insti-
tutionen zum Vortrage gelangen .
Rechts- und Staats wissenschaftliche Facuhät. Idl
zurückgestellt und gelegentlich wieder hervorgeholt worden wäre;
im Detail mancher kritischen Bemerkung Raum gebend, aber im
grossen und ganzen eine w^ertvolle Errungenschaft, doppelt wert-
voll, weil sie als eine specifisch österreichische Einrichtung die
Anerkennung des Auslandes gefunden hat.
Bedeutungsvoller aber als die äusseren Wandlungen der
Studienordnung ist der Umschwung, der durch sie in dem
wissenschaftlichen Aufbau der einzelnen juridisch-politischen Wis-
senszweige ermöglicht und erreicht wurde. PZine von Vertretern
der betrefi'enden Fächer gegebene Einzeldarstellung möge diesen
Umschwung zum Ausdrucke bringen.
*
A:
I. Encyklopädie der Rechts- und Staats Wissenschaften. Die
Studienordnung vom 7. September 18 10 sieht besondere Collegien
über Encyklopädie nicht vor. Sie stellt jedoch dem Lehrer des
philosophischen Rechtes die Aufgabe, dem im ersten Jahrgang
darzustellenden Natur- und Oiminalrecht eine sehr kurze «ency-
klopädische Einleitung in das juridisch-politische Studium» vor-
anzuschicken. Dieser Einleitung war das Ziel gesteckt, «die
Jünglinge mit dem Gebiete vertraut zu machen, welches sie in
vier Jahren durchwandern sollen, und ihnen zugleich eine An-
leitung zu geben, welche in anderen Facultaten gelehrten Fächer
sie zu ihrer künftigen Bestimmung mit den Hauptfächern ver-
binden können».
Der letzte, der unter der Herrschaft dieser Studienordnung
«die encyklopädische Übersicht des juridisch-poltischen Studiums,
hierauf das Natur- und ( j'iminalrecht » vorgetragen liat, war Prof.
Anton (Freiherr von) Ilye.
Die Einführung der Lehr- und Lernfreiheit im Jahre iS4<S
hat anfangs die Stellung des Faches ziemlich unberührt gelassen.
In den Wintersemestern der Jahre 1X41)- 1S55 wurden in einem
Colleg «Encyklopädie und Hodegetik der Hechts- und Staats-
wissenschaften, dann Rechtsphilosophie «Natur- oder X'crnunft-
recht)» gelehrt. Ks entsprach dies auch der in der allgemeinen
Studienordnuim vom i. October iS^o enthaltenen X'or.schritt,
1^2 Rechts- u:^ suatsvsaccsduftfidie Facnhit.
dass an allen Faculiaten «von Zeit zu Zeit kurze encyklopädische
Vorträge als allgemeine Einleitung in das Facultätstudium ge-
halten werden > sollen.
Durchgreifend waren aber die Veränderungen, welche die
am 2, October 1S55 erfolgte Neuregelung des Facultatsstudiums
auch tur die Stellung der Encyklopadie mit sich brachte. Es
wurde nicht nur die Verbindung derselben mit der Rechtsphilo-
sophie gelöst und die Encyklopadie zu einem selbständigen Gegen-
stand erhoben, sondern auch bestimmL dass beide G^enstände
erst im vierten Semester vorzutragen seien und dass die Candi-
datcn des l\Ktorates und jene des Staatsdienstes von diesen
beiden C'oUcgien nur eines nach ihrer Wahl hören müssen.
Die \\>rlesungen über Encyklopadie gaben, wie es scheint,
eine ganz kurze Auseinandersetzung über das Wesen des Rechtes
und der Rechtswissenschaft im allgemeinen, dann eine ein-
gehende i'bersicht über das ganze Gebiet der Rechtswissen-
schaft, verbunden mit einer summarischen Darstellung des In-
haltes der ein/einen Iheile des Rechtes, innertialb dieser Über-
sicht aber vv>rzugsweise eine Skizze der geschichdichen Ent-
wicklung des pv^sitiven Rechtes in Deutschland und Österreich.
In diesem Sinne wurde die Encyklopadie von dem her\-or-
ragcndcn Romanisten der Wiener Facultät Ludwig Arndts (Ritter
V, Arnosboiy^ in dessen Schrift < Juristische Encyklopadie und
MetluKlologic* behandelt, l'nter ausdrücklicher Berufung auf die-
selbe haben verschiedene IXxenten das Fach in den Jahren
iS(»o 1ms iS(*7 angekündigt und vorgetragen. So v. Arndts selbst
kS(»i uiuI iS(>.\ Von 1S05 bis zu seinem iSoo erfolgten Über-
trat in vien Ruhestand hat der Germanist J. A. Tomaschek diese
\\Mlesungen abgehalten, und zwar anfangs wie seine Vorigänger
aU IviuNklv^padie der Rechtswissenschaften», seit 1865 aber
\\\\W\ \leu\ litel der Arndts sehen Schrift. Damit war auch die
-Wetlunlologie oder llodegetik» einbezogen. Der diese Uber-
wluUt ti.^genvle .' weile, bei weitem kürzere Theil der Amdts'schen
Svhull IvNcluankt suh darauf, die ileschichte des Rechtsstudiums
au den deutsehen l niversitäten zu skizzieren und .\ndeutungen
UM die zweeknuisNige Anordnung und Folge des Studiums
vMUUtvUun.
Rechts- und staatswissenschaftliche Facultät. 1 43
Neben Tomaschek haben zeitweise andere Docenten das
Colleg gelesen. Ferner hat in den Wintern 1868 — 1871 Privat-
docent J. Geyling über «Encyklopädie der Staatswissenschaf-
ten» vorgetragen.
Lebhaft erörtert wurde die Stellung der Encyklopädie, sowie
auch jene der Rechtsphilosophie, bei Vorbereitung einer neuen
Studienordnung, insbesondere bei Erstattung der 1887 von den
rechts- und staatswissenschaftlichen Professoren-Collegien einge-
holten Gutachten. Einhellig wurde von diesen verlangt, dass
die beiden CoUegien nicht mehr alternativ obligat sein sollen.
Alle Facultäten traten dafür ein, die Encyklopädie unter die Obli-
gatcollegien aufzunehmen, und alle, mit Ausnahme der Prager
deutschen Rechtschule, haben diesem meist einstimmig gefass-
ten Beschlüsse beigefügt, dass das Colleg — so wie vor dem
Jahre 1855 — im ersten Semester des Facultätsstudiums belegt
werden solle. Die Wiener Facultät beschloss insbesondere, dass
in diesem Semester ein zweistündiges «hodcgetisches Colleg über
Encyklopädie der Rechts- und Staatswissenschaften» zu hören
sei, um so das Colleg über Institutionen des römischen Rechtes
von der bisher in demselben gebotenen Darlegung der juristischen
Grundbegriffe zu entlasten.
Den Anträgen der P^acultäten ist jedoch die Gesetzgebung
nicht beigetreten. Die Studienordnung vom 20. April 1893 zählt
unter den Obligatcollegien wohl die «Geschichte der Rechts-
philosophie», nicht aber die «Encyklopädie der Rechts- und
Staatswissenschaften* auf. Die letztere wurde nur unter diejeni-
gen Vorlesungen aufgenommen, deren regelmässige Abhaltung
sicherzustellen ist. Näheres über Stellung und Ausmass ist nicht
mehr bestimmt.
Noch vor Einführung der neuen Studienordnung, in den
Wintersemestern 1887/88 und 1888; So, hat im Einklänge mit
dem Beschlüsse der Wiener Facultät der o. Professor des Ilandcls-
und Wechselrechtes C^ S. (irünhut für Hörer des ersten
Studiensemesters Encyklopädie vorgetragen. Ebenso wird auch,
seitdem die Studienordnung von 1893 in Wirksamkeit getreten
ist, seit 1894/95 das Colleg im Wintersemester gelesen, und
zwar von dem a. o. Professor des Strafrechtes (). Fried mann.
144 Rechts- und Staats wissenschaftliche Facültät.
Die Methodologie ist seit dem Abgange Tomaschek's der
Encyklopadie nicht mehr angereiht.
In den encyklopädischen Vorträgen hat der gegenwärtige
Vortragende den in anderen Vorlesungen gebotenen rechts-
historischen Stoff fast gänzlich ausgeschieden und nur eine
Darlegung des bei den verschiedenen Völkern typisch Wieder-
kehrenden, des Gesetzmässigen in der Rechtsentwicklung bei-
behalten, das Hauptgewicht aber auf eine eingehende Erörterung
der den Theildisciplinen gemeinsamen Grundbegriffe und Lehren,
ßuf die gemeinsamen Beziehungen der Rechtsinstitute und deren
inneren Zusammenhang gelegt. Für einen allgemeinen Theil
der Rechtswissenschaft in diesem Sinne sind ja in den letzten
drei Decennien in der deutschen Literatur genug Bausteine zu-
sammengetragen worden; eine zusammenfassende Darstellung
derselben haben wir bereits 1885 durch die classische »Juri-
stische PZncyklopädie» Adolf MerkeTs, des ehemaligen Wiener
Rechtslehrers, erhalten, welcher jenen Theil eigentlich erst be-
gründet hat.
Merkel selbst hat während seiner kurzen Wirksamkeit in
Wien allerdings nicht Encyklopadie vorgetragen. Er hat aber
während derselben zuerst das Programm einer mit der allge-
meinen Rechtslehre sich deckenden Rechtsphilosophie im posi-
tivistischen Sinne entworfen und an der Spitze der von Prof.
Grünhul unter ständiger Mitwirkung von Mitgliedern der Wiener
juristischen Facullät herausgegebenen Zeitschrift für das Privat-
und öffentliche Recht der Gegenwart 1874 veröffentlicht,
II. Römisches Recht. Wie oben S. 100 ausgeführt ist, war
in der vormärzlichen Zeit das Rechtsstudium nicht auf ge-
schichtlicher, sondern auf naturrechtlicher Grundlage aufgebaut.
Das römische Recht insbesondere wurde nicht eigentlich als
Fundament des österreichischen Civilrechtes, sondern nur des-
wegen im Studienplane beibehalten, weil es SubsidiarqucUe des
noch geltenden Lehenrechtes war, und weil auch nach Ein-
führung des allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches noch immer
die Möglichkeil vorlag, dass Processe zur Entscheidung kamen,
die nach dem früheren gemeinen Recht zu beurlheilen wären.
Dieser Anschauung entsprechend hat man in der Studienordnung
Rechts- und staatswissenschaftliche Facultät. ^45
vom 7. September 1810 die Vorlesungen über römisches Recht
auf zehn Stunden im ersten Semester des zweiten Jahrganges ein-
geschränkt. Aber auch diese Zeir wurde in Wirklichkeit nur
zum geringsten Theil zum Vortrage, zum grössten Theil da-
gegen zu Examinationen, Wiederholungen u. dgl. verwendet.
Professor des römischen Rechtes in den letzten Jahren des Vor-
märz war Anton Edler von Gapp.
Durch die neue Studienordnung vom i. October 1850
wurde die Stellung des römischen Rechtes noch mehr ver-
schlechtert. Bisher w^ar es Prüfungsgegenstand bei den Seme-
stralprüfungen und bei den Rigorosen, jetzt, nach der neuen
Studien- und F^rüfungsordnung, wurde es von den an die Stelle
der Semestralprüfungen tretenden Staatsprüfungen ganz ausge-
schlossen und nur bei den Rigorosen (zusammen mit Lehen-
und Kirchenrecht) als Prüfungsgegenstand beibehalten. Hiermit
war ausgesprochen, dass das römische Recht für die normale
juristische Ausbildung entbehrlich sei, was auf seine Behandlung
in den Rigorosen nicht ohne Rückwirkung bleiben konnte. Das
Studium des römischen Rechtes war in dieser Zeit ein ganz
kümmerliches; bei der vollen Studienfreiheit damaliger Zeit,
welche keine Obligatcollegien kannte, war es nur eine seltene
Ausnahme, dass Studirende überhaupt Vorlesungen über römi-
sches Recht hörten.
Als Vertreter des Faches in dieser Zeit fungirten: der or-
dentliche Professor des römischen Rechtes Josef Hornig, der
Professor an der orientalischen Akademie, zugleich a. o. Pro-
fessor des österreichischen Oiminal- und römischen Rechtes
Friedrich von Huze, dann der a. o. Professor Gustav Wenzel,
endlich der Privatdocent für römisches Recht, (livilprocess und
Nationalökonomie Josef Franz Dworzak.
Auf die radicale Aenderung in der Stellung des römischen
Rechtes, welche durch die Studienordnung vom 2. October 1N55
herbeigeführt wurde, braucht hier nicht naher eingegangen /u
werden, sie ist bereits oben S. 1 1 1 11. in anderem Zusammenhange
gewürdigt worden. Nur die Bemerkung sei gestattet, dass
durch diese Reform das Rechtsstudium auf geschichtliche Basis
gestellt wurde, und dass das römische Recht geradezu (jiund-
Geschichte der \\ icncr Uiii\cr»ittft I i
IJ.6 Rechts- uoii staatswissenschafüiche Facultäu
läge und Ausgangspunkt des Rechtsunterrichtes geworden
ist. Nicht mehr wie seinerzeit durch ein Semester, sondern
mindestens durch zwei Semester war es als Obligatgegen-
stand zu hören; thatsachlich wurden und werden aber gewöhn-
lich durch drei Semester Collegien über römisches Recht besucht.
In dieser Zeit des Aufblühens des römischen Rechtsstudiums
wirkten als ord. Nominalprofessoren des römischen Rechtes an
unserer Universität ausser dem bereits genannten Josef Hornig
zwei Männer, von denen jeder in seiner Art zu den Zierden
der Rechtswissenschaft gehört: Ludwig Arndts (Ritter von
Arnesberg, 1855 — ^874) und Rudolf (Ritter von) Ihering
(Winter 1868 — Sommer 1872). Vom Wintersemester 1872/73
bis in den Herbst 1894 ^^'^^ ordentlicher Professor des römi-
schen Rechtes Adolf Exner, in der Zeit vom Sommer 1889
bis ins Wintersemester 1 891 92 Gustav Demelius. Neben ihnen
wirkte in der Zeit von i883 — 1892 als ausserordentlicher Pro-
fessor Gustav Hanausek. Derzeit sind ord. Nominalprofessoren
des römischen Rechtes: Karl Ritter von Czyhlarz (seit dem
Sommer 1892^ und Ludwig Mitteis (seit dem Sommer 1895).
Als Professoren des Kirchenrechtes und des römischen Rechtes
lehrten auch römisches Recht: Theodor Ritter von Pachmann
(1850 bis in den Winter 1870) und später Friedrich Maassen
i Sommer 1871 — Sommer 1894»: desgleichen dero. Professor des
{)sterreichischen Civilrechtes und des gemeinen Rechtes Franz
Hofmann 11869 — 1896). Ausserdem hielten auch noch andere
Professoren zeitweise \'orlesungen über römisches Recht: vor
allen der o. Professor des österreichischen Civilrechtes Josef
Tnger durch eine Reihe von Semestern (i 866 71»; femer der
o. Professor des österreichischen Civilrechtes Leopold Pfaff
11872 8v>» und endlich der o. Professor des österreichischen Civil-
processes Kmil Schrutka von Rechtenstamm.
\\m den \*orj:enannten hatten schon die venia legendi an
unserer rniversiiät, sei es für römisches Recht allein, sei es in
\'crbindung mit einem anJern Fach erlangt: Josef Franz Dwor-
>.ak, Karl Ritter von l.zvhlarz, .\dolf Kxner, Franz Hofmann
und Ludwig Mitteis. Dwi^riak und Hofmann sind im Laufe
der Jahre an unserer Facultat vom Privatdocenten bis zum ordent-
Rechts- und staatswissenschaftliche Facultät.
147
liehen Professor aufgestiegen, während die übrigen erst auf Um-
wegen über andere Universitäten wieder nach Wien gelangt sind.
Ueberdies wurden während des in Behandlung stehenden
Zeitraumes als Privatdocenten für römisches Recht habi-
litirt: Ludwig Schiffner (1873), derzeit ordentlicher Professor
des römischen Rechtes in Innsbruck; Josef F^reiherr von Schey
(1877), derzeit ordentlicher Professor des österreichischen Civil-
rechtes in Wien; Gustav Hanausek (1879), derzeit ordentlicher
Professor des römischen Rechtes in Graz; Moriz Wlassak (1879),
derzeit ordentlicher Professor des römischen Rechtes in Strass-
burg i. E.; Ernst Hruza (1882), derzeit ordentlicher F^rofessor
des römischen Rechtes in Innsbruck; PYanz Klein (1891), derzeit
Geheimer Rath, Sectionschcf im Justizministerium und Honorar-
professor des österreichischen Civilproccsses und des römischen
Rechtes mit dem l'itel eines ordentlichen I^rofessors an der Uni-
versität Wien; Stanislaus Pineles (1891); Eugen Ehrlich (1894),
derzeit ausserordentlicher Professor des römischen Rechtes in
Czernowitz.
III. Deutsches Recht. Nachdem im Jahre 1808 die zuletzt von
Joh. Bernhard Föltsch bekleidete Professur der deutschen Reichs-
geschichte durch das Ilofkanzleidecret vom 9. März aufgehoben
worden war und gleichzeitig der a. o. Professor der deutschen
Reichspraxis, Karl Breinl, seine seit nahezu einem \'ierteljahr-
hundert aus eigenem Antrieb gehaltenen Vorträge über deutsches
Privatrecht eingestellt hatte, entbehrte die Wissenschaft des
deutschen Rechtes an der hiesigen Universität jedweder Pllege.
Österreich zoii sich nach der Auflösuni; des heiligen römi-
sehen Reiches immer mehr auf sich zurück, so dass endlich
die Absperrung jeden Zusammenhang mit dem geistigen Leben
und Streben ausserhalb seiner Grenzen unterbunden hat. r>st
die Ereignisse des Jahres 1S48 rissen die Schranken, die aul-
gerichtet worden waren, nieder und stellten lebendige Be-
ziehungen zu Deutschland und seiner geistigen Bethätigung ins-
besondere wiederum her.
Auch bei der von dem (irafen Leo Thun geplanten Studien-
reform wurde, übrii^cns unter urundsätzlicher Wahrung des
kirchlichen Standpunktes, das deutsche Hochschulwesen zum
II*
1^8 Rechts- und Staats wissenschaftliche Facultat.
Vorbilde genommen. Für die eigentlich juridischen Studien
sollte, wie aus einer auf Befehl des Kaisers ausgearbeiteten
Denkschrift des Ministeriums hervorgeht, die bisherige ratio-
nalistische, sowie die particularistische Richtung verlassen, den
historischen Elementen wieder volle Geltung eingeräumt und
vor dem einheimischen Rechte allgemeine Rechtswissenschaft
in üblicher Weise wie in Deutschland gelehrt werden. Hier-
nach erschien neben einer Belebung des vernachlässigten Stu-
diums des römischen Rechts die Pflege des deutschen Rechtes,
die gänzlich aufgehört hatte, nothwendig.
Diese Ideen, welchen Thun gelegentlich einer sub aiispiciis
Imperatoris erfolgten Promotion 1853 öffentlich Ausdruck lieh,
fanden ihre Verwirklichung in der Studienordnung vom 2. Oc-
tober 1855.')
Das deutsche Recht wurde neben dem römischen und
canonischen Rechte als ein obligater Lehrgegenstand zur Ein-
führung in die rechts- und staatsw^issenschaftlichen Studien für
die Zukunft bestimmt und gleichzeitig die rechtshistorische Staats-
prüfung auf das neue Fach ausgedehnt, während eine Ein-
fügung in die Doctoratsprüfung erst später durch die Rigorosen-
ordnung vom 15. April 1872 erfolgt ist.
Die erste Staatsprüfung aus der deutschen Reichs- und
Rechtsgeschichte sollte im Jahre 1858 stattfinden; mit Rück-
sicht darauf wurde neben Georg Phillips, welcher seit seiner im
Jahre 1851 erfolgten Anstellung in Wien die Vorträge über
diesen Gegenstand gehalten hatte, im Jahre 1857 ein zweiter
(Jermanist, Heinrich Siegel, berufen. Während erstcrer 1872
starb, war es letzterem vergönnt, durch vierzig Jahre in Ver-
tretung seines Faches an der Universität zu wirken.
Die Klärung und Abgrenzung, welche dem Lchrgegen-
stande während dieser Zeit zutheil geworden, ist aus den I-,ehr-
büchern ersichtlich, in welchen die beiden Vertreter des Faches
die Grundzüge ihrer Vorträge veröffentlicht haben.
') Siegel 's Rcctoratsrcde von 1878 und Nekrolog auf Leo Thun im Almanach
Jcr Kais. Akademie der Wissenschaften vom Jahre 1889, S. 165 ff.
Rechts- und staatswissenschaftliche Facuhät. ^49
Der nach dem Tode von Phillips erstattete Besetzungsvor-
schlag blieb unausgeführt, was spater (1880) zur Folge hatte,
dass durch eine Ministerialverfügung auf den o. Professor der
österreichischen Rechtsgeschichte und Rechtsalterthümer J. A.
Tomaschek auch das deutsche Recht, wofür derselbe 1859
die penia legendi erworben und seitdem ausgeübt hatte, als
Nominalfach übertragen wurde. Im Jahre 1893 trat Tomaschek
infolge seines Alters der gesetzlichen Bestimmung gemäss in
den Ruhestand; an seine Stelle wurde als o. Professor des
deutschen Rechtes nach dem Vorschlage der P\icultät 1894
O. V. Zailinger berufen.
Die venia legendi über deutsches Recht haben ausser
Tomaschek im Laufe der Jahre an der Facultat erworben:
H. Ritter v. Kremer- Auenrodc (1861), gestorben als ordent-
licher Professor des deutschen Rechtes in Prag; H. Brunner
(1865), jetzt ordentlicher Professor des deutschen Rechtes in
Berlin; J. Girtler (1867), gestorben als ordentlicher Professor
des deutschen Rechtes in Krakau; H. Schuster (1873, derzeit
ordentlicher Professor des deutschen Rechtes in Prag; S. Adler
(1891, in ^Erweiterung seiner 1S86 erlangten venia für Geschichte
der Verwaltung^, jetzt ausserordentlicher Professor der österr.
Reichsgeschichte an der Facultat; F. Freiherr v. Schwind
(1891), gegenwartig ordentlicher Professor des deutschen Rechtes
und der österreichischen Reichsgeschichte in (ira/; und jüngst
(1897) A. Ritter v. Wretschko.
iV. Österreichische Reichsgeschichte. Durch die neue
• ■
Studienordnung vom 20. April 1893 wurde <^ Osterreichische
Reichsgeschichte» als obligate Disciplin in den Fehrplan aufge-
nommen, und zugleich die rechtshistorische Staatsprüfung auf
dieses neue Fach ausgedehnt.
Die Aufi^aben der «Osterreichischen Reichst^eschichte werden
durch die vom Gesetze gewählte Benennung des Gegenstandes
nicht sofort deutlich. Die Bezeichnung will hauptsachlich den
Umstand betonen, dass es sich nicht so sehr um eine Fntwick-
lung in den einzelnen Fandern. als um diejenige des Gesammt-
staates handelt. Mit um so grösserer Klarheit eruibt sich aber
der Grimdcharakter des Fehri^euenstandes aus der im Gesetze
ICO Rechts- und staatswissenschaftliche Facultftt.
beigefügten Erklärung: «Geschichte der Staatsbildung und des
üfrentHchen Rechtes», und die erläuternden Bemerkungen zum
Gesetzentwurfe begründen diese Bestimmung von Inhalt und
Grenzen der Disciplin damit, dass das Studium des öster-
reichischen Rechtes ebenso wie jedes andere Rechtsstudium
auf geschichtlicher Grundlage zu ruhen habe, eine solche Grund-
legung aber nach dem heutigen Stande unseres Wissens kaum
für das österreichische Privatrecht, wohl aber für das öffentliche
Recht möglich sei.
Diese nunmehr verwirklichte Erhebung der österreichischen
Reichsgeschichte zu einem Lehr- und Prüfungsgegenstandc
brachte Bemühungen zum Abschlüsse, deren Anfänge weit in
die Vergangenheit zurückreichen. Die wissenschaftliche Pflege
der österreichischen Rechtsgeschichte erlebte schon im i8. Jahr-
hundert durch eine glückliche Verbindung mit der deutschen
Reichspublicistik eine kurze Blütezeit, welche vorzeitig enden
musste, als zu Beginn des 19. Jahrhunderts in Osterreich die
Pflege der deutschen Reichsgeschichte völlig aufhörte. (Siehe
oben S. 100.) Die Universitätsreform des Grafen Leo Thun
verkannte keineswegs die Wichtigkeit dieses Gegenstandes. Sie
glaubte dem akademischen Bedürfnisse dadurch Genüge zu
leisten, dass einzelne Partien der österreichischen Rechtsge-
schichte naturgemäss in den Vorlesungen über deutsche Reichs-
und Rechtsgeschichte Aufnahme fanden und ein Collegium
über österreichische Geschichte «mit besonderer Hervorhebung
jener Momente, welche für die österreichische Rechtsgeschichte
von Bedeutung sind», für obligat erklärt wurde.') Da aber im
IMifungswesen die Conscquenz nicht gezogen, und im Jahre 1856
ausdrücklich erklärt wurde, dass die österreichische Geschichte
nicht zu einem selbständigen Prüfungsfache gemacht werden
solle,') so musste in den Vorträgen über «österreichische Ge-
schichte» die Forderung nach einer Betonung der rechtsge-
schichtlichen Momente umsomehr in Vergessenheit gerathen, als
'• Vgl. die iK'iilcn Kriässc Jos Ministeriums für Ciilliis und l'ntcrricht vom
2. Oclohcr 1S55, Z. i5ifu Siudicnordnung) und 15211) . Instruction''.
-» Minisicrial- Verordnung vom 16. .April 1S5O, Z. 5S77.
Rechts- und staatswissenschaftliche Facultät. I C l
deren Erfüllung eine für den Nicht-Juristen kaum lösbare Auf-
gabe in sich schloss.
Fruchtbarer für die Pflege der österreichischen Rechlsge-
schichte wurde die Wiederaufnahme der deutschen Reichs- und
Rcchtsgeschichte in den Lehrplan. Der Zusammenhang beider
Disciplinen ist infolge der einstigen Zugehörigkeit Österreichs zum
Deutschen Reiche und der vielfachen Rechtsgemeinschaft beider
Staaten ein untrennbarer. Er führte dazu, dass sich die Historiker
des deutschen Rechtes der fc^ntwicklung desselben auf österreichi-
schem Boden zuwandten, und bald trat die Frucht dieser Be-
mühungen in einer Reihe von Monographien zutage, deren
grösster Wert eben in der P^esthaltung des Zusammenhanges
mit der allgemeinen deutschen Rechtsentwicklung zu suchen ist.
Aber auch im akademischen Unterrichte fand das Wiederer-
wachen des Interesses für österreichische Rechtsgeschichte darin
seinen Ausdruck, dass schon im Jahre 1846 Kmil Rössler, als
erster, Vorträge über diese Disciplin in der Stellung eines Privat-
docenten abhielt, dass A. v. Domin-Petrushevecz die venia
legendi über ein Theilgebiet erhielt, ebenso I'erdinand Bischoff,
zuletzt ordentlicher l^rofessor des deutschen Rechtes an der l'ni-
versitiit Graz, und dass schliesslich der jüngst verschiedene Ger-
manist J. A. Tomaschek seit dem Jahre 1861 als ausserordent-
licher, seit 1871 als ordentlicher IM'ofessor der «österreichischen
Rechtsgeschichte und Rechtsalterthümer» an der Wiener Fni-
versitat gewirkt hat.
Mochten aber auch die wissenschaltliche Pflege und der
akademische Unterricht des Gegenstandes manche Förderung er-
fahren haben, so entbehrte doch die Disciplin einer scharfen
Abgrenzung und der Finordnung in die Reihe der obligaten
Lehr- und Prüfungsfächer. Dieser wichtige l-Ortschritt geschah
dank den Bemühungen des damaligen Unterrichtsministers Frei-
herrn von Gautsch und dank dem entgegenkommenden Finver-
standnisse der gesetzgebenden Korper durch das oben citierte
Gesetz vom Jahre iS()3. Nach der Absicht desselben, welches
dem österreichischen N'erlassungs- und \'erwaltungsrecht die ge-
bürende Stelle zuweist soll die (österreichische Reichsgeschichte -
die unentbehrliche historische Grundlaize für diese Wissens/w ei^e
:rfr-'*ift*r; :r.i: T::r iieser \Ljrl;ace m lie 'rceüe ies rüjfaen^en
ii^- ,srL:r-ri:r.:s*:ner- ? i:cn.Si:.i>L:i:i:-iui rj. ±:nem :ciiü2£eti Lefar-
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.iri^rr: r ir.-.iierin:: ii^ ! Ccntiicztir: ?±umi?. Arer üe Reicfa>-
«is ::»^^ r»c "rijr i-c IcTrcz:::!-.!::!: n sicr: j^iibsc üicht bfcjss
: .r.;- rxt -p" .^.-kir. "^ jj.-i^ns^iiaficiier: ATTvnrd, ürcoem auch
:i-r,- ::.c "es* oier^'-. zliMn^pkiitüiieüai. ie iie iarrietet. Es
i.\rr, :lr :.■= Z-iinr: -n^siTis Sukid?'"«" isd!:< nchc jjeichjrlrig sein.
:/*';.; :.c Richri-v ..>.^'-^scr.j± -.-jr iii: -Le Err-irscrcnj: seines Werde-
;''v>ivscs ^iier.i: "v ri. i.e rem- icisüi-ie ♦jenerad«?a aber iene
,rTd:rv.;ie ,\rre:: v - [ihrtr-noirr^tr: -r:i:sc::r mririecc deren es
:-*M^rfr haL um !.'-><:": i^ijuiz ijifssrs^iZtn, Sie wxd dadurch zur
F.rk ir.ntr.is ^tr'Jlhrt. i>2.s> >Li^l.ci:c r r^jchr.ni irnmer aur dann
ry,d.^.h ^^urie'".. 'Aer.:: ie e'-rLicLneTi Thele >is± dem höheren
^fH',/^sr. :^2tn lerr.rcr.. Che^j zcscrLchi:che Becrachno^. so izeei^-
ne^ -».e sein .viri. -a.> Su2a:sre^*^j:N>c^cir: lu kriitiiirea. wird den-
'/^ih verh^tcT*. ia.ss ur.ser S^iac anier^r. Scaa:e:i schablonenhaft
^'i'r.crure^teilt werie: ier.n iurch :i:cii:> wird de ELcenart eines
^.r;t;iU:^ i':^^zhcht^ als durch die Vorruhninz seiner Geschichte.
Vertreter Je> Fache> sind der o. Pro:e>sor des deutschen
U^:',htf:^ (m^i V. Zallinjer. der a. o. lYor". Si^rraund Adler und
:^T f'r:v;ttd^cent Alfred H. v. Wretschfco.
J.her den Gegenstand wird ausserdem an der philosophi-
^M'::\ Facultät aelesen.
V. Kirchenrecht. In der vormarzHchen Zeit wurde das
/ .ifK/rji ,che Recht als ein Stück der Ver\valtun:=rsgesetzkunde be-
ff;i' htct iinJ behandelt. Die landesfürstlichen «Verordnungen in
P'j[.lir.o-eccle>ia>ticis> bildeten den eigentlichen Kern der Sache;
uu \ i;i-. * Handbuch des österreichischen Kirchenrechts» von
G'-'/f;' l^ecliberprer in erster Autlaj^e erschienen zu Linz 1807)
v.,ir bi . /iini .l.'ihre 1834 <das ofliciell vorgeschriebene Lehr-
lii< li 1^-. Kirchenrechtes für alle österreichischen Lehranstalten.»')
'; V S/Jiiilr.-, Oic ^icscliichtc Jcr Quellen und Literatur des canonischen
*''*•»'• «•»' .tuttj^.irt 1H75 i.'i.'v*; III, S. 3<;i.
Rechts- UDd staatswissenschaftliche Facultät. ^ 5 ^
Schon 1849, insbesondere aber 1855 infolge der durchgrei-
fenden und umfassenden Reform der Universitatsstudien durch
denlirafen Leo Thun wurde hierin Wandel geschaffen. In Vor-
trag und Schrift gelangte die Wissenschaft des gemeinen Kirchen-
rechts wieder zur Geltung, und traten die specifisch österreichi-
schen Verordnungen in die ihnen der Natur der Sache nach
allein zukommende Bedeutung und Stellung particularrechtlicher
Gestaltung zurück. Bei Theodor Ritter von Fachmann, welcher
1850 von Olmütz an die Wiener F^acultüt gekommen war, trat
dies noch nicht so bestimmt und entschieden hervor, wie bei G.
Phillips, welcher von iMünchen zuerst 1850 an die Innsbrucker
und dann 1851 an die Wiener Universität berufen worden war.
Beide vertraten aber an der P'acultat nicht bloss das canonische
Recht, sondern ersterer hatte ausserdem das römische, letzterer
das deutsche Recht zum Nominalfache, ebenso wie auch PYiedrich
Maassen, welcher 1870 als Phillips" Nachfolger von Graz an die
Facultät kam, neben dem canonischen das römische Recht docierte.
Eine selbständige, d. i. auf canonisches Recht allein beschrankte
Lehrkanzel gab es an der Facultät nicht. F^ine solche wurde erst
geschaffen, als Josef Ritter v. Zhishman, welchem vorerst (1867)
nur eine ausserordentliche Professur für orientalisches Kirchen-
recht verliehen worden war, im Jahre 1870/71 zum ordentlichen
Professor des Kirchenrechtes überhaupt befördert wurde. Nach
dessen Ernennung zum Director der k. u. k. Familien-Fideicommiss-
Bibliothek (1887) wurde auf diese Lehrkanzel Karl Gross von *
der (irazer Universität (1888) berufen, welcher dieselbe noch
gegenwartig innehat. Neben ihm wurde nach Maassen's Pen-
sionierung (1894) Max Ilussarek Hitter v. Heinlein iiS()5)
zum ausserordentlichen Professor des Kirchenrechtes ernannt,
welcher auch gegenwartig nach seiner im Herbste 18^7 erfolgten
Ernennung zum Ministerialrathe im Ministerium für Gultus und
Unterricht noch Specialcollegicn über das Fach abhält.
Als Privatdocenten für Kirchenrecht wurden in den letzten
50 Jahren habilitiert: Karl (iross (i<S66), der gegenwartige \'er-
treter des Faches an der Facultiit; Heinrich Singer ii(SSc>»,
gegenwartig ordentlicher Professor des Kirchenrechtes an der
deutschen Universität in Prau: Lud\^i^ Wahrmund \iN(S(^),
I^^ Rechts- und staatswissenschaftliche Facultät.
gegenwartig ordentlicher Professor des Kirchenrechtes in Inns-
bruck; Walther Ritter v. Hörmann (i 891), gegenwärtig ausser-
ordentlicher Professor des Kirchenrechtes in Czernowitz, und
Max Hussarek Ritter v. Heinlein (1893), gegenwärtig Ministe-
rialraih im Ministerium für Cultus und Unterricht.
VI. Rechtsphilosophie. Das Naturrecht bildete in der ersten
Hälfte dieses Jahrhunderts einen wichtigen Gegenstand des Rechts-
unterrichtes. Die naturrechtliche Schule des 18. Jahrhunderts hatte
es verstanden, ihre Lehre in dogmatischer Form zu fixieren, ihren
revolutionären Kern in das täuschende Gewand eines wirklichen
« Rechtssystems ^ zu kleiden. Der Staat beförderte mit gutem Grun-
de diese Täuschung, indem er gewisse Darstellungen des Natur-
rechtes officiell anerkannte und die Professoren beim mündlichen
Vortrage zum genauesten Anschluss an diese approbierten Lehr-
bücher verpflichtete. So wurde es politisch möglich, dass das
Naturrecht, dieses Programm der Revolution, in dem vormärz-
liehen Osterreich mit Eifer gelehrt werden, die historische Schule
I^uchta's und v. Savigny's dagegen, dies Programm der Reaction,
in demselben Staate gänzlich unbeachtet bleiben konnte. Der reiche
wissenschaftliche Gewinn, den diese Schule mit sich brachte, be-
gann hier erst vom Jahre 1848 an verwertet zu werden.
Im vormärzlichen Lehrplan vom 7. September 18 10 erschien
das «natürliche Recht» neben der Encyklopädie als eine Pro-
pädeutik für den jungen Rechtsbeflissenen. Es wurde in das
• «natürliche Privat-» und «natürliche öirentliche Recht» getheilt.
Im letzten Jahre der juristischen Studien wurde dann noch
«natürliche Politik» gelehrt, die in « Verfassungs-» und «Ver-
waltungspolitik» zerfiel und als Vorbereitung für die «politische
Gesetzkunde» zu dienen hatte.
Als im Jahre 1 848 Österreich seine Pforten dem Einströmen
deutscher Culturerrungenschaften wieder öffnete, fiel dieser Be-
wegung sofort das «Naturrecht» zum Opfer. An Stelle dieser
Disciplin trat nun «Rechtsphilosophie». Auch verpflichtete man
die Studierenden, an der philosophischen Facultät ein CoUcg
über «praktische Philosophie» zu hören.
Dies blieb im wesentlichen so bis in die Gegenwart, mit
der Massgabe, dass die neueste Studienordnung vom 20. April
Rechts- und staatswissenschaftliche Facultdt. I 5 5
1893 an Stelle der «Rechtsphilosophie» nur mehr ihre «Ge-
schichte» als obligates (Kollegium erklärt. Prüfungsgegenstand
ist die Rechtsphilosophie nicht mehr, und zwar bei der Staats-
prüfung seit 1854/55, beim Rigorosum seit 1872.
Die Lehrkanzel für «Vernunftrecht» war im Jahre 1842
mit Anton (Freiherrn von) Hye besetzt worden, der sie bis zum
Jahre 1850 innehatte. An seine Stelle traten Franz Edlauer
bis i863, spater Moriz Heyssler bis 1882. Neben ihnen
lehrten auch der Nationalökonom Lorenz Ritter von Stein
und der Criminalist Adolf Merkel, sodann in neuerer Zeit der
Publicist Wenzel Lustkandl, der Oiminalist Kmil Brunnen-
meister und die Publicisten Theodor Dantscher Ritter von
Kollesberg, Georg Jellinek und FIdmund Bernatzik diese
Disciplin. Die venia legendi für Rechtsphilosophie haben im
Laufe der Jahre erworben: (1875) Theodor Dantscher Ritter von
Kollesberg (jetzt ordentlicher Professor des allgemeinen und
österreichischen Staatsrechtes an der Universität Innsbruck) und
(1879) Georg Jellinek (jetzt ordentlicher Professor des Staats-
rechtes an der Universität Heidelberg).
VII. Das österreichische Privatrecht Hin selbständiger
Lehrstuhl für österreichisches allgemeines Privatrecht wurde an
unserer Universität erst in ihrem fünften Siiculum errichtet. An
der Juristenfacultiit wurde ursprünglich nur canonisches und dann
Jahrhunderte lang — bis 1752 - nur römisches Recht gelehrt;
obgleich der (iedanke frühzeitig erkennbar hervortrat, der Rechts-
unterricht habe den /wecken des Staates zu dienen, blieb das
einheimische Recht im Unterricht ohne Beachtung, man er-
lernte die heimischen Rechtsgebrauche erst in der Praxis. Mit
dem einheimischen Recht als Unlerrichtsgegenstand beschäftigte
sich zuerst die Instruction für die W lener Professoren der Rechte
von 1753, indem sie den Professor der Institutionen anwies, in-
cidenter die Unterschiede des //nz/v ftKuicrtni^ anzumerken. Das
einheimische Recht erschien somit nicht nur nicht als selb-
ständiger Unlerrichtsgegenstand. sondern es erschien im Studien-
programm überhaupt nicht. Spater '177^' wurde jedoch gestattet,
das von Prof. Ilupka für diese Art des Unterrichtes verfasste
Lehrbuch zu benutzen. Selbst die Ihatsjche, dass aus den
ic6 Rechts- und Staats wisseDschaftliche Facultät.
durch mehr als dreissig Jahre fortgesetzten Codificationsarbeiten
(1786) der erste Theil des allgemeinen bürgerlichen Gesetz-
buches das sogenannte Josephinische Gesetzbuch — hervor-
gegangen und als Gesetz publiciert worden war, änderte an
der herkömmlichen Behandlung zunächst grundsätzlich nichts;
noch im Jahre 1787 wurde nur verordnet, dass bei dem Vor-
trage des römischen Rechtes auch das bürgerliche Gesetz-
buch, soweit es kundgemacht sei und nach und nach heraus-
kommen werde, zum Unterrichte anzuwenden sei. Doch hatte
schon seit 1779 Georg Scheidlein, der seit 1774 an der There-
sianischen Akademie römisches Recht und später die öster-
reichische Rechtspraxis lehrte, auch an der Universität als ausser-
ordentlicher Lehrer über die österreichischen Provinzialrechte
und die Gerichtspraxis gelesen. Im Jahre 1787 finden wir im
Programm der Vorlesungen eine solche in täglich einer Stunde
von ihm gehaltene Vorlesung «über die österreichischen Rechte»
verzeichnet, und neben ihm liest in demselben Jahre und den
drei nächstfolgenden der ausserordentliche Lehrer Schwabe «über
allgemeine und insbesondere österreichische praktische Privat-
rechtsgelehrtheit». Allerdings wurden diese Vorlesungen nicht
gehalten von Professoren, sondern von «ausserordentlichen Leh-
rern», welche die Licenz zu Privatcollegien durch Ablegung
von drei Rigorosen und Abhaltung einer Disputation (ohne Pro-
motion) erworben haben konnten. Thatsächlich aber erlangte
das neue Lehrfach nun bald seine volle Selbständigkeit und
gleiche Geltung mit den älteren. Schon 1790 wird Scheidlein
als «Professor des österreichischen Privatrechtes» bezeichnet und
liest fortan regelmässig «das österreichische Privatrecht über
das Gesetzbuch und die Processordnung»; der Studienjahr-
gang, in den die Vorlesung über das einheimische Privatrecht
fällt, ist 1789 das zweite, 1792 das dritte, 1807 das vierte
Studienjahr; im letztgenannten Jahre heisst seine Vorlesung:
«das österreichische Privatrecht nach den Gesetzen selbst». Als
auf Grund der Studienordnung vom 7. September 18 10 der
Schwerpunkt des Rechtsunterrichtes auf das einheimische Recht
gelegt wurde, als Scheidlein über «das österreichische bürgerliche
Recht nach dem neuen bürgerlichen Gesetzbuche» täglich zwei
Rechts- und staatswissenschaftliche FacultAt. I C y
Stunden. Er trat im November 1825 in den Ruhestand und
starb 1826.
Von 1827 — 1847 waltete dieses Lehramtes Josef (Ritter
von) Wini warter. Ihm folgte 1848, wie er selbst, von Lem-
berg berufen, Ignaz Grassl (Ritter von Rechten), der das Fach
schon in der Zeit zwischen dem Rücktritt Scheidlein's und dem
Antritt Winiwarter's als Supplent versehen hatte. Grassl trat kurz
nach dem Wirksamwerden des Gesetzes vom 9. April 1870,
R.-G.-Bl. Nr. 47, in den Ruhestand; sein Nachfolger war Peter
Harum, der nach langen Leiden 1875 verschied.
Alle bisher Genannten waren Vertreter der exegetischen Me-
thode; für die alteren unter ihnen musste, wie das der Studien-
plan von 18 IG mit sich brachte, das Gesetzbuch das sein, was
in anderen Fachern das officiell vorgeschriebene Lehrbuch war.
Mehr als anderthalb Decennien vor dem Rücktritt (irassl's
hatte aber die durch den Minister Grafen Leo 'I hun durchge-
führte Studienreform die österreichischen Universitäten nach dem
Vorbild der deutschen gestaltet. Für das österreichische l^rivat-
recht wurde ein zweiter Lehrstuhl errichtet, dessen erster In-
haber Josef Unger (1856 — 1871) war. Mit ihiy beginnt jene
Behandlung des österreichischen Privatrechtes, die es auf seinen
historischen (jrundlagen aufbaut, insbesondere an seinem Zu-
sammenhang mit dem gemeinen Rechte festhalt. Alle spateren
Vertreter des Faches folgen Ungers Spuren. Als solche sind zu
nennen: Franz Ilofmann, als ausserordentlicher Professor seit
1871, als Ordinarius von 1877 1897, Leopold Pfaff seit i<S72
als ordentlicher Professor, ferner durch einige Jahre seit i<SS()
Adolf Menzel als F^xtraordinarius, endlich Josef Freiherr v.
Schey im Wintersemester iNtSj <Ss als ausserordentlicher, seit
1897 als ordentlicher Professor.
Die vcnitj legendi für österreichisches Privatrecht erwarben
in den letzten ^o Jahren in Wien: Julius il'reiherr von» l'ier-
linger (i(S54», gest. als Senatspriisidcnt des Verwaltungsgerichts-
hofes. Geheimer Rath: Karl Ilabietinek «1859», jetzt Justiz-
minister a. n., (ieheimer Rath, 11. Präsident des Obersten (ierichts-
und Gassationshofcsund \'iceprasident des Reichsgerichtes; Leopold
Pfaff (1860); Adolf Kxncr « 1867), gest. als ordentlicher IVofessor
1^8 Rechts- und staatswissenschaftUchc Facultät.
des römischen Rechtes in Wien; Franz Hof mann (1869, auch
für Handels- und Wechselrecht, in F>\veiterung der früher er-
langten J^enia für römisches Recht) gest. als Professor des öster-
reichischen Privatrechtes und des gemeinen Rechtes in Wien;
Ludwig Schiffner (1873), jetzt ordentlicher Professor des römi-
schen Rechtes in Innsbruck; Wilhelm Fuchs (1877), gest. als
Hof- und Gerichtsadvocat in Wien; Heinrich Singer (1880),
jetzt ordentlicher Professor des Kirchenrechtes an der deutschen
Universität in Prag; Josef Unger (1881), in Erweiterung der venia
für österreichisches und englisches Staatsrecht), jetzt Minister a. D.,
Geheimer Rath und Präsident des Reichsgerichtes; Ernst Hruza
(1882), jetzt ordentlicher Professor des römischen Rechtes in Inns-
bruck; Adolf Menzel (1882), jetzt ordentlicher Professor der Ver-
waltungslehre und des österreichischen Verwaltungsrechtes in Wien ;
Victor Waldner (1884, in Erweiterung der tfenia für Civilprocess-
recht), jetzt ordentlicher Professor des civilgerichtlichen Verfah-
rens, des »Handels- und Wechselrechtes in Innsbruck; Max Eugen
Burckhard (1886), jetzt Rath beim Verwaltungsgerichtshof; Fried-
rich Zoll (1895), j^^zt ausserordentlicher Professor des österreichi-
schen Privatrechtes in Krakau und Armin Ehrenzweig (1897).
VIII. Österreichisches Handels- und Wechselrecht. Ein selb-
ständiger d. i. auf dieses Fach allein beschränkter Lehrstuhl
besteht erst seit 1872, in welchem Jahre er mit Rücksicht auf den
Umstand, dass seit dem i. Juli i863 ein neues, umfangreiches
Handelsgesetzbuch in Kraft getreten war, und dass dieser Theil des
Privatrechtes für die ganze moderne Rechtsbildung eine erhöhte
Bedeutung erlangt hatte, auf Vorschlag der Facultät geschaffen
wurde. Bis dahin wurden die Vorträge über Handels- und Wechsel-
recht nebenher von Vertretern anderer Rechtsgebiete abgehalten,
so von den o. Professoren des österreichischen civilgerichtlichen
Verfahrens Josef Leeb, Franz X. Haimerl und Karl Habieti-
nek, von dem o. Professor der Rechtsphilosophie und des öster-
reichischen civilgerichtlichen Verfahrens Moriz Hey ssler und
von dem o. Professor des österreichischen Staats- und Vcrwal-
tungsrechtes Moriz Ritter v. Stubenrauch. Die neue Lehrkanzel
für österreichisches Handels- und Wechselrecht hat der 1869 ha-
bilititrte C. S. Grünhut seit 1872 als ausserordentlicher und seit
Rechts- und staatswissenschaftliche Facultät. I S9
1874 ^Is ordentlicher Professor inne. Eine Zeitlang hielt neben
demselben auch der ausserordentliche Professor des römischen
Rechtes Gustav Hanausek (jetzt ordentlicher Professor des römi-
schen Rechtes in Graz) Vorträge über dieses Specialfach ab. Die
venia legendi für dasselbe erwarben ausserdem (1869) Franz Hof-
mann (gest. als ordentlicher Professor des Österreichischen Civil-
rechtes und des gemeinen Rechtes an der Universität Wien) und
(1893) Karl Adler.
IX. Österreichisches Bergrecht. Vorlesungen über Berg-
recht wurden an der Facultät schon vor dem Jahre 1848 abge-
halten, und zwar von Supplcnten, in Verbindung mit dem ungari-
schen Privatrecht; eine eigene Lehrkanzel für Bergrecht bestand
jedoch bisher nicht. Im Jahre 1849 hat der Professor an der
Theresianischen Kitter- Akademie Gustav Wenzel an das Unter-
richts-Ministerium die Bitte gestellt, regelmässige Vortrage über
dieses Lehrfach an der Universität abhalten zu dürfen, indem er
in einem Promemoria die Wichtigkeit des Bergrechtes darlegte.
Wenzel wurde jedoch schon 1850 als Professor nach Budapest ver-
setzt. Nunmehr kam es zur Schaffung einer besonderen Lehrkanzel
für Bergrecht an der Wiener Facultiit. Minister Graf Leo Thun
erstattete unter dem i3. September 1850 einen allerunterthiinig-
sten Vortrag, in welchem er auf die hohe volkswirtschaftliche
Bedeutung des Bergbaues für Österreich hinwies, wodurch es ge-
rechtfertigt erscheine, die bisher bloss von Supplenten abgehalte-
nen Vortrage über Bergrecht dauernd sicherzustellen; er brachte
daher die fc]rrichtung einer besonderen Lehrkanzel an der Wiener
Facultät in Vorschlag, wie eine solche in Prag schon langst be-
stand. Gleichzeitig beantragte er. den bisherigen Berghauptmann
Otto Freiherrn v. Ilin^enau zum ausserordentlichen Professor
des Bergrechtes zu ernennen. Mit allerhöchster Kntschliessung
vom 27. September 1850 wurden diese Antrage genehmigt.
Hingenau versah die Lehrkanzel bis zu seiner im Jahre
1866 erfolgten Versetzung in den Ruhestand. Hierauf erhielt
der Hof- und Cierichtsadvocat Ferdinand Samitsch als ausser-
ordentlicher Professor den Auftrag, \'orlesungen über Bergrecht
abzuhaken: nach seinem im Jahre 1S74 erfolgten Tc^de wurde
dem a. o. Professor des deutschen Hechtes Heinrich Schuster
l6o Rechts- und staatswissenschaftliche Facuhät.
die Lehrverpflichtung für jenes Fach übertragen; nach dessen im
Jahre 1889 erfolgter Versetzung als Ordinarius nach Prag gieng
die Vertretung des Bergrechtes auf Adolf Menzel, jetzt ordent-
licher Professor der Verwaltungslehre und des österreichischen
Verwaltungsrechtes, über.
Der Pflege des Bergrechtes an der Wiener Facultät ist eine
besondere Studentenstiftung gewidmet, welche Prof. Samitsch
letztwillig angeordnet hat.
X. Das Lehenrecht bildet einen Lehrgegenstand, welcher, aus
früheren Zeiten überkommen, im Verlaufe der* letzten fünfzig
Jahre von dem Katheder verschwunden ist.
Die akademische Vertretung dieses Rechtes, das längst schon
seine einstige Bedeutung verloren hatte, war in Osterreich mit
einer anderen Lehrkanzel, welche seltsamer Weise die des civil-
gerichtlichen Verfahrens gewesen ist, verbunden.
Die beiden Professuren bekleidete an unserer Facultät im
Jahre 1848 wie schon vorher J. Leeb, und, als dieser 1852
starb, trat an seine Stelle mit demselben doppelten Lehrauftrag
F. X. Haimerl. Von letzterem w\irde übrigens schon nicht mehr
alljährlich das Lehenrecht vorgetragen, seitdem die neue Studien-
ordnung vom 2. October 1855 die Abhaltung derartiger Vorlesun-
gen nur noch in angemessenen Zw^ischenräumen vorgeschrieben
hatte, und als Haimerl 1867 infolge seiner Ernennung zum
Präsidenten des Unterrichtsrathes aus der Facultät ausschied,
hörten diese Vorträge für die Zukunft ganz auf. Dem Nachfolger
HaimerFs auf dem Lehrstuhl des civilgerichtlichen Verfahrens
wurde ein auf das Lehenrecht bezüglicher Lehrauftrag nicht mehr
ertheilt. Hatte doch schon das Gesetz vom 17. December 1862,
an welches sich ergänzend zwei weitere Gesetze vom 3i. De-
cember 1867 anschlössen, das bestehende Lehensband grossen-
theils aufgehoben und die Errichtung neuer Lehen untersagt.
Als Gegenstand der Prüfung zur filrlangung des Doctorates
wurde das Lehnrecht durch die Rigorosenordnung vom 15. April
1872 beseitigt und an seine Stelle das deutsche Recht gesetzt.
XI. Ungarisches Privatrecht Der Plan des juridisch-politi-
schen Studiums vom Jahre 18 10, der sich die Heranbildung von
Staatsbeamten für die deutschen Erbstaaten der Monarchie als
Rechts- und staatswissenschaftliche Facultät. 1 6 1
Hauptziel setzte, Hess als «Nebenfächer» immerhin auch c fremde
Rechte» zur Geltung kommen, deren Kenntnis aus praktischen
und wissenschaftlichen Rücksichten für den österreichischen Juri-
sten von Wert schien. Zu diesen zählte das ungarische
Recht. Vorerst an der Theresianischen Ritter-Akademie ein-
geführt, erscheinen Vorlesungen über ungarisches Privatrecht
seit 1819 auch in den Lectionskatalogen der Universität, gehal-
ten vom a. o. Professor Johann v. Jung. Von i832 bis 185 1
bestand, in merkwürdiger Verbindung, eine Lehrkanzel für
«ungarisches Privatrecht und allgemeines Bergrecht», welche
Josef Paul Nemethy und nach ihm Johann v. Godinger
innehatte.
Nachdem 1853 das österreichische allgemeine bürgerliche
Gesetzbuch auch in den Ländern der ungarischen Krone in
Kraft gesetzt worden war, hatte die neue Ordnung der rechts- und
staatswissenschaftlichen Studien vom Jahre 1855 das einheimi-
sche ungarische Recht nur mehr als Gegenstand der Rcchtsge-
schichte «einzelner österreichischer Länder» ins Auge zu fassen
(S 3, lit. e des Ministerial-Erlasses vom 2. October 1855, '^- LS^^^^).
Unter diesem Titel wurde dann ein Lehrstuhl für ungarisches
Recht in die Facultät eingereiht, welcher bestehen blieb, auch als
mit der Umgestaltung des staatsrechtlichen Verhältnisses zu Un-
garn und der dort im Jahre i(S()i erfolgten Wiederaufliebung der
Geltung des bürgerlichen (iesetzbuches das ungarische Privat-
recht wieder in die Stellung eines «fremden Rechtes» zurücktrat.
Aber die geänderte politische Lage und überdies der Umstand,
dass in neuerer Zeit die Freizügigkeit der Rechtshörer zwischen
den Hochschulen der beiden Reichshälften auf ein Minimum
eingeschränkt wurde, brachte es mit sich, dass nach dem Rück-
tritte des langjährigen Vertreters jener Lehrkanzel deren Wieder-
besetzunü nicht als dringend erachtet wurde.
Von 1853 bis 1879 hatte Prof. Anton Vcghy ungari-
sches Recht an der Facultät gelehrt. Nach Veghy's Abgang
fand sich kein Bewerber, welcher dem Profcssorencollegium
wissenschaftlich geeignet schien, diese Professur zu bekleiden.
Doch wurde im Jahre iSSj, nach dem \*orschhme des Uolle-
giums, der damalige Privatdocent des Völkerrechtes, Felix
(jc>chichlc der \\ iciicr Lin>vr*ral. 12
l62 Rechts- und Staats wissenschaftliche Facultät.
Störck, unter Ausdehnung seiner pcnia legendi auf dieses Ge-
biet, von der Unterrichtsverwaltung mit der Abhaltung von
Vorlesungen über ungarisches Privatrecht und ungarisches Staats-
recht betraut. Indes folgte Störck kurz darauf einem Rufe als
Professor an die Universität Greifswald, und so blieb dieser
Versuch einer Wiederbelebung der Pflege des ungarischen Rechtes
an unserer Facultät ohne Erfolg.
Xll. Das österreichische civilgerichtliche Verfahren umfasst
den C.ivilprocess im engeren Sinne und die sogenannte freiwillige
Gerichtsbarkeit, in Österreich zumeist Verfahren ausser Streit-
sachen oder adeliges Richteramt genannt. Nach der Studien-
ordnung vom 7. September 18 10 erstreckte sich dieses Lehrfach
auch auf den sogenannten Geschäftsstil der Justiz- und Admini-
strativbehörden, eine Materie, die, weil der wissenschaftlichen
Behandlung widerstrebend, bei der Thun'schen Reform vom
2. October 1855 zu Boden fiel
Die Vorlesungen über dieses Rechtsgebiet sind seit jeher auf
zwei Semester vertheilt. Nach den genannten Studienordnun-
gen durften sie erst im vierten Jahrgange des rechts- und staats-
wissenschaftlichen Quadrienniums gehört werden; nach der heute
geltenden Studienordnung vom 20. April 1893 ist eine bestimmte
Reihenfolge für den Besuch der Collegien des zw^eiten Studien-
abschnittes nicht vorgeschrieben und ist es daher gestattet, auch
dieses CoUegium wann immer nach Ablegung der rechtshistori-
schen Staatsprüfung zu hören. Aber die alte Tradition wirkt
noch fort und es ist auch heutzutage Brauch, mit diesem Gegen-
stand das Facultätsstudium abzuschliessen.
Diese Übung verdient durchaus gebilligt zu werden, denn
das Verfahren in und ausser Streitsachen bildet, auch wenn
man den siilus ciiriae nicht einbezieht, die Brücke, welche von
der Theorie zu der Praxis, von der Rechtslehre zu der Rechts-
anwendung hinüberführt. Damit ist auch die Methode ge-
geben, welche der Docent seiner Darstellung zugrunde zu legen
hat. Mag immerhin die geschichtliche Erforschung des Rechtes
als die eigentliche wissenschaftliche Form der Jurisprudenz zu
betrachten sein, das österreichische civilgerichtliche Verfahren
ist im Rahmen unserer Studienordnungen als ein rein dogma-
Rechts- und staatswissenschaftliche Facuhftt. l63
tisches Lehrfach gedacht, darauf berechnet, den jungen Juristen
mit dem ziemlich spröden RechtsstotT vertraut zu machen. Dem-
gemäss besteht die Aufgabe des Processrechtslehrers vornehm-
lich darin, die jeweilig geltenden Rechtsnormen processualen
Inhaltes zu sammeln und in ein wissenschaftliches Svstem zu
verarbeiten, ihre Lücken und Widersprüche zu entfernen und
überhaupt dem Rechtsstoff die für die Überlieferung tauglichste
Form zu geben. Aber diese Hauptaufgabe schliesst es nicht
aus, den Blick der Zuhörer von der Gegenwart auf die Ver-
gangenheit und auch auf die Zukunft zu lenken. Es gibt ja viele
Institute des Civilprocessrechtes. die man nicht verstehen kann,
ohne ihre Geschichte vor Augen zu haben, und andere, die der
Umbildung dringend bedürfen, wenn sie den Zweck erreichen
sollen, um dessentwillcn sie geschaffen worden sind. Der legis-
lativ-politischen Betrachtung musste insbesondere bei der Dar-
stellung des älteren, auf der allgemeinen Gerichtsordnung vom
Jahre 1781 und der westgalizischen vom Jahre i 7^)0 beruhenden
Processrechtes ein breiterer Raum zugestanden werden, wahrend
die neue, am i. Januar 1898 activierte Civilprocessgeset/gebung
der Kritik viel weniger Angriffspunkte darbietet. l'brigens
gibt für die Kinfühmng in die rechtsgeschichtliche und rechts-
politische Methode nebst den Specialcollegicn Jas civilprocessuale
Seminar die beste Gelegenheit; hier kann sich die Individualitat
des Lehrers voll entfalten.
Den Lehrstuhl des österreichischen civilgerichtlichen Ver-
fahrens, welcher seit etwa zwei Decennien doppelt besetzt wird,
hatten in den letzten fünfzig Jahren inne: die ordentlichen Pro-
fessoren Josef Lech, Franz X. Ilaimerl, Karl liabietinek,
Moriz Heyssler. Anton Menger. Kmil Schrutka l-ldler
V. Rechtenstamm. Seinerzeit hat auch der vStrafrechtslehrer
Julius Glaser X'orlesunucn über dieses I'ach uehalten.
Die rcniii legendi für unser (icbiet erlangten in derselben
Periode: Josef i Ritter vom Hauer «isje» »gest. als Mitglied des
nieder()sterreichischen I .andesausschusses und Stellvertreter des
Landmarschatlesi; Gustav Ritter v. Keller mS^o^ (uest. als Vice-
priisident des österreichischen ( )berlaiidesgerichts in Wien): Josef
Franz Dworzak i8s2) luestorben als ordentlicher Professor des
12»
164 Rechts- und Staats wissenschaftliche Facultät.
römischen Rechtes und des gemeinen Civilprocesses an der Uni-
versität Wien) ; Ferdinand Schuster (v. Bonnott) (1852) (später
ordentlicher Professor des civilgerichtlichen Verfahrens. Handels-,
Wechsel- und Lehenrechtes an der Universität Pest); Karl Gross
(1867) (jetzt ordenthcher Professor des Kirchenrechtes an der Uni-
versität Wien); Philipp Ilarras Ritter v. Harrasowsky (1868)
(gestorben als Hofrath am obersten Gerichts- und Cassationshofe);
Anton Menger (1872) (jetzt ordentlicher Professor des österreichi-
schen civilgerichtlichen Verfahrens an der Universität Wien); Josef
Kaserer (1872, mit der Beschränkung auf österreichisches Con-
cursrecht) (gestorben als Sectionsrath im Justizministerium); Emil
Schrutka Edler v. Rechtenstamm (1879) (jetzt ordentlicher
Professor des österreichischen civilgerichtlichen Verfahrens an der
Universität Wien); Victor Waldner (i883) (jetzt ordentlicher
Professor des civilgerichtlichen Verfahrens und des Handels- und
Wechselrechtes an der Universität Innsbruck); Franz Klein (1885)
(jetzt Geheimer Rath, Sectionschef im Justizministerium und
Honorarprofessor des römischen Rechtes und des österreichi-
schen Civilprocesses an der Universität Wien, mit dem Titel
eines ordentlichen Professors); Rudolf Pollak (1894); Ernst
Demelius (1895) (jetzt ausserordentlicher Professor des öster-
reichischen Civilrechtes an der Universität Innsbruck) und jüngst
Gustav Walker (1898).
XIII. Österreichisches Strafrecht, Strafprocessrecht und
gerichtliche Medicin. Auf dem Gebiete des Strafrechtes ist in
Osterreich weder die wissenschaftliche Arbeit noch die akademi-
sche Lehrthätigkeit einem solchen Zustande der Erstarrung ver-
fallen, wie es für das (Zivilrecht vielfach beklagt wird. Egger
und Kudler werden als anregende Lehrer geschildert und sind
auch literarisch in verdienstlicher Weise thätig gewesen. Je null,
der Autor des trettlichen C.ommentars zum Criminalgesetzbuch von
i8ü3, scheint auf die Fortbildung seiner Vorträge grosses Ge-
wicht gelegt zu haben. Wiederholt wird über ihn berichtet,
dass er in diesem oder jenem Jahre die in seinem Commentar
gegebene Darstellung dieser oder jener Materie in den Vorträgen
wesentlich modificiert habe. Der bedeutendste Criminalist freilich,
den das Österreich jener Zeit hervorbrachte, Joseph v. Würth,
Rechts- und staatswissenschaftliche Facultät. '^^
der geniale Schöpfer der Strafproccssordnung von 1850, stand
ebenso wie der tüchtige Kitka ausser dem Verbände der Uni-
versität. In hervorragender Weise aber wirkte an dieser Anton
(Freiherr v.) Hye, der in seinen akademischen Vorträgen (i838 —
1854) die Studierenden mit regem Interesse und mit Begeisterung
für die Wissenschaft zu erfüllen verstand. Der veränderte (Cha-
rakter der Vorträge kam auch durch eine Änderung ihres Titels
zum Ausdrucke; er bezeichnet sie seit 1849 nicht mehr als Vor-
träge «über das österreichische Strafgesetz», sondern als solche
«über das österreichische Strafrecht im Vergleiche mit den übri-
gen europäischen Strafgesetzgebungen*. Nachdem Hye, durch
die Verordnung vom 18. August 1854 vor die Wahl zwischen
seiner Stellung als Referent im Justizministerium und die Pro-
fessur gestellt, die letztere aufgegeben, gieng die geistige Führung
der Studierenden auf diesem Gebiete nicht auf den Ordinarius
Edlauer, sondern auf zwei Privatdocenten, auf den seit 1854
docierenden W. E. Wahlberg und auf den eben habilitierten .lulius
Glaser über. Beide erweiterten die akademische Lehrthätigkeit
über das bis dahin übliche Mass durch Abhaltung zahlreicher
Specialvorlesungen über die verschiedensten Materien des mate-
riellen Hechtes und des Processrechtes und durch l 'bungscollegien.
Allgemein bekannt ist (Jlaser's hervorragender Antheil an der
österreichischen Gesetzi»cbunu und seine führende Stellung in der
I-,iteratur des deutschen Strafprocessrechtes. Walilberg wiederum
war der erste, der in der deutschen Hechtswissenschaft den Zu-
sammenhang der Aufgaben des Strafrechtes mit jenen des \'er-
waltungsrechtes hervorhob, und einer der ersten Führer jener
die Gegenwart beherrschenden, durch einen seiner Ilnrer «Franz
F^duard Ritter v. Liszt) nach Oeutschland vcrptlanzten Richtung,
welche das Verbrechen nicht bloss als juristischen Hegriir. son-
dern als sociale Erscheinung untersucht. Nachdem Glaser 1S71
Justizminister ^ew()rden, wurde zunächst Adolf Merkel, der
tiefer als alle Zeitgenossen die philosophischen Grundlagen des
Strafrechtes erfasst hatte, nach Wien berufen. Leider folgte er,
bevor er noch eine gnissere Wirksamkeit enttalten konnte, einem
Rufe nach Strassbur^. Ebenso v<)rüberL:ehenJ war auch die
Thätii^keit Emanuel lllmann s .jct/t in München 1 und Jo so
l66 Recht!- und staatswissenschaftliche Facultflt.
früh der Wissenschaft entrissenen Emil Brunnenmeister. Den
meisten der Genannten war es ebenso wie den derzeit wir-
kenden Ordinarien Heinrich Lammasch (seit 1889) und Karl
Stooss (seit 1896) auf Einladung des Justizministeriums ver-
gönnt, auch an den Entwürfen zur Fortbildung des österreichi-
schen Strafrechtes mitzuarbeiten. Vorübergehend waren an
der Facultät als Docent, beziehungsweise als Professor für Straf-
processrecht auch thätig Gustav Keller und Salomon Mayer.
Habilitiert haben sich an ihr ausser Wahlberg, Glaser und Eam-
masch auch noch (1870) Ferdinand Lentner (derzeit ordentlicher
Professor in Innsbruck), (1887) Olto Friedmann (derzeit ausser-
ordentlicher Professor in Wien), (1894) Adolph Lenz (nach Frei-
burg in der Schweiz berufen) und (1896) Alexander Löffler.
Als Hilfswissenschaft des Strafrechtes w^urde wahrend des
ganzen Zeitraumes auch gerichtliche Medicin (zeitweise unter
dem Titel «gerichtliche Medicin und gerichtliche Ps}'chologie»)
zuerst von Beer, dann von v. Gatscher, sowie von dem an der
juristischen und medicinischen Facultät habilitierten Privatdocenten
Adolf Schauenstein (spater ord. Professor in Graz) vorgetragen.
Im Jahre 1884 wurden auf Antrag der Facultät die Vorträge für
Juristen dem durch seine wissenschaftliche wie gerichtsärztliche
Thätigkeit gleichmässig ausgezeichneten Professor an der medi-
cinischen Facultät Eduard Ritter v. Hofmann übertragen, der
dieselben bis zu seinem 1897 erfolgten Tode abhielt.
In einem gewissen äusseren Zusammenhange mit den
Vorträgen über Strafrecht standen auch die in den Fünf-
ziger- und Anfang der Sechzigerjahre abgehaltenen (Kollegien
vSpringers und Blodig's über Gefällsstrafrecht und Gefällsstraf-
process.
XIV. Allgemeines und österreichisches Staatsrecht, Ver-
waltungslehre und österreichisches Verwaltungsrecht. Das All-
gemeine des Staatsrechts wurde an der juridischen F'acultät der
Wiener Universität noch während der ganzen Regierungszeit des
Kaisers Ferdinand bis zum Jahre 1848 als ein Theil des « Natur-
rechtes -> behandelt. Es war nämlich vorgeschrieben, nachdem im
ersten Semester des juridisch-politischen Studiums nebst einer
encyklopädischen Einleitung «das natürliche Privatrecht» nach
Rechts- und suatswissenschaftliche Facultit. 167
dem Lehrbuche von Zeiller zur Darstellung i^ckommcn war,
im zweiten Semester <das natürliche ölfentliche Recht > nach
des PYeiherm v. Martini <Positiones de jure civitatis > und
daran schliessend Criminalrecht vorzutragen. Vertreter dieser
umfassenden Disciplin waren Prof. Franz Ritter v. Kgger von
1837 und Prof. Anton «Freiherr von"! Hye von 1844 an. Letz-
terer trug sie noch im Studienjahr 1847/48 unter dem Titel
«Vemunftrecht» vor.
Das positive Staats- « Verfassungs- und Verwaltungs-'i recht
wurde bis 1848 zum Theil im ersten Jahrgange als < Kuropaische
Staatenkunde > nach Zizius' theoretischer Kinleitung und de
I^uca's Grundriss und als «österreichische Staatenkunde^ nach
Bisingers Generalstatistik von Prof. Johann Springer, und zum
Theile im vierten Jahrgange als «Politische Wissenschaften > nach
Sonnenfels' Grundsätzen über Polizei, Handlung und l-'inanz
und als ^^ Politische Gesetzkunde» nach \\*. Kopetz' österreichischer
Gesetzkunde und den bestehenden (lesetzen von Prof. Johann
Kudler behandelt.
Die mit dem Jahre 1848/49 angebrochene Neugestaltung
unseres öffentlichen I-ebens spiegelt sich auch in den Verzeich-
nissen der an unserer Universiiat über ötfentliches Recht ab-
gehaltenen Vorlesungen wieder.
Wir finden unter denselben nebst anderen ein (',< »Helium
von Springer über die «Theorie der Verfassungs- ^C.onstitutions-)
l^olitik>; ausserdem fangt v. Stubenrauch an, sein Jahrescolle-
gium über österreichische Verfassungs- und über österreichische
Verwaltungsgesetzkunde regelmassig 11841)50, 1^50 51 1 abzu-
halten.
Aber schon mit dem Wintersemester 1S51/52, also noch vor
dem Sylvesterpatent vom 3i. December 1S51, verschwinden
die Vorlesungen über österreichisches Nerfassungsrecht, und wird
von nun an von v. Stubenrauch nur mehr ein Jahrescollegium
über österreichische Xerwalluimsueselzkunde gelesen.
1 t
An diesem Zustande änderte auch die Siudieiiordnung vom
2. October iS>^ nur wcniu. Allerdiims schrieb sie für das dritte
Jahr der juridischen Studien auch politische Wissenschaften»
in beiden Semestern vor; aber die drei datür bestinuuten (lolle-
l68 Rechts- und staatswissenschaftliche Facuhät.
gien hatten nur «Nationalökonomie, Finanzwissenschaft und die
Lehre von jenen administrativen Aufgaben zu umfassen, welche
weder der Justiz- noch der Finanzverwaltung angehören, und
zwar mit möglichster Hinweisung auf die österreichischen Ver-
hältnisse, Einrichtungen und Gesetze»; — Vorträge über ver-
fassungsrechtliche Fragen waren in den Plan nicht einbezogen.
Nach der Erlassung des Kaiserlichen Diplomes vom 20. Oc-
tober 1860 und der auf demselben beruhenden Verfassung vom
26. Februar 1861 nahm v. Stubenrauch sein Collegium über
«Österreichisches Verfassungsrecht» wieder auf und hielt es von nun
an regelmässig bis zu seinem im Sommer 1865 erfolgten Tode ab.
Im Winter 1864 habilitierte sich W. I.ustkandl für «Oster-
reichisches Staatsrecht» und wurde der emeritierte Prof. A. v.
Viroszil zu Vorträgen über das «Staatsrecht des Königreiches
Ungarn» berufen.
Als im Jahre 1867 der Ausgleich mit Ungarn zustande-
gekommen war, wurde Lustkandl zu einer ausserordentlichen
Professur für «Österreichisches Staatsrecht», und zwar am
14. F'ebruar 1868 ernannt.
In demselben Jahre wurden im Schosse des Professoren-
collegiums die Grundsätze für eine neu zu erlassende Rigorosen-
ordnung berathen und hiebei eine Berücksichtigung des Staats-
rechtes bei den strengen Prüfungen empfohlen. Am 15. April
1872 wurde die neue Rigorosenordnung erlassen. Sie ordnete
für die rechts- und staatswissenschaftlichen Facultäten anstatt der
früheren vier Rigorosen nur drei an und schrieb für das staats-
wissenschaftliche Rigorosum nebst Völkerrecht auch allgemeines
und österreichisches Staatsrecht als Prüfungsgegenstand vor.
Im Jahre 1875 v\'urde Theodor Dantscher Ritter v.
Kollesberg für Rechtsphilosophie und allgemeines Staatsrecht
habilitiert. Im Jahre 1886 wurde er zum a. ö. Professor der
Rechtsphilosophie und des Staatsrechtes an der Universität Wien
ernannt und im Jahre 1 888 zum ordentlichen Professor des allge-
meinen und österreichischen Staatsrechtes an die Universität
Innsbruck berufen.
Im Jahre 1879 habilitierte sich Georg Jellinek zunächst für
Rechtsphilosophie. Im Jahre 1882 wurde seine venia legendi
Rechts- und staatswissenschaftliche Facultät. lÖQ
auf allgemeines Staatsrecht und Völkerrecht ausgedehnt. Im
Jahre i883 wurde er zum a. ö. Professor des Staatsrechtes
mit der Lehrverpflichtung auch für Völkerrecht an der Uni-
versität Wien ernannt. Aber schon im Jahre 1888 legte er
diese Stellung nieder, um bald darauf als Ordinarius nach Basel
und später nach Heidelberg berufen zu werden.
Im Jahre 1886 habilitierte sich Edmund Bernatzik zu-
nächst für österreichisches Verwaltungsrecht. Seine vcjiia legendi
wurde noch im selben Jahre auf das Gebiet des allgemeinen
und österreichischen Staatsrechtes ausgedehnt.
Die Studienordnung vom 20. April i8g3 schuf endlich eine
feste Stellung für das Staats- und Verwaltungsrecht, indem sie
sowohl «allgemeines und österreichisches Staatsrecht», als auch
«Verwaltungslehre und österreichisches Verwaltungsrecht» unter
die Obligatgegenstände aufnahm und beide auch zu Prüfungs-
fächern bei der staatswissenschaftlichen Staatsprüfung machte.
Infolge der neuen Studienordnung wurden mit Allerhöch-
ster Entschliessung vom 1 3. Juli 1894 Edmund Bernatzik und
W. Lustkandl zu ordentlichen Professoren für «allgemeines und
österreichisches Staatsrecht, Verwaltungslehre und österreichisches
Verwaltungsrecht» und mit derselben Allerhöchsten Entschliessung
Adolf Menzel, der sich 1882 für österreichisches ('.ivilrecht habi-
litiert hatte, 1889 zum ausserordentlichen Professor des österrei-
chischen (Zivilrechtes ernannt und überdies mit der Abhaltung
von Vorträgen über Bergrecht betraut worden war, zum ordent-
lichen Professor für ^ Verwaltun^slehre und österreichisches Ver-
waltungsrecht» mit der weiteren Verpflichtung, Specialcollegien
über Berg-, Eisenbahn-, Versicherungs-, Patent-, Wasser- und
Gewerberecht in einem den Bedürfnissen der Universität ent-
sprechenden Tmfange abzuhalten, ernannt.
Ausser den besprochenen Lehrkräften sind noch Friedrich
l'ezner seit 1892, Karl Brockhausen seit 18(^4 und Rudolf
Hermann Ritter von llerrnritt seit iS()7 als Privatdocenten für
Verwaltungslehre und österreichisches Verwaltungsrecht und Franz
R. V. Juraschek seit iS()S als Privatdocent für österreichisches
Staatsrecht habilitiert, und wurde die venia legendi für Tezner
1893 auf allgemeines und österreichisches Staatsrecht ausgedehnt.
I yo Rechts- und staatswissenschaftliche Facultät.
XV. Völkerrecht. Im vormärzlichen Lehrplane war das Völker-
recht als ein unselbständiger l^heil des Naturrechtes betrachtet
worden. Man hatte der »positivistischen» Schule desselben nur
die eine C^oncession gemacht, dass mit dem «natürlichen» Völker-
recht auch die wichtigsten Grundsätze des «positiven» zu ver-
binden seien. Im Jahre 1848 wurde das Völkerrecht zu einer selb-
ständigen Disciplin erhoben und seit der Rigorosenordnung vom
15. yVpril 1872 als selbständiges Prüfungsfach bei den strengen
Prüfungen gefordert. Der im Jahre 1849 mit der Lehrkanzel für
Völkerrecht betraute Leopold (PYeiherr v.) Neu mann versah die-
selbe bis zu seinem im Jahre i883 erfolgten Abgang von der Uni-
versität. Seither wurde der Gegenstand von den Professoren
Georg Jellinek, Heinrich Lammasch und Edmund Bernatzik
gelehrt. Auch Adolf Merkel trug es eine Zeitlang neben Neu-
mann vor. Die venia legendi für dieses F'ach haben sich ausser
Jellinek (1882) erworben: (1880) Felix Störck, jetzt ordentlicher
Professor des Staatsrechtes, Völkerrechtes und der Rechtsphilo-
sophie an der Universität Greifswald, und (1881) Leo Strisower.
XVI. Politische Ölconomie (Nationalökonomie, Volkswirt-
schaftspolitik und Finanzwissenschaft) und Finanzgesetzicunde.
Im Jahre 1763 wurde an der Wiener Universität eine Lehr-
kanzel für Polizei- und Cameral Wissenschaften, als erste in
Österreich, begründet und dem Vorkämpfer für den aufge-
klärten Absolutismus, Josef v. Sonnenfels, als erstem Ver-
treter übertragen. Die zahlreichen Schüler des hervorragenden
Spätmercantilisten und Populationisten gelangten an den übrigen
österreichischen Universitäten auf die allmählich geschaffenen
Lehrstühle der obigen Disciplinen; der Einfluss seiner Lehren
wurde noch dadurch verstärkt, das^ seine seit 1765 in zahl-
reichen Auflagen erscheinenden ^Grundsätze der Polizei, Handlung
und Finanz» für die österreichischen Universitäten als Lehrbuch
vorgeschrieben wurden und sich als solches auch nach dem
vollständigen Rücktritte Sonnenfels' vom Lehramte (1791) und
sogar noch einige Decennien nach seinem 181 7 erfolgten Tode
(bis zum Jahre 1846) behaupteten.
Der Nachfolger Sonnenfels' auf der Lehrkanzel der politi-
schen Wissenschaften war der bereits den Lehren A. Smith's
Rechu- und staatswissenschaftliche Facultftt. I 7 I
zuneigende Professor Heinrich Josef Watteroth, der sich als
Professor der politischen Wissenschaften und «des praktischen
Geschäftskenntnisses» bezeichnet und gleich seinem Vorgänger
die «ordentliche Vorlesung^^ über Polizei, Handlung und Finanz
«nebst praktischen GeschaftskenntniSvSen» , indess nicht, wie
V. Sonnenfels, «über seine eigenen Lehrbücher», sondern «nach
Herrn Sonnenfels' Lehrbüchern» abhielt, wenngleich er sich
gegen diese kritisch verhalten zu haben scheint. Neben Watte-
roth hielt Ebe zu Beginn der Neunzigerjahre des vorigen Jahr-
hunderts durch kurze Zeit eine ausserordentliche Vorlesung über
«Juridisch-politische Ökonomie, nach eigenem Lehrbegriffe > und
der bekannte Prof. de Luca ebenso vorübergehend Vorlesungen
«über Polizei, Handlung und Finanz, nebst dem praktischen Ge-
schäftskenntnisse> nach v. Sonncnfels' Lehrbüchern.
Watteroth's Wirksamkeit reicht bis zum Schlüsse des zweiten
Decenniums unseres Jahrhunderts, wo (1821) dem als Schrift-
steller und Lehrer gleich tüchtigen gemässigten Smithianer
Josef Kudler, bis dahin IVofessor am Lvceum zu Graz, die
IVofessur der politischen Wissenschaften und der politischen
Gesetzkunde an der Wiener L'niversität übertragen wurde. Auch
Kudler war noch verpflichtet, Sonnenfels' Lehrbuch als Grund-
lage seiner Vorlesungen zu benützen. Kr kündigt noch im Stu-
dienjahre 184647 sein taglich zweistündiges Gollegium über
l^olitische Wissenschaften «nach v. Sonnenfels' Grundsätzen der
Polizei, Handlung und Finanz» an und scheint sein i<S45 mit
der Jahreszahl 1846 publiciertes Werk -Die (irundlehren der
Volkswirtschaft* erst am Knde seiner im Jahre 1848 abgeschlos-
senen Lehrthiitigkeit an der Wiener l/niversitat seinen Vorlesungen
über die politischen Wissenschaften zugrunde gelegt zu haben.
(t 1853^
Inmittelbar vor dem Jahre 1848 wurden an der Wiener
Lniversitat, ausser Kudlcrs X'orlesuni^en <über theoretische und
praktische Volkswirtschaftslehre , von hier in Betracht kom-
menden (A)llcgien noch solche über Gameralwarenkunde und
Staatswirtschaftschemie (^von Prof. V. Hol zcr nach dessen eigenem
Lehrbuche) und über Landwirtschaftslehrc, beide indes an der
philosophischen l^icultat abgehalten.
iy2 Rechts- und staatswissenschaftliche Facultät.
Nach Kudicr's Rücktritte vom Lehramte wurde die Lehr-
kanzel für politische Wissenschaften und Gesetzkunde an P2duard
(Freiherrn von) Tomaschek übertragen, welcher indes kurz
darauf als Referent für Universitätsangelegenheiten in das Unter-
richtsministerium berufen wurde. Sohin fielen die Lehrvorträge
über die politischen Wissenschaften in die Hände des Supplenten
Julius Galba, welcher über Culturpolitik, die Polizeiwissenschaft,
Volkswirtschaftslehre, Volkswirtschaftspflege, Finanzwissenschaft
u. s. f., und des Docenten Josef Franz Dworzak (später ord. Pro-
fessor des römischen Rechtes an der Wiener Universität), welcher
über Nationalökonomie las. Im Jahre 1851 wurde Prof. August
Nowak aus Prag nach Wien berufen und las bis zum Jahre 1855
CoUegien über Nationalökonomie, Finanz Wissenschaft, Cultur-
politik und Polizeiwissenschaft. Neben diesem las in der Eigen-
schaft eines Docenten noch der aus Bonn nach Wien gelangte,
als nationalökonomischer Romantiker bekannt gewordene (1855
als Professor der politischen Wissenschaften nach Graz berufene)
Wilhelm Kosegarten über Volkswirtschaftslehre und die Haupt-
lehren der Volkswirtschaftspolitik.
Durch den Erlass des Ministeriums für Cultus und Unter-
richt vom 2. October 1855 ^^^ ^^^ hiezu erflossenen Erläuterun-
gen wurden die politischen Wissenschaften, und zwar die drei
(A)llegien über Nationalökonomie, Finanzwissenschaft und die
Verwaltungslehre (die Lehre von jenen administrativen Aufgaben,
welche weder der Justiz- noch der Finanzverwaltung angehören),
als Obligatdisciplinen für das dritte Studienjahr der rechts- und
staatswissenschaftlichen Facultäten erklärt und den Docenten zur
Pflicht gemacht, in ihren Lehrvorträgen die österreichischen Ver-
hältnisvse, Einrichtungen und Gesetze nach Möglichkeit zu be-
rücksichtigen. Neben diesen Collegien sollten auch solche über
die österreichische Verwaltungs- und Finanzgesetzkunde abge-
halten werden. Zugleich wurden die Nationalökonomie und die
Finanzwissenschaft inebst der österreichischen Statistik) als Prü-
fungsfächer der dritten Staatsprüfung vorgeschrieben.')
*) An diesen Bestimmungen wurde durch das Gesetz vom 20. April 1893 nur
insofern eine Änderung vorgenommen, als fortan die Volkswirtschaftslehre und die
Rechts- und staatswissenschaftliche Facultät. iy3
Im Zusammenhange mit diesen Reformen wurde im Jahre 1855
der ehemalige Professor der Kieler Universität, Lorenz (Ritter v.)
Stein als Professor der politischen Ökonomie an die Wiener
Universität berufen, in welcher Stellung derselbe durch drei
Decennien als glänzender Docent der Staatswissenschaften und
überaus fruchtbarer und erfolgreicher Schriftsteller auf dem Ge-
biete der Nationalökonomie, der Gesellschaftslehre, der Finanz-
wissenschaft, der Verwaltungslehre und der socialen Geschichte
bis zum Herbste des Jahres 1885, wo er das siebzigste Lebens-
jahr erreicht hatte, wirkte (f 1890).
Neben ihm lasen in der zweiten Hälfte der Fünfziger- und
der ersten Hälfte der Sechzigerjahre der bekannte Bergrechts-
lehrer Prof. Otto Freiherr v. Hingenau über Nationalökonomie,
insbesonders die der Urproduction, der Professor der Verwal-
tungsgesetzkunde Moriz V. Stubenrauch über Volkswirt-
schaftspflege, der bekannte Statistiker Prof. Johann Springer
und der Privatdocent Prof. Blöd ig über österreichische Finanz-
gesetzkunde in Verbindung mit Finanzw^issenschaft.
Im Jahre 1865 wurde eine zweite Lehrkanzel der politi-
sehen Ökonomie an der rechts- und staatswissenschaftlichen
Facultät der Wiener Universität begründet und auf dieselbe der
geistvolle Analytiker der Volkswirtschaft Prof. Ritter v. Hasner
aus Prag und im Jahre 1868 (nach der im Jahre 1867 erfolgten
Ernennung Hasner's zum Leiter des österreichischen Unterrichts-
ministeriums, 1871 zum österreichischen Ministerpräsidenten) der
hervorragende l'übinger Professor der politischen Ökonomie
Volkswirlschaflspoliiik (entweder getrennt, oder in eine Vorlesung vereinigt) durch
zehn Stunden in zwei Semestern, die Finanzwissenschafi nie bisher durch tun!" Stunden
in einem Semester, und zwar insgesammt im zweiten Abschnitte der rechts- und staats-
wissenschaftlichen Studien (ohne bestimmt vorgeschriebene Reihenfolge der (^)llegicn)
als Bedingung für die Zulassung der (Kandidaten zur zweiten und dritten Staatsprüfung
gehört werden müs^^en. I^rüfungsfächer der staatswissenschaftlichen Staatsprüfung
sind nach der Verordnung des Ministeriums für Cultus und l nterricht vom 24. De-
ccmbcr 1893 Volkswirtschaftslehre und N'olkswirtschaftspolitik und Finanzwissenschafi
mit besonderer Berücksichtigung der österreichischen Finanzgesetzgebung überdies
allgemeines und österreichisches Staatsrecht, \erwaltungslehre und österreichisches
N'erwaltungsrecht). Ebenso biKien die Nationalökonomie und die Finanzwissenschaft
Prüfungsfächer des staatswissenschaftlichen Rigorosums.
I 7 j. Rechts- und stantswissenschaftliche Facultät.
Alb. Eb. Friedr. Schäffle berufen, welcher indes (infolge seiner
Ernennung zum österreichischen Handelsminister im Jahre 1871)
die Wiener Universität gleichfalls nach kurzer Zeit verliess.
Auch der in fortgeschritten freihändlerischem Sinne thätig ge-
wesene, insbesonders als Statistiker bekannt gewordene Franz
X. V. Ncumann-Spallart las in den Jahren 1871 — 1873 (bis zu
seiner Berufung an die Hochschule für Bodencultur) national-
ökonomische Collegien an der Wiener Universität (f 1888).
Im Jahre 1873 wurde der noch gegenwärtig wirkende Karl
Menger zum ausserordentlichen Professor, im Jahre 1879 zum
ordentlichen Professor der politischen Ökonomie ernannt. Der-
selbe begründete die Seminar-Abtheilung für Nationalökonomie
und Finanzwissenschaft, deren Vorstand er seit dem Jahre
1874 ist.
In den Jahren 1888 — 1891 lehrten als ordentliche Professoren
der politischen Ökonomie an der Wiener Universität noch der
1888 aus Strassburg berufene Prof. Lujo Brentano und der
1889 an dessen Stelle aus Breslau berufene Prof. August v.
Mfaskowski (bis 1891), beide als Vertreter der descriptiven
Richtung der politischen Ökonomie bekannt. Letzterer begrün-
dete im Jahre 1889 das neben der Seminar-Abtheilung für
Nationalökonomie und Finanzwissenschaft bestehende staats-
wissenschaftliche Institut.
Im Jahre 1893 wurde der von Wien nach Freiburg in
Baden berufene Eugen Ritter v. Philippovich als ordentlicher
Professor der politischen Ökonomie nach Wien zurückberufen.
Derselbe übernahm zugleich die Leitung des staatswissenschaft-
lichen Institutes.
Ausser den cdie Finanz Wissenschaft mit besonderer Be-
rücksichtigung des österreichischen Finanzrechtes» umfassenden
Vorträgen über politische Ökonomie werden an der Wiener
Universität regelmässig noch besondere Vorträge über öster-
reichische Finanzgesetzkunde abgehalten. Die Vertreter dieses
Faches seit dem Jahre 1848 waren Prof. Johann Springer, der
Professor der technischen Hochschule Hermann Blöd ig und
seit 1881 der noch gegenwärtig wirkende Professor der techni-
schen Hochschule Hofrath Emanuel Herrmann.
Rechts- und staatswissenschaftliche FacuItftL I y C
Ausser den bereits Genannten haben im Laufe der Jahre die
penia legendi für politische Ökonomie an der Wiener juristischen
Facultät erw-orben: Emil Sax (1874), i" der Folge ordentlicher
Professor der politischen Ökonomie an der Prager deutschen
Universität; Eugen Ritter v. Böhm-Bawerk (1880), später
ordentlicher Professor der politischen Ökonomie an der Inns-
brucker Universität, wiederholt österreichischer Finanzminister,
jetzt Geh. Rath und Senatspräsident am Verwaltungsgerichtshof.
Derselbe wirkt noch gegenwärtig in der Eigenschaft eines Hono-
rarprofessors der politischen Ökonomie an der Wiener Universi-
tät; Friedrich Freiherr v. Wieser (i883), in der Folge ordentlicher
Professor der politischen Ökonomie an der Prager deutschen Uni-
versität; Victor Mataja (1884), in der Folge ordentlicher Professor
der politischen Ökonomie an der Innsbrucker Universität, gegen-
wärtig Min isterialrath und Leiter des statistischen Dienstes im öster-
reichischen Handelsministerium und Honorarprofessor der politi-
schen Ökonomie an der Wiener Universität; Robert Mever
(1884), gegenwärtig ausserordentlicher Professor der politischen
Ökonomie an der Wiener Universität und Ministcrialrath im öster-
reichischen P'inanzministerium; Gustav Gross (1884), gegenwärtig
ausserordentlicher Professor der politischen Ökonomie an der
Wiener Universität und Reichsrathsabgeordnetcr; Robert Zucker-
kand 1 (1888), gegenwärtig ordentlicher Professor der politischen
Ökonomie an der Prager deutschen Universität; Johann v.
Komorczynski (1890); Hermann v. Schullern- Schratten-
hofen (1892); Karl Grünberg (1894); Siegmund Feilbogen
(1895); Eugen Schwiedland (1895); Julius Uandesberger
(1895).
XVII. Staatsrechnungswissenschaft. Die Lehrkanzel der
Staatsrechnungswissenschaft ist eine Schöpfung der Kaiserin
Maria 'Iheresia, welche es zur Durchführung ihrer Reformen
auf dem Gebiete der \'er\valtung und insbesondere des Staats-
rcchnuni'swescns für nothwcndi^ erachtet hatte, für eine ent-
sprechende Heranbildung der Aspiranten des Staatsdienstes Vor-
sorge zu treffen. Wie sehr die Kaiserin mit der Errichtung
dieser Lehrkanzel einem sachlichen Bedürfnisse entsprochen
liatte, beweist der ausserordentliche ZuJran^ zu den Vor-
I y6 Rechts- und Staats wissenschaftliche Facultät.
lesungen, welche nach dem Berichte eines unparteiischen Zeit-
genossen gewöhnlich von mehr als fünfhundert Personen, die
den verschiedensten Dienstzweigen der Staatsverwaltung an-
gehörten, besucht waren. Seitdem hat sich die Lehrkanzel
durch alle Wandlungen, welche die rechts- und staatswissen-
schaftlichen Studien durchzumachen hatten, bis in die Gegen-
wart behauptet.
Im Jahre 1848 war der o. Professor Alois Fröhlich
der einzige Vertreter des Gegenstandes. Unter den Privat-
docenten der Fünfzigerjahre ragt der nachmalige Hofrath des
Obersten Rechnungshofes und Universitätsprofessor Dr. phil.
Philipp Ritter v. Escherich hervor, der von 1860 — 1870 als
Nachfolger Fröhlichs wirkte. Nach dem Abgange v. Escherich's
wurde Prof. Dr. phil. Josef Schrott aus Prag berufen, der die
Lehrkanzel bis i883 innehatte. Seit dieser Zeit wird dieselbe
von Dr. jur. Gustav Seidler, seit i883 Privatdocent, seit 1888
ausserordentlicher Professor, seit 1898 Titular- Ordinarius, ver-
waltet.
Die I-ehre von dem Staatsrechnungs- und Controlwesen
ist, was ihre Stellung im System der Staatswissenschaften be-
trifft, ein Theil der Finanzwissenschaft und Verwaltungslehrc,
beziehungsweise in ihrem positiven Theil ein Abschnitt des
Staats- und Verwaltungsrechtes. Demgemäss hat die Staats-
rechnungswissenschaft in methodischer Beziehung einerseits keine
selbständige Stellung, andererseits vermag sie den Anforderungen
der Zeit nur dann in vollem Masse gerecht zu werden, wenn
sie methodisch als spccieller Theil der angeführten Staatswissen-
schaften behandelt wird. Die ausserordentliche Bedeutung, wel-
che die StaatsrechtswMssenschaft durch den Übergang zum con-
stitutionellen Regierungssystem unter der Regierung des Kaisers
Franz Josef erlangt hat, erstreckt sich vermöge der hervor-
ragenden Stellung, welche Budget und Staatscontrole im parla-
mentarischen Leben einnehmen, ganz und voll auch auf die
Staatsrechnungswissenschaft.
XVIII. Statistik. Das Lehrfach der Statistik, welchem
schon die Verordnungen von Maria Theresia (1774) und Josef II.
(1784; eine dauernde Statte an den österreichischen Universitäten
Rechts- und staatswissenschaftliche Facuhät I 7 7
geschaffen hatten, war seit 1826 dem Professor Johann Springer
anvertraut; in seinem Hauptwerke « Statistik des österreichischen
Kaiserstaates», 1840, hat er in einer für die damalige Zeit muster-
giltigen Weise die Summe des statistischen Wissens unter reich-
licher Benutzung der noch unveröffentlichten Schätze der amt-
lichen Statistik verarbeitet. Die Vorlesungen über Statistik
waren vor der Thun'schen Studienreform dem ersten Jahr-
gange der juristischen Studien zugetheilt; in zwei Scmestral-
prüfungen und in den Rigorosen zur Erlangung des juristi-
schen Doctorgrades war der Erfolg des Studiums über öster-
reichische und europäische Statistik darzuthun. Auch die
Studien- und Prüfungsordnung vom i. Octobcr 1850, welche dem
Studierenden volle Freiheit in der Anordnung seiner (Kollegien
gewährte, reihte die Statistik in die allgemeine, als grundlegend
gedachte Abtheilung der theoretischen Staatsprüfung ein. Mit
der Studienordnung vom 2. October 1855 wurde die österreichi-
sche Statistik als Obligatfach dem letzten Studiensemestcr zu-
gewiesen und zum Gegenstande der dritten (staatswissenschaft-
liche) Staatsprüfung erklärt; die europäische Statistik dagegen
wurde nur als facultatives Collegium beibehalten und nur mehr
bei den Rigorosen geprüft.
Die Vertretung des Faches hatte bis zum Schlüsse des
Wintersemesters 1864 Prof. Johann Springer, von da an bis i883
Leopold (Freiherr v.) Neu mann, der zugleich Professor des
Völkerrechtes und der diplomatischen Staatengeschichte war.
Mit der Rigorosenordnung vom 15. April 1872 ist sowohl die
europäische als die österreichische Statistik aus den Gegenständen
der Doctoratsprüfung ausgeschieden worden; als Prüfungsfach der
dritten (staatswissenschaftlichen) Staatsprüfung blieb die öster-
reichische Statistik bis zur Studienordnung vom 20. April iS(i3
aufrecht erhalten. Mit dieser Studienordnung wurde aber zu-
gleich die Stellung der Statistik als Lehrfach wesentlich ge-
ändert, indem sie zwar mit der Erweiterung ihres Inhaltes
zu einer «allgemeinen vergleichenden und österreichischen Sta-
tistik» als obligatorisch erklärt wurde, ohne jedoch einem be-
stimmten Studienabschnitte zugewiesen zu werden, und ausser-
dem aufhörte, Gegenstand einer Staatsprüfung zu sein.
Geschichte der Wiener Uni\crsitit. l3
l'jS Rechts- uDd «aaliwissenschnfi liehe FaculiäL
Seit 1881 wurde das Fach in dieser inhaltlich erweiterten
Fassung von dem Honorarprofessor Sectionschef Karl Theodor
V. Inama-Sternegg vertreten; seit Ncun:ianns Rücktritt (i883)
bis zur Activierung der neuen Studienordnung las derselbe
(einige Jahre concurrierend mit Prof. F. X. v. Neumann-
Spallart bis zu dessen Tod 1888) über österreichische Statistik.
Seit 1895 wird das Fach in der den modernen wissenschaft-
lichen Anforderungen entsprechenderen Weise als allgemeine
vergleichende und österreichische Statistik behandelt.
Ausserdem hat K. Th. v. Inama-Sternegg, der zugleich seit
1881 an der Spitze der statistischen Central-Commission steht,
seit 1882 eine statistische Seminar-Abtheilung eingerichtet, über
deren Thätigkeit alljährlich ein gedruckter Bericht in der «Stati-
stischen Monatsschrift» erscheint.
An Lehrkräften haben sich ausser den Genannten dem
Fache der Statistik noch zugewendet: Prof. Isidor Singer (habil.
1885), Prof. V. Rüschmann- Hörburg (1887) (jetzt in Czerno-
witz), Hofrath Prof. Fr. Ritter v. Juraschek (1889), Prof. Hein-
rich Rauchberg (1891) (jetzt in Prag), Prof. Em.st Mischler
(1892) (jetzt in Graz), die Privatdocenten Ministerialralh Ignaz
Gurber (1893) und Ferdinand Schmid (1895).
MEDICINISCHE FACULTÄT.
I. Die Wiener medicinische Schule in den
vergangenen Jahrhunderten. Die Kuhmcs-
gcschichte der Wiener medieinisehen Kacultiit
reicht bis ins Mittelalter zurück. Schon im
15. Jahrhundert behaupteten die Wiener Arzte
eine hervorragende Stellung in der literarischen
Welt. Im 16. Jahrhundert entwickelte sich
unter ihnen ein reges wissenschaftliches Leben,
an welchem sich Joh. Saltzmann (SaHus) aus
Steyr. welcher vortreffliche N'orschriften zur
Bekämpfung der Seuchen hinterliess, Wolfgjing
Windperger {Anemorinusi aus Krems, der
eine Zusammenstellung der Bader und ihrer
Meilwirkungen verfassle. Kranz Emerich aus
Troppau. der erste Lehrer der (^hirur^ie und
verdienstvolle Oiafinostiker. Matthias ('ornax
aus Olmütz. bekannt durch seine Beschreibung einer damals
noch seltenen Operation, der Krotlhung der Bauchhöhle einer
Schwangeren zum Zweck der Knifernung eines abgestorbenen
Kötus. der Anatom Aichholz. ein gebürtiger Wiener, der
Polyhistor Wt>lfgang Lazius. der Sachse Oiomedes (^ornarius,
ein ausgezeichneter Praktiker, die kaiserlichen Hofär/te Dodo-
naeus und Matthioli. die sich grosse Verdienste um die Bo-
tanik erwarben, denen sich Charles de rFcIuse mit seiner
Flora von Oesterrcich und Ungarn anschloss. der Schlesien
l8o Medicinische Facultät
Crato von Krafftheim, welcher drei Kaisern als Leibarzt diente,
und der Siebenbürger Thomas Jordan betheiligten, der als
Physicus zu Brunn wertvolle Beiträge zur Epidemiologie lieferte.
Auch das 17. Jahrhundert brachte Arzte von bemerkens-
werter Bedeutung hervor. Die VeröflFentlichungen der Kaiser-
lichen Leopoldinischen Akademie enthalten viele Arbeiten von
Ärzten aus Osterreich, in denen lehrreiche Beobachtungen aus
der Praxis, pathologisch-anatomische Befunde und naturwissen-
schaftliche Erfahrungen mitgetheilt werden.
Auf eine kurze Periode des Niederganges des literarischen
Schaffens in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts folgte wieder-
um ein grossartiger Aufschwung. Die Kaiserin Maria Theresia,
welche in den schwersten Bedrängnissen des Staates, umgeben
von äusseren Feinden, die erhabene Geistesgrösse bewahrte, um
Wohlfahrt im Innern zu fördern und Kunst und Wissenschaft
zu stützen, beauftragte ihren Leibarzt, den Niederländer Gerhard
van Swieten, mit der Verbesserung des medicinischen Unter-
richts und der Ordnung der ärztlichen Standesverhältnisse. Auf
seine Veranlassung wurde ein botanischer Garten angelegt, ein
chemisches Laboratorium eingerichtet, dem anatomischen Unter-
richt das nothwendige Leichenmaterial zugewiesen und die
erste Klinik eröffnet. Dadurch wurde den Studierenden der
Medicin die Gelegenheit geboten, sich in theoretischer und prak-
tischer Hinsicht für ihren Beruf auszubilden.
Nur an wenigen Hochschulen bestanden zu jener Zeit
wissenschaftliche Lehrinstitute. Die Wiener Klinik war die erste
stationäre Klinik auf deutschem Boden. Nach ihrem Vorbild ent-
standen später derartige Einrichtungen an den übrigen Universi-
täten der habsburgischen Monarchie und des deutschen Reiches.
Auserlesene Lehrkräfte vereinigten sich, um die von van
Swieten durchgeführten Reformen des medicinischen Unter-
richts fruchtbringend zu verwerten. Neben dem aus den Nieder-
landen berufenen Kliniker Anton de Haen, dessen thermometri-
sche Beobachtungen am Krankenbett dauernde Bereicherungen der
physikalischen Diagnostik bildeten, wirkten der Pharmakologe Joh.
Nep. Crantz und der Anatom Lorenz Gasser, ein Kärntner,
der früh starb, aber gleichwohl seinen Namen in der Geschichte
Medicinische Facultftt. 1 8 1
seiner Wissenschaft verewigt hat. Ihnen folgten spater Anton
Störck, dessen pharmakodynamische Versuche die Richtung
zeigten, welche erst in unserer Zeit zur Herrschaft gelangt ist,
der geistreiche Sonderling Jos. Barth aus Malta, berühmt als
Anatom und Staroperateur, der Naturforscher Nik. Jos. Jacquin,
der Kliniker Maximilian Stoll und die Chirurgen Leber und
Mohrenheim, welchen die Kaiserin Katharina von Russland zu
ihrem Leibarzt ernannte.
Die Pflege der ärztlichen Studien trug wesentlich bei zu
der glänzenden Entfaltung der wissenschaftlichen 'Fhätigkeit,
welche auf dem Gebiete der Medicin zutage trat. In Prag lehrte
der Anatom Thaddäus Klinkosch, dessen Untersuchungen über
die Structur und Bildung des Knochengewebes unter den Fach-
männern berechtigtes Aufsehen erregten, und der Physiologe
Marherr. Der Pathologe Winterl stellte eine Theorie der Ent-
zündung auf, in der er den Einfluss der Nerven auf die Ge-
fässe in Betracht zog. Der Wiener Arzt Plencicz vertheidigte
mit ahnungsvollem Verständnis die Ansicht, dass die Krank-
heiten durch niedere Organismen erzeugt werden, also mehr als
ein Jahrhundert früher, als diese Lehre von der Wissenschaft
anerkannt wurde. Ad. (^henot, (J. Hasenöhrl, M. Sagar und
Andere lieferten wahrheitsgetreue Berichte über die epidemischen
Krankheiten, welche einzelne Gegenden heimsuchten.
Alle diese Arbeiten traten an Bedeutung zurück hinter der
Entdeckung der Percussion, die der Wiener Primararzt Auen-
brugger 1761 veröffentlichte. Sie war einer der wichtigsten
Fortschritte, welche die Medicin jemals gemacht hat; sie warf
Licht auf das dunkle (lebiet der Brustkrankheiten, das bis dahin
der Erkenntnis verschlossen war.
Es vergiengen freilich Jahrzehnte, bis diese Entdeckung die
Anerkennung der Arzte fand. Erst als der französische Kliniker
Gorvisart auf ihren Wert hinwies und die Verdienste .Auen-
bruggers mit neidloser Bewunderung feierte, wurde sie dem
Schatze des ärztlichen Wissens einverleibt. Heute bildet die
Percussion ein unentbehrliches Hilfsmittel der Diagnostik.
Die Regierung des Kaisers Josef 11. athmete den (ieist edler
Menschenliebe. Der Monarch schuf zahlreiche Krankenhäuser
l82 Medidnische Facultät.
und Wohlthätigkeitsanstalten. In allen grösseren Städten des
Reiches wurden ständige Militärlazarethe erbaut und dafür Sorge
getragen, dass den erkrankten und verwundeten Soldaten ärzt-
liche Pflege zutheil wurde. Die von Josef errichtete und nach
ihm genannte militärärztliche Schule, das Josefinum in Wien,
wurde mit Lehrmitteln reich ausgestattet und zählte unter ihren
Lehrern Männer wie Hunczovsky, Adam Schmidt und Plenk,
Damit wurde eine Akademie der Chirurgie verbunden, welche
die hervorragendsten Vertreter dieser Kunst im Inlande und
Auslande vereinigen und den Mittelpunkt aller Foitschritte und
Bestrebungen auf diesem Gebiete bilden sollte. Gleichzeitig wurde
die Bildung der Chirurgen gehoben und derjenigen der Ärzte
für innere Leiden gleichwertig gemacht. Dadurch wurde die
sociale Geringschätzung beseitigt, unter welcher die Wundärzte
zum Schaden ihrer Kunst gelitten hatten, und die Chirurgie
als ebenbürtige Disciplin der inneren Medicin an die Seite
gestellt.
Des Kaisers Werk war auch die Errichtung des Allgemeinen
Krankenhauses, wo er die gesammte Krankenpflege Wiens cen-
tralisieren wollte. Dorthin wurde der klinische Unterricht
verlegt.
Wenn manche seiner weitreichenden Pläne, welche die
Förderung der Humanität und der medicinischen Wissenschaft
bezweckten, später nicht die erwartete Wirkung hatten, so lag
dies an der Ungunst der Zeitverhältnisse. Durch ein Viertel-
jahrhundert war der Staat in schwere Kriege verwickelt, welche
seine Existenz bedrohten. Da bedurfte es aller Kräfte und
Mittel, um das Bestehende zu erhalten, und man musste darauf
verzichten, nützliche, ja sogar nothwendige Neuerungen einzu-
führen.
An bedeutenden Ärzten und verdienstvollen Leistungen in
der Medicin hat es auch in dieser Periode nicht gefehlt. Peter
Frank, der wissenschaftliche Begründer der öffentlichen Gesund-
heitspflege, wirkte damals als Kliniker und Director des Allge-
meinen Krankenhauses in Wien. Er gab die Anregung zu einer
Sammlung pathologisch-anatomischer Präparate, welche sein
Prosector, AI. Rud. Vetter, ein hochbegabter Forscher, anfertigte.
Medicinischc Facultit. I 83
Frank ahnte auch bereits, dass die chemische Untersuchung der
pathologischen Producte wichtige Aufschlüsse über das Wesen
der Krankheiten geben werde, und verlangte die wissenschaftliche
Bearbeitung der vergleichenden Pathologie.
Einer seiner Nachfolger war Val. v. Hildenbrand, der Ver-
fasser des besten Buches über den ansteckenden Typhus, bei
dem schon Pascal v. Ferro die Anwendung kalter Bader zur
Bekämpfung des Fiebers empfohlen hatte. Der Geburtshelfer
Lukas Boer bahnte richtigen Anschauungen über den Geburts-
act als einen physiologischen Vorgang die Wege und bekämpfte
die schädliche Vielgeschäftigkeit der Arzte. Dazu kamen der
Augenarzt Beer, welcher den klinischen Unterricht in der Oph-
thalmologie einführte, die (Chirurgen Kern, auf dessen Antrag
das Institut zur Heranbildung geübter chirurgischer Operateure
entstand, und Kust, der später Generalstabsarzt der preussischen
Armee und Reorganisator des preussischen Medicinalwesens
wurde, ferner der Physiologe Prochaska, welcher die Feststel-
lung des Gesetzes vom gesonderten Ursprung der motorischen
und sensiblen Nerven, das den Namen Beils trägt, und der
Lehre von den Reflexbewegungen vorbereitete, und der Ana-
tom Berres, der ein Verfahren zur Herstellung von Lichtbildern
mikroskopischer Präparate ersann.
Die Lehrmittel erhielten in den ersten Decennien des 19. Jahr-
hunderts nur geringe Bereicherungen. Nachlässigkeit und B(")s-
willigkeit verdarben manche gute l^^inrichtung, zu welcher die
früheren Zeiten die Keime gelegt hatten. Man versäumte es,
den Fortschritten der medicinischen Wissenschaft, die an andern
Orten gemacht wurden, aufmerksam zu folgen. Wenigstens
geschah dies von den meisten derer, die den Unterricht leiteten
und daher berufen waren, ihren Fachgenossen als Führer zu
dienen. Jüngere Forscher nahmen ihnen daher die Fahne ab
und trugen sie voran in den Siegen, welche die Wiener medi-
cinischc Schule in den folgenden Decennien errang.
11. Die medicinische Facultät im Jahre 1848. Nicht durch
gewaltsame Umwälzungen, sondern auf dem Wege der fort-
schreitenden Kniwickelung erreicht die Wissenschaft ihr Ziel;
nicht Revolution, sondern Fvolution ist es, wobei sie gedeiht.
184 Medicinische Facultät.
In diesem Sinne vollzog sich die Reform der Wiener medi-
cinischen Schule. Sie nahm schon in den Dreissigerjahren ihren
Anfang. Damals vereinigte sich ein Kreis junger Forscher,
welche als Secundarärzte und akademische Lehrer im Allge-
meinen Krankenhause beschäftigt waren, um das reiche Lehr-
material desselben für wissenschaftliche Untersuchungen zu ver-
werten.
Die Anregung dazu empfiengen sie von der französischen
Medicin, welche unter der Führung der pathologischen Anatomie
und der physikalischen Diagnostik ungeahnte Erfolge errang.
Indem sie die ausgetretenen Pfade der Speculation, in denen
sich die Schulgelehrsamkeit ihrer Heimat bewegte, verliessen
und die Thatsachen, w^elche der Wissenschaft anderwärts er-
schlossen wurden, mit den Beobachtungen verglichen, die sie
selbst zu machen Gelegenheit hatten, wurden sie selbständig im
Denken und Handeln und befähigt, eine Entscheidung zu treffen,
wo wissenschaftliche Fragen der Lösung harrten.
Josef Skoda prüfte die Ergebnisse der von Laennec und
Anderen angestellten Untersuchungen und berichtigte und ver-
vollständigte sie in vielen Punkten. Er schilderte und erklärte
die Erscheinungen der Percussion und Auscultation, zeigte, zu
welchen Schlüssen sie berechtigen, und ermöglichte dadurch die
Diagnose der pathologischen Veränderungen der Organe der
Brusthöhle. So fügte es das Geschick, dass die von dem öster-
reichischen Arzt Auenbrugger gemachte Erfindung durch einen
andern österreichischen Arzt ihren letzten Abschluss erhielt.
Die Lehre von den Herzkrankheiten wurde durch Skoda
eigentlich erst geschaffen; denn er war der Erste, der über die
Verhältnisse dieses Organes im gesunden und im kranken Zu-
stande Licht verbreitete. Die späteren Forscher haben an den
Lehren, die er verkündete, nichts Wesentliches geändert und
ihnen nur wenig hinzuzufügen vermocht.
Karl Rokitansky benutzte das grosse Leichenmaterial des
Allgemeinen Krankenhauses, um die Beziehungen zwischen den
Krankheitserscheinungen und den anatomischen Veränderungen
der Organe festzustellen. Dabei fand er, dass den einzelnen
Symptomengruppen stets bestimmte anatomische Abweichungen
Medicinische Facultftt. ^^5
vom Normalen entsprechen. Er erklärte, dass in den letzteren
das eigentliche Wesen der Krankheit zu suchen sei, und setzte
damit an die Stelle der symptomatischen Krankheitsbilder die
anatomischen. Diese Thatsache bildete einen Markstein in der
Geschichte der medicinischen Wissenschaft.
Allerdings hatten schon vor Rokitansky einzelne Pathologen
die Lösung dieser Aufgabe versucht und wertvolle Vorarbeiten
dazu geliefert. Aber auf deutschem Boden war er der Erste,
der sie mit Erfolg bearbeitete, und er war dazu mehr berufen
als jeder andere; denn an Erfahrungen übertraf ihn Niemand.
Aber er begnügte sich nicht damit, die mit der Krankheit
cinherschreitenden anatomischen Veränderungen zu beschreiben;
er unternahm auch deren Erklärung. Er zeigte, wie sie ent-
stehen und sich entwickeln, versuchte damit die verschiedenen
Stadien des Leidens in Einklang zu bringen und lehrte auf diese
Weise den Werdegang des Krankheitsprocesses verstehen. So
war er bemüht, die pathologische Anatomie zu einer anatomi-
schen Pathologie zu machen, wie Wunderlich schreibt.
An Skoda und Rokitansky schlössen sich andere junge
Forscher an, wie der Anatom Kolletschka, der Chirurg Schuh,
der die Bedeutung der physikalischen Diagnostik für die Chirurgie
erläuterte, der Geburtshelfer Th. Helm, der sie für die Unter-
suchungen der Schwangeren verwertete, um Leben und Lage
der Frucht zu erkennen, und der Internist Kolisko.
Ein selbständiges Forschungsgebiet erschloss sich Ferdinand
Hebra, indem er die Lehre von den Hautkrankheiten, die bis
dahin in Wien nahezu gänzlich vernachlässigt wurden, einer
Prüfung unterzog. Ein scharfer Beobachter der Natur, erkannte
er bald die Unrichtigkeit und Schädlichkeit der damals herr-
schenden Ansicht, nach welcher die Erkrankungen der Haut-
decken als kritische Äusserungen oder Ablagerungen innerer
Leiden erschienen, die man nicht beseitigen dürfe, und gab über
ihre Ursachen, ihr Aussehen und ihre Behandlung neue wich-
tige Aufschlüsse. Sein System der Hautkrankheiten, welches
mit Rücksicht auf die Resultate der pathologischen Anatomie
entworfen wurde, fiind überall Anerkennung und bildete die
(jirundlage der späteren Brarbeitungen dieses Faches.
l86 Medicinische Facultät.
Auch Ludwig Türck betrat ein Forschungsgebiet, das vor-
her in Wien nicht beachtet worden war, als er 1843 seine
Schrift über die Spinalirritation veröffentlichte und zu elektro-
therapeutischen Versuchen anregte.
Die Leistungen dieser Männer erhielten anfangs wenig För-
derung, bis der damalige Vicedirector der medicinischen Studien,
der edelgesinnte, wohlwollende Freiherr v. Tür k heim, welcher als
Leibarzt der Familie des Erzherzogs Franz Carl grossen Einfluss
genoss, sich ihrer annahm und sich bemühte, ihnen einen Wir-
kungskreis zu verschaffen, in dem sie ihre Talente und Kennt-
nisse zur Geltung bringen konnten.
Im Jahre 1844 wurde Rokitansky zum ordentlichen Pro-
fessor der pathologischen Anatomie ernannt und das Studium
dieser Disciplin für die Studierenden obligat erklärt. Im Jahre
1846 übernahm Skoda die Lehrkanzel der inneren Medicin und
die Leitung der Klinik für innere Leiden. Schuh stand schon
seit 1841 an der Spitze einer neu errichteten chirurgischen Klinik.
Dazu kam 1845 ^^^ Anatom Hyrtl, welcher aus Prag berufen
wurde.
So hatte sich im Verlaufe weniger Jahre eine theilweise
Erneuerung des ProfessorencoUegiums vcillzogcn. Die Männer,
welche in dasselbe eintraten, waren in der Vollkraft jugendlichen
Schaffens, begeistert für die Wissenschaft und voll Verständnis
für die Fordemngen der Zeit.
Die Gebrechen, an denen das ärztliche Unterrichtswesen
litt, lagen theils in der Organisation der medicinischen Facultät,
theils in dem Mangel der nothwendigen Lehrmittel und geeig-
neten Lehrkräfte. Als Facultät bezeichnete man sowohl den
Lehrkörper als die Vereinigung sämmtlicher Doctoren der Me-
dicin und (Chirurgie, also die ärztliche Zunft. Diese Einrichtung
hatte sich aus dem xMittelalter erhalten, als die Arzte gleich den
Meistern der Handwerkergilden die fachmännische Ausbildung
ihrer Gesellen und Lehrlinge überwachten. Mit der Vermehrung
des Wissens und der zunehmenden Specialisierung der medi-
cinischen Disciplinen konnten sie dieser Aufgabe nicht mehr
Genüge leisten und hemmten häufig den Fortschritt mehr, als
dass sie ihn begünstigten.
Medidnische Facultftt. 187
Die Professoren bildeten nur einen geringen Bruchtheil der
arztlichen Zunft, konnten also mit ihren Antragen schwer durch-
dringen. Sie waren ausserdem von mehreren wichtigen aka-
demischen Würden und Amtern, z. B. des Rectors, Decans, Di-
rectors und Vicedirectors der medicinischen Studien, ausge-
schlossen, damit sie angeblich ihrer Lehrthätigkeit nicht entzogen
wurden, und hatten daher nur geringen Einfluss auf das medi-
cinische Unterrichtswesen.
Seit langer Zeit trachteten sie nach der Unabhängigkeit von
der Zunft und hoben in dem Reformplan, den sie im April 1848
dem neugeschaffenen Unterrichtsministerium vorlegten, diese For-
derung hervor. Das Gesetz über die Organisation der akademi-
schen Behörden vom Jahre 1849 brachte die Erfüllung der-
selben wenigstens soweit, als nur noch eine lose Verbindung
zwischen dem Lehrkörper und der arztlichen Zunft bestehen
blieb, die 1873 ebenfalls gelöst wurde. Gleichzeitig wurde den
Professorencollegien die selbständige Leitung des Unterrichts und
der l^rüfungen übertragen.
Sie verlangten ferner, dass bei der Besetzung der Profes-
suren lediglich die wissenschaftlichen Leistungen massgebend
seien und auch Ausländer angestellt werden, wie dies übrigens
schon früher geschehen war, und dass die Lehrer beim Unter-
richt nicht mehr, wie bisher, an vorgeschriebene Lehrbücher
gebunden, noch die Studierenden verpflichtet werden, bestimmte
Vorlesungen zu hören. Auch diese Anträge wurden in den
Jahren 1 850/5 1 bewilligt.
Schwieriger war die Ausführung der Forderung, dass die
wissenschaftlichen Institute den Bedürfnissen der Zeit entspre-
chend ausgestaltet und fehlende neu errichtet würden, weil dazu
(ieldmittel gehörten, welche bei der bedrängten Finanzlage des
Staates nicht zu beschalfen waren. Schon das Reformcomite,
welches 1845 zusammentrat, wies auf die Nothwendigkeit der
Errichtung eines physiologischen Instituts, einer klinisch-propä-
deutischen Anstalt und von l\irallelkliniken hin; ausserdem
machte es den X'orschlag, die \ertretung der naturwissenschaft-
lichen Fächer von der medicinischen Facultät an die philo-
sophische zu überweisen, die Lehrkanzel der Pharmakologie
l88 Medicinische Facultät.
von derjenigen der allgemeinen Pathologie zu trennen und
ausserordentliche Professoren für Psychiatrie, Kinderheilkunde
und vergleichende Anatomie anzustellen. Diese Wünsche wurden
1849 erfüllt. Skoda veröffentlichte einen Plan zur Verbesserung
der medicinischen Studien, in welchem er besondere Institute
für Pharmakologie und Pharmacie, für normale, topographische,
pathologische und chirurgische Anatomie, für medicinische Phy-
sik, medicinische Chemie und für Staatsarzneikunde und neben
dem klinischen Unterricht in der internen Medicin, Chirurgie,
Augenheilkunde, Geburtshilfe auch den über Dermatologie und
Syphilis verlangte.
Unter den Forderungen, welche damals gestellt wurden,
befand sich auch die Aufhebung des niederen Studiums für
Wundärzte und die vollständige Vereinigung der Chirurgie mit
der inneren Medicin. Sie wurde vom Ministerium sofort ange-
nommen, aber ihrer Verwirklichung stellten sich viele Schwierig-
keiten entgegen, so dass sie auf Jahre hinausgerückt wurde.
Erst seit 1871 wurden die Curse zur Ausbildung der niederen
Arzte geschlossen, und mit der medicinischen Rigorosenordnung
vom Jahre 1872 traten an die Stelle der verschiedenen Kate-
gorien von Ärzten, welche nur in einzelnen Theilen der Medi-
cin zur Praxis berechtigt waren, die Doctoren der gesammten
Heilkunde, die auf allen Gebieten derselben gleichmässig ausge-
bildet werden.
Das medicinische ProfessorencoUegium richtete 1848 zunächst
sein Augenmerk darauf, dass die experimentelle Richtung in der
Physiologie, welche in England und Frankreich zu bahnbrechen-
den Entdeckungen geführt hatte und in Deutschland ebenfalls
mit Erfolg betrieben wurde, auch in Wien Eingang finde und
gepflegt werde. Unter den deutschen Experimentalphysiologen
genoss Johannes Müller in Berlin das grösste Ansehen, aus
dessen Schule Th. Schwann, Henle, du Bois-Reymond,
Virchow, Helmholtz und E. Brücke hervorgegangen sind. Auf
Hyrtls Vorschlag wurde der Letztere aus Königsberg, wo er seit
Kurzem als Professor wirkte, nach Wien berufen, um hier der
physiologischen Forschung eine Heimstätte zu bereiten und den
Unterricht in diesem Gegenstande nach den Anforderungen der
Medictnische Ftcultit. lS<)
Wissenschaft umzugestalten. Im Jahre 1849 trat Brücke sein
Lehramt an.
Um dieselbe Zeit wurde eine zweite Klinik für innere Krank-
heiten errichtet, deren Leitung Johann Oppoizer übernahm, der
bis dahin als Kliniker in Prag und Leipzig thätig gewesen war.
Mit ihm gewann die Facultät einen Meister der Heilkunst, der
für seinen Beruf geboren war. Er bildete eine glückliche und
wohlthatige Ergänzung zu Skoda, indem er den Schwerpunkt
seines Wirkens darauf legte, die Studierenden mit der Kunst, zu
heilen, bekannt zu machen, und ihnen zeigte, welcher Reichthum
an diätetischen und arzneilichen Mitteln der Medicin zu Gebote
steht, um die menschlichen Leiden zu lindem und zu beseitigen.
An die Spitze der zweiten chirurgischen Klinik trat Johann
Dumreicher, welcher als Primarchirurg des allgemeinen Kran-
kenhauses reiche Gelegenheit gehabt hatte, ärztliche Erfahrungen
zu sammeln. Das Lehramt der allgemeinen Pathologie und
Therapie erhielt C. D. Schroff, dessen pharmakologische Arbeiten
vielen Beifall fanden.
Gleichzeitig wurden Kliniken für Dermatologie und Syphilis
errichtet. Die erstere wurde Hebra übertragen, die letztere dem
Primarchirurgen Sigmund, und beide wurden zu ausserordent-
lichen Professoren ernannt. Ebenso wurde der klinische Unterricht
in der Kinderheilkunde eingerichtet und das Krankenmaterial
des St. Anna-Kinderspitals dazu verwendet; denselben ertheilte
L. W. Mauthner, welcher i8si ebenfalls zum Extraordinarius
befördert wurde. Endlich wurde noch eine ausserordentliche
Lehrkanzel für Geschichte der Medicin geschaffen, die F. R,
Selig mann erhielt. Durch die Institution der Privatdocenten,
welche 1849 nach deutschem Muster geregelt wurde, hoffte man
einen Stamm von Lehrkräften zu gewinnen, welche zur Ver-
tiefung des Unterrichts beitragen und bei der Besetzung erledigter
Lehrstühle in Betracht kommen sollten. Die Lehrkanzeln der
beschreibenden Naturwissenschaften und der Chemie, die bis
1850 zur medicinischen Facultät gehörten, wurden davon abge-
zweigt und der philosophischen zugetheilt.
Diese organisatorischen Einrichtungen kamen unter dem
Ministerium des Grafen l-co Thun zustande, welches, von wohl-
IQO Medtcinische Facultät.
wollender Fürsorge für das Unterrichtswesen Österreichs erfüllt,
die Grundlagen zu der gedeihlichen Entwickelung schuf, die es
in den folgenden fünfzig Jahren durchgemacht hat.
III. Anatomie, Physiologie, Histologie und Embryologie.
Niemals hat es ein Lehrer der Anatomie verstanden, die trockenen
Thatsachen seiner Wissenschaft so anmuthig vorzutragen und
seine Zuhörer so zu fesseln, wie Hyrtl. Sein Auditorium ver-
mochte die Menge der Schüler kaum zu fassen, die mit Be-
geisterung seinen Worten lauschten.
Er führte den Unterricht in der topographischen und in der
chirurgischen Anatomie ein und zeigte damit, wie nützlich und
unentbehrlich die anatomischen Kenntnisse für die ärztliche Praxis
sind. Seine Lehrbücher erlebten zahlreiche Auflagen und wur-
den in alle Cultursprachen der Welt übersetzt. Er war nicht
bloss ein unübertrefflicher Lehrer und unvergleichlicher Schrift-
steller, sondern auch ein ausgezeichneter Forscher; er hat die
normale, die pathologische und die vergleichende Anatomie
durch wertvolle Arbeiten bereichert.
Seine anatomischen Präparate waren Muster der Zergliede-
rungskunst und zierten die anatomischen Museen vieler Länder.
Die anatomische Sammlung der Wiener Universität, die 1845
etwa 1980 Objecte zählte, wuchs unter seiner Leitung auf mehr
als 5000 Nummern an und übertraf durch die Reichhaltigkeit
der Rassenschädel, Gefassvarietäten, mikroskopischen Injectionen
und Präparaten von Sinnesorganen, besonders des Gehörorganes,
alle übrigen Sammlungen. Ausserdem schuf er ein Museum der
vergleichenden Anatomie, das später der Lehrkanzel für Zoologie
überlassen wurde.
Im Jahre 1874 '^g^^ Hyrtl sein Lehramt nieder, weil zu-
nehmende Sehschwäche ihm die Verwaltung desselben er-
schwerte. Er zog sich auf seine Besitzung in Pcrchtoldsdorf
zurück und beschäftigte sich dort mit kritischen Untersuchungen
über die Geschichte der Anatomie und der anatomischen Ter-
minologie, deren Ergebnisse den Inhalt mehrerer Werke bildeten.
Erst 1894 rief ihn der Tod aus seinem arbeitsreichen Leben ab.
Sein grosses Vermögen verwendete er zur Errichtung eines Waisen-
hauses in Mödling und zu Stipendien für Studierende der Medicin.
Medkinische FacuIULt. I9I
Sein Nachfolger war Karl Langer, früher Professor am
Josefinum, welcher schon seit 1870 an der Universität anato-
mische Vorlesungen hielt. Er war ein fleissiger und gründlicher
Forscher, ein gewissenhafter Lehrer und pflichttreuer Beamter.
Von seinen wissenschaftlichen Leistungen, welche die normale
und vergleichende Anatomie, die historische Entwickelung und
künstlerische Betrachtung derselben betrafen, heben wir seine
Untersuchungen über die Gelenke hervor, in denen die erste
richtige Darstellung des Bewegungsmechanismus enthalten war.
Er galt als ein hervorragender Vertreter der physiologischen
Richtung in der Anatomie und pflegte bei seinen Untersuchungen
stets die Functionen der anatomischen Gebilde in den Kreis der
Betrachtung zu ziehen. Zu seinen Schülern gehörten die Prof.
Toldt und Zuckerkandl in Wien, Holl in Graz, C Rabl in Prag,
Kadgi in Lemberg und Hochstetter in Innsbruck. Wahrend
der letzten .lahre seiner Lchrthätigkeit wurde er als medicini-
scher P'achconsulent im Unterrichtsministerium beschäftigt. Er
starb 1887 nach langem schweren Leiden. Unter ihm kam die
Zweitheilung der anatomischen Lehrkanzel, die bei der zu-
nehmenden Menge der Studierenden schon langst ein Bedürfnis
war, und der noch viel nothwendigere Bau einer anatomischen
Unterrichtsanstalt zustande.
Die neu errichtete Professur der Anatomie, welche der
schon bestehenden in den Pflichten und Rechten voll-
ständig gleichgestellt wurde, erhielt 1884 Karl Toldt, der bis
dahin den Lehrstuhl der Anatomie in Prag innehatte. Ihm
wurde zunächst die Aufgabe zugewiesen, die Baupläne für das
anatomische Unterrichtsgebaude in Bezug auf die fachlichen Be-
dürfnisse, denen dabei Rechnung getragen werden musste, zu
prüfen. H]r war dazu ganz besonders berufen, da er schon bei
dem Bau der Anatomie in Prag als fachmannischer Rathgcber
mitgewirkt hatte.
Vor 1848 fanden die anatomischen Vorlesungen und Sccier-
übungen der Studierenden im Universitiitsgebaude statt, wo sich
auch die anatomische Sammlung befand. Wahrend der revolu-
tionären Ereignisse gerieth die letztere in grosse (icfahr. Als die
Universität vom Militär besetzt wurde und in eine Kaserne ver-
IQ2 Medicinische Facultät.
wandelt werden sollte, wurde das anatomische Institut in die
Räume des Josefinums verlegt, welches kurz vorher aufgehoben
worden war. Da das letztere schon nach wenigen Jahren wieder
hergestellt wurde, so musste für den anatomischen Unterricht
abermals ein Unterkommen gesucht werden. Es wurden dafür
Localitäten in der ehemaligen Gewehrfabrik angewiesen, die
für diesen Zweck nothdürftig hergerichtet wurden.
Diese Räume waren in jeder Hinsicht ungeeignet. Der
Hörsaal war klein, dunkel und niedrig, so dass die obersten
Sitzreihen bei der aufsteigenden Anordnung der Bänke bis an
die Decke reichten. Die Seciersäle machten den Eindruck von
schlecht gehaltenen Viehställen, aber nicht von Arbeitsräumen
für Studierende. Allerdings sollten diese Localitäten nur ein
provisorisches Unterkommen bieten, und es wurde schon 1854
der Bau einer anatomischen Anstalt in Aussicht gestellt; aber es
vcrgiengen Jahrzehnte, bis diese Absicht ausgeführt wurde.
Erst im Juli 1885 wurde mit dem Bau begonnen, der
fünfzehn Monate in Anspruch nahm. Demselben wurde der
von den Architekten Avanzo und Lange nach den Angaben des
Prof. Toldt ausgearbeitete Plan zugrunde gelegt. Die oberste
Leitung des Baues wurde einem Comit6 übertragen, dessen Vor-
sitzender der k. k. Oberbaurath F. Wilt war.
Das Gebäude besteht aus zwei symmetrischen Hälften, von
denen jede ein vollständig unabhängiges anatomisches Institut
darstellt. vSie sind in der Mitte verbunden vom durch das
monumental angelegte Stiegenhaus und rückwärts durch die
beiden übereinanderliegenden Hörsäle, von denen jeder 3oo
amphitheatralisch nach oben ansteigende Sitzplätze enthält. Die
Hörsäle sind licht und geräumig, haben eine Höhe von
g'/aW und besitzen eine vollendete Akustik. Aus jedem
derselben führen vier Thüren, nämlich zwei von den unteren,
zwei von den oberen Sitzreihen direct auf die Stiegen, so dass
eine Entleerung der Hörsäle ziemlich rasch und ohne Störung und
Gefahr vor sich geht. Die unter den Sitzreihen befindlichen
Räume, welche vortreffliches Licht von aussen erhalten, w^erden
zur Aufstellung der Präparate verwendet, die beim Unterricht
gebraucht worden sind, so dass die Studierenden Gelegenheit
Medicintschc Facultät. I q3
erhalten, sie nochmals zu besichtigen und Lücken in ihrem Ver-
ständnisse zu ergänzen. Der Unterricht hat eine ausserordent-
liche Verbesserung erfahren, indem auch die kleinen Präparate,
sogar die mikroskopischen, so aufgestellt werden, dass ihre
charakteristischen Merkmale sofort in die Augen fallen.
Flechts und links von den beiden Hörsälen befinden sich
Handmuseen zur Aufbewahrung der Objecte, die in den Vor-
lesungen demonstriert w^erden.
Vom Stiegenhause durch Abschlüsse getrennt, sind zwei
gegen den Hof ausgebaute Flügel, welche die Arbeitsräume für
die Secierübungen enthalten. Auf jeder Seite findet man zwei
gleich grosse, übereinander liegende Säle mit je lo Seciertischen,
an denen gleichzeitig je 8 Studierende arbeiten können, so dass
im Ganzen Platz für 3 20 Personen ist. Die Seciersäle haben von
i^eiden Seiten Tageslicht und werden Nachts elektrisch beleuchtet;
jeder ist mit 3 Bogenlampen von je 3000 Normalkerzenstärke aus-
gestattet. In den Hörsälen, sowie in den übrigen Räumen ist Glüh-
licht. Neben den Seciersälen liegen abgesonderte Arbeitszimmer für
die Prosectorcn, Assistenten und vorgeschritteneren Studierenden.
Der gegen die Währingerstrasse liegende Haupttract ent-
hält im Hochparterre kleinere Auditorien für Specialcurse und
Studierlocale, in denen die Studierenden an den Präparaten ihre
Kenntnisse befestigen können, im ersten Stocke die Arbeits-
zimmer für die Professoren und die anatomische Bibliothek,
welche nahezu 4000 Bücher zählt, und im zweiten Stocke das
anatomische Museum. Dasselbe hat eine Längenausdehnung von
72*5 m und besteht aus einer Sammlung von 4137 Nummern. Kin
grosser Theil derselben ist in den letzten Jahrzehnten hergestellt
worden, da von dem älteren Bestände sehr viele Präparate an
das pathologisch-anatomische Museum und andere Institute ab-
gegeben oder als unbrauchbar ausgeschieden werden mussten.
Im liefparterre sind die Leichenkammern, Waschlocale,
Injections-, Macerations- und Entfettungsräume und Sargdepots,
im Haupttract nach der Strasse die Dienerwohnungen, auf dem
Dachboden die Knochenbleiche und ein photographisches Atelier.
Nebenstiegen und Aufzüge vermitteln den Verkehr vom Tief-
parterre zu den Seciersälen.
Gctchiclitc der Wiener Uiiivcrsitit. I4
194
Medicintsche Facultät.
Rückwärts von den Hörsälen, zum Theil in den Boden
versenkt, ist das Kesselhaus für die Dampfheizung, mit der das
ganze Gebäude versorgt wird, und das Maschinenhaus für die
Beleuchtung.
Tische, Sessel und Kasten sind aus imprägnierten Buchenholz
angefertigt, damit sie nicht durch Wasser oder Spiritus leiden.
Die Platten für die Secier- und Demonstrationstische, sowie die
Unterlagen für die I.eichen bestehen aus Untersberger Marmor,
welcher sich als für diese Zwecke besonders geeignet erwiesen
hat. Um die Entwicklung von Miasmen in den Arbeitsraumen zu
verhüten, sind überall Spritzenschläuche angebracht, mit denen die
Wände und Fussbüden gereinigt werden. Musterhafte Ventila-
tionsvorrichtungen sorgen ebenfalls dafür, dass krankmachende
Einflüsse ferngehalten werden. Im ganzen Hause herrscht eine
reine, gesunde Luft, und nirgends, nicht einmal im Souterrain,
machen sich üble Gerüche bemerkbar, so dass die Anstalt in
hygienischer Hinsicht den höchsten Anforderungen entspricht.
Die Grundfläche derselben umfasst 3255 m' wovon 2250 ver-
baut sind und 1005 auf die Höfe fallen. Für den Bau wurden
500.000 fl. präliminiert; doch wurde diese Summe nicht voll-
ständig verbraucht. Das Gebäude wurde im October 1886 in
Gegenwart des damaligen Unterrichtsministers Freiherrn v.
Gautsch feierlich eröffnet. Es trägt im Fries die Inschrift: c Er-
baut unter der Regierung Franz Josef I. im Jahre 1885.»
Während im Jahre 1847 für die Bedürfnisse der anatomi-
schen Lehrkanzel ein Staatszuschuss von jährlich i960 fl. geleistet
wurde, beträgt jetzt die Jahresdotation der anatomischen Anstalt
für jede der beiden Lehrkanzeln 2000 fl., für die Bibliothek 400 fl.,
für das Museum 3oo fl. und für den Leichentransport iisofl.,
also im Ganzen 5850 fl.
Neben Hyrtl und Langer ertheilte von 1861 — 1878 Chr. A.
Voigt anatomischen Unterricht. Flr war vorher Professor in
Krakau und wurde von dort nach Wien versetzt, als in Krakau
die polnische Unterrichtssprache eingeführt wurde.
An Langers Stelle trat 1888 E. Zuckerkandl, bis dahin
Professor in Graz, welcher neben der descriptiven hauptsächlich
die topographische Richtung in der Anatomie vertritt. Praktische
Medicinische Facidtät
195
Curse über topographische Anatomie gibt auch der Prof. extraord.
Dalla Rosa. Jedem der beiden Ordinarien sind für den Unter-
richt und die Secierübungen der Studierenden drei Prosectoren
und mehrere Demonstratoren beigegeben. —
Der physiologische Unterricht lag von 1849 — 1890 in den
Händen von E. Brücke, eines Gelehrten von umfassender All-
gemeinbildung, der auf allen Gebieten seiner Spccialwissenschaft
Hervorragendes geleistet hat. Er lieferte wichtige Beiträge zur
physiologischen Optik, gab Aufschlüsse über die Bedeutung ein-
zelner Gebilde des Auges für den Sehact und machte die Vor-
arbeiten zur Entdeckung des Augenspiegels. Er brachte die
Farbenlehre dem Verständnis näher und stellte ergebnisreiche
Untersuchungen über die Verdauung und Blutgerinnung an; so
zeigte er zum Beispiel, weshalb das Blut in den Gefässen wäh-
rend des Lebens nicht gerinnt, und wies nach, dass auch der Harn
gesunder Menschen eine geringe Menge Zucker enthält. Seine
Erklärungen der Umwandlung der Sprachlaute eröffneten einen
Einblick in dieses bis dahin wenig bekannte Feld der Physio-
logie. Auch die Theorie der bildenden Künste verdankte ihm
mannigfache Förderung, indem er die Gesetze des Schönen vom
wissenschaftlichen Standpunkte erläuterte.
Ebenso widmete er den F'ragen der Pathologie seine Auf-
merksamkeit; eingehend beschäftigte er sich mit dem Zusam-
menhange zwischen Albuminurie und Urämie.
Zu seinen Lehraufgaben gehörte ausser der Physiologie
die Histologie oder höhere Anatomie, wie sie in Wien ge-
nannt w^urde. Auch um diese Wissenschaft hat er sich grosse
Verdienste erworben, indem er über den feineren Bau einzelner
Organe, wie der Muskelfasern, der (-hylusgefässe und des Sch-
organes, neue Aufklärungen gab. Die Studierenden erhielten von
ihm die Anleitung, mit dem Mikroskop umzugehen und mikro-
skopische Präparate anzufertigen.
F> gründete in Österreich eine physiologische Schule, deren
Vertreter später die Lehrkanzeln verschiedener Universitäten
zierten, wie Albini in Neapel, Vlacovich in Padua, v. Vintschgau
in Innsbruck, Rollett in Graz, Stricker. Schenk, S. Exner und
der früh verstorbene, hochbegabte E. v. Fleischl in Wien.
14*
Iq6 Medtcinische FacultäL
Sein Nachfolger im Lchramte der Physiologie wurde sein
langjähriger Assistent Sigmund Exner, welcher seit 1895 zugleich
als Fachconsulent dem k. k. Unterrichtsministerium zugetheilt ist.
Neben ihm betheiligen sich am physiologischen Unterricht der
ausserordentliche Prof. Sigmund Fuchs und die Privatdocenten
Latschenberger, Krcidl und Th. Beer. Für die wissenschaft-
lichen Bedürfnisse des Instituts wurde 1850 eine jährliche Summe
von 600 fl. bewilligt, welche 1870 auf 2000 fl. und 1891 auf
2600 fl. erhöht wurde; doch werden die wirtschaftlichen Aus-
gaben davon nicht bestritten. Die Zahl der Assistenten ist auf
drei gestiegen, welche von vier Demonstratoren unterstützt
werden.
Unterricht in der Histologie ertheilte auch Prof. C. Wedl,
welcher seit 1853 als Extraordinarius, seit 1873 als Ordinarius
der medicinischen Facultät angehörte. Er trat 1885 in den
Ruhestand und starb einige Jahre später. Seine Forschungen
lagen weniger auf dem Gebiete der normalen als auf dem der
pathologischen Histologie und betrafen hauptsächlich die Er-
krankungen der Knochen, der Augen und Zähne, deren Patho-
logie er eigentlich erst begründet hat. Für den Unterricht stan-
den ihm nur zwei kleine Zimmer zur Verfügung.
Auf die Lehrkanzel der Histologie, deren Lehraufgaben auf
die Untersuchung der gesunden Organe beschränkt wurde, wurde
1888 Prof. V. Ebner v. Rofenstein aus Graz berufen. Zur
einstweiligen Unterbringung des von ihm geschaffenen Instituts
wurden Arbeitsräume in der alten Gewehrfabrik hergerichtet und
mit den nothwendigen Lehrmitteln ausgestattet. Die Jahres-
dotation beträgt gegenwärtig 1000 fl. Dem Vorstande des histo-
logischen Instituts stehen zwei Assistenten, der ausserordentliche
Prof. Schaffer und Privatdocent Hans Rabl, und drei De-
monstratoren zur Seite.
Auf Antrag des Prof. S. Schenk, welcher 1873 zum
Extraordinarius der Embryologie ernannt wurde, wurde ein
Institut errichtet, in welchem Gelegenheit zu Specialunter-
suchungen auf diesem Gebiete geboten wird. Demselben wurde
für diese Anstalt eine Jahresdotation von 3oo fl. und ein
Demonstrator zur Hilfe beim Unterricht bewilligt. Übrigens
Medtcinische Facultät. 197
wurde die Embryologie dadurch nicht aus den I.ehraufgaben des
ordentlichen Professors der Physiologie ausgeschieden, sondern
derselbe trägt das Fach ebenso wie früher den Studierenden
vor; ausserdem wird die specielle Entwickelung der Organe in
den anatomischen Vorlesungen gelehrt. Das embryologische
Institut dient gleich anderen kleinen Instituten den wissenschaft-
lichen Bedürfnissen der vorgeschritteneren Schüler und Ärzte,
welche die Lösung bestimmter Aufgaben unternehmen.
Der Neubau eines den Bedürfnissen der Wiener medicini-
schen Facultät und den Anforderungen der heutigen Wissenschaft
entsprechenden physiologischen Instituts wurde schon seit Jahren
als eine Nothwendigkeit empfunden. Man hatte dafür anfangs
den Platz in Aussicht genommen, auf dem das ehemalige provi-
sorische Reichsrathsgebäude stand, gab aber aus verschiedenen
Gründen später diesen Plan auf und wählte einige Bauplätze,
die durch die Niederreissung der alten Gewehrfabrik frei werden!
Dieselben schliessen sich seitlich an das anatomische Institut an
und umfassen einen grossen Flächenraum nach rückwärts. Sie
reichen aus nicht nur für die Errichtung von zwei physiologischen
Instituten, welche verlangt werden, sondern bieten auch Raum
für den Bau einer histologischen Unterrichtsanstalt und mehrerer
kleiner Institute, für welche ein dauerndes Unterkommen gesucht
werden muss.
Der Bau und die innere Einrichtung dieser Anstalten wurde
auf 900.000 {\, veranschlagt. Sie bestehen aus drei abgesonderten
Gebäuden, die in drei Bauperioden aufgeführt werden sollen.
Das erste Institut ist bereits unter Dach und wird im Jahre
1899 der Benützung übergeben werden. Es ist für eine zweite
physiologische Lehrkanzel bestimmt, welche hauptsächlich die
chemische Richtung vertreten soll, und wird die gleiche Zahl
der Stockwerke enthalten wie das anatomische (iebäude, an
welches es mit der vorderen Front angebaut ist. Im Tief-
parterre werden die Wohnungen für die Diener, ein chemisches
Laboratorium, ein Vivisectorium, Zucht- und Brutapparate, sowie
das Kymographion untergebracht werden.
Das Hochparterre enthält das Arbeits- und Schreibzimmer
des Vorstandes, Zimmer für die praktischen Übungen der
IqS Medicinische Facultät.
Studierenden und den für 250 Hörer berechneten Hörsaal,
welcher 16m lang, gm breit und etwa gm hoch ist und
durch das erste Stockwerk reicht. Das gegen den Hof
liegende Fenster bedeckt einen Flächenraum von 48 m* und
wird daher dem Tageslicht reichen Zugang gewähren. Um die
Zahl der Plätze, von denen aus ein deutliches Sehen der
Demonstrationen möglich ist, zu vermehren, wurde die originelle
Einrichtung einer scharf ansteigenden Gallerie getroffen, die über
dem amphitheatralisch angelegten Zuhörerraume schwebt. An
den Hörsaal schliessen sich Zimmer für die Vorbereitung zu
den Vorlesungen und Gallerien für die Demonstrationen an, die
nachher stattfinden.
Im ersten Stocke befinden sich Räume für die Stoffwechsel-
versuche, die Myographie, die physikalische Abtheilung und das
Wagezimmer, im zweiten die Zimmer für die mikroskopischen
Übungen, sowie die Räume für Injectionen, feinere anatomische
Präparationen, ein kleines Vivisectorium und ein Narkosezimmer.
Der Raum über dem Hörsaal soll zur Aufstellung einer Instituts-
sammlung verwendet werden. Nach der Gassenfront wird das
Gebäude einen Aufbau im dritten Stocke erhalten, in welchem
das optische Cabinet und zwei Assistentenwohnungen ein-
gerichtet werden. Die unter dem Tiefparterre liegenden Keller-
räume sind für Magazine, Aufbewahrung von Eis, Winterställe
für Versuchsthiere, Heiz- und Ventilationseinrichtungen bestimmt.
Beim projectierten Neubau für das bestehende physiologische
Institut soll hauptsächlich die physikalische Richtung, die Bewe-
gungs- und Sinnesphysiologie, berücksichtigt werden. Es wird
sich von dem schon beschriebenen Institut dadurch unterscheiden,
dass es manche Einrichtungen hat, die jenem fehlen, zum Bei-
spiel mechanische Werkstätten, dass es überhaupt mehr Räum-
lichkeiten enthält und reicher ausgestattet wird. Das Gebäude
wird mit der Fa9ade gegen die Hörsäle der anatomischen Anstalt
gerichtet sein und gleich dieser zwei vorspringende Flügel haben;
rückwärts wird es durch einen verdeckten Gang mit einem
Paralleltract verbunden.
Den Abschluss wird dieser Gebäudecomplex durch das histo-
logische Institut gewinnen, welches die Begrenzung gegen die
Medicintsche Faoilt&t. ^99
Schwarzspanierstrassc bilden soll. Hier wird ausserdem das
embryologische Institut untergebracht werden, vielleicht auch
das vom Prof. Obersteiner eingerichtete Institut für die Ana-
tomie des Centralnervensystems und das des Prof. v. Basch für
experimentelle Pathologie, während das Institut des Prof. Paltauf
für pathologische Histologie und Bacteriologie zusammen mit dem
hygienischen Institute anderswo untergebracht werden soll,
IV. Pathologische Anatomie. Allgemeine und experimentelle
Pathologie. Medicinische Chemie. Gerichtliche Medicin. Roki-
tansky war das anerkannte Haupt der pathologisch-anatomischen
Schule, welche in den Fünfzigerjahren die Führung in der deut-
schen Medicin übernahm. Was er sich als Lebensziel gesteckt,
hat er erreicht: er hat die Lehrsätze der pathologischen Ana-
tomie auf thatsachliche Grundlagen gestellt, wissenschaftlich be-
gründet und für die klinische Forschung nutzbar gemacht. Durch
ihn wurde sie aus einem todten Wissensmaterial in eine leben-
dige Wissenschaft umgewandelt, welche den Schlüssel zum Ver-
ständnis der Vorgänge im kranken Menschen gibt.
Rastlos bemüht, die von andern Forschern aufgefundenen
Thatsachen an der Hand der eigenen Beobachtungen zu prüfen,
zu berichtigen und zu ergänzen, hat er dieselben zugleich durch
eine Menge neuer Entdeckungen vermehrt. Alle Theile der
pathologischen Anatomie verdankten ihm weitvolle Beiträge.
So verbreitete er richtigere Anschauungen über die Natur ein-
zelner Neubildungen. Zur Erklärung der Entstehung der Miss-
bildungen zog er die Entwickelungsgeschichte heran, übrigens
beschränkte er sich nicht auf die makroskopische Untersuchung,
sondern gieng auch auf die feineren Structurverhältnisse, auf die
nur mit dem Mikroskop erkennbaren Veränderungen ein, ob-
wohl er die Technik desselben erst im 40. Lebensjahre erlernt
hatte.
Über seine praktische Thätigkeit als Anatom geben die
Sectionsprotokolle Auskunft, deren Zahl beim Scheiden aus
seinem Lehramte mehr als 100.000 betrug.
Dabei war Rokitansky durchaus nicht ein einseitiger Fach-
gelehrter. Seine tiefe philosophische Bildung und sein klarer
Blick, welcher jedes Gebiet, auch wenn es ihm fernlag, rasch
200 Mcdicinischc Facultät.
durchdrang, schützten ihn davor, dass er den eigenen Leistun-
gen eine höhere Bedeutung für die allgemeine Culturentwickelung
beilegte, als sie besassen. Bei verschiedenen Gelegenheiten machte
er die Arzte und Mediciner auf die irrige Auffassung des Ver-
hältnisses zwischen Medicin und Philosophie aufmerksam, wie
sie sich unter dem Einflüsse der vorausgegangenen Naturphilo-
sophie entwickelt hatte, und legte ihnen den Wert einer gründ-
lichen Allgemeinbildung ans Herz*
Seine machtvolle Persönlichkeit übte einen massgebenden
Kinfluss aus nicht bloss auf seine Fachgenossen, sondern darüber
hinaus im ölfentlichen Leben. Er war der Erste, der nach der
Reorganisation der Facultäten zum Decan des medicinischen
Lehrkörpers gewühlt wurde, und auch der erste Professor, wel-
cher die Würde des Rectors der Wiener Universität erlangte.
Auf Vorschlag des Ministers v. Schmerling wurde er i863
zum Referenten für das medicinische Unterrichtswesen im Staats-
ministerium ernannt. In diesem Wirkungskreise hat er dafür
gesorgt, dass die medicinischen Schulen in Graz und Innsbruck
in Facultäten umgewandelt und mit den erforderlichen Lehr-
mitteln und Lehrkräften ausgestattet w^urden, und dass der
Wiener medicinischen Facultät durch die Errichtung neuer In-
stitute und durch ausgezeichnete Lehrer der Glanz ihres Namens
erhalten blieb.
Die kaiserliche Akademie der Wissenschaften wählte ihn zu
ihrem Präsidenten, ebenso die k. k. Gesellschaft der Arzte
in Wien. Se. Majestät der Kaiser erhob ihn in den Freiherren-
stand. Im Jahre 1875 entsagte er der Lehrkanzel, behielt aber
seine Stellung im Ministerium. Sein Tod erfolgte 1878.
Ihm folgten im Lehramte seine ehemaligen Assistenten
R. Heschl (1875 — 1881) und nachher Hans Kundrat (1882 bis
1893). Der erstere hat die fachmännische Literatur durch eine
Anzahl casuistischer .Mittheilungen bereichert und das patholo-
gisch-anatomische Museum in Graz, wo er vorher Professor war,
gegründet. Auch Kundrat veröÜentlichte mehrere anerkennens-
werthe Arbeiten. Das grösste Verdienst erwarb er sich aber
dadurch, dass er die Wiener pathologisch-anatomische Samm-
lung — wenigstens zum grössten Theile — nach systematischen
Medicinische Facultät. 20I
Gesichtspunkten ordnete und aufstellte und dadurch zu einer
medicinischen Sehenswürdigkeit machte, wie sie kaum eine zweite
Stadt der Welt besitzt. Gegenwartig zahlt das pathologische Museum
über 5000 makroskopische und etwa 2000 histologische Präparate.
Nach seinem Tode wurde der bisherige Prosector am
Rudolfsspitale und ausserordentliche Professor der pathologischen
Histologie und Bakteriologie A. Weichselbaum zum ordent-
lichen Professor der pathologischen Anatomie ernannt, welchen
ein Adjunct und drei Assistenten beim Unterricht unterstützen.
Die Jahresdotation, w^elche anfangs nur 350 fl. betrug, wurde
1862 auf 600 fl. erhöht und nimmt jetzt die Summe von
2400 fl. in Anspruch. Die Zahl der pathologisch-anatomischen
Sectionen, welche jahrlich gemacht werden, ist ungefähr 2000.
Neben ihm wirkten der ausserordentliche Prof. Pal tauf
und der Privatdocent Kretz, Prosector am Kaiser Franz Josef-
Hospitale. Paltauf ist Prosector am Rudolfsspitale und leitet
als Nachfolger Weichselbaums das Institut für pathologische
Histologie und Bakteriologie, welches 1887 errichtet wurde.
Dasselbe ist vorlaufig in dem Seitenflügel der ehemaligen Ge-
wehrfabrik untergebracht, unmittelbar neben dem hygienischen
Institute, hat mit dem letzteren den Hörsaal gemeinsam, be-
sitzt ausser den nothwendigen Lehrmitteln eine reiche Samm-
lung von F^räparaten und bezieht eine Jahresdotation von
600 fl. Paltauf steht zugleich an der Spitze der Institute
zur Behandlung der Lyssa nach Pasteur und zur Gewinnung
von Heilserum gegen Diphtherie, welche in den letzten Jahren
errichtet wurden, und macht seine Schüler auch mit diesen
Behandlungsmethoden bekannt. Wie Paltauf, so geben auch
die übrigen pathologischen Anatomen Unterricht in histologi-
schen und bakteriologischen Untersuchungen.
Auf Rokitanskys Anregung wurde 1868 eine ausserordent-
liche Lehrkanzel für allgemeine und experimentelle Pathologie
systemisiert und S. Stricker übertragen, der als ehemaliger
Assistent Brückes und Adjunct an der Klinik Oppolzers nach
jeder Richtung berufen war, die Physiologie der Krankheit zu
bearbeiten und durch Experimente zu erläutern und den Studie-
renden verständlich zu machen.
202 Medtcintsche Facultät.
Im Jahre 1873 wurde er zum ordentlichen Professor be-
fördert. Seine wissenschaftlichen Arbeiten betrafen die Embryo-
logie und Histologie, die Physiologie, besonders des Central-
nervensystems, und die allgemeine Pathologie. Er hat die
Zelltheilung der weissen Blutzellen zuerst beobachtet und damit
diese für die Biologie wichtige Thatsache festgestellt. Über das
Leben und die Vorgänge in den Zellen gab er neue Aufschlüsse,
und die F^ehre von der Entzündung wurde durch ihn völlig
umgearbeitet. Den Unterricht suchte er so viel als möglich zu
vervollkommnen. Er legte den Schwerpunkt desselben auf die
Demonstration der Studienobjecte, weil er seinen Schülern da-
durch am besten ein anschauliches Verständnis der vorgetragenen
Lehren zu verschaffen hoffte.
Zu diesem Zwecke führte er das elektrische Projections-
mikroskop beim Unterricht ein, mit dessen Hilfe es ihm gelang,
helle, klare Bilder der mikroskopischen Präparate von einer
7500 — 20.000 fachen Vergrösserung an der Wand erscheinen zu
lassen. Nach seinen Angaben wurde 1884 von der Optiker-
firma Ploessl ein Projectionsmikroskop angefertigt, welches, später
mannigfach verbessert, nach dem Urtheile der Fachgenossen
alle derartigen Apparate übertraf. So wurde es möglich, die
mikroskopischen Bilder gleichzeitig einer grossen Menge von
Studierenden vorzuführen, wozu früher ein beträchtlicher Auf-
wand von Zeit und iMühe gehörte, ohne dass die Deutlichkeit
der Anschauung auch nur annähernd erreicht wurde. Auch von
anderen technischen Hilfsmitteln, z. B. vom Skioptikon und vom
Episkop, wurde beim Unterricht Gebrauch gemacht, um den
Schülern sachliche Vorstellungen der Gegenstände und ein voll-
ständiges Verständnis der Experimente in ihren Einzelheiten bei-
zubringen.
Die Jahresdotation, die 1868 nur 500 fl. betrug, wurde im
Verlaufe der Zeit auf 1800 fl. erhöht. Dem Vorstande der An-
stalt stehen zwei Assistenten zur Seite.
Im April 1898 starb S. Stricker. Seine Lehrkanzel wird
von seinem Assistenten A. Biedl suppliert, neben dem die
ausserordentlichen Professoren v. Basch, welcher ein von ihm
eingerichtetes und jetzt mit 200 fl. dotiertes Laboratorium
Medidnbche FacultiL 203
leitet, und Gärtner Vorträge über experimentelle Pathologie
halten.
Chemische Untersuchungen pathologischer Producte fanden
im Allgemeinen Krankenhause statt, seitdem die k. k. Gesell-
schart der Arzte dort zu diesem Zwecke auf ihre Kosten ein
kleines chemisches Laboratorium eingerichtet und der medicini-
schen Schule übergeben hatte. Die Leitung desselben erhielt
1844 Florian Heller, welcher später auch in den Lehrkörper
aufgenommen wurde. Er hat die Methodik der Harnunter-
suchungen gefördert und wichtige Beiträge zur Kenntnis der
Harnconcretionen, namentlich in ihren Beziehungen zu den Er-
krankungen der Nieren und Blase, geliefert.
Nach seinem Tode, welcher 1871 erfolgte, wurde die Er-
richtung einer ordentlichen Professur für angewandte mcdicini-
sche Chemie und die Gründung eines dazugehörigen Lehrinstituts
beschlossen. Dieses Lehramt übernahm 1874 Ernst Ludwig,
welcher den Unterricht und die chemischen Übungen der Stu-
denten, entsprechend der hohen Bedeutung, die dieselben für
die ärztliche Bildung erlangt haben, eingerichtet hat. Ihn unter-
stützen zwei Assistenten und zwei Demonstratoren. Ausserdem
halten der ausserordentliche Professor J. Mauthner und der
Privatdocent Sigm. Frank el Vorlesungen über einzelne 'Iheile
der medicinischen Chemie. Die jährliche Dotation des Instituts
beträgt 2000 fl.
Das Institut besorgt zugleich die chemischen Arbeiten für
das Allgemeine Krankenhaus und das Wiener Landesgericht in
Strafsachen, sowie für sanitätspolizeiliche /wecke.
Die Lehrkanzel der Staatsarzneikunde verdankte der An-
regung Peter Franks ihre F!ntstehung. Sie wurde 1805 ^er-
richtet und umfasste gerichtliche Medicin und Sanitätspolizei.
Von ihren Inhabern machte sich Bernt, der sie von 181 3 bis
1842 versah, durch seine wissenschaftlichen Arbeiten in weiteren
Kreisen bekannt. Sein Nachfolger KoUetschka fand durch
eine Infection mit Leichengift einen frühzeitigen 'I'od, bevor er
die Erwartungen, die an ihn geknüpft wurden, erfüllen konnte.
Ihm folgte 1847 Joh. Dlauhy, welcher einige Beiträge zur Ca-
suistik lieferte.
204 Mcdicinischc Facultät.
Nach seinem Rücktritt 1875 erhielt E. Hofmann, bis dahin
IVofessor in Innsbruck, die Lehrkanzel. Unter ihm nahm der
Unterricht in der gerichtlichen Medicin einen aussergewöhnlichen
Aufschwung. Er sorgte zunächst dafür, dass ihm das dafür
erforderliche Leichenmaterial zur Verfügung gestellt wurde, in-
dem er darauf drang, dass die gerichtlichen und sanitätspolizei-
lichen Sectionen, deren etwa 1100 jährlich stattfinden, nicht
mehr dem pathologischen Anatomen, wie es bisher geschehen
war, sondern dem Professor der gerichtlichen Medicin über-
tragen wurden. Ausserdem wurden ihm die Leichen von
Selbstmördern, Verunglückten und Neugebornen, welche kein
Begräbnis erhalten, für die Obductionsübungen überlassen.
Dadurch gewann er die Gelegenheit, die Studierenden in
die Technik der gerichtsärztlichen Sectionen einzuführen, und
zugleich ein reiches Material für eine Sammlung von Präparaten,
welche sein Fach illustrieren. Sie ist unter seiner Leitung auf
mehr als 2000 Nummern angew^achsen und steht an Grösse
und Vollständigkeit hinter keiner anderen Sammlung auf diesem
Gebiete zurück.
Durch diese Einrichtungen wurde das Lehrfach der ge-
richtlichen Medicin in Wien eigentlich neu begründet; denn es
w^urde von seiner Abhängigkeit von der pathologischen Ana-
tomie befreit und selbständig gemacht.
Hofmann verstand es, das Interesse dafür unter den Stu-
dierenden zu erwecken und der gerichtlichen Medicin eine Be-
deutung zu geben, wie sie in manchen andern Ländern ver-
geblich angestrebt wird.
Als F'orscher nahm er einen hohen Rang ein unter seinen
Fachgenossen; er hat zahlreiche Fragen der gerichtlichen Medicin
kritisch beleuchtet, geklärt und zur Entscheidung gebracht. Sein
Lehrbuch gilt als das beste, welches vorhanden ist, und wurde
in mehrere fremde Sprachen übersetzt. E. Hofmann starb 1897.
Seine Lehrkanzel wurde im Studienjahre 1897/98 von seinem
bisherigen Assistenten, dem ausserordentlichen Prof. Haberda,
suppliert. Als Nachfolger Hofmanns übernahm AI. Kolisko,
bisher ausserordentlicher IVofcssor und Assistent an der Lehrkanzel
für pathologische Anatomie, im Oclober iS()S die Lehrkanzel.
MediciDifiche Facultit. 205
Ihm sind zwei Hilfskräfte für den Unterricht und die sonstigen
Arbeiten zugewiesen. Die Jahresdotation des Instituts betragt 500 fl.
Die Institute für gerichtliche Medicin, pathologische Ana-
tomie, allgemeine und experimentelle Pathologie und medicinische
Chemie befinden sich in demselben Lehrgebäude, welches auf
einem zum Allgemeinen Krankenhause gehörigen Baugrunde des
sogenannten Leichenhofes errichtet worden ist. An dieser Stelle
stand früher ein kleines ebenerdiges Haus, das drei bis vier
Kammern enthielt, welche vom Tageslicht nur spärlich beleuchtet
wurden. Diese mehr als bescheiden ausgestatteten Räume waren
die Werkstätte Rokitanskys; hier machte er seine bahnbrechen-
den Forschungen und Entdeckungen, welche die Aufmerksam-
keit der ganzen Welt erregten.
Schon die Reformvorschläge der medicinischcn Facultät
vom Jahre 1848 enthielten die F'orderung, dass für den Unter-
richt in der pathologischen Anatomie ein würdiges Gebäude
hergestellt werde, wie es der Wichtigkeit dieses Faches entspreche,
und das Ministerium genehmigte diesen Antrag. Die Kosten des
Baues wurden auf 80.000 fl. veranschlagt. Aber die Verhand-
lungen über die Anlage und Ausführung des Baues zogen sich
durch viele Jahre hin. Die Universität Prag besass bereits ein
grosses pathologisch-anatomisches Institut, als man in Wien end-
lich mit dem Bau desselben begann. Im Frühjahr 1862 wurde
das Gebäude in Anwesenheit der Minister v. Schmerling und
Lasser eröffnet. Rokitansky hielt bei dieser Gelegenheit seine
berühmte Festrede über die Freiheit der Naturforschung.
Das neu erbaute Institut bildete einen mit der Front nach
der Spitalgasse gerichteten Längsbau, welcher aus Souterrain,
Krdgeschoss und erstem Stock bestand und die für den Unter-
richt in der pathologischen Anatomie, gerichtlichen Medicin und
pathologischen Chemie erforderlichen Räume, die Secirsäle,
Laboratorien und Arbeitszimmer, die pathologisch-anatomische
Sammlung und Localitäten für die Aufbewahrung der Leichen
enthielt. Man holfte damit den Bedürfnissen des Unterrichts
auf unabsehbare Zeit hinaus Genüge geleistet zu haben.
Als 1873 die Errichtung des Instituts für allgemeine und
experimentelle Pathologie beschlossen wurde, welches im räum-
206 Medicinische Facultät.
liehen Zusammenhange oder wenigstens in der Nähe der Lehr-
kanzel der pathologischen Anatomie stehen sollte, wurde der
Antrag gestellt, das vorhandene Gebäude zu diesem Zwecke um
ein zweites Stockwerk zu erhöhen. Ursprünglich hatte man den
Plan, dafür einen isolierten Pavillon zu erbauen; doch wurde
derselbe vom Ministerium des Innern verworfen. Die Ausfüh-
rung des im Princip genehmigten Aufbaues verzögerte sich aus
verschiedenen Gründen. Im Jahre 1879 verlangte Heschl, dass
die Anstalt durch einen kleinen Zubau für das pathologisch-
histologische Institut erweitert werde.
Der provisorische Zustand in der Verwendung der Räum-
lichkeiten, welcher durch die einstweilige Unterbringung des In-
stituts für experimentelle Pathologie geschaffen wurde, wurde
allmälig unhaltbar, umsomehr als sich der Unterricht in der
medicinischen Chemie unter Ludwig und in der gerichtlichen
Medicin unter Hofmann in ungeahnter Weise entfaltete und
daher auch grössere Ansprüche auf räumliche Ausdehnung stellte.
So drängte man von verschiedenen Seiten auf eine endgiltige
Ordnung der Verhältnisse hin.
Das Unterrichtsministerium anerkannte die Nothwendigkeit
derselben und Hess 1882 eine Summe für den Erweiterungsbau
der Anstalt in das Budget einstellen. Derselbe umfasste den
schon längst beschlossenen Aufbau des zweiten Stockwerkes
und einen Anbau zu ebener Erde, welcher die Hörsäle mit den
nöthigen Nebenräumen enthält. In seinem jetzigen Zustande
zeigt das Gebäude folgende Verwendung der Räumlichkeiten.
Im Souterrain befinden sich die Localitäten für die Aufbe-
wahrung, Aufbahrung und Ausstellung der Leichen, die Beisetz-
kammern, die Sargdepots, Arbeitsräume für die beiden chirurgi-
schen und die beiden gynäkologischen Kliniken, sowie für die
Secundarärzte, Macerationslocale, Räume für feuergefährliche und
gesundheitsschädliche Arbeiten des chemischen Instituts, sowie
Kellereien und Magazine verschiedener Art, und im Parterre
Zimmer für Leichendiener, für Parteien und behördliche Com-
missionen, sowie Arbeitszimmer für die zweite chirurgische
Klinik, für die erste Augenklinik und die Primarärzte, einen
Saal für die pathologisch-anatomischen Sectionen nebst mehreren
Medicinische Facultit. 207
dazugehörigen Arbeitszimmern, drei Zimmer für bakteriologische
Untersuchungen, der Hörsal der medicinischen Chemie, welcher
140 Sitzplätze enthält, und zwei Zimmer, in denen die Experi-
mente für die Vorlesungen vorbereitet werden.
Der damit verbundene Zubau hat im Parterre den Hörsaal
der pathologischen Anatomie mit einem Arbeitszimmer und den
Hörsaal der gerichtlichen Medicin nebst einem Obductionslocale
und im Souterrain das Abwaschhaus und den grossen Eisraum.
Davon getrennt sind das Desinfectionsgebäude und Stallungen
für Versuchsthiere.
Der erste Stock des Hauptgebäudes enthalt das Institut der
gerichtlichen Medicin, bestehend aus einem grossen Saale, in
welchem sich das Museum befindet, und zwei Zimmern für die
Arbeiten des Vorstandes und seiner Assistenten, sowie der Stu-
dierenden, das Institut für medicinische Chemie, bestehend aus
dem Schülerlaboratorium mit 56 Arbeitsplätzen, einem Labo-
ratorium mit 12 Arbeitsplätzen für selbständige Arbeiten, Räumen
für organische Elementaranalyse, Destillationen, Gasanalysen
und die Wagen, einem Dunkelzimmer und Arbeitszimmer für
den Vorstand des Instituts und seinen Assistenten, und das In-
stitut für allgemeine und experimentelle Pathologie, welches aus
dem Hörsaale und drei grossen Arbeitszimmern besteht. Im
zweiten Stocke ist das pathologisch-anatomische Museum und die
den drei Instituten gemeinsame, etwa 600 Werke zählende Biblio-
thek untergebracht; ausserdem befinden sich dort Arbeitszimmer
für mehrere Kliniken und ein grosser Arbeitssaal für die
mikroskopischen Untersuchungen des pathologisch-anatomischen
Instituts.
Der 1862 vollendete Bau der Anstalt kostete 198.000 H.,
der Erweiterungsbau vom Jahre i883 mit der inneren Einrich-
tung im Ganzen 194.000 fl.
V. Arzneimittellehre. Geschichte der Medicin. Hygiene.
Veterinärmedicin. Als C. D. Schroff 1849 das Lehramt über-
nahm, musste er sowohl die allgemeine Pathologie und 1 herapie
als die Arzneimittellehre vortragen. An Lehrmitteln fehlte es
nahezu gänzlich; nicht einmal Arzneistoffe und Droguen waren
vorhanden, um sie den Studierenden zu zeigen.
2o8 Medicinische Facultät.
Schroff trachtete vor allem, diesem Mangel abzuhelfen, und
legte ein Herbarium pharmaceuticum an. Auf seine Veranlas-
sung wurde dann die pharmakognostische Sammlung des Prof.
Marti US in Erlangen vom Staate angekauft, die aus 2812 Stücken
bestand. Sie bildete den Grundstock der Sammlung, welche
Alles vereinigen sollte, was irgendwo als Heilmittel, diätetisches
Mittel oder Gift angewendet wird. Durch Geschenke, unter
denen diejenigen hervorgehoben werden müssen, welche sie durch
die Novara-Expedition erhielt, durch Erwerbungen und die Ar-
beiten des Vorstandes des Instituts vermehrte sich diese Samm-
lung derartig, dass sie 1865 neben 1570 Pflanzen des Herbariums
3 181 Drogucn des Pflanzenreiches, 3 10 aus dem Thierreiche,
194 aus dem Mineralreiche und i2o3 chemische und pharma-
ceutische Präparate zählte.
Schroft' war auch literarisch thätig; er veröff'entlichte Unter-
suchungen über die physiologischen und arzneilichen Wirkungen
des Colchicum, des Aconit, der Belladonna und eine Abhand-
lung über das Sylphium des Alterthums, sowie beliebte Lehr-
bücher der Pharmakologie.
Als er 1873, nachdem er die gesetzliche Altersgrenze er-
reicht hatte, vom Lehramte zurücktrat, wurde die allgemeine
Pathologie von der Arzneimittellehre abgetrennt und seinem
Nachfolger A. Vogl nur für die letztere der Lehrauftrag ertheilt.
Bei ihm hören sowohl die Mediciner als die Pharmaceuten ;
ausserdem werden von ihm oder seinem Assistenten seit 1886
populäre Vorträge über Genussmittel und Gifte und deren Verfäl-
schungen gehalten, die für die Marktcommissärc berechnet sind.
Das Herbarium pharmaceuticum wuchs unter seiner Leitung
auf nahezu 40CX) Nummern, die pharmakognostische Sammlung
auf 6866 Nummern, die pharmakologische auf 1 1 74 Nummern
an; dazu kam eine Sammlung österreichischer Medicinalpflanzen
von Dr. Helfer und eine Hölzersammlung von kleinen Mustern
(150 Stück). Besonders hervorzuheben ist die äusserst wertvolle
Opium- und Chinarindensammlung, ferner die nach Ländern
geordneten Zusammenstellungen der Droguen, wie die von China,
Chile, von den Philippinen, die reichhaltige brasilianische Samm-
lung, die Sammlung von grösseren Stammdurchschnitten u. a. m.
Medicinische Facultäu
209
Die Bibliothek sammt den Wandtafeln umfasst 2188 Num-
mern; ausserdem besitzt das Institut 356 Nummern an Instru-
menten und Gerathschaften, darunter 40 Mikroskope. Ks werden
Droguen und pharmaceutische Präparate, sowie vegetabilische
Nahrungs- und Genussmittel mit Hilfe der mikroskopischen und
chemischen Prüfungsmethoden untersucht.
Die Jahresdotation ist von 150 fl. auf 765 fl. gestiegen.
Am Institut sind ein Assistent und zwei Demonstratoren ange-
stellt. Neben Prof. Vogl hält Privatdocent Paschkis Vorlesungen
über dieses Fach. Von den Schülern Vogfs wirken bereits
mehrere als Professoren der Pharmakognosie an anderen Hoch-
schulen, wie Möller in Graz, Lazarski in Krakau und Ne-
vinny in Innsbruck.
Dem Institut stehen ein grosser Saal, in welchem die Samm-
lungen aufgestellt sind, zwei Säle für die mikroskopischen und
pharmaccutischen Untersuchungen der Studierenden, ein Arbeits-
zimmer für den Vorstand und der Hörsaal mit 252 Sitzplatzen
zur Verfügung, der gleichzeitig auch dem Professor der Geschichte
der Medicin eingeräumt ist. Das Institut befand sich bis 1854
im Josefinum, wurde dann in die ehemalige Gewehrfabrik und
1884 in die neue Universität verlegt.
Das gleiche Schicksal hatte die Lehrkanzel der Geschichte
der Medicin, deren erster Inhaber F. R. Sei ig mann 1869 zum
Ordinarius befördert w^urde und 1879 ^^ ^^^ Ruhestand trat.
Er hat sich Verdienste um die Geschichte der persischen Heil-
kunde erworben. An seine Stelle wurde Th. Puschmann aus
Leipzig berufen, welcher anfangs als ausserordentlicher, seit 1888
als ordentlicher Professor das Fach vertritt. Ausserdem bethei-
ligen sich die Privatdocenten Ritter v. Töply und M. Neu-
burger am Unterricht. Derselbe umfasst die Geschichte der
Medicin und ihre Beziehungen zur allgemeinen Culturgeschichte,
die Entwickelung einzelner mcdicinischer Disciplinen, z. B. der
Anatomie und Physiologie, Chirurgie, Geburtshilfe u. a. m., ferner
die medicinische Geographie und Hodegetik als Einleitung in
das Studium der Heilkunde.
Erfolgreicher könnte derselbe gestaltet werden, wenn der
Lehrkanzel für Demonstrationen eine historische Sammlung von
Geschichte der Wiener Universitit. I5
2 I O Meci^'s.ifcrbc Ftriiiii.
Instrumenten. Modellen und Abbildungecu sowie der classischen
Werke der Medicin zur Verfügung stehen würde.
Die fruchtbare Bearbeitung der Hygiene in den letzten
Jahrzehnten und ihr wachsender Einfluss auf das öffentliche
^iesundheitswesen führte allenthalben zur Errichtung von Pro-
fessuren für dieses Fach. Auch in Wien geschah dies, wenn
auch später als in vielen andern lindem. Im Jahre 1875
wurde der bisherige Privatdocent für forensische und hygienische
(Chemie, Josef Nowak, zum ausserordentlichen Professor der
Hygiene und Sanitätspolizei ernannt. Er verfasste ein Lehrbuch
der Hygiene, welches nach seinem Tode von Rubner, Pro-
fess^>r der Hygiene in Berlin, bearbeitet worden und bereits in
sechs Auflagen erschienen ist. Im Jahre i883 woirde ihm ein
aus vier Arbeitszimmern bestehendes Institut eingerichtet; doch
starb er schon wenige Jahre später.
An seine Stelle trat Max Grub er, vorher in Graz, zunächst
als Extraordinarius, seit 1892 als Ordinarius. Ihm wurden Ar-
beitszimmer in dem nach der Schwarzspanierstrasse gelegenen
Seitenflügel der ehemaligen Gewehrfabrik zugewiesen, da das
bisherige Institut infolge des Neubaues der Anatomie obdachlos
geworden war. Dieselben bestehen aus einem Hörsaal mit
70 Sitzplätzen, der auch für die mikroskopischen Übungen ver-
wendet wird, und sechs Arbeitszimmern mit den für hygienische
und bakteriologische Untersuchungen erforderlichen Apparaten
und Hinrichtungen. Der Neubau eines für diese Zwecke be-
stimmten Instituts ist in Aussicht genommen und wurde dafür
ein in der Nähe der Hernalser Linie gelegener Bauplatz ange-
kauft. Die Jahresdotation der Lehrkanzel beträgt 1000 fl. Der-
selben sind zwei Assistenten und ein Demonstrator zugetheilt.
Ausserdem ertheilen Oberstabsarzt Prof. Kratschmer, w^el-
cher im ehemaligen Josefinum seine Arbeitszimmer hat und
4(K) 11. Jahresdotation bezieht, sowie der Privatdocent Schatten-
froh praktische (^urse über einzelne Gebiete der Hygiene. Das
lach ist (legensland der Physikatsprüfung, aber nicht der ärzt-
lichen Prüfung, wie in den meisten übrigen Staaten.
Die 'Ihicrheilkunde gehörte schon seit 1781 zu den Disci-
plinen, deren Erlernung den Studierenden der Medicin und
Medicinische Facultät. 211
Chirurgie empfohlen wurde. Kaiser Josef II. befahl, dass Ärzte,
welche an dem Unterricht in diesem Gegenstande theilnahmen,
bei der Verleihung von Physikaten und andern amtlichen Stellen
des Sanitätswesens bevorzugt wurden. Im Jahre 1810 w^urde
sie in den officiellen Studienplan aufgenommen. Drei Jahre
später wurde die Thierarzneischule der Universität einverleibt,
behielt aber ihre selbständige Verwaltung.
Als 1852 diese Verbindung gelöst wurde, wurde den Stu-
dierenden Gelegenheit geboten, sich die wünschenswerten Kennt-
nisse auf diesem Gebiete an der Universität zu erwerben. Pro-
fessoren der Thierarzneischule traten als Docenten in den Lehr-
körper der medicinischen Facultät ein und hielten Vorlesungen,
wie Roll über vergleichende Pathologie und Franz Müller über
Zootomie, Zoophysiologie und Thierseuchcn. Beide wurden
später zu ausserordentlichen Universitätsprofessoren ernannt.
Prof. Csokor, welcher seit 1890 dieses Fach vertritt, hat den
Unterricht so eingerichtet, dass er hauptsächlich die Thierseuchen
und Invasionskrankheiten (Zoonosen) in Betracht zieht und mit
Rücksicht auf die Gesetzgebung bespricht. Die Vorträge sind
mit Demonstrationen verbunden und finden im Thierspitale statt,
wenn kranke Thiere vorgestellt werden, oder im Hörsaale des
pathologisch -anatomischen Instituts, wenn pathologische und
mikroskopische Präparate gezeigt werden.
VI. Innere Medicin. Der klinische Unterricht wurde 1753
in Wien eingeführt. Bis dahin hatten die Studierenden der
Heilkunde die praktische Anleitung zur Untersuchung und Be-
handlung der Kranken dadurch empfangen, dass sie sich an
einen befreundeten Arzt anschlössen und ihn bei seinen Kranken-
besuchen begleiteten, wie es schon im Alterthum üblich war.
In den Statuten der Wiener medicinischen Facultät vom Jahre
1537 und 1554 wurde den Mitgliedern des Lehrkörpers ans
Herz gelegt, sich der Studierenden anzunehmen und sie zu ihren
Kranken in den Spitälern und in der Privatpraxis zu führen,
weil auf diese Weise am besten die Praxis mit der Theorie ver-
bunden und die Ausbildung tüchtiger Ärzte ermöglicht wird.
Der schulmässigc Unterricht am Krankenbett wurde auf
van Swietens Anregung nach dem Muster der Klinik zu Lcy-
2 12 Medicinischc Facultät.
den in Holland eingerichtet. Im damaligen Bürgerspitale wurde
eine aus sechs Betten für Manner und sechs Betten für Frauen
bestehende Krankenabtheilung gebildet, welche dem klinischen
Unterricht diente; doch erhielt der Vorstand der Klinik das
Recht, aus den übrigen Abtheilungen dieser Anstalt sowohl als
aus dem Dreifaltigkeitshospitale Kranke in die Klinik überführen
zu lassen, wenn es das Interesse des Unterrichts forderte. So
blieben die Verhältnisse auch, als die Klinik 1776 aus dem
Bürgerspital ins Unierte Spital und 1 784 ins Allgemeine Kranken-
haus verlegt wurde.
Die erste medicinischc Klinik war auch lange Zeit die ein-
zige Klinik in Wien. Hier fanden Krankheitsfälle aller Art Auf-
nahme, und sogar chirurgische Verrichtungen wurden ausgeführt,
allerdings nicht von dem Kliniker, sondern von einem Wund-
arzte, der ihm zu diesem Zwecke beigegeben war. Eine räum-
liche Erweiterung erfuhr die medicinischc Klinik erst unter Peter
P'rank, indem er die zwei kleinen Zimmer im zweiten Stock
des Directionsgebäudes, in denen sie untergebracht war, durch
Hinzunahme der anstossenden Räume in zwei geräumige Kranken-
säle umwandeln Hess, von denen jeder zwölf Betten enthielt.
Daneben lag der Hörsaal, in welchem die Vorträge gehalten und
die Kranken vorgestellt wurden.
Da das für den klinischen Unterricht bestimmte Kranken-
material nicht ausreichte, die Geltendmachung des Belagsrechtcs
von andern Abtheilungen aber manchen Schwierigkeiten be-
gegnete, besonders nachdem der Vorstand der Klinik nicht mehr
wie früher zu gleicher Zeit auch Director des Allgemeinen
Krankenhauses war, wurde 1851 beschlossen, jeder der beiden
damals bestehenden Kliniken für innere Leiden noch eine aus
zwei Krankensälen bestehende Abtheilung zuzuweisen, so dass
der Professor derselben zugleich als Primararzt des Kranken-
hauses thätig war. Bei den chirurgischen Kliniken bestand diese
Einrichtung schon vorher. Sie wurde 1856 dahin umgeändert, dass
diese Krankenabtheilungen in klinische Reserveabtheilungen umge-
wandelt und somit ausdrücklich dem Unterricht gewidmet wurden.
Skoda machte die von ihm geleitete Klinik «zur hohen
Schule aller derjenigen, welche der anatomischen Richtung am
Medicinische FacultAt. 2 I 3
Krankenbett huldigten oder sie kennen lernen wollten. Die classi-
sche Sprache seiner Vorträge, die Gründlichkeit und Sicherheit,
welche er bei der Untersuchung der Kranken bewies, die un-
übertreffliche Art, mit welcher er die festgestellten Thatsachen
zu gruppieren und zur Basis überzeugender Schlüsse und Folge-
rungen zu machen verstand, die rücksichtslose Offenheit, mit
welcher er gelegentlich die Ohnmacht der ärztlichen Kunst ein-
gestand, fesselten seine Schüler und erwarben ihm deren Ach-
tung und Bewunderung». Kränklichkeit bewog ihn 1871, aus
dem Lehramte zu scheiden; 1881 erlöste ihn der Tod von jahre-
langem Leiden.
Joh. Oppolzer leitete die zweite medicinische Klinik mehr
als 21 Jahre. Er lehrte seine Schüler nicht so sehr den patho-
logischen Begriff der Krankheit, als den einzelnen Krankheitsfall
ins Auge zu fassen, nicht zu schematisieren, sondern zu indivi-
dualisieren und neben den wissenschaftlichen Aufgaben des ärzt-
lichen Berufes die ethischen nicht zu übersehen, deren Erfüllung
das Vertrauen der Kranken erweckt und dadurch zur Heilung
beiträgt. Oppolzer starb 1871, und damit wurde auch diese
Lehrkanzel erledigt.
Bis 1857 bestand im Allgemeinen Krankenhause noch eine
dritte medicinische Klinik, welche von den Hörern des niederen
Curses der Land- und Wundärzte besucht wurde. Ihr letzter
Vorstand war J. A. Raimann, ein Nelfe Joh. Nep. v. Raimanns,
des mächtigen kaiserlichen Leibarztes und Chefs des Sanitätswesens.
Skodas Nachfolger im Lehramte wurde A. Duchek, ein
Schüler Hamernjks, vorher Professor in Lemberg und Heidel-
berg und zuletzt am Josefinum. Er veröfientlichte wertvolle
Arbeiten über das Verhalten des Alkohols im Körper und über
einige P>krankungen des Gehirns. Sein Tod erfolgte 1882. An
seine Stelle wurde H. Nothnagel berufen, der als Assistent
Traubes und Leydens und als Professor in Freiburg i. Br.
und Jena gewirkt hatte.
An die Spitze der zweiten medicinischen Klinik trat 1872
der ehemalige Assistent Oppolzers, Heinrich v. Bamberger, der
durch 18 Jahre die Professur der inneren Medicin in Würzburg
innegehabt hatte und zu den gefeiertsten Klinikern Deutschlands
214 Medicinische Facultät.
gehörte. Sein Werk über die Krankheiten des chylopoetischen
Systems, seine Arbeiten über Perityphlitis, über die Beziehungen
der Bright'schen Krankheit zu andern Krankheiten fanden allge-
meine Anerkennung. Sein Lehrbuch der Krankheiten des Herzens
sichert ihm ein dauerndes Andenken in der Geschichte unserer
Wissenschaft. Er starb 1888.
Ihm folgte O. Kahler aus Prag, dessen Leistungen auf dem
Gebiete der Neuropathologie zu grossen Erwartungen berech-
tigten. Aber ein unheilbares Leiden machte seiner Thätigkeit
als Forscher und Lehrer ein frühes Ende und führte 1893 seinen
Tod herbei. Die Leitung der Klinik wurde hierauf an den
früheren Assistenten Bambergers, E. Neusser, übertragen, wel-
cher bis dahin als Primararzt einer Krankenabtheilung des
Rudolfsspitales gewirkt hatte.
Der beständige Raummangel in den Kliniken und die Zu-
nahme der Studierenden machten die Errichtung einer dritten
medicinischen Klinik nothwendig. Dieselbe wurde 1890 geneh-
migt und Skodas ehemaliger Assistent, Prof. Schrötter Ritter
V. Kristelli, der bisher die laryngologische Klinik geleitet und
gleichzeitig an der Abtheilung des Allgemeinen Krankenhauses,
welcher er als Primararzt vorstand, klinischen Unterricht in der
internen Medicin ertheilt hatte, der in die gesetzliche Studienzeit
eingerechnet wurde, unter gleichzeitiger Beförderung zum Ordi-
narius an die Spitze derselben gestellt. Auf seinen Antrag wurde
für diese Klinik im zweiten Hofe des Allgemeinen Kranken-
hauses anschliessend an den Gebäudeflügel, in welchem sich
die Krankenzimmer befinden, ein besonderer Tract im Pavillon-
styl erbaut, welcher zu ebener Erde einen 14 m langen, 12 m
breiten und 7*2 m hohen, mit Oberlicht und hohem Seiten-
licht von rückwärts versehenen Hörsaal mit 200 amphi-
theatralisch angelegten Sitzplätzen, ein Ambulatorium, bestehend
aus einem Warteraum und zwei getrennten, für die Unter-
suchungen der Kranken bestimmten, mit dem Hörsaal ver-
bundenen Zimmern, ein Arbeitszimmer für den Vorstand, La-
boratorien für bakteriologische, mikroskopische und chemische
Untersuchungen und drei kleine Krankenisolierzimmer mit je
einem Bett enthält. Die beiden Krankensäle der Klinik haben
Medicinische Facultät. ^ ^ 5
einen Belegraum von 46 Betten; die dazugehörige Reserveabthei-
lung zahlt 48 Betten. Die Kosten des Baues betrugen 36.ooo fl.,
die der inneren Einrichtung 5000 fl. Die Zahl der ambulanten
Kranken ist bis auf 15.000 gestiegen.
Die beiden älteren medicinischen Kliniken liegen in den
Gebäuden des 8. und 9. Hofes. Die erste wurde 1872 aus dem
Stöckel dorthin verlegt; die zweite befindet sich seit ihrer Grün-
dung an diesem Ort. Der von Nothnagel geleiteten ersten Klinik
stehen 84 Krankenbetten, der von Neusser geleiteten zweiten
Klinik 75 Betten zur Verfügung. Jede hat einen Hörsaal und
mehrere Arbeitszimmer für den Vorstand der Klinik und für
mikroskopische, chemische, bakteriologische, laryngologische und
ophthalmoskopische Untersuchungen. Der Hörsaal der ersten
fasst 320, der der zweiten 290 amphitheatralisch ansteigende
Sitzplätze. Die beiden Kliniken sind mit den noth wendigsten
Lehrmitteln und einer kleinen Handbibliothek ausgestattet. Die
mit den Kliniken verbundenen, von vielen Tausenden von Kran-
ken besuchten Ambulatorien werden ebenfalls für den Unterricht
#
verwendet. Als ärztliche Hilfskräfte sind an jeder der drei Klini-
ken zwei Assistenten und mehrere Aspiranten beschäftigt. Sie
machen die Nachmittagsvisiten in den Krankensälen, an denen
die Studierenden theilnehmen dürfen.
Ausser den drei Ordinarien halten noch mehrere Extra-
ordinarien und Privatdocenten Vorlesungen und praktische C^ursc
über einzelne Theile der internen Medicin, wie M. Benedikt
(Nervenleiden und Elektrotherapie), S. Stern (physikalische Dia-
gnostik), V. Stoffella d'Alta Rupe (Herz- und Lungenkrank-
heiten), Oser (Magen- und Darmkrankheiten), Winternitz
(Hydrotherapie), Chvostek (Nervenkrankheiten), Heitler (physi-
kalische Diagnostik), R. v. Limbeck (Hämatologie und Neuro-
pathologie) und F ran kl v. Hoch wart (Nervenkrankheiten) und
die Privatdocenten Drozda (physikalische Diagnostik), Biach
(Diagnostik), Freud (Neurosen), Alois Pick (Magen- und Darm-
krankheiten), Pal (Krankheiten der Bauchorgane), H. Lorenz
(Diagnostik), Kovacs (Diagnostik), A. Hammerschlag (Nlagen-
und Darmkrankheiten, Herzkrankheiten), Sternberg (Herz-
krankheiten), Schütz (Magen- und Darmkrankheiten), M. Herz
2 1 6 Mcdicinischc Facultät.
(Diagnostik), Ortner (Therapie), Mannaberg (klinische Bakterio-
logie), H. Schlesinger (Erkrankungen des Herzens und der grossen
Gefösse), F. Müller (Diagnostik), R. Kolisch (Stoffwechselerkran-
kungen), A. Klein (Diagnostik), J. Weiss (Therapie) und A. v,
Weismayr (Krankheiten der Respirationsorgane). Bis vor Icurzem
gehörte auch der Epidemiologe Dräsche dem Lehrkörper an.
VII. Haut- und Geschlechtskrankheiten. Diese Leiden hatten
schon in früheren Zeiten die Aufmerksamkeit einzelner Wiener
Ärzte erregt, wie die Schriften von G. van Swieten, Plenk
und Schwediauer beweisen; aber die systematische Beobach-
tung derselben, die erfolgreiche Bearbeitung dieses Thciles der
Heilkunde begann erst mit der Errichtung besonderer Abtheilun-
gen und Kliniken für diese Krankheiten.
Schon 1842 eröffnete Ferd. Hebra, wahrend er noch die
bescheidene Stellung eines Secundararztes bekleidete, klinische
Curse über Hautleiden, die von zahlreichen Ärzten und Stu-
dierenden besucht wurden. Drei Jahre später erhielt er die
selbständige Leitung der Ausschlagsabtheilung. Im Jahre 1848
wurde er zum Primararzt derselben ernannt und im folgenden
Jahre als ausserordentlicher Professor dem Lehrkörper der medi-
cinischen Facultät eingereiht. Damit übernahm er die Verpflich-
tung, Unterricht in der Diagnostik und Behandlung der Haut-
krankheiten zu ertheilen. Das reiche Krankenmaterial, über
welches er in seiner Abtheilung verfügte, stand ihm für die
Demonstrationen zudiensten.
Was Hebra als F'orscher geleistet hat, ist zum dauernden
Besitz der medicinischen Wissenschaft geworden. Er hat die
falschen Theorien über die Entstehung und die Beziehungen der
Hautkrankheiten beseitigt und einer vernünftigen und wirksamen
örtlichen Behandlung die Wege geebnet. Die Erscheinungen
und der Verlauf vieler Hautleiden, wie Eczem, Psoriasis, Prurigo
wurden durch ihn besser bekannt. Seine Darstellung des
Eciema marginatum, Liehen ruber u. a. m. ist unübertroffen.
Auch die Therapie verdankt ihm manche Förderung; so wies
er auf den Wert der Jodpräparate und des Kautschuks bei Haut-
krankheiten hin und führte das continuierliche Wasserbett in die
ärztliche Praxis ein.
Medicinische Facultät 217
Hebra war ein musterhafter Lehrer. Seine klare Ausdrucks-
weise machte den Hörern das Verständnis leicht. Sein derber
Humor in Verbindung mit dem aufrichtigen Wohlwollen, das
er ihnen bewies, gewann ihm ihre Herzen. Jederzeit war er
bereit, junge Forscher bei ihren Untersuchungen mit seinem
Rath und seiner Erfahrung zu unterstützen. Fast alle hervor-
ragenden Dermatologen der folgenden Generation sind bei ihm
in die Schule gegangen. Viele von ihnen wirkten später als
Lehrer an Universitäten, wie Schwimmer in Budapest, Geber
in Klausenburg, Lipp in Graz, der verstorbene Primararzt H. v.
Zeissl, der verdiente Vertreter der Dualitätslehre in der Syphilis,
der hochbegabte Auspitz, Kaposi, J. Neumann in Wien.
Im Jahre 1869 wurde Hebra zum ordentlichen Professor
befördert, 1880 starb er. Neben ihm wanderte Sigmund durch
das Leben, welcher 1849 an die Spitze der neu errichteten
Klinik für Geschlechtskrankheiten gestellt wurde. Er beschäftigte
sich eifrig mit dem Studium der Seuchen und betonte die Noth-
wendigkeit und Wichtigkeit der internationalen Sanitätspflege
schon zu einer Zeit, da man diesen Fragen kaum irgendwelche
Beachtung schenkte. Um sein Specialfach erwarb er sich Ver-
dienste, indem er auf die Erkrankung der Drüsen bei Syphilis
aufmerksam machte, auf strenge Reinhaltung der Geschwüre
drang und für die systematischen Inunctionscuren eintrat.
Sigmund wurde gleichzeitig mit Hebra zum Ordinarius er-
nannt, legte 1880 sein Lehramt nieder und starb i883.
Hebras Nachfolger wurde M. Kaposi; an Sigmunds Stelle
trat J. Neumann. Sie gehörten zunächst als Extraordinarien
dem Professorencollegium an, wurden aber 1893 zu Ordinarien
befördert. Die Unterscheidung der beiden Kliniken in eine der-
matologische und eine syphilidologische wurde, obwohl schwer
durchführbar, wenigstens nominell aufrecht gehalten.
Die Klinik des Prof. Kaposi besteht aus zwei klinischen
Krankensälen mit 43 Betten, einer Krankenabthcilung mit 81 Betten
und einem Krankenzimmer, in welchem 7 Wasserbetten aufge-
stellt sind. Derselben steht ein amphitheatralisch aufgebauter
Hörsaal mit 120 Sitzplätzen, ein Ambulatorium und Arbeits-
zimmer für mikroskopische und bakteriologische Untersuchungen
2 1 8 Medicinische Facultät.
zur Verfügung. Ausser den nothwendigen Lehrmilteln besitzt sie
eine Sammlung von etwa 850 Abbildungen von Hautkranken,
sowie Darstellungen in Wachs, Papiermache, Gips und Moulage.
Die Klinik des Prof. Neumann hat zwei klinische Kranken-
säle mit 51 Betten und eine Reserveabtheilung von 88 Betten.
Das dazugehörige Ambulatorium wird von ungefähr 3ooo Kran-
ken jahrlich aufgesucht. Eine kleine Fachbibliothek und Samm-
lungen von anatomischen, mikroskopischen, pathologischen und
bakteriologischen Präparaten und Moulagen dienen ihr als Lehr-
mittel. Auf Antrag Neumanns wurde 1897 mit einem Kosten-
aufwande von 5000 fl. ein klinischer Hörsaal erbaut, welcher
120 Sitzplätze enthält.
Jedem Vorstande sind zwei Assistenten zur Unterstützung
beim Unterricht beigegeben.
Die Professoren Neumann und Kaposi gaben 1889 die An-
regung zur Anfertigung farbig-plastischer Nachbildungen, wie sie
das Musee Baretta im Hospital St. Louis zu Paris besitzt. Da
eine Anfrage Neumanns, welcher die Sache wesentlich förderte,
in Betreff der dazu verwendeten Masse ebensowenig Erfolg
hatte als die chemische Untersuchung derselben, so veranlassten
sie einen künstlerisch veranlagten jungen Arzt, Dr. Henning in
Wien, sich damit zu beschäftigen. Er wurde vom k. k. Unter-
richtsministerium nach Paris geschickt, um das Verfahren zu
studieren, und gelangte nach zweijährigen mühevollen Versuchen
dahin, Kunstwerke herzustellen, welche allen Ansprüchen in
Bezug auf Dauerhaftigkeit und Naturtreue entsprechen. Infolge
dessen wurde er 1893 damit beauftragt, für den klinischen
Unterricht alljährlich eine bestimmte Anzahl von solchen Mou-
lagen zu liefern, und ihm ein Atelier im Allgemeinen Kranken-
hause eingerichtet. Im Jahre 1898 erfolgte seine Anstellung als
Vorstand dieser neugeschaffenen Anstalt, welche später zu einem
Museum farbig-plastischer Nachbildungen erweitert werden soll.
Die Moulagen sind ein unvergleichliches Unterrichtsmittel,
das sich weder durch Abbildungen, noch durch Spirituspräpa-
rate ersetzen lässt. Sie machen den Lehrer unabhängig von
dem zufälligen Eintreffen demonstrierbarer Krankheiten und
bieten die Möglichkeit, das am Krankenbett oder Seciertisch
Medidnische Facultät. 219
Beobachtete mit aller Naturwahrheit festzuhalten. Sie sind
namentlich für seltene Krankheitsfalle und solche infectiöser
Natur, z. B. Blattern, von grossem Wert, weil sie dem Stu-
dierenden anstatt der Patienten vor Augen geführt werden
können.
Das Wiener Moulagcnatelier wurde beauftragt, nicht bloss
die Wiener Kliniken und Institute, sondern auch diejenigen der
übrigen Hochschulen der Monarchie mit den nothwendigen De-
monstrationsobjecten zu versorgen, und hat dieser Aufgabe be-
reits in ausgedehnter Weise entsprochen.
Ausser den beiden Ordinarien halten die Professoren Ed.
Lang, früher Ordinarius in Innsbruck, Hans v. Hebra, Mracek,
Finger und M. v. Zeissl und die Privatdocenten Vajda, GrUn-
feld, E. Schiff, S. Ehrmann, Rille, der vor kurzem eine Pro-
fessur in Innsbruck erhalten hat, und Spiegier Vorlesungen und
praktische Curse über Haut- und Geschlechtskrankheiten.
Vlll. Psychiatrie und Nervenleiden. Als Kaiser Josef II. für
die Geisteskranken den sogenannten Narrenthurm erbauen Hess,
wurden sie in den meisten übrigen Ländern noch mit Verbre-
chern in Gefängnissen zusammengesperrt und mit der Peitsche
geschlagen. Allerdings war das Gebäude unzweckmässig an-
gelegt, aber es war doch ein Ort, wo die unglücklichen Irren
Schutz vor den Angriffen roher Menschen und ärztliche Pflege
und Behandlung fanden.
Die Psychiatrie nahm damals einen sehr niedrigen Stand-
punkt ein. Der Gedanke, dass die psychischen Erkrankungen
durch körperliche Störungen verursacht werden, wurde zwar
geahnt, lag aber dem Verständnis der Arzte noch fern. Sie
begnügten sich mit symptomatologischen KrankheitsbegrifFen und
richteten darnach ihre Therapie ein. Es gab zu jener Zeit und
auch während der folgenden Jahrzehnte noch keine eigentliche
Irrenbehandlung, sondern nur eine Irrenpflege.
Der Erste, welcher an der Wiener Universität Vorträge
über Psychiatrie hielt, war Freih v. Feuchtersieben, der
Verfasser der vielgelesenen «Diätetik der Seele». Im Jahre 1848
trat er als Unterstaatssecretär in das Unterrichtsministerium ein,
schied aber schon nach wenigen Monaten aus dieser Stellung
2 20 Mcdicinischc Facultät.
und Starb bald darauf. Später haben noch andere Docenten
Psychiatrie gelehrt, welche theils die forensische, theils die de-
scriptive Richtung derselben vertraten oder sich mit der passen-
den Unterbringung der Kranken beschäftigten.
Im Jahre 1870 wurde auf Rokitanskys Antrag eine psy-
chiatrische Klinik in der niederösterreichischen Landesirrenanstalt
errichtet und zu deren Vorstand l'heodor Meynert ernannt, der
bis dahin als Prosector an derselben angestellt gewesen war.
Kr unterzog sich der grossen Aufgabe, die feinere Anatomie
des Gehirns, die zu den dunkelsten Gebieten der Medicin ge-
hörte, aufzuklären.
Mit Hilfe einer vorzüglichen l'echnik gelang es ihm, den
Verlauf der F'aserbündel im Grosshirnstamme zu verfolgen und
die einzelnen Schichten in der Rinde und andern Stellen der
grauen Substanz und ihre verschiedenartigen Formelemente fest-
zustellen. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen erregten be-
rechtigtes Aufsehen unter den F'achgenossen und machten den
Namen Meynerts in der ganzen Welt bekannt.
Die pathologisch-anatomischen Befunde bei Sectionen von
Personen, die an Geisteskrankheiten gelitten hatten, schienen auf
einen genetischen Zusammenhang der ersteren mit den letzteren
hinzuweisen. Meynert lieferte wichtige Stützpunkte für diese
Annahme und brachte sie in vielen Punkten zur Gewissheit.
Kr betrachtete diese Forschungen als Vorarbeiten für eine
wissenschaftlich begründete Pathologie der psychischen Erkran-
kungen, welche er in einem Lehrbuche darstellen wollte. Er
hat dieses Werk begonnen, aber nicht vollendet. Seine Erklä-
rung einiger Phänomene des Irreseins, seine Schilderung der
Krankheiten der Grosshirnrinde, seine Gruppierung der Krank-
heitsbilder zeigen den Plan, den er dabei verfolgte. Er wollte,
was Rokitansky für die gesammte Medicin angestrebt hatte,
auch für die Psvchiatrie erreichen: eine anatomische Klinik
schallen. Unter denen, welche die anatomische Richtung in
der Psychiatrie angebahnt haben, verdient er an erster Stelle
genannt zu werden.
Im Jahre 1H73 wurde Mevnert zum ordentlichen Professor
befördert. Auf seinen Wunsch wurde 1875 ^^^^ psychiatrische
Medicinischc Facultat. 221
Klinik im Allgemeinen Krankenhause errichtet, an deren Spitze
er trat. Durch Umbauten und Adaptierungen und unter Hinzu-
nahme der kleinen Abtheilung für die Beobachtung beginnender
und zweifelhafter Geisteszustände, welche nach der Eröffnung
des Irrenhauses (1853) im Allgemeinen Krankenhause errichtet
worden war, wurde für den klinischen Unterricht ein Belegraum
von HO Betten gewonnen.
Die Leitung der Klinik in der Landesirrenanstalt gieng auf
den Professor Leidesdorf über, einen Psychiater von reicher
praktischer Erfahrung, der vorher diese Abtheilung im Allge-
meinen Krankenhause besorgt hatte. Nach seinem Tode (1889)
übernahm Freih. v. Krafft-Elbing, der vorher Professor in
Strassburg i. E. und in Graz gewesen war, die Klinik im Irren-
hause.
Als 1892 Mcynert starb, übcrliess Baron v. Krafft-filbing
die klinische Abtheilung des Irrenhauses dem aus Graz berufenen
Professor Wagner v. Jauregg und trat an Meynerts Stelle als
Vorstand der psychiatrischen Klinik des Allgemeinen Kranken-
hauses.
Dieselbe nimmt chronische und beginnende oder zweifel-
hafte Falle von Geistesstörungen, wie von Nervenleiden auf,
welche ohne jede psychische Krankheitserscheinung verlaufen,
hat einen Belegraum von 139 Betten, wovon 110 die klinische,
29 die Reserveabtheilung bilden, und einen Hörsaal, welcher
86 Sitzplätze zählt. Sie ist im Besitz anatomischer und mikro-
skopischer Präparate des gesunden und kranken Gentralnerven-
systems, auch solcher aus der vergleichenden Anatomie, die
grösstentheils von Meynert herrühren, sowie zahlreicher Ab-
bildungen und Bücher.
Die im Irrenhause befindliche Klinik hat 25 Krankenzimmer
und 12 Zellen mit einem Belegraum von 150 Betten. Sie
bildet eine Abtheilung der Anstalt und wird gleich den übrigen
vom Lande Niederösterreich erhalten. Die Unterrichtsverwaltung
leistet nur einen Zuschuss für die Besoldung der Ärzte.
Die Vorstände der beiden psychiatrischen Kliniken sind ordent-
liche Professoren. An derjenigen des Allgemeinen Krankenhauses
sind vier, an der in der Irrenanstalt zwei Assistenten angeslelll.
222 Medicinische Facultät.
Die Studierenden werden für den Besuch der psychiatri-
schen Kliniken vorbereitet durch die Vorlesungen über die Ana-
tomie und Physiologie des Centralnervensystems, welche Prof.
Obersteiner wie einst Meynert hält. Derselbe hat 1884 auf
seine eigenen Kosten ein Institut eingerichtet und mit einer
Sammlung von hierher gehörigen vergleichend-anatomischen und
mikroskopischen Präparaten, welche sämmtlich von ihm ange-
fertigt worden sind, mit Modellen und Abbildungen, sowie den
für histologische Untersuchungen des Nervensystems erforder-
lichen Instrumenten ausgestattet. Unter seiner Leitung arbeiten
hier junge Ärzte, welche die Lösung wissenschaftlicher Speciai-
fragen unternehmen. Die Zahl der Arbeitsplätze ist allmählich
bis auf 25 gestiegen. In Anbetracht dieses Erfolges, welcher
am deutlichsten für die Nützlichkeit und Noth wendigkeit dieses
Instituts spricht, wurde dem Prof. Übersteiner eine Jahresdotation
von 200 fl. ausgesetzt und ein besoldeter Demonstrator bei-
gegeben. Ausserdem tragen der Prof. J. Fritsch und die Privat-
docenten Holländer, Steiner v. Pfungen und E. Redlich
einzelne Theile der Psychiatrie vor.
Im Jahre 1844 erbat sich die k. k. Gesellschaft der Ärzte
in Wien von der Direction des Allgemeinen Krankenhauses ein
Local für elektro-therapeutische Versuche, und 1846 wurde auf
Fürsprache des Freih. v. Türckheim dort eine aus mehreren
Zimmern bestehende Abtheilung für Nervenkranke eingerichtet,
deren Leitung Ludwig Türck übertragen wurde. Er behielt
dieselbe auch, als er später an die Spitze einer der grossen
Krankenabtheilungen der Anstah trat.
Türck suchte die krankhaften Störungen des Nervensystems
im Sinne der pathologisch-anatomischen Schule zu localisieren
und ihren Ausgangspunkt festzustellen. Dabei kam er zu sehr
wertvollen Elrgebnissen. So erkannte er bereits die hohe Be-
deutung der inneren Kapsel zwischen der grauen Substanz des
Streifenhügels und dem dritten Linsenkerngliede für die Ent-
stehung der absteigenden secundären Degenerationen und der
Rückenmarkserkrankungen und fand, dass bei Erkrankungen
des hinteren Kapselabschnittes und der anstossenden Sehhügel-,
Linsenkern- und Stabkranzfaserung cerebrale Hemianästhesie
Medicinischc Facultät. 223
•s.
auftritt. «Seine classischen pathologisch -anatomischen Unter-
suchungen im Zusammenhange mit seinen sorgfaltig aufgezeich-
neten klinischen Beobachtungen sind wahre Musterbilder der
Forschung», wie Wedl schrieb.
Im Jahre 1864 wurde Türck zum ausserordentlichen Pro-
fessor ernannt; vier Jahre später starb er. Nach seinem Tode
wurde die besondere Abtheilung für Nervenleiden im Allge-
meinen Krankenhause aufgehoben.
Dafür wurde 1867 eine aus zwei Krankenzimmern mit
etwa 50 Betten bestehende Abtheilung für Elektrotherapie ge-
schaffen, deren ärztliche Besorgung der Privatdocent PViedrich
Fieber erhielt. Sie wurde 1878 ebenfalls aufgehoben, und es
blieb nur das Ambulatorium für Nervenkranke zurück, welches
Fieber bis zu seinem Tode (1882) leitete. Ihm folgte der Privat-
docent Nathan Weiss, ein junger, vielversprechender P'orscher,
der nach kurzem Wirken starb. Hierauf übernahm Prof. M.
Rosenthal, ein Schüler Türcks, die Behandlung der ambulanten
Kranken und nach ihm Freih. v. Krafft-Ebing, der sie noch
jetzt überwacht.
Dadurch ist das Ambulatorium in eine organische Verbin-
dung mit der psychiatrischen Klinik des Allgemeinen Kranken-
hauses gelangt. Das ambulatorische Material, das in den letzten
Jahren bis auf mehr als 5000 angestiegen ist, wird jetzt eben-
falls für den Unterricht verwendet.
IX. Chirurgie. Wie an allen deutschen Hochschulen, so
wurde auch in Wien die Chirurgie im vorigen Jahrhundert
arg vernachlässigt. Die Studierenden der Medicin erhielten eine
dürftige theoretische Übersicht derselben, aber nur selten Ge-
legenheit, den Verlauf chirurgischer Krankheitsfälle und die Aus-
führung chirurgischer Operationen zu sehen. G. van Swieten
erkannte diesen Mangel der ärztlichen Bildung und veranlasste,
dass berühmte Chirurgen von auswärts, wie N. Palucci aus
Florenz, nach Wien berufen wurden, damit sie in hiesigen
Spitälern chirurgische und ophthalmiatrische Operationen mach-
ten, denen die Studierenden beiwohnen durften.
Die heimischen Wundärzte machten den Weg durch die
Barbierstubc und hörten dann anatomische, chirurgische und
224 Medicinische Facultät.
medicinische Vorlesungen, die für sie gehalten wurden. Nur
Wenigen gelang es, sich zu Chirurgen im heutigen Sinne des
Wortes emporzuschwingen.
Für diese Classe von Wundärzten wurde 1774 im linierten
Spitale eine chirurgische Klinik eröffnet, in welcher auch geburts-
hilfliche und gynäkologische Falle vorgestellt wurden. Die
Leitung dieser Klinik, welche nach der Reorganisation der medi-
cinischen Studien unter Kaiser Josef II. auch für den Unterricht
der höheren Kategorie von Chirurgen verwendet wurde, über-
nahm der Tiroler Raph. Steidele. Sie war übrigens sehr klein
und zählte nur sechs Betten.
Nach der Errichtung des Allgemeinen Krankenhauses 1784
wurde sie dorthin verlegt und erhielt zwei kleine Krankenzimmer
im zweiten Stocke des Directionsgebäudes in unmittelbarer Nähe
der medicinischen Klinik mit dem gleichen Belegraume wie
diese. Die Erweiterung der letzteren unter P. Frank nöthigte
dazu, der chirurgischen Klinik andere Localitäten zu überweisen.
Zu diesem Zw^ecke wurden vier an der Ecke gegen die Alser-
strasse und Spitalgasse gelegene Zimmer bestimmt, von denen
das eine als chirurgisches Amphitheater und Operationssaal ein-
gerichtet, das zweite zur Aufbewahrung der chirurgischen In-
strumente, Bandagen und Maschinen und die beiden übrigen
als Krankensäle verwendet wurden. Die Klinik gewann da-
durch mehr Raum für die Aufnahme von Kranken. Im Jahre
1842 wurde sie in den nördlichen Tract des ersten Hofes ver-
legt, wo sich die erste chirurgische Klinik noch jetzt befindet.
Bald darauf wurde ihr auch eine Abtheilung des Krankenhauses
angegliedert, wie sie die zweite chirurgische Klinik besass.
Auf Vorschlag des Chirurgen Kern, welcher von 1805 bis
1823 die Klinik leitete, wurde 1807 ein Institut zur Heranbil-
dung chirurgischer Operateure mit derselben verbunden. In
dasselbe wurden junge Wundärzte aufgenommen, welche ihre
Studien und Prüfungen mit ausgezeichnetem Erfolge absolviert
hatten. Sie erhielten durch zwei Jahre unentgeltlich theoretischen
und praktischen Unterricht in der Ausführung chirurgischer
Operationen. Ausserdem genossen sie freie Wohnung im All-
gemeinen Krankenhause und Stipendien vom Staate. Dafür
Medicinischc Facultät.
225
mussten sie sich verpflichten, ihre Kunst im Inlande auszuüben,
wurden aber bei der Verleihung von Amtern im ölFentlichen
Sanitätsdienste vor allen Andern berücksichtigt.
Durch diese vortreffliche Einrichtung wurde eine Classe
tüchtiger und erfahrener Chirurgen geschaffen, welche spater als
Professoren der (Chirurgie, als Directoren von Krankenhäusern
und Vorstande chirurgischer Krankenabtheilungen oder als Sani-
tätsbeamte nach vielen Richtungen hin segensreich wirkten und
ihren arztlichen (Kollegen wie dem Publicum in schwierigen
Fällen rathend und helfend zur Seite standen.
Die Zahl der Zöglinge betrug anfangs sechs, wurde aber
vermehrt, als die Stände einzelner Kronländer stipendierte Stellen
mit der Verpflichtung gründeten, dass deren Inhaber sich dort
niederliessen. Als die zweite chirurgische Klinik entstand, wurde
an derselben ebenfalls ein Operateurinstitul errichtet. Seil 1850
wurden in diesen beiden Instituten auch Zöglinge aufgenommen,
welche die Kosten des Lebensunterhalles aus eigenen Mitteln
bestritten; doch mussten sie vom Professorencollegium empfohlen
werden. Als die Bewerbungen um diese Stellen zu zahlreich
wurden, wurde festgesetzt, dass keines der beiden Institute mehr
als acht Zöglinge hübe, von denen vier Stipendiaten sein mussten.
Gegenwärtig sind deren zwölf m jedem Institut, darunter zwei
Militärärzte, welche vom Kriegsministerium zu ihrer weiteren
Ausbildung dorthin commandiert werden. Da/u kommen bis-
weilen noch einzelne fremdländische Arzte, die von ihren Re-
gierungen empfohlen werden.
Kern, der Begründer der olfenen Wundbehandlung, und
sein Nachfolger Wattmann galten als geschickte Steinoperateure.
Der Letztere legte iS4<s das Lehramt nieder. An seine Stelle
trat sein ehemaliger Assistent, .loh. v. Dumreicher, seit i.S.je»
Vorstand einer chirurgischen Abtheilung des .Mlgemeinen Kranken-
hauses. Kr war ein gewandter Operateur, vor allem aber ein
Lehrer, der seine Schüler zum selbständigen Denken und Han-
deln anzuleiten verstand. Kr gab die Anregung zur wissen-
schaftlichen Betrachtung der Luxationen und war in Wien der
Krste, der sich mit Orthopädie beschäftigte. \'on seinen Assi-
stenten wurden in weiteren Kreisen bekamil: Weii/el Linhürt.
iiv:>«.liK'iitc Jcr Wiener I iii^ vr^ila*. H,
2 26 Mcdicinischc Kaciiltät.
einst Professor in Würzhur^, L. Dittel, bis vor wenigen Jahren
Professor und Primararzt am Wiener Allgemeinen Krankenhause,
die Professoren v. Mosetig-Moorhof, der den Jodoformverband
in die chirurgische Praxis eingeführt hat, Hofmokl und Albert
in Wien und Nicoladoni in Graz.
Oumreicher starb 1880. Ihm folgte Ed. Albert, vorher Pro-
fessor in Innsbruck, welcher zunächst dafür sorgte, dass die
klinischen Räumlichkeiten in zweckmassiger Weise umgestaltet
wurden. Kr liess den Hörsaal aus dem ersten Stock in das
Parterre verlegen, wodurch der übelstand beseitigt wurde, dass
die Studierenden beider Kliniken und die ambulanten Kranken
.sich auf derselben schmalen, dunklen Stiege zusammendrängten
oder den Weg durch die Krankenzimmer nahmen. Der durch
Adaptierungen zum Hörsaal hergerichtete Krankensaal ist leicht
zugänglich, luftig und licht, bietet Kaum für ungefähr 3oo Stu-
dierende und dient zugleich als Operationssaal; später wurde
ausserdem noch ein zweiter Operationsraum geschaffen. In den
anstos.senden I^ocaliläten befinden sich ein Wartezimmer für die
ambulanten Kranken und zwei kleine Kammern, in denen Ver-
bände angelegt werden.
Das Ambulatorium, welches 1869/70 von etwa 2500 Kran-
ken aufgesucht wurde, hat sich in den letzten Jahren auf die
Höhe von 8000 — yooo erhoben. Die Zahl der grösseren Ope-
rationen, deren im Jahre i86()/7o i32 gemacht wurden, ist auf
7iH) ScK) alljährlich gestiegen.
Die stationäre Klinik besteht aus fünf Krankenzimmern und
zwei Isolierzimmern und hat einen Belegraum von 87 Betten.
Sie ist mit Sammlungen von Instrumenten und Bandagen aus
älterer Zeil, Präparaten besonders von Luxationen, Abbildungen
und Moulagen ausi;estallcl
Durch das wohlwollende Entgegenkommen des Prof. Albert
wurde CS möglich» dass auch die Orthopädie in Wien eine
Stätte erhielt, wo sie wissenschaftlich betrieben werden kann,
l'.r iiberliess /u diesem Zwecke seinem ehemaligen Assistenten,
dem um die \\\\\\\ ickelinig der ( )i ihopädic hochverdienten Prof. Ad.
Lorenz, die er|iM\ierhchen Uäumhchkeilen für seine poliklinischen
( )rdinalionen {\\u\ iM'dnelc an, dass er dabei \on einigen Operations-
Mcdicinischc Kacuhät. 22 7
Zöglingen der Klinik unterstützt wird, die sich darin ablösen,
so dass alle Operateure sich eine tüchtige praktische Schulung
in der hier erblühenden Orthopädie aneignen können.
Von den übrigen Schülern Alberts nennen wir die Profes-
soren May dl in Prag und Hochenegg in Wien und die Pri-
vatdocenten F>ank, UUmann, Schnitzler und Kwald.
Die zweite chirurgische Klinik wurde 1841 errichtet. Sie
sollte für den Unterricht des niederen Curses der Wund-
ärzte dienen, wurde aber bald auch von den Chirurgen der
höheren Kategorie und auslandischen Ärzten besucht und 1849
der ersten chirurgischen Klinik im Range vollständig gleichge-
stellt. Die Leitung derselben erhielt der Primarchirurg Schuh,
welcher 1841 zum ausserordentlichen, 1842 zum ordentlichen
Professor ernannt wurde.
Die Klinik bestand aus zwei Krankensalen mit je zwölf
• Betten; ausserdem wurde die Abtheilung des Allgemeinen Kranken-
hauses, deren Vorstand Prof. Schuh war, für den Unterricht
verwendet. Im Jahre i8s6 wurde die letztere ebenso wie die
v'
zur ersten Klinik gehörige Krankenabtheilung zu einer klinischen
Reserveabtheilung erklart.
Schuh wies darauf hin. dass sich mit Hilfe der Percussion
und Auscultation Umfang und (irössc der pleurilischen Kx-
sudate, der Abscesse und Neubildungen genauer und sicherer
bestimmen lassen, und dass diese Unlersuchungsmcthoden auch
bei manchen andern chirurgischen Krankheilszusländen mit
Nutzen angewendet werden. Als Operateur stand er in hohem
Ansehen bei seinen Fachgenossen. Die Punclion des Herz-
beutels wurde vor ihm noch von keinem (Chirurgen wirklich
ausgeführt. Kr war auch der erste deutsche (Chirurg, welcher
die Athernarkose bei Operationen angewendet hat. Kr gab fer-
ner wertvolle Aufschlüsse über die l'>folue der Nervenreseclio-
nen bei Gesichtsneuralgien und vervt)llkommnete die Technik
einzelner Operationen, z. H. der Bruchoperation. Den l-Drl-
schritten der pathologischen .Anatomie und llislologie widmete
er rege Aufmerksamkeit und suchte sie für die UJiirur^ie zu
verwerten. Aus seiner Schule i^ien^cn die Professoren Sal/cr
sen. und Weinlechner in Wien hervor.
2 28 Mcdicinische Facultät.
Schuh Starb 1865 an den Folgen einer Blutvergiftung. An
seine Stelle wurde Th. Billroth, ein Schüler Langenbecks,
damals Professor in Zürich, berufen. In ihm gewann die Wiener
Universität einen Chirurgen von kühner Thatkraft, einen For-
scher, welcher auf verschiedenen Gebieten der Medicin ein
Meister war, und einen Lehrer, der in den Herzen seiner Schüler
die Flamme der BegeivSterung zu entzünden verstand. Vertraut
mit den Ergebnissen der physiologischen Experimentalforschung,
geübt im Mikroskopieren, ein pathologischer Anatom in dem
Grade, dass ihm eine Professur dieser Disciplin in Greifswald
angeboten wurde, besavss er eine mcdicinische Allgemeinbildung
wie kein anderer Chirurg zu jener Zeit.
Die Histologie und Entwickelungsgeschichte bereicherte er
durch wichtige Beiträge. Seine Beobachtungen über Knochen-
wachsthum und Knochenresorption, Periostitis und Caries, über
den Bau mancher Neubildungen, über die Verbreitungswege der
entzündlichen Processe, über Wundfieber und accidentelle Wund-
krankheiten warfen ein klärendes Licht auf diese Fragen. Sein
Lehrbuch der allgemeinen chirurgischen Pathologie und The-
rapie zeichnete sich durch die Fülle des Inhalts wie durch die
classische Form der Darstellung in gleichem Masse aus, erlebte
zahlreiche Auflagen und wurde in alle Sprachen Europas über-
setzt. Als die Lehre Geltung erlangte, dass die Ursachen und
Verbreitung vieler Infectionskrankheiten, namentlich der chirurgi-
schen, durch Bakterien bedingt sind, arbeitete er sich in diese
ihm bis dahin fremde Materie ein und eignete sich die Unter-
suchungsmethoden an, so dass er den Versuch machen konnte,
ihr Wesen und ihre krankmachende Wirkung zu erklären.
Diese theoretischen Forschungen füllten einen grossen Theil
der Mussestunden aus, die er sich in seiner angestrengten prak-
tischen Thätigkeit gönnte. Aber die wissenschaftliche Bearbei-
tung und Kniwickelung der praktischen Chirurgie bildete sein
eigentliches Lebenswerk. Er wagte sich an Operationen, die
noch niemals unternommen, oder wenn es geschehen war, nicht
mit günstigem Erfolge ausgeführt worden waren. Die Exstir-
pation des Kehlkopfes, die Entfernung des Larynx und Pharynx
zugleich mit dem grössten Iheile der Speiseröhre, die Ösophago-
Medicinische Facuhüt.
22()
Ektomie, die Magenrcsection crrcfjtcn Jas Staunen iler f;aii/en
Welt.
Mit genialem Blick und glücklicher Hand führte itillroth
Alles, was er ergriff, zu einem siegreichen Knde. Was er unter
nahm, trug den Stempel äusserer Vollendung, sei es eine i hirur
gische Operation oder eine historische oder literarische I nler
suchung. Seine Individualitat umgoss Alles mit dem Strahlen
glänz eines Kunstwerkes und erhöhte dadurch den Zauber seiner
Schöpfungen.
Was er als Lehrer war, wissen seine Schiller, von deri'-n
jetzt viele als Professoren an Hochschulen wirken, wie i'./.cnw
in Heidelberg. Mikulicz in Breslau. Ireiherr von l'.isrlsher;'
in Königsberg, v. Winiwarter in Lütlich. Nar;itfi in I tr*;' ht
der Nachfolger des früh verstorbenen juirjren Salz'-r. l';r ':f>«fi
falls seiner Schule angehörte. Wölfler in iVa;'. \. Ha* ker :'i
Innsbruck und fJussenbauer in Wien.
Der Letztere trat nach Billroth-> lojc im J.ihf; i^/^j ;i')
seine Stelle. Ihm :>t es z*j verlariken. ja>. ;.";':i;".«:t': Wift'.
räume rür J:e ambulanten Kranken e:n^'er:-.?itet ''*'it l'ri, h'.r
Besuch Jes Arr/r'jlat'iri'jrr.s :^t a*.: fa .! 7''/'/ lUrl u rrj*:
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2 3o Medicinischc Facultät.
Schmerzen der Kranken und die dadurch hervorgerufene Ue-
action des Organismus wahrend der Operation unterdrückt wird.
Die andere bestand in der Plinführung der antiseptischen und
aseptischen Wundbehandlung, welche die gefürchteten Nach-
krankheiten verhütete und dadurch den Heilerfolg sicherte. Auf
diese Weise ist es möglich geworden, grosse und schwierige Opera-
tionen zu unternehmen, welche früher nur geringe Aussicht auf
einen günstigen Ausgang darboten. Die überraschenden Erfolge
haben den Arzt mit Muth. den Kranken mit Hoffnung und Ver-
trauen erfüllt.
Die Hospitäler haben aufgehört. Höhlen des Jammers und
Brutstatten der Infection zu sein. Jeder Krankenwärter weiss
jetzt, wie unentbehrlich Luft, Licht und vor allen Dingen sorg-
fältige Reinlichkeit für den Heilungsprocess sind. Welcher Fort-
schritt gegenüber der Zeit, da die Vorlesungen über pathologische
Anatomie im Hörsaale der ersten chirurgischen Klinik gehalten
wurden! Noch bis 1867 fanden die chirurgischen Prüfungen
am (Kadaver im Operationssaale der zweiten chirurgischen Klinik
statt. Ahnliche Zustande herrschten nicht bloss in Wien, son-
dern an allen Orten.
Die Wirkung der antiseptischen und aseptischen Behand-
lung äusserte sich auch darin, dass die Heilung kürzere Zeit in
Anspruch nahm als früher. Infolge dessen vermehrte sich die
Zahl der Krankheitsfalle, welche in den Krankenhäusern aufge-
nommen werden können, und ist z B. in den chirurgischen Kliniken
Wiens auf nahezu das Doppelte gestiegen, ohne dass ihr Beleg-
raum dementsprechend vergrössert worden ist.
An jeder der beiden Kliniken sind drei Assistenten ange-
stellt, welche den Vorstand beim Unterricht unterstützen. Ausser
den schon genannten Lehrkräften halten noch die Professoren
A. V. Frisch und Knglisch. welcher auf die Krankheit der Perl-
mutterdrechsler aufmerksam gemacht hat, und die Privatdocenten
K. Fieber, v. Juric. AI. Fränkel, O. ZuckerkandL Habart und
Bü ding er chirurgische Vorlesungen und praktische Curse. Von
den älteren C.hirurgen verdient F. W. Lorinser, der langjährige
Direclor des Wiedener Krankenhauses, Frwähnung, weil er die
nach Phosphorvcrgiflung auftretenden Knochenerkrankungen hier
Mciiicinische Kaculiäi. 2 3 I
zuerst beobachtet und beschrieben hat. Der Pariser Kliniker
Trelat sandte spater seinen Assistenten an die Klinik Alberls,
um hier die Leistungen und besonderen Kigenthümlichkeilen der
Wiener Schule kennen zu lernen.
X. Augenheilkunde. Josef Barth, der Anatom und Augen-
arzt, erhielt vom Kaiser Josef 11. den Befehl, seine beiden besten
Schüler zu Staroperaleuren auszubilden. F> wählte dazu seinen
Prosector filhrenritter, der sich durch die Entdeckung des
Nervus tytnpaniciis und des Gan^^lion jii^ularc des (ilos.so-
pharyngeus um die Anatomie verdient gemacht hat. leider aber
vSchon 1790 starb, und den Militärarzt Joh. Adam vSchmidt,
welcher spater eine Professur am Josefinum erhielt.
Der Letztere stellte vortreffliche Untersuchungen an über
den sogenannten Nachstar, zeigte, dass er in vielen Fallen auf
einer durch eine vorausgegangene Staroperation verursachten
Iritis beruht, bemerkte, dass dabei auch andere (iebildc des
Auges betheiligt sind, und gab eine gute Darstellung der his-
entzündung, ihrer Kntstehungsarten und Folgekrankheiten. Auch
,sein Buch über die Erkrankungen der Thraneiiorgane förderte
die wissenschaftliche Kntwickelung der Ophthalmologie: einzelne
Augenleiden wurden darin zum ersten male richtig beschrieben,
z. B. der Xerophthalmus.
Schmidt war ein scharfer Beobachter und zugleich ein
denkender Arzt: er ahnte bereits, dass zwischen manchen Krank-
heitszustilnden des Körpers und einigen Augenleiden Iicziehungen
bestehen, und nannte die .Augenkrankheiten die zierlichen Mi-
niaturspiegel der Körperkrankheiten '. Seine arztliche Praxis er-
streckte sich über das ^esammte (iebiet der Heilkunde: war er
ja auch der Arzt des grossen Tondichters Beethoven, der seiner
im Heiligenstädter leslamenl (1802) dankbar gedachte und ihm
ein Trio widmete.
Zu den Schülern Barths gehörte ferner (i. Josef l>eer, wel-
cher schon als Student von ihm als Zeichner beschäftigt wurde.
im Jahre 1793 erhielt er die Krlaubnis, arme Leute, die am
grauen Star litten, im Allgemeinen Krankenhause zu behandeln
und zu operieren. Für diesen Zweck wurde ihm alljährlich
wahrend der Monate Mai und Juni, welche als besonders gün-
232 Medicinischc Facultät.
stig für die Heilung galten, ein Saal eingeräumt, wo die Opera-
tionen geschahen.
Im Jahre 1810 stellte der Primarchirurg Rust den Antrag,
eine stationäre Augenklinik zu errichten, wurde jedoch abgewiesen.
Zwei Jahre später wurde eine aus zwei Krankenzimmern mit
20 Betten bestehende klinische Abtheilung geschaffen und deren
Leitung Beer übertragen, der gleichzeitig zum ausserordentlichen
Professor ernannt wurde. So entstand die erste Klinik für Augen-
krankheiten in Wien. Nach ihrem Muster wurden später derartige
Anstalten an den übrigen Universitäten Österreichs und Ungarns,
sowie in den deutschen und italienischen Staaten errichtet.
Beer wurde 18 18 zum Ordinarius befördert, als das Studium
der Augenheilkunde für obligat erklärt wurde. Wer sich um
das Diplom eines Augenarztes bewarb, musste vorher die medi-
cinischen oder chirurgischen Studien absolviert haben, also eine
ärztliche Allgemeinbildung besitzen.
Beer veröffentlichte seine klinischen E^rfahrungen und trug
dadurch viel dazu bei, die Kenntnis der Ophthalmologie,
die damals noch wenig gepflegt wurde, unter den Ärzten zu
verbreiten. P> war der Forste, der eine richtige Erklärung des
Pannus gab. Auch über die Staphylombildung entwickelte er
ganz sachgemässe Anschauungen. Seine Beschreibung der Iritis
brachte manches Neue, namentlich in Betreff der bei Syphilis
auftretenden Form; er machte dabei bereits auf die condyloma-
tösen Knötchen am Pupillarrande der Iris aufmerksam, die vor
ihm niemand beobachtet hatte. Die Staroperation versuchte er
dadurch zu verbessern, dass er den nach ihm genannten
Schnitt empfahl. Mehr Anerkennung fand die von ihm erfun-
dene Methode der Iridectomie, welche gegenüber dem Verfahren,
wie es Wentzel übte, manche Vortheile darbot und sich
in ihren wesentlichen Grundzügen bis jetzt erhalten hat. Beer
wurde, wie Hirsch sagt, der Begründer einer neuen Ära in der
Kntwickelung der Augenheilkunde. Seine Klinik wurde die Mutter-
schule, aus der alle bedeutenden Augenärzte der folgenden
Periode hervorgiengen, wie C F. v. Graefe, Ph. v. Walther,
1\ W. G. Benedict, F. Jäger, Rosas, Quadri, Flarer, J. N.
Fischer, Mackenzie, Reisinger, Chelius u. A.
MedicinUche Facultät. 233
Beers Nachfolger im Lehramt, Rosas, vorher Professor in
Padua, war ein Mann von umfassender literarischer Bildung.
Er verfasste eine Geschichte der medicinischcn Facultät zu Wien,
bereicherte die Sammlung von Lehrmitteln und ophthalmologi-
schen Werken, welche Beer der Klinik hinterlassen hatte, und
vermehrte deren Krankenmaterial, indem er die Vereinigung der
im Allgemeinen Krankenhause bestehenden Abtheilung für Augen-
kranke mit der Klinik durchsetzte. Die Wiener Studentenschaft
verdankt ihm die Gründung des Vereines zur Unterstützung armer
Studierender der Medicin.
Hervorragender in der wissenschaftlichen Bearbeitung der
Augenheilkunde war Friedrich Jager. welcher dieses Fach zur
gleichen Zeit am Josefinum vertrat. Von ihm rührten die ersten
Mittheilungen über die bis dahin unbekannte Form der croupösen
Entzündung der (^onjunctiva her. Der Schwerpunkt seiner Lei-
stungen lag jedoch in der Krfindung oder Vervollkommnung
der Operationsmethoden. Kr gab ein neues Verfahren für die
Ectropiumoperation an, welches noch jetzt, namentlich bei lie-
feren Narben, geübt wird. Bei der Abtragung des Cilienbodens
zur Beseitigung der Trieb iasis empfahl er die Schonung des
Knorpels und der Meibom sehen Drüsen, was man vor ihm
nicht verstanden hatte. Auch die Methode, den Pannus durch
Inoculation einer Ophthalmo-Hlennorrhoe zu heilen, soll von
ihm zuerst ausucführt worden sein, llbenso war er einer der
Ersten, welche die Siarextraction mit nach oben uerichtetem
Hornhautschnitt vornahmen, allerdinus nur bei ueschrumpflen
Staren: aber er trug dadurch viel dazu bei, die Linear-
extraction vorzubereiten und in die är/tliche Praxis einzu-
führen.
Hosas starb 1^5;. An seine Stelle trat .\rlt. bis dahin
lYofessor in Prai:. Kr stand auf dem Hoden der pathologisch-
anatomischen Schule und suchte deren Fr^ebnisse für die Ophthal-
mologie zu verwerten. Dnbei ^elanu^te er zu richtigeren \*or-
.stellunuen über das Wesen mancher Augenleiden, die sich früher
dem X'erstandnis ent/o::cn hatten, .^t) vermochte er den Xer-
K
ophthalmus und die Kntstehunu des Ptervmunis zu erklären. Die
Operationsmethode der 'Irichiasis wurde v<»n ihm verbessert.
224 Medicinische Facultät.
mcdicinische Vorlesungen, die für sie gehalten wurden. Nur
Wenigen gelang es, sich zu Chirurgen im heutigen Sinne des
Wortes emporzuschwingen.
Für diese Classe von Wundärzten wurde 1774 ^^ Unierten
Spitale eine chirurgische Klinik eröffnet, in welcher auch geburts-
hilfliche und gynäkologische Falle vorgestellt wurden. Die
Leitung dieser Klinik, welche nach der Reorganisation der medi-
cinischen Studien unter Kaiser Josef II. auch für den Unterricht
der höheren Kategorie von Chirurgen verwendet wurde, über-
nahm der Tiroler Raph. Steidele. Sie war übrigens sehr klein
und zählte nur sechs Betten.
Nach der Errichtung des Allgemeinen Krankenhauses 1 784
wurde sie dorthin verlegt und erhielt zwei kleine Krankenzimmer
im zweiten Stocke des Directionsgebäudes in unmittelbarer Nähe
der medicinischen Klinik mit dem gleichen Belegraumc wie
diese. Die Erweiterung der letzteren unter P. Frank nöthigte
dazu, der chirurgischen Klinik andere Localitäten zu überweisen.
Zu diesem Zwecke wurden vier an der Ecke gegen die Alser-
strasse und Spitalgasse gelegene Zimmer bestimmt, von denen
das eine als chirurgisches Amphitheater und Operationssaal ein-
gerichtet, das zweite zur Aufbewahrung der chirurgischen In-
strumente, Bandagen und Maschinen und die beiden übrigen
als Krankensäle verwendet wurden. Die Klinik gewann da-
durch mehr Raum für die Aufnahme von Kranken. Im Jahre
1842 wurde sie in den nördlichen Tract des ersten Hofes ver-
legt, wo sich die erste chirurgische Klinik noch jetzt befindet.
Bald darauf wurde ihr auch eine Abtheilung des Krankenhauses
angegliedert, wie sie die zweite chirurgische Klinik besass.
Auf Vorschlag des Chirurgen Kern, welcher von 1805 bis
1823 die Klinik leitete, wurde 1807 ein Institut zur Heranbil-
dung chirurgischer Operateure mit derselben verbunden. In
dasselbe wurden junge Wundärzte aufgenommen, welche ihre
Studien und Prüfungen mit ausgezeichnetem Erfolge absolviert
hatten. Sie erhielten durch zwei Jahre unentgeltlich theoretischen
und praktischen Unterricht in der Ausführung chirurgischer
Operationen. Ausserdem genossen sie freie Wohnung im All-
gemeinen Krankenhause und Stipendien vom Staate. Dafür
Medicinische Facultät.
225
mussten sie sich verpflichten, ihre Kunst im Inlande auszuüben,
wurden aber bei der Verleihung von Amtern im ölfentlichen
Sanitätsdienste vor allen Andern berücksichtigt.
Durch diese vortreffliche Einrichtung wurde eine Classe
tüchtiger und erfahrener Chirurgen geschali'en, welche spater als
Professoren der Chirurgie, als Directoren von Krankenhäusern
und Vorstände chirurgischer Krankenabtheilungen oder als Sani-
tätsbeamte nach vielen Richtungen hin segensreich wirkten und
ihren ärztlichen (Kollegen wie dem Publicum in schwierigen
Fällen rathend und helfend zur Seite standen.
Die Zahl der Zöglinge betrug anfangs sechs, wurde aber
vermehrt, als die Stände einzelner Kronländer stipendierte Stellen
mit der Verpflichtung gründeten, dass deren Inhaber sich dort
niederliessen. Als die zweite chirurgische Klinik entstand, wurde
an derselben ebenfalls ein üperateurinstitut errichtet. Seit 1850
wurden m diesen beiden Instituten auch Zöglinge aufgenommen,
welche die Kosten des Lebensunterhaltes aus eigenen Mitteln
bestritten; doch mussten sie vom l^rofessorencollegium empfohlen
werden. Als die Bewerbungen um diese Stellen zu zahlreich
wurden, wurde festgesetzt, dass keines der beiden Institute mehr
als acht Zöglinge habe, von denen vier Stipendiaten sein mussten.
Gegenwärtig vsind deren zwölf in jedem Institut, darunter zwei
Militärärzte, welche vom Kriegsministerium zu ihrer weiteren
Ausbildung dorthin commandiert werden. Dazu kommen bis-
weilen noch einzelne fremdländische Arzte, die von ihren Re-
gierungen empfohlen werden.
Kern, der Begründer der olfenen Wundbehandlung, und
sein Nachfolger Watt mann galten als geschickte Steinoperateure.
Der Letztere legte iH^^ das Lehramt nieder. .\ii seine Stelle
trat sein ehemaliger Assistent, .loh. v. Dum reicher, seit iS-jf)
Vorstand einer chirurgischen Abtheiluiij^ des Allgeiiieineii Kriinken-
hauses. Kr war ein gewandter Operateur. Vi)r allem aber ein
Lehrer, der seine Schüler zum selbstandmen Dcnkcii und lian-
dein anzuleiten verstand. Ia' ^ab die Anremiim zur wissen-
schaftlichen Betrachtung der Luxationen und war in Wien der
Lrste, der sich mit Orthopädie beschäftigte. \'on seinen Assi-
stenten wurden in weiteren Kreisen hekanni: \\eii/el Linharl,
2 26 Medicinische Facultät.
einst Professor in Würzburj^, L. Dittci, bis vor wenigen Jahren
Professor und Primararzt am Wiener Allgemeinen Krankenhause,
die Professoren v. Mosetig-Moorhof, der den Jodoformverband
in die chirurgische Praxis eingeführt hat, Hofmokl und Albert
in Wien und Nicoladoni in Graz.
Dumreicher starb 1880. Ihm folgte Ed. Albert, vorher Pro-
fessor in Innsbruck, welcher zunächst dafür sorgte, dass die
klinischen Räumlichkeiten in zweckmassiger Weise umgestaltet
wurden. Er Hess den Hörsaal aus dem ersten Stock in das
Parterre verlegen, wodurch der Übelstand beseitigt wurde, dass
die Studierenden beider Kliniken und die ambulanten Kranken
sich auf derselben schmalen, dunklen Stiege zusammendrängten
oder den Weg durch die Krankenzimmer nahmen. Der durch
Adaptierungen zum Hörsaal hergerichtete Krankensaal ist leicht
zuganglich, luftig und licht, bietet Raum für ungefähr 3cx) Stu-
dierende und dient zugleich als Operationssaal; vSpater wurde
ausserdem noch ein zweiter Operationsraum geschaffen. In den
anstossenden Localitäten befinden sich ein Wartezimmer für die
ambulanten Kranken und zwei kleine Kammern, in denen Ver-
bände angelegt w^erden.
Das Ambulatorium, welches 1869/70 von etwa 2500 Kran-
ken aufgesucht w^urde, hat sich in den letzten Jahren auf die
Höhe von 8000 — 9000 erhoben. Die Zahl der grösseren Ope-
rationen, deren im Jahre 1869/70 i32 gemacht wurden, ist auf
700 — 800 alljährlich gestiegen.
Die stationäre Klinik besteht aus fünf Krankenzimmern und
zwei Isolierzimmern und hat einen Belegraum von 87 Betten.
Sie ist mit Sammlungen von histrumenten und Bandagen aus
älterer Zeit, Präparaten besonders von Luxationen, Abbildungen
und Moulagen ausgestattet.
Durch das wohlwollende Entgegenkommen des Prof. Albert
wurde es möglich, dass auch die Orthopädie in Wien eine
Stätte erhielt, wo sie wissenschaftlich betrieben werden kann.
Er überliess zu diesem Zwecke seinem ehemaligen AssivStenten,
dem um die Entw ickclung der ( )rihopädie hochverdienten Prof. Ad.
Lorenz, die erforderlichen Räumlichkeiten für seine poliklinischen
Ordinationen und ordnete an. dass er dabei von einigen Operations-
Mcdicinischc Facuhät.
227
Zöglingen der Klinik unterstützt wird, die sich darin ablösen,
so dass alle Operateure sich eine tüchtige praktische Schulung
in der hier erblühenden Orthopädie aneignen können.
Von den übrigen Schülern Alberts nennen wir die Profes-
soren Maydl in Prag und Hochenegg in Wien und die Pri-
vatdocenten F^rank, Ullmann, Schnitzler und Eiwald.
Die zweite chirurgische Klinik wurde 1841 errichtet. Sie
sollte für den Unterricht des niederen Curses der Wund-
arzte dienen, wurde aber bald auch von den (Chirurgen der
höheren Kategorie und auslandischen Ärzten besucht und 1849
der ersten chirurgischen Klinik im Range vollständig gleichge-
stellt. Die Leitung derselben erhielt der Primarchirurg Schuh,
welcher 1841 zum ausserordentlichen, 1842 zum ordentlichen
Professor ernannt wurde.
Die Klinik bestand aus zwei Krankensiilcn mit je zwölf
Betten; ausserdem wurde die Abtheilung des Allgemeinen Kranken-
hauses, deren Vorstand Prof. Schuh war, für den Unterricht
verwendet. Im Jahre 1856 wurde die letztere ebenso wie die
zur ersten Klinik gehörige Krankenabtheilung zu einer klinischen
Reserveabtheilung erklart.
Schuh wies darauf hin. dass sich mit Hilfe der Percussion
und Auscuhation Umfang und (inKssc der pleuritischen U\-
sudate, der Abscesse und Neubildungen uenauer und sicherer
bestimmen lassen, und dass diese Untersuchuimsmethoden auch
bei manchen andern chirurgischen Krankheits/ustanden mit
Nutzen angewendet werden. Als Operateur stand er in hohem
Ansehen bei seinen hachgenossen. Die Punction des Herz-
beutels wurde vor ihm noch von keinem Uhirurgen wirklich
ausgeführt. Kr war auch der erste deutsche Uhirurg. welcher
die Athernarkose bei Operationen angewendet hat. Kr gab ler-
ner wertvolle Aufschlüsse über die lu'folue der Ner\ enresectm-
neu bei (iesichtsneuralgien una xervojlkommnete die I echnik
einzelner Operationen, /. l). der IWuchoperatnui. Den l'Ort-
schritten der pathologischen Anatomie und lli.stolomc widmete
er re^e Aufmerksamkeit und suchte sie lür die i'.hirur^ie zu
verwerten. Aus seiner Schule mengen die Professoren Sal/.er
seil, und Weinlechner in Wien her\t)r.
2 28 Medicinischc Facultät.
Schuh Starb 1865 an den Folgen einer Blutvergiftung. An
seine Stelle wurde Th. Billroth, ein Schüler Langenbecks,
damals Professor in Zürich, berufen. In ihm gewann die Wiener
Universität einen (>hirurgen von kühner Thatkraft, einen For-
scher, welcher auf verschiedenen Gebieten der Medicin ein
Meister war, und einen Lehrer, der in den Herzen seiner Schüler
die Flamme der Begeisterung zu entzünden verstand. Vertraut
mit den Ergebnissen der physiologischen Experimentalforschung,
geübt im Mikroskopieren, ein pathologischer Anatom in dem
Grade, dass ihm eine Professur dieser Disciplin in Greifswald
angeboten wurde, besass er eine medicinische Allgemeinbildung
wie kein anderer Chirurg zu jener Zeit.
Die Histologie und Entwickelungsgeschichte bereicherte er
durch wichtige Beiträge. Seine Beobachtungen über Knochen-
wachsthum und Knochenresorption, Periostitis und Caries, über
den Bau mancher Neubildungen, über die Verbreitungswege der
entzündlichen Processe, über Wundfieber und accidentelle Wund-
krankheiten warfen ein klärendes Licht auf diese Fragen. Sein
Lehrbuch der allgemeinen chirurgischen Pathologie und The-
rapie zeichnete sich durch die Fülle des Inhalts wie durch die
classische Form der Darstellung in gleichem Masse aus, erlebte
zahlreiche Auflagen und wurde in alle Sprachen Europas über-
setzt. Als die Lehre Geltung erlangte, dass die Ursachen und
Verbreitung vieler Infectionskrankheiten, namentlich der chirurgi-
schen, durch Bakterien bedingt sind, arbeitete er sich in diCvSe
ihm bis dahin fremde Materie ein und eignete sich die Unter-
suchungsmethoden an, so dass er den Versuch machen konnte,
ihr Wesen und ihre krankmachende Wirkung zu erklären.
Diese theoretischen Forschungen füllten einen grossen Theil
der Mussestunden aus, die er sich in seiner angestrengten prak-
tischen Thätigkeit gönnte. Aber die wissenschaftliche Bearbei-
tung und Entwickelung der praktischen (Chirurgie bildete sein
eigentliches Lebenswerk. Er wagte sich an Operationen, die
noch niemals unternommen, oder wenn es geschehen war, nicht
mit günstigem Erfolge ausgeführt worden waren. Die Exstir-
pation des Kehlkopfes, die Entfernung des Larynx und Pharynx
zugleich mit dem grössten Ihcile der Speiseröhre, die Ösophago-
Medicinische Facultät. 2 29
Ektomic, die Magenrcsection erregten das Staunen der ganzen
Welt.
Mit genialem Blick und glücklicher Hand führte Hillroth
Alles, was er ergriff, zu einem siegreichen Knde. Was er unter-
nahm, trug den Stempel äusserer Vollendung, sei es eine chirur-
gische Operation oder eine historische oder literarische Tuter-
suchung. Seine Individualität umgoss Alles mit dem Strahlen-
glanz eines Kunstwerkes und erhöhte dadurch den Zauber seiner
Schöpfungen.
Was er als Lehrer war, wissen seine Schüler, von denen
jetzt viele als Professoren an Hochschulen wirken, wie (-zerny
in Heidelberg, Mikulicz in Breslau, Freiherr von Kiselsberg
in Königsberg, v. W in i warter in Lüttich. Narath in Ttrecht,
der Nachfolger des früh verstorbenen jungen Salzer. der eben-
falls seiner Schule angehörte. Wölfler in Prag, v. Hacker in
Innsbruck und Güssen bauer in Wien.
Der Letztere trat nach Billroths Tode im Jahre 18(^4 an
.seine Stelle. Ihm ist es zu verdanken, dass geeignete Warte-
räume für die ambulanten Kranken eingerichtet wurden. Der
Besuch des Ambulatoriums ist auf fast 7(X)(^ jährlich ange-
wachsen.
Hier sowohl wie in den Krankensalen wurde Auer'sches
Glühlicht, im Hörsaale elektrisches Licht eingeführt. Auf Ver-
anlassung des gegenwartigen Vorstandes der Klinik wurde auch
die Installation verschiedener elektrischer Apparate vorgenommen
und ein Zimmer für die Durchleuchtunu mit Kcintuenstrahlen
hergerichtet.
Die Klinik besteht aus dem Hörsaale, wo die Operationen
.stattfinden, mit 250 Sitzplatzen für die Studierenden, aus fünf
Krankensalen und drei kleineren Krankenzimmern mit einem
Belegraume von 104 Betten. Derselben steht ausser dem noth-
wendigen Instrumentenapparat eine Sammlung chirurgischer Prä-
parate zu Gebot, welche 1S6S von lÜllroth begonnen wurde.
Die Ghiruruie hat in der zweiten lliilfte des 10. .lahrhunderts
eine vollständige l'mwalzung erfahren, die hauptsachlich durch
zwei Thatsachen herbei^eführt wurde. Die eine war die An-
Wendung der anästhesierenden Inhalationen, durch welche die
2 30 Mcdicinischc Facultäl.
Schmerzen der Kranken und die dadurch hervorgerufene Ke-
action des Organismus wahrend der Operation unterdrückt wird.
Die andere bestand in der P2inführung der antiseptischen und
aseptischen Wundbehandlung^, welche die gefürchteten Nach-
krankheiten verhütete und dadurch den Heilerfolg sicherte. Auf
diese Weise ist es möglich geworden, grosse und schwierige Opera-
tionen zu unternehmen, welche früher nur geringe Aussicht auf
einen günstigen Ausgang darboten. Die überraschenden Hörfolge
haben den Arzt mit Muth, den Kranken mit Hoffnung und Ver-
trauen erfüllt.
Die Hospitaler haben aufgehört. Höhlen des Jammers und
Brutstatten der Infection zu sein. Jeder Krankenwärter weiss
jetzt, wie unentbehrlich Luft, l.icht und vor allen Dingen sorg-
faltige Reinlichkeit für den Heilungsprocess sind. Welcher Fort-
schritt gegenüber der Zeit, da die Vorlesungen über pathologische
Anatomie im Hörsaale der ersten chirurgischen Klinik gehalten
wurden! Noch bis 1867 fanden die chirurgischen Prüfungen
am (Kadaver im Operationssaale der zweiten chirurgischen Klinik
statt. Ahnliche Zustände herrschten nicht bloss in Wien, son-
dern an allen Orten.
Die Wirkung der antiseptischen und aseptischen Behand-
lung äusserte sich auch darin, dass die Heilung kürzere Zeit in
Anspruch nahm als früher. Infolge dessen vermehrte sich die
Zahl der Krankheitsfälle, welche in den Krankenhäusern aufge-
nommen werden können, und ist z B. in den chirurgischen Klinil^en
Wiens auf nahezu das Doppelte gestiegen, ohne dass ihr Beleg-
raum dementsprechend vergrössert worden ist.
An jeder der beiden Kliniken sind drei Assistenten ange-
stellt, welche den Vorstand beim Unterricht unterstützen. Ausser
den schon genannten Lehrkräften halten noch die Professoren
A. V. Frisch und Knglisch. welcher auf die Krankheit der Perl-
mutterdrechsler aufmerksam gemacht hat, und die Privatdocenten
K. Fieber, v. Jurie, AI. Fränkel, O. Zuckerkandl, Habart und
Büdinger chirurgische Vorlesungen und praktische Curse. Von
den älteren (>hirurgen verdient ¥, W. Lorinser, der langjährige
Director des Wiedener Krankenhauses, Erwähnung, weil er die
nach Phosphorvergiftung auftretenden Knochenerkrankungen hier
Mcdicinischc Facultät. 2 3 I
zuerst beobachtet und beschrieben hat. Der Pariser Kliniker
Trelat sandte spater seinen Assistenten an die Klinik Alberts,
um hier die Leistungen und besonderen Kigenthümlichkeiten der
Wiener Schule kennen zu lernen.
X. Augenheilkunde. Josef Barth, der Anatom und Auf^'en-
arzt, erhielt vom Kaiser Josef II. den Befehl, seine beiden besten
Schüler zu Staroperateuren auszubilden. Kr wählte dazu seinen
Prosector Khrenritter, der sich durch die Kntdeckunj,' des
Nervus tympaniciis und des Ganglion jui^ularc des (ilosso-
pharyngeus um die Anatomie verdient «gemacht hat. leider aber
schon 1790 starb, und den Militärarzt Joh. Adam Schmidt,
welcher spater eine Professur am Josefmum erhielt.
Der Letztere stellte vortreffliche Lntersuchunj^en an über
den sogenannten Nachstar, zeigte, dass er in vielen Fällen auf
einer durch eine vorausgegangene Staroperation verursachten
Iritis beruht, bemerkte, dass dabei auch andere (iebildc des
Auges betheiligt sind, und gab eine gute narstellung der Iris-
entzündung, ihrer iMitstehungsarten und l'olgekrankheitcn. Auch
sein Buch über die l^rkrankungen der Thriincnorganc lörderte
die wissenschaftliche Kntwickelung der Ophthalmologie: einzelne
Augenleiden wurden darin zum erstenmale richtig beschrieben.
z. B. der Xerophthalmus.
Schmidt war ein scharfer Beobachter und zuuleich ein
denkender Arzt; er ahnte bereits, dass zwischen manchen Krank-
heitszustiinden des Körpers und einigen Augenlekien l)eziehungen
bestehen, und nannte die Au^enkranklieiten die /lerliclien Mi-
niaturspiegel der Korpei krankheiten . Seine ärztliche Praxis er-
streckte sich über das i;esammte (iebiet der Heilkunde; war er
ja auch der Arzt des grossen roiidichters IW-ethoven, der seiner
im I leiliuenstädter Testament .i.St)jt dankbar gedachte und ihm
ein Trio widmete.
Zu den Schülern Ikirths gehörte terner (1. Josef Beer, wel-
cher schon als Student von ihm als /eichner besciuiftigt wurde.
Im Jahre i jm-^ erhielt er die l^rlaubnis. arme Leute. Jie am
grauen Star litten, im Alkemeineii Krankenliause /u behandeln
und zu operieren, l'ür diesen /weck wurde ihm alljährlich
während der Monate Mai und Juni, welche als besonders gün-
232 Mcdicinische Facultät.
stig für die Heilung galten, ein Saal eingeräumt, wo die Opera-
tionen geschahen.
Im Jahre 1810 stellte der Primarchirurg Rust den Antrag,
eine stationäre Augenklinik zu errichten, wurde jedoch abgewiesen.
Zwei Jahre spater wurde eine aus zwei Krankenzimmern mit
20 Betten bestehende klinische Abtheilung geschaffen und deren
Leitung Beer übertragen, der gleichzeitig zum ausserordentlichen
Professor ernannt wurde. So entstand die erste Klinik für Augen-
krankheiten in Wien. Nach ihrem Muster wurden später derartige
Anstalten an den übrigen Universitäten Österreichs und Ungarns,
sowie in den deutschen und italienischen Staaten errichtet.
Beer wurde 1818 zum Ordinarius befördert, als das Studium
der Augenheilkunde für obligat erklärt wurde. Wer sich um
das Diplom eines Augenarztes bewarb, musste vorher die medi-
cinischen oder chirurgischen Studien absolviert haben, also eine
ärztliche Allgemeinbildung besitzen.
Beer veröffentlichte seine klinischen Erfahrungen und trug
dadurch viel dazu bei, die Kenntnis der Ophthalmologie,
die damals noch wenig gepflegt wurde, unter den Ärzten zu
verbreiten. Er war der Erste, der eine richtige Erklärung des
Pannus gab. Auch über die Staphylombildung entwickelte er
ganz sachgemässe Anschauungen. Seine Beschreibung der Iritis
brachte manches Neue, namentlich in Betreff der bei Syphilis
auftretenden Form; er machte dabei bereits auf die condyloma-
tösen Knötchen am Pupillarrande der Iris aufmerksam, die vor
ihm niemand beobachtet hatte. Die Staroperation versuchte er
dadurch zu verbessern, dass er den nach ihm genannten
Schnitt empfahl. Mehr Anerkennung fand die von ihm erfun-
dene Methode der Iridectomie, welche gegenüber dem Verfahren,
wie es Wentzel übte, manche Vortheile darbot und sich
in ihren wesentlichen Grundzügen bis jetzt erhalten hat. Beer
wurde, wie Hirsch sagt, der Begründer einer neuen Ära in der
F^^ntwickelung der Augenheilkunde. Seine Klinik wurde die Mutter-
schule, aus der alle bedeutenden Augenärzte der folgenden
Periode hervorgiengen, wie C F. v. Graefe, Ph. v. Walther,
T, W. G. Benedict, F. ,Iäger, Rosas, Quadri, Flarer, J. N.
Fischer, Mackenzie, Reisinger, Chelius u. A.
MedicinUche FacuUät. 233
Beers Nachfolger im Lehramt, Rosas, vorher Professor in
Padua, war ein Mann von umfassender literarischer Bildung.
Er verfasste eine Geschichte der medicinischen Facultat zu Wien,
bereicherte die Sammlung von Lehrmitteln und ophthalmologi-
schen Werken, welche Beer der Klinik hinterlassen hatte, und
vermehrte deren Krankenmaterial, indem er die Vereinigung der
im Allgemeinen Krankenhause bestehenden Abtheilung für Augen-
kranke mit der Klinik durchsetzte. Die Wiener Studentenschaft
verdankt ihm die Gründung des Vereines zur Unterstützung armer
Studierender der Medicin.
Hervorragender in der wissenschaftlichen Bearbeitung der
Augenheilkunde war PVicdrich Jiiger, welcher dieses Fach zur
gleichen Zeit am Josefinum vertrat. Von ihm rührten die ersten
Mittheilungen über die bis dahin unbekannte Form der croupösen
Entzündung der (>onjunctiva her. Der Schwerpunkt seiner Lei-
stungen lag jedoch in der FXindung oder Vervollkommnung
der Operationsmethoden. F> gab ein neues Verfahren für die
Ectropiumoperation an, welches noch jetzt, namentlich bei tie-
feren Narben, geübt wird. Bei der Abtragung des (jlienbodcns
zur Beseitigung der Trichiasis empfiihl er die Schonung des
Knoq^els und der Meibom sehen Drüsen, was man vor ihm
nicht verstanden hatte. Auch die Methode, den Pannus durch
Inoculation einer Ophthahiio-BIcnnorrhoe zu heilen, soll von
ihm zuerst ausgeführt worden sein. Kbenso war er einer der
Ersten, welche die Starextraction mit nach oben gerichtetem
[{ornhautschnitt vornahmen, allerdings nur bei geschrumpften
Staren; aber er trug daduich viel dazu bei. die Linear-
extraction vorzubereiten und in die arztliche Praxis einzu-
führen.
Rosas starb iS^^. An seine Stelle trat Arlt. bis dahin
Professor in Prag. Kr stand auf dem Boden der pathologisch-
anatomischen Schule und suchte deren Ergebnisse für die Ophthal-
moloi^ie zu verwerten. Dabei ^elanute er zu richtiueren Vor-
stellunnen über das Wesen mancher Auuenleiden. die sich früher
dem X'erstilndnis entzouen hatten. So vermochte er den Xer-
ophthalmus und die Fntstehung des Pterygiums /u erklären. Die
Operationsmethode der Trichiasis wurde \'<m ihm verbessert.
234 Mcdicinischc Facultät.
Für die Beseitigung? des Symblepharon gab er ein neues Ver-
fahren an, das ebenso einfach als zweckmassig war.
Er war der Krste, der das körnige Trachom beschrieben
hat, und hat auch zuerst den Nachweis geliefert, dass die Myopie
auf der Verlängerung des Augapfels beruht.
Arlt war ein musterhafter Lehrer; zu seinen Schülern ge-
hörten die Professoren Becker in Heidelberg, Sattler in Leip-
zig, Businelli in Rom, Rydl in Krakau, Schulek in Budapest,
Fuchs, A. V. Reuss und Bergmeister in Wien. Auch war
er es, der den genialen A. v. Graefe für die Augenheilkunde
gewann.
Im Jahre i883 legte Arlt das Lehramt nieder, da er die
gesetzliche Altersgrenze überschritten hatte; drei Jahre später traf
ihn der Tod. Seine Klinik übernahm Stellwag v. Carion,
welcher seit 1874 ^^^ Ordinarius der Augenheilkunde dem Lehr-
körper der medicinischen Facultät angehörte und die für ihn
errichtete zweite Augenklinik im Allgemeinen Krankenhause
leitete, nachdem er von 1859 — 1873 die Lehrkanzel der Ophthal-
mologie am Josefinum bekleidet hatte.
Für die Lösung mathematisch-physikalischer Probleme in
hohem Grade veranlagt, stellte er die theoretischen Grundlagen
der Verhältnisse des gesunden und kranken Auges fest und er-
klarte die Refractionsfchler, die verschiedenen Formen der Augen-
spiegel und ihre Vorzüge, den intraocularen Druck u. a. m.,
ausserdem lieferte er wertvolle Beitrage zur praktischen Augen-
heilkunde.
Stellwag V. Carion gieng 1894 in den Ruhestand. Zu
seinem Nachfolger wurde Ludwig Mauthner bestimmt, früher
Professor in Innsbruck, ein scharfsinniger Arzt und kritischer
l^'orscher, dessen reiche Begabung noch bedeutende Leistungen
erwarten Hess. Aber ein plötzlicher Tod ereilte ihn am Tage
nach seiner Ernennung, bevor er noch das Lehramt angetreten
hatte, und machte allen Hollnungen-ein unerwartetes Ende.
Ihm folgte J. Schnabel, bis dahin Professor in Innsbruck,
(iraz und dann an der deutschen Tniversitat in Prag. Unter
seiner Leitung erfuhr die Klinik mannigfache Verbesserungen.
Er bewirkte, dass die nothwendigen Räume zur Unterbringung
Medicinische Facultät. ^^5
ansteckender Krankheitsfälle hergestellt wurden, welche bis 1895
nicht in ausreichendem Masse vorhanden waren, beseitigte den
Übelstand, dass die Operationen in den Krankenzimmern vorge-
nommen wurden, indem er einen Operationssaal einrichten Hess,
und verband den Hörsaal mit einem Dunkelzimmer und zwei
Zimmern, in denen die Kranken untersucht und die Instrumente
aufbewahrt werden. In den letzteren sowohl wie im Hörsaale
und in den Ambulanzriiumen wurden Einrichtungen getrolfen,
dass sie gleichzeitig zu Untersuchungen mit dem Augenspiegel
und anderen Untersuchungsmethoden, z. B. zur seitlichen Beleuch-
tung, zur Bestimmung der Sehscharfe, l^erimetrie u. dgl. m. be-
nutzt werden können.
Gegenwartig hat die Klinik einen Belegraum von ungefähr
87 Betten in vier Krankensiilen und zwei Isolierzimmern, einen
Hörsaal mit 1 1 1 Sitzplatzen und mehrere Arbeitsraume für den
Vorstand der Klinik, die Assistenten und übrigen Arzte der-
selben. Ambulatorisch werden 8oo(_)— <jcxx) Kranke jahrlich be-
handelt.
Die Klinik besitzt eine reichhaltige Sammlung von Aqua-
rellen (Augenspiegelbildern), Wachsbildern, Moulagen, physika-
lisch-optischen Apparaten, historischen Operationsinstrumenten,
pathologisch -anatomischen Präparaten und ophthahnologischen
Werken.
Die zweite ophthalmiatrische Klinik wurde 1874 im Allge-
meinen Krankenhause ueuründet, als Professor Stellwat; v. (larion
nach der Aufhebung des .losetinums an die medicinische Facul-
tät versetzt wurde. Nachdem er die Arlt'sche Klinik über-
nommen hatte, wurde die Abtheikum für Augenleiden, welcher
Kduard Jai^er von Jaxthal. seit iN=;<s als Primararzt vor-
stand, in eine Klinik unmewnndelt. .limer übernahm deren
I.eituni; und wurde izleichzeitm zum Ordinarius befördert, nach-
dem er als Kxtraordinarius bereits seit \^\^, die Lehrthatigkeit
ausübte.
Kr war einer der Krsten, welche die volle Bedeutunu der
Untersuchungen mit dem Augenspiegel erkannten und für den
Aufbau der ophthalniologischen Wissenschaft verwerteten. Von
ihm wurden sie zuerst zur Bestimniun:: der Hefractionszustimde
236 Medicinischc Facultät.
benutzt. Er gab eine Scala von Sehproben zur Feststellung der
Sehschärfe und einen ophthalmoskopischen Atlas heraus, dessen
Bilder niemals übertroffen worden sind. Auch construierte er
einen Augenspiegel, welcher namentlich für Untersuchungen ge-
eignet ist, die einen hohen Grad von Genauigkeit verlangen.
Eduard Jäger starb schon nach einem Jahre; zu seinen Schülern
gehörten L. Mauthner und J. Schnabel. Sein Nachfolger wurde
Ernst Fuchs, ehemals Assistent Arlt's und dann Professor in Lüttich.
Die zweite Augenklinik ist durch die Bemühungen desselben
neu hergerichtet w^orden und setzt sich aus einer klinischen und
einer Reserveabtheilung zusammen, von denen jede einen Beleg-
raum von etwa 40 Betten hat. Der Hörsaal fasst 1 10 Sitz-
plätze. Dazu kommen ein Zimmer für ophthalmoskopische
Untersuchungen, ein Zimmer für die Sehproben, mehrere Ca-
binete für histologische und bakteriologische Arbeiten und ein
Arbeitszimmer für den Vorstand der Klinik. Das Ambulatorium
wird von mehr als 15.000 Kranken im Jahre aufgesucht, d. i.
mehr als an jeder anderen Klinik des Inlandes und Auslandes.
Nur das Flopital des Quinze-Vingt in Paris und das Morfields
Flospital in London haben ein noch grösseres ambulatorisches
Material; doch stehen ihnen mehrere Chefärzte und eine Menge
von Hilfsärzten zur Verfügung.
An jeder der beiden Kliniken sind zwei besoldete Assi-
stenten und einige Hilfsärzte thätig. Im Jahre 1894 wurden In-
stitute zur Ausbildung von Augenoperateuren errichtet, ähnlich
wie sie an den chirurgischen Kliniken bestehen; jede der beiden
Augenkliniken nimmt drei junge Arzte auf Grund einer voraus-
gehenden Prüfung als Zöglinge auf, welche durch ein Jahr in
der Ausführung von Operationen geübt werden.
Neben den beiden Ordinarien ertheilen noch theoretischen
und praktischen Unterricht in der Augenheilkunde die ausser-
ordentlichen Professoren A. v. Reuss und Bergmeister, sowie
die Privatdocenten Königstein, S. Klein. Bernheimer, Salz-
mann, Elschnig, Leopold Müller, Wintersteiner und Ru-
dolf Gruber.
Die durch die Mittheilungen Brück es über das Leuchten
des Augenhintergrundes vorbereitete Erfindung des Augenspiegels,
Medicinische Ftculüt. ^^7
mit welcher Helraholtz 1S31 an die Oftentlichkeit trat, eröff-
nete eine neue Periode in der Geschichte der Auijenheilkunde.
Durch diesen Apparat wurde die Möglichkeit gegeben, die krank-
haften Veränderungen des Augenhintergrundes zu erkennen und
das Wesen der Sehstörungen, die man früher unter dem Namen
Amaurosis oder schwarzer Star zusammen^efasst hatte, zu ver-
Stehen. Dabei erkannte man die ursachliche Zusammengehörig-
keit mancher dieser Erscheinungen mit Allgemeinerkrankungen
des Körpers, so dass der Augenspiegel jetzt auch für die letz-
teren als diagnostisches Hilfsmittel verwendet wird und daher
zu dem Handwerkszeug nicht bloss des Augenarztes, sondern
jedes praktischen Arztes gehört.
Die Operationstechnik hat in der zweiten Hillfte des 10. Jahr-
hunderts einen hohen Grad der Vollendung erreicht, und die
Heilungsresultate sind unter dem Kinfluss der antiseptischen
und aseptischen Behandlung so günstig geworden, wie man früher
niemals zu hot!'en gewagt hatte. Die Wiener Schule hat an
diesen Errungenschaften regen Antheil genommen; war es ja
auch ein Wiener Arzt, welcher in jüngster Zeit das t>ocain in
die augenarztliche Praxis einführte.
XI. Laryngologie. Ohrenheilkunde. Zahnheilkunde. Im ,lahre
1807 erfand Bozzini. Arzt zu Frankfurt a. M, einen Apparat
zur Beleuchtung der inneren Höhlen des Körpers. .Mit diesem
Lichtleiter wurden auf directen Betehl des Kaisers l'ranz, wie
aus einem Acte im .\rchiv des k. k. rnterrichtsministeriums
hervorueht. X'crsuche im Alluenieinen Krankenhause und im
Josetinum angestellt; doch scheinen dieselben den Krwartungen
nicht entsprochen zu haben. .\uch die NOrrichtungen, welche
von .Vndern spater für diesen /weck angegeben wurden, hatten
keinen dauernden Krlolg, weil ihre praktische N'erwendbarkeit
zu grossen Schwierigkeiten beucmiete.
Kfsi den Bemühungen des Wiener Pnmarar/tes Türck
gelang es. dieselben zu überwinden und einen Apparat zu con-
struieren. der den Ansprüchen der .\r/te ueiumte. I ürck, von
dessen Leistungen in der Ner\ enpalhologie seilen oben die Kede
war, hat sich auch um die Larvnuolome unveruäimliche \'er-
diensic erworben, indem er jie bisiier sein* schwierige, nur bei
238 Medicinische Facultät.
einzelnen gesunden Individuen ausnahmsweise gelungene und
für praktisch unverwendbar gehaltene Untersuchung des Kehl-
kopfes mittels eines kleinen, in den Rachen gebrachten Spiegels
in einen allgemein brauchbaren Behelf der medicinischen Praxis
umwandelte», wie er sagt.
Gleichzeitig beschäftigte sich der Physiologe Czermak in
Budapest damit; er lehrte, anstatt des Sonnenlichtes das künst-
liehe Licht zu gebrauchen, und machte die Arzte auf die Be-
deutung der Laryngologie aufmerksam.
Türck gab eine vortreffliche Anleitung zum Gebrauch des
Kehlkopfspiegels und verölfentlichte zahlreiche laryngologische
Erfahrungen und Berichte über die von ihm ausgeführten Opera-
tionen im Kehlkopfe. Leider erlebte er nicht mehr die Errich-
tung der laryngologischen Klinik im Allgemeinen Krankenhause,
welche 1870 geschaffen wurde. Mit ihrer Leitung wurde Leop.
Schrötter v. Kristelli, damals Docent für Brust- und Kehl-
kopfkrankheiten, betraut.
Die Klinik wurde in einem Krankensaale untergebracht,
welcher durch eine Zwischenwand in zwei Abtheilungen getheilt
wurde, von denen jede 8 Betten enthielt. In diesen Räumen
musste aber ausserdem das Ambulatorium abgefertigt und der
klinische Unterricht ertheilt werden. Ein kleines Arbeitszimmer
diente zur Aufbewahrung der rasch anwachsenden Präparaten-
sammlung und zur Vornahme histologischer Untersuchungen.
Trotz dieser Übelstände nahm die junge Klinik in kurzer Zeit
einen grossen Aufschwung, so dass jährlich 4cxx) — 5000 und zu-
letzt sogar 10.000 ambulante Kranke Hilfe suchten. Ebenso
wuchs die Zahl der Mörer, grösstentheils absolvierte Doctoren
und darunter viele Ausländer, von Jahr zu Jahr.
Die Klinik erhielt aus dem Nachlass ITircks eine Samm-
lung von Instrumenten, welche in historischer und didaktischer
Beziehung von hohem Werte ist; desgleichen gelangte sie in den
Besitz der Abbildungen, welche unter l'ürcks Aufsicht von dem
ausgezeichneten Künstler Dr. Elfinger angefertigt wurden. Im
Jahre 1890 wurde die Klinik in die Zimmer der ehemaligen
Studentenabtheilung im Allgemeinen Krankenhause verlegt, wo-
durch sie, wenn auch in Bezug auf Beleuchtung weniger günstig
Mcdicinischc Facultäi. 23q
gelegen, doch räumlich eine bedeutende Erweiterung gewann,
so dass es möglich war, einen Hörsaal und ein Ambulatorium
herzustellen.
Als bald darauf Prof. v. Schrötter, dessen Lehrbefugnis
schon 1885 auf das Gesammtgebiet der speciellen Pathologie
und Therapie der inneren Krankheiten erweitert worden war,
die Leitung der neu errichteten dritten medicinischen Klinik
übernahm, wurde Prof. K. Stoerck, der ehemalige Assistent
und Mitarbeiter Türcks, zum Vorstande der laryngologischen
Klinik ernannt. Sie besteht jetzt aus zwei Krankenzimmern mit
einem Belcgraume von 19 Betten, einem Hörsaale, der zugleich
als Operationssaal verwendet wird, einigen Arbeitszimmern und
dem Warteraume für die ambulanten Kranken, deren Zahl sich
um 8000 bewegt. Seit 1895 werden regelmassige Semestral-
vorlesungen mit praktischen Übungen für die Studierenden ge-
halten, so dass sich Jeder Kenntnisse in der Laryngologie er-
werben kann.
An der Klinik sind zwei Assistenten thiitig. Neben den
Professoren v. Schrötter und Stoerck halten Prof. O. ('hiari.
ebenso wie Prof. Inffinger in Innsbruck, ein ehemaliger Assistent
V. Schrötters, und die Privatdocenien \V. Uoth. (Irossmann,
Rethi, M. Hajek und Koschier XOrlcsungcn und praktische
Curse über Laryngologie und Rhinologic. —
Die Ohrenheilkunde wird in Wien erst seit iSf.i gelehrt.
Damals habilitierte sich Ad. Politzer als Docent für dieses Fach
und zwei Jahre spater Josef (Irubcr. Dem ersteren wurde an
der zweiten medicinischen Klinik, dem letzteren, der schon
seit \H^n als Ohrenar/l des Allueinemen Krankenhauses bestellt
war, in einem Zimmer desselben ein Ambulatorium eingeräumt,
wo sie bis zum Jahre iS7,> die Kranken untersuchten und ihre
besonders von fremdländischen Ar/teii stark besuchten l'nter-
richtscurse abhielten.
Im Jahre 1S71 wurden sie /u ausserordentlichen Professoren
ernannt uik! 1S7J an die Spit/e der otiatrischeii Klinik gestellt,
welche damals errichtet \n ur Je. Ls wurden dafiir zwei Kranken-
zimmer verwendet, von denen das eine 11 Betten enthielt und
für Manner hesiininit wurJe. das andere ^ Betten für brauen
24.0 Medicinischc Facultät.
enthielt. Jeder der beiden klinischen Vorstände übernahm die
ärztliche Besorgung in einem Krankenzimmer. Ihnen wurde
ein Assistent und ein Demonstrator beigegeben, die beiden ge-
meinsam waren; erst seit kurzem hat jeder seinen besonderen
Assistenten.
Die Klinik ist durch die jahrelange emsige Thätigkeit der
Professoren Politzer und Gruber mit einer Sammlung von
anatomischen und pathologischen Präparaten des Gchörorganes
ausgestattet worden, wie sie in dieser Reichhaltigkeit keine andere
Universität aufweist. Ausserdem verfügt sie über eine grosse
Anzahl von Gipsmodellen, Moulagen, Zeichnungen, Abbildungen
und Tafeln des Gehörorganes.
Die Klinik ist fast stets von operativen Phallen belegt; die
leichteren werden ambulatorisch behandelt. Die Ambulanz ist
von sehr bescheidenen Anfängen bis auf lo.ooo in beiden Ab-
theilungen angewachsen, unter denen y,« ein operatives Ein-
greifen nothvvendig machen.
Die Wiener medicinische Schule war die erste in der Welt,
an welcher eine Klinik für Ohrenleiden geschaffen wurde. Sie gab
die Anregung, dass auch an anderen Universitäten, zum Beispiel
in Berlin, Halle, Strassburg, Graz, derartige Kliniken errichtet
wurden. Die Verdienste, welche sich die Professoren Politzer
und Gruber um die Begründung des otiatrischen Unterrichts er-
worben haben, fanden dadurch Anerkennung, dass ihnen für
ihre Person der Titel und Charakter von Ordinarien verliehen
wurde.
Ausser ihnen betheiligen sich am Unterrichte in der Ohren-
heilkunde der Prof. Urbantschitsch und die Privatdocenten
Bing, PoUak und Gomperz.
Die Leitung der Klinik wird nach dem Rücktritt Grubers,
welcher in diesem Jahre erfolgte, weil er das 70. Lebensjahr
überschritten hatte, von Prof. Politzer allein geführt. —
Zu den Vorläufern der wissenschaftlichen Bearbeitung der
Zahnheilkunde gehörten zwei Wiener Arzte des vorigen Jahr-
hunderts, die (Chirurgen A. A. Brunner und Pasch. Sie standen
unter dem Kinflusse van Swietens und waren die ersten, welche
diesen (Jegenstand literarisch vertraten.
MedicinUche Ftcuhät.
241
Regelrechten Unterricht darin ertheilte zuerst der Zahnarzt
Carabelli Edler v. Lunkaszprie (182 1), welcher eine zahn-
ärztliche Bibliothek und eine noch heute einzig dastehende
Sammlung von Zahnmissbildungen, von aus Elfenbein ge-
schnitzten Modellen zur Darstellung des Zahn- und Kiefer-
ersatzes, von Obturatoren, Richtmaschinen und Instrumenten
anlegte, die nach seinem Tode auf M. Hei der übergieng,
welcher seit 1843 Zahnheilkunde lehrte und 1857 zum ausser-
ordentlichen Professor dieses Faches ernannt wurde. In Ge-
meinschaft mit Prof. Wedl gab er eine Reihe von Arbeiten
heraus, welche die Zahnheilkunde wissenschaftlich begründeten
und den übrigen medicinischen Disciplinen ebenbürtig an die
Seite stellten. Die Pathologie der Zahne, namentlich der Atlas,
sind literarische Denkmäler von unvergänglichem Wert.
Heider setzte den von ihm gegründeten Verein österreichi-
scher Zahnärzte zum Erben seiner Sammlungen ein. Sein
Assistent Steinberger, welcher seit i863 als Docent für opera-
tive Zahnheilkunde wirkte, bildete mehrere hervorragende Zahn-
ärzte aus, wie Prof. Bleichsteiner in Graz und den Privatdocenten
Schmid in Prag, und arbeitete darauf hin, dass 1889 an der
Wiener Universität ein zahnärztliches Institut errichtet wurde,
wie es an vielen Hochschulen Deutschlands bereits bestand. Er
wurde zum Leiter desselben ernannt, gleichzeitig mit dem Privat-
docenten Julius Scheff, der seit 1881 die Lehrthätigkeit aus-
übte, verzichtete aber auf das ihm übertragene Amt und zog
sich in seine Heimat zurück.
Das neugeschaffene Institut wurde in gemieteten Räumen
untergebracht, besitzt 16 Operationsstühle und Bohrmaschinen,
und eine Anzahl Schädelmodclle. Hier werden Personen, deren
Zähne erkrankt sind, ambulatorisch behandelt, Operationen aus-
geführt und Anleitung zur Diagnostik und Heilung der Zahn-
leiden, sowie im Zahnersatz gegeben. Die Anstalt wird von
mehr als 5000 Patienten jährlich aufgesucht, von denen die
grössere Hälfte operativ, die kleinere conservativ und ein Theil
durch Zahnersatz behandelt wird. Dem Institut wurde eine
Jahresdotation von 1000 H. bewilligt, Scheff wurde vor kurzem
zum ausserordentlichen Professor ernannt.
CicNChicIitc Jcr Wiener Lni\cr'»il.it. 17
242 Mcdicinische Facultäi.
Eine zweite Gelegenheit zur Erlernung der Zahnheilkunde
bietet die unter der Leitung des Privatdocenten Ritter v. Metnitz
stehende, aus dessen Mitteln errichtete Abtheilung der Poliklinik.
Sie zählt nahezu 2000 ambulante Kranke jährlich und erfüllt
gleich dem vorher genannten Institute alle zahnärztlichen und
zahntechnischen Aufgaben.
XII. Geburtshilfe und Gynäkologie. Auf van Swietens
Veranlassung wurde 1748 eine Lectur der Geburtshilfe ge-
schaffen, welche später in eine Professur umgewandelt wurde.
Dadurch erhielten die Hebammen und Chirurgen Gelegenheit,
theoretische Vorlesungen darüber zu hören; die Studierenden
der Medicin nahmen daran wohl nur ausnahmsw^eise thcil.
Wer praktische Kenntnisse in der Geburtshilfe erwerben wollte,
musste sie im Spital zu St. Marx suchen, wo die armen
Schwangeren, Gebärenden und Wöchnerinnen ein Unterkom-
men fanden. Unter den Primarärzten, welche deren ärzt-
liche Besorgung überw^achten, haben sich Rechberger und
namentlich Simon Zeller in weiteren Kreisen bekannt ge-
macht.
Als 1774 eine chirurgische Klinik errichtet und der Leitung
von Raph. Steidele, welcher auch als Geburtshelfer einen guten
Ruf genoss, unterstellt wurde, wurden hier auch geburtshilfliche
und gynäkologische Fälle aufgenommen und vorgestellt. Dies
änderte sich erst, als 1789 eine geburtshilfliche Klinik im allge-
meinen Krankenhause entstand.
An die Spitze derselben trat Lukas Boer, einer der ver-
dientesten Geburtshelfer, die jemals gelebt haben. Er brachte
es den Ärzten zum Bewusstsein, dass Schwangerschaft, Geburt
und Wochenbett physiologische Vorgänge sind und das Ein-
greifen der ärztlichen Kunst durchaus nicht immer erfordern,
wie man damals glaubte, filr zeigte, dass selbst Gesichts-,
Steiss-, Knie- und FuvSslagen durch das Walten der Natur so
reguliert werden, dass die Geburt ohne manuelle Hilfe erfolgt,
und dass dieselbe auch in vielen anderen Phallen überflüssig,
vielleicht sogar schädlich ist. Dadurch hat er dem entsetzlichen
jMisshrauch, der mit der Anwendung von geburtbeschleunigendcn
Mitteln, mit der Zange, Hacken und schneidenden Instrumenten
Medicinische Facultät. 243
getrieben wurde, ein Ende gemacht und zahllosen Frauen und
Kindern das Leben gerettet.
Boers Grundsätze bestimmten die Richtung, in der sich die
Geburtshilfe der folgenden Zeiten bewegte. Aus seiner Schule
giengen L. F. v. Froriep, Jörg, K. C. J. v. Siebold, d'Outrepont,
Wenzel, also die gefeiertsten Geburtshelfer Deutschlands während
der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts hervor.
An der Klinik kamen durchschnittlich täglich drei Geburten
vor; allmählich stieg deren Zahl auf mehr als das Doppelte,
indem der Klinik ein grösserer Belegraum zur Verfügung ge-
stellt wurde. Bei jeder Geburt musste ein Studierender und
eine Hebammen- Schülerin anwesend sein. Zum BCvSUche der
Klinik wurde nur zugelassen, wer sich darüber ausweisen konnte,
dass er theoretische Geburtshilfe gehört hatte.
Die Klinik befand sich in jenem Theile des Allgemeinen
Krankenhauses, welchen noch jetzt die llebammenschule inne-
hat. Als 1834 das Krankenhaus durch die Verbauung des achten
und neunten Hofes eine bedeutende Erweiterung erfuhr, wurden
der geburtshilflichen Klinik noch mehrere Krankensäle in den
neuentstandenen Gebäuden eingeräumt. Cileichzeitig wurde eine
Abtheilung davon abgezweigt und für den Tnterricht der Heb-
ammen bestimmt, so dass die allere Klinik fortan lediglich von
den (Chirurgen und Medicinern besucht wurde, welche die Be-
rechtigung zur Ausübung der (ieburtshilfe erlangen wollten.
Die geburtshilfliche Klinik für Arzte war unter der Leitung
des Prof. Klein, des Nachfolgers Boers. fast beständig der
Schauplatz heftiger Puerperallieber-I^pidemien, welche zahlreiche
Opfer forderten. Diese I hatsache war umso auffallender, als
die Klinik für Hebammen von der Seuche nur wenig oder gar
nicht betrotten wurde. Ner^eblich suchte man nach der IV-
Sache dieser merkwürdiuen Erscheinung.
Da trat Semmelweiss. damals Assistent an der Klinik
Kleins, 1847 mit der Behauptung hervor, dass die r>krankungen
am Wochenbettliebcr dadurch hervorgerufen wurden, dass die
Studenten unmittelbar aus der Anatomie in die Klinik kamen,
mit ihren durch Eeichentheilc verunreinigten Händen die Schwan-
gern und Wöchnerinnen untersuchten und dadurch inlicierten.
244
Medicinische Faciiltät.
An der Klinik für Hebammen war dieser Ubelstand nicht vor-
handen, da sie die Anatomie nicht besuchten und mit Leichen
nichts zu thun hatten.
Später erweiterte Semmelweiss seine Theorie dahin, dass
die Übertragung der Krankheit durch alle in Verwesung über-
gegangenen organischen Substanzen vermittelt wird. Er ordnete
an, dass sich die Studierenden vor jeder manuellen Unter-
suchung die Hände in einer wässerigen Chlorkalklösung waschen
mussten, und erzielte damit den überraschenden Erfolg, dass die
Zahl der Todesfälle, die noch kurz vorher i8 auf loo betragen
hatte, auf 2*45 Procent herabsank.
Semmelweiss theilte seine Entdeckung dem medicinischen
ProfessorencoUegium mit, welches die Wichtigkeit seiner An-
gaben anerkannte und zur Prüfung derselben eine Commission
einsetzte, der neben Anderen auch Rokitansky und Skoda
angehörten. Leider musste sie ihre Thätigkeit einstellen, bevor
sie ein Gutachten darüber abgeben konnte. Der damalige Vor-
stand der Klinik sah in dieser Entdeckung seines Untergebenen
einen Act der Auflehnung und zugleich den schweren Vorwurf,
dass die Vorschriften der Reinlichkeit arg vernachlässigt worden
waren. Übrigens traf diese Anklage nicht bloss ihn, sondern
alle Geburtshelfer jener Zeit; denn überall richtete das Puerperal-
fieber Verwüstungen an.
Semmelweiss erfuhr kränkende Zurücksetzungen. Als er
das Gesuch um Verlängerung seiner Dienstzeit als klinischer
Assistent vorlegte, wurde er abgewiesen. Er siedelte bald nach-
her nach Budapest über, wo ihm 1855 die Professur der Ge-
burtshilfe übertragen wurde. Der jahrelange Kampf, den er mit
seinen F'achgenossen kämpfen musste, um sie von der Richtig-
keit seiner Entdeckung zu überzeugen, und die Erfolglosigkeit
der Bemühungen, die er im Interesse der leidenden Menschheit
unternahm, verbitterten sein Gemüth und zerstörten seinen Geist,
Noch nicht 47 Jahre alt, erlag er 1865 einem pvSychischen Leiden
in der Irrenanstah zu Döbling bei Wien.
Die Idee, für die er gelebt und gelitten hatte, wurde bald
nachher als eine wissenschaftliche Thatsache anerkannt. Die
Nachwelt wurde seinen Verdiensten gerecht, und der intcr-
Mcdicinischc Facuhät. 245
nationale hygienische Congress, welcher 1894 i" Budapest tagte,
feierte ihn als den Vorläufer Josef Listers, des Erfinders der
Antiseptik.
Im Jahre 1857 übernahm Karl Braun, später geadelt mit dem
Prädicat v. Fernwald, die Leitung der geburtshilflichen Klinik
für die Studierenden. Er war ein ehemaliger Assistent Kleins
und hatte mehrere Jahre als Lehrer an der Hebammenschule
zu Alle Laste bei lYient gewirkt. Eine fruchtbare literarische
Thätigkeit vereinigte sich in ihm mit einer reichen praktischen
Erfahrung, welche für die Wissenschaft wie für den Unterricht
Gewinn brachte. Er verfasste vortreffliche Lehrbücher der Ge-
burtshilfe und Gynäkologie und setzte es durch, dass 1858 eine
gynäkologische Klinik errichtet wurde, welche mit der geburts-
hilflichen verbunden wurde.
Vor allem war er darauf bedacht, die hygienischen Zustände
der Klinik zu verbessern. In Gemeinschaft mit seinem Collegen
Späth, der damals Vorstand der Klinik für Hebammen war,
führte er 1862 zweckmässige Ventilations- und Heizungsvorrich-
tungen im Gebärhause ein, so dass es ihm gelang, die Sterb-
lichkeit unter den Wöchnerinnen allmählich bis auf i Procent
herabzudrücken.
Er starb 1890. Ihm folgte F. Schauta, ein früherer Assistent
Späths. Er war vorher Professor in Innsbruck und zuletzt an
der deutschen Universität in Prag. Ihm verdankt die Klinik
einige wesentliche Verbesserungen. So Hess er das an den Hör-
saal anstossende Krankenzimmer durch eine Scheidewand in
zwei Abtheilungen theilen, von denen die eine zur Aufnahme
schwerer geburtshilflicher Fälle benutzt wird, die andere zur
Vorbereitung der Kranken dient, die in der klinischen Vorlesung
vorgestellt werden. Nebenan wurde ein kleines Arbeitszimmer
für den Vorstand der Klinik eingerichtet. Durch Adaptiemng
von Krankenzimmern wurde ein Operationssaal für die gynäko-
logische Klinik, sowie ein Ambulatorium und Warteraum ge-
wonnen, welche bis dahin gänzlich tehlten. Ausserdem wurde
ein ('abinet zum Sterilisieren der Operationswäsche und Instru-
mente bestimmt und in unmittelbarer Nähe ein Badezimmer an-
geleimt. Der Belegraum der gynäkologischen Klinik besteht jetzt
246 Medicinischc Facultät.
aus zwei Krankenzimmern und zwei kleinen Extrazimmern
für frisch operierte Pralle und fasst 42 Betten. In der Ambulanz
werden jahrlich nahezu 3ooo Fälle behandelt. Überall wurden
die besten Sterilisationsapparate aufgestellt, so dass die Klinik
mit sorgfaltig durchgeführter Asepsis arbeitet. In ähnlicher Weise
wurde auch die geburtshilfliche Klinik durch hygienische Ein-
richtungen vervollkommnet. Sie besteht aus einem Hörsaale
mit 150 Sitzplätzen und 10 Krankensälen mit 210 Betten. Die
Zahl der Geburten übersteigt jährlich 3ooo; Operationen werden
etwa 250 — 3oo gemacht.
Von grossem Wert für den Unterricht war die 1896 er-
folgte Einführung des elektrischen Lichtes in die Kliniken, weil
dadurch die Möglichkeit geschaffen wurde, zu jeder Zeit De-
monstrationen bei ausgezeichneter Beleuchtung auszuführen. Die
Studierenden werden in Gruppen zu je sechs abwechselnd zu
Geburten und gynäkologischen Operationen geführt. In einem
kleinen Laboratorium, welches 1892 eingerichtet wurde, haben
sie Gelegenheit zu mikroskopischen und bakteriologischen Unter-
suchungen; ausserdem ist eine Sammlung von anatomischen und
pathologischen Präparaten, pathologischen Becken und Abbil-
dungen zu ihrer Belehrung vorhanden.
Im Jahre 1878 wurde im Allgemeinen Krankenhause eine
geburtshilfliche Klinik für Studierende und Arzte errichtet, zu
deren Vorstand J. Späth ernannt wurde. Er hatte von
1853 — 1861 die geburtshilfliche Klinik am Josefinum und von
1861 — 1873 die Hebammenklinik im Allgemeinen Krankenhause
geleitet. Späth lieferte wertvolle casuistische Beiträge zur Ge-
burtshilfe und Gynäkologie, wie seine Erfahrungen über Quer-
lagen und Stirnlagen, seine Studien über Zwillingsgeburten, seine
Mittheilungen über die operative Behandlung der Gebärmutter-
polypen, und sorgte für die Assanierung der Klinik, so dass die
Sterblichkeit zuletzt bis unter i Procent herabsank. Anfangs
ein Gegner von Semmelweiss, war er. später ein überzeugter
Anhänger und Vertheidiger der Desinfectionsmassregeln. Schwe-
res Siechthum zwang ihn, 1886 sein Lehramt niederzulegen.
I^rst zehn Jahre später erlöste ihn der Tod von seinen
Leiden.
Medicinische Facultät. ^47
An seine Stelle trat A. Breisky, vorher Professor in Bern
und dann in Prag. Seine Arbeit über den Einfluss der Kyphose
auf die Beckengestalt, seine wertvollen Beiträge zur Geburtshilfe
und Gynäkologie, seine Darstellung der Krankheiten der Vagina
u. a. m. sicherten ihm einen hervorragenden Platz unter seinen
Fachgenossen. Er starb schon 1889. Sein I.ehramt übernahm
Chrobak, seit 1880 als ausserordentlicher Professor an der
Wiener Universität thätig.
Die Räumlichkeiten der Klinik waren anfangs sehr be-
schränkt, sie besass nicht einmal einen eigenen Hörsaal. Der-
selbe wurde erst auf Breiskys Antrag eingerichtet; desgleichen
wurden ein Operationssaal und Localitäten für die Ambulanz
hergestellt. Auch unter der Leitung des Prof. (^hrobak wurden
zahlreiche Erweiterungen und Verbesserungen vorgenommen.
(jegenw^ärtig besteht die zweite geburtshilfliche Klinik aus
dem Hörsaal mit 212 Sitzplätzen, neben dem sich eine kleine
photographische Kammer befindet, einem Zimmer für Kreissende
mit 14 Betten nebst Vorbereitungs-, Bade- und Sterilisierkam-
mern, zwei Zimmern für vSchwangere mit 38 Betten, drei Sälen und
vier kleineren Zimmern für Wöchnerinnen mit 109 Betten, zwei
gewölbten Räumen für erkrankte Wöchnerinnen mit 15 Betten,
Localitäten für die Praktikanten und Arbeitsräumen für bakterio-
logische, chemische und mikroskopische rntersuchungen. Die
Zahl der jährlichen (leburtcn beträgt etwa 35ck).
Die gynäkologische Klinik wurde 1893 erheblich vergrössert
und hat jetzt ein grosses und zwei kleinere Krankenzimmer mit
einem (Jesammtbelegraume von 43 Betten. Ferner wurde das
Ambulatorium bedeutend erweitert, da die Zahl der ambulanten
Kranken in wenigen Jahren auf das N'ierfache gestiegen ist, und
der Operationssaal den sanitären Anforderungen entsprechend
hergerichtet. Trotz dieser N'erbesserungen haben die klinischen
Räume noch manche Mängel, nicht bloss in hygienischer Hin-
sicht, sondern auch wegen ihrer feuergefährlichen Anlage.
Der l'nterricht geschieht nach den gleichen (irundsätzen
wie in der ersten ^eburt^hil^ich-^vnäk<)l()uischen Klinik. Als
Lehrmittel werden Abbildungen, Tafeln und anatomische und
pathologische Präparate verwendet, welche grösstentheils aus den
248 Medicinische Facultäu
letzten Jahren stammen; ausserdem besitzt die Klinik eine Biblio-
thek von 800 geburtshilflichen und gynäkologischen Werken,
welche ihr der gegenwärtige Vorstand geschenkt hat.
Die für den Unterricht der Hebammen 1834 errichtete
geburtshilfliche Klinik stand bis 1860 unter der Leitung des
l^rof. Bartsch, der früher Vorstand einer geburtshilflichen Ab-
theilung des Gebärhauses gewesen war, und von 1861 — 1873
unter derjenigen von Späth.
Ihm folgte Gustav Braun, der Bruder des Prof. Karl
Braun, der von 1861 — 1873 als Ordinarius der Geburtshilfe
am Josefinum gewirkt hatte. Die Hebammenklinik hat neun Kran-
kensäle mit 1 78 Betten zur Verfügung. Es kommen etwa
3200 Geburten jährlich zur Beobachtung, unter welchen 10 Pro-
cent das operative Eingreifen des Arztes erfordern. Die Ambu-
lanz zählt ungefähr 1000 Fälle.
Der Hebammenunterricht, welchen der Vorstand der Klinik
und seine Assistenten ertheilen, scheidet sich in zwei Semestral-
curse, von denen jeder von 120 Schülerinnen besucht wird, so
dass hier jährlich über 200 Hebammen ausgebildet werden.
Allerdings ist die Anstalt nur dazu berufen, den Bedarf davon
für Niederösterreich zu decken; aber es studieren hier auch
viele Angehörige anderer Kronländer und sogar des Auslandes,
besonders aus Russland und den Balkanstaaten. Ausserdem
nehmen einzelne Arzte mit besonderer P>laubnis des Vorstandes
an den klinischen Visiten und Operationen theil.
Im Jahre 1882 wurden an den drei geburtshilflichen Kliniken
Institute zur Ausbildung von Operateuren nach dem Muster der
an den chirurgischen Kliniken bestehenden Institute errichtet.
Sie sollten nicht mehr als je sechs Zöglinge aufnehmen; doch
wird deren Zahl auch gelegentlich überschritten.
Jeder der drei Kliniken sind drei Assistenten zugetheilt, welche
den klinischen Vorstand beim l'nterricht unterstützen und die
l'hungen am Phantom und an der Leiche leiten. Ferner halten die
Professoren Lott, Breus und Felsenreich, sowie die Privatdocen-
tcn Kt^on Braun V. Fern wald, Herzfeld, Lihotzkv, Wertheim,
Hichard Braun v. Fernwald, Peters und H. Ludwig geburts-
hilfliche Lind gynäkologische Vorlesungen oder Operationscurse.
Medicinische Kacultät. ^49
Die physiologische Richtung in der Geburtshilfe, die jede
unnöthige Operation verwirft, neben der zu einer hohen Vollen-
dung entwickelten Operationstechnik, welche die schwierigsten
Aufgaben zur I.ösung bringt, vor allem die Fortschritte der
Assanierung der Gebaranstalt und die sorgfältige Handhabung
der Antisepsis und Asepsis führten zu Eürgebnissen, welche alle
Erw^artungen weit übertreffen und die Mortalität in den geburts-
hilflichen und gynäkologischen Kliniken so herabdrückten, dass
auf looo Aufnahmen kaum i Todesfall kommt.
Xlll. Kinderheilkunde. Im Jahre 1837 gründete der ehe-
malige Regimentsarzt Ludwig Mauthner aus seinen eigenen
Mitteln ein kleines Kinderspital mit zwölf Betten, fils befand
sich anfangs in gemieteten Räumen auf dem Schottenfelde und
wurde 1847/48 in die Nähe der Hernalser Linie verlegt, wo
es sein eigenes Gebäude erhielt. Bei der Grundsteinlegung des-
selben waren Ihre Majestäten Kaiser Ferdinand und Kaiserin
Maria Anna, sowie Ihre kaiserliche Hoheit Frau Erzherzogin
Sophie anwesend. Das Spital wurde der heil. Anna gewidmet und
dem Schutze der Kaiserin Maria Anna unterstcUt. Schon 1S42
war es in den Besitz eines Vereines von Wohlthätern überge-
gangen.
Seit 1843 wurde das Spital von inländischen und aus-
ländischen Ärzten aufuesucht zum Studium der Diagnostik und
Behandlung der Kinderkrankheiten; der rnterricht hatte bis
dahin nur einen privaten (-haraktcr. Im folgenden Jahre erhielt
Mauthner die staatliche Kriaubnis, das Krankenmaterial des Spi-
tals, welches damals einen liclegraum von 40 Betten hatte, zu
klinischen Vorlesunuen zu verwenden. Die niederösterreichische
Regierung und das Studiendirectorat erklärten die Errichtung
einer ölfentlichen Kinderklinik für zeitgemäss und ein wahres
Bedürfnis, wie es in einem Act des Archivs des k. k. l'nter-
richtsministeriums heisst. Das Studiendirectorat übernahm die
Aufsicht über die von Mauthner ueleitete Kinderklinik; aber
eine finanzielle Bcihilt'e für ihre Bedürfnisse wurde ihr nicht ge-
währt.
Im Jahre I(S^() wurden die \'erhjltnisse zwischen dem k. k.
rnterrichtsministLrium und dem Kinder.spitale dahin geordnet.
2^0 Mc*::jinUjhc Fa:*-;tit.
dass von den ^o Krankenbetten, welche es enthielt, eine Ab-
theilunj: von zwei Zimmern mit 20 Betten als klinische abge-
zweigt und für den klinischen Unterricht bestimmt wurde; ausser-
dem wurde dem Vorstande der Klinik das Recht zugestanden,
sich aus den anderen Krankenabtheilunaen geeignete Fälle für
die Klinik auszuwählen.
Gleichzeitig wurde angeordnet, dass die kranken Kinder aus
dem Allgemeinen Krankenhause in das Kinderspital abgegeben
werden und dem letzteren ein Theil der Verpflegsgebüren zu-
komme, und für die durch den klinischen Unterricht verur-
sachten Mehrausgaben ein jährlicher Staatszuschuss von 2500 fl.
bewilligt.
.Mauthner schrieb über die Erkrankungen des Gehirns und
Rückenmarkes bei Kindern u. a. m. und wurde I8^I zum ausser-
ordentlichen Professor ernannt. Gleichzeitig wurde Elias Loe-
bisch zum Extraordinarius befördert. Er stand an der Spitze
der seit 1787 bestehenden, vom Staate subventionierten ärzt-
lichen Ordinaiionsanstalt für arme Kinder, welche keiner Spital-
pflege bedürfen.
Mauthner starb i8^8. An seine Stelle trat PYanz Mavr,
welcher von 1846 ab das St. Josef-Kinderspital geleitet hatte.
F> veröffentlichte wertvolle Beobachtungen über hereditäre Sv-
philis und Hautkrankheiten bei Kindern und ist der Verfasser
der ausgezeichneten Abhandlungen über .Masern und Scharlach
in Virchows Sammelwerke der allgemeinen medicinischen Pa-
thologie und Therapie: er erhielt ebenfalls den Rang eines ausser-
ordentlichen Professors, starb aber schon nach wenigen Jahren.
Ihm folgte sein klinischer Assistent H. Widerhofer, zuerst als
Extraordinarius, seit dem Jahre i88^ als ordentlicher Professor
für Kinderheilkunde, und damit begann der glänzende Auf-
schwung, den das St. Anna-Kinderspital und der klinische Unter-
richt in der Kinderheilkunde genommen hat.
In einer .^5Ji}hrigcn Lehrthätigkeit hat P>eiherr v. Widerhofer
eine grosse .Anzahl Kinderärzte ausgebildet, welche in allen Theilen
der Monarchie eine segensreiche Wirksamkeit ausüben. Die Anstalt
verdankt seinen unermüdlichen Bemühungen bedeutende bauliche
Erweiterungen und Vergrösserungen, sowie die P>richtung zweier
Medicinische Facultät.
251
Pavillons für Diphtherie und Scharlach, deren Krankensäle nach
den heutif^en Anforderungen der Hygiene und Krankenpflege
eingerichtet und mit allen Apparaten der Krankenbehandlung
ausgestattet wurden.
Das altere, allgemeine Spitalsgebaude enthalt Krankensiile
und kleinere Zimmer zur Aufnahme von kranken Kindern, zu-
sammen 60 Betten. Dieselben sind eingetheilt in die medicini-
sche und in die chirurgische Abtheilung mit einem Operations-
saale; der letzteren steht Prof. Weinlechner vor. Daneben
befindet sich ein Hörsaal, ein Laboratorium und ein Museum
mit einer reichen Bildersammlung, mit Formalinpraparaten und
Moulagen. Im Parterre dieses Gebäudes sind die Warteraume
und Ordinationszimmer für die Ambulanten, ferner ein Masern-
zimmer, das für neun Kinder Platz bietet, eine Apotheke und
die Administrationsraumlichkeiten.
Der Diphtheriepavillon hat einen Belegraum von 34 Betten
in vier grossen Krankensälen und vier Isolierzimmern, ein
bakteriologisches Laboratorium, ein Bade- und Inhalationszimmer.
Der Scharlachpavillon enthält zwei grosse Krankensäle, zwei
kleinere Krankenzimmer und zwei Isolierzimmer, in welchen
insgesammt 36 Kinder Platz, finden, daneben ebenfalls ein Bade-
zimmer und ein Laboratorium.
ImGanzen werden jährlich ungefähr 1 200-- i5o<)krankeKinder
aufgenommen und nahezu 3o.(")(^o ambulatorisch behandelt: den
letzteren werden Arzneien, \'erbände. oft auch die Nahrungs-
mittel unentgeltlich gereicht. Die dafür erforderlichen beträcht-
liehen (leldmittel werden aus den Zinsen der Stiftungscapitalien
und durch tVeiwillige Spenden wohlthätiger Menschen bestritten.
Vom Staate wird ausser dem erwähnten kleinen Zuschüsse nur
der (lehalt des Professors und die Hälfte des (iehaltes eines
Assistenten uezahlt.
Neben dem klinischen .\ssislenten stehen dem ^Professor
noch vier !^ecundarärzle mit einer wechselnden .\nzahl V(»n
Aspiranten als llilfsärzte zur Seite.
Die reiche Lrfahruni:, über welche Baron Widerhofer uebietet.
hat ihm einen massuebenden Lintluss unter seinen lach^enossen
esichert und hauptsächlich da/u beigetragen, dass die grossen
r
F^rrunaen-jchaften ier K:nierhe:lkunie. namentlich die S
behanilan^ bei ier Diphtherie, wissenschaftlich anerkannt
wurden.
Ausser ihm lehren Päiiatrik die ausserorientiichen Profes-
v/ren Mont:. Kassowitz und Frühwaid, sowie die Privat-
J^A;enten E:senschitz. v. Hüttenbrennner. Foitanek und
Fronz.
XIV. Die Studien- und PrufmgsordiNmg. Kaiser Josef II.
unterzog den medicinischen >tudienplan selbst der Durchsicht und
versah ihn mit manchen treffenden Bemerkungen. Im Archiv
des k. k. Unterrichtsministeriums liegt ein eigenhändiger Erlass
desselben, in welchem es heisst: cDass die Lehre der Chimi^ie,
allcT f Operationen und Bandagen in sechs Monaten soll hinlänglich
gegeben werden können, scheint mir nicht leicht möglich, und
überhaupt theile ich das medicinische Studium auf folgende Art
ein. Das erste Jahr Anatomie mit der Physiologie verbunden
dergestalt, dass. wie man z. B. eine Lunge in der Anatomie vor-
prezcigt. man auch zugleich deren Nothwendigkeit und Wirkung
in dem gesunden Körper anführe und so auch weiter bis auf
jeden .Muskel im Leibe, wie er zur Bewegung dient. Dieses
Schuljahr müssten Medici und Chirurgi absolvieren; dem Pro-
fc'ssori anatomiae et physiologiae müsste man die nöthigen pro-
H'ctores und was er gebraucht, zugeben, um sein Lehramt gut
zu verwalten. Zugleich würde im ersten Jahr für die Mediciner
Botanik und Chemie und für die Chirurgos Operationen, Ban-
dagen und Geburtshilfe gelehrt. Im zweiten Jahr müssten die
Wundärzte die chirurgische und medicinische Praxis und clini-
cam im Spital erlernen und im Spital auch die Geburtshilfe
prakticieren. und da wären sie fertig: die Medici aber müssten
die matcriavi mcdicam, Pathologie und alles, was zum gelehrten
lach der Medicin p^ehört. hören, im dritten Jahr aber sich ganz
mit der praxi^ und clinica, auch Prakticicrung im Spital abgeben.
I'nd auf diese Art würden in zwei Jahren für das Land geschickte
(Chirurgi und in drei Jahren Medici für die Stadt gebildet werden.
Nach diesem Sinne erwarte ich die weitere Ausarbeitung.»
Der Studienplan von 1786 wich davon insoferne ab, als er
liir die (blasse der .Arzte und höheren Wundärzte eine Studien-
MeJicinischc Facultät. ^53
zeit von vier Jahren festsetzte und auch den niederen Landärzten
etwas mehr theoretischen Unterricht gewahrte, ferner wurde die
Inauguraldissertation, welche die Doctoranden der Medicin vor-
legen mussten, abgeschafft und statt dessen die praktische Prüfung
am Krankenbett eingeführt.
Im Jahre 1804 wurde die Studienzeit für die Studierenden
der Medicin und höheren (Chirurgie auf fünf Jahre verlängert.
Gleichzeitig wurde die Vorschrift erneuert, dass kein Inländer
zum Studium der Heilkunde zugelassen wurde, wenn er nicht den
dreijährigen philosophischen (Kursus an der Universität besucht
hatte. Ausserdem wurde die Einrichtung getroffen, dass die
Studierenden am Schluss des Semesters Prüfungen über die
Gegenstände, die sie im Verlaufe desselben gehört hatten, ablegen
mussten, von deren P>gebnis ihr Übertritt in das nächste Semester
abhängig gemacht wurde.
Der Studienplan vom Jahre 18 10 empfahl den Studierenden
der höheren Kategorie, im ersten Jahre die Einleitung in das medi-
cinisch-chirurgische Studium und Naturgeschichte, Botanik und
systematische Anatomie, im zweiten höhere Anatomie und Phy-
siologie, (ilhemie und Pharmacie, im dritten allgemeine Pathologie
und Therapie, Ätiologie, StMiiiotik, Matcria medica et chirnrßica.
Diätetik, Receptierkunst, (ieburtshilfe, allgemeine und specielle
Chirurgie, die Lehre von den chirurgischen Verbänden und In-
strumenten und Augenheilkunde zu hören, während des vierten
und fünften Jahres die Vorlesungen über specielle Pathologie und
Therapie der inneren Krankheiten und die Kliniken zu besuchen
und dQVi Vorträgen über Veterinärmedicin, gerichtliche Medicin
und Sanitätspolizei beizuwohnen. Der niedere C^ursus umtasste
im ersten Jahre die Einleitung in das chirurgische Studium,
theoretische (Chirurgie, Anatomie, Physiologie, allgemeine Patho-
logie und Therapie, Matcria nwdica et chirur^ica. Diätetik,
Receptirkunst und Bandagenlehre, und im zweiten den Besuch
der medicinischen und chirurgischen Klinik, chirurgische Ope-
rationslehre, gerichtliche Medicin, Geburtshilfe und Thierarznei-
kunde. Der Besuch der Kliniken für Augenheilkunde und Geburts-
hilfe war nur für diejenigen obligat, welche die Berechtigung
zur Praxis in diesen Fächern anstrebten.
254
Mcdicinische Facultät.
Wer sich um das Doctorat der Medicin bewarb, musste
zunächst zwei Krankengeschichten verfassen und den Professoren
zur Beurtheilung vorlegen, sich hierauf einer Prüfung aus den
genannten Unterrichtsgegenstanden unterwerfen und endlich eine
Inauguraldissertation, die wiederum eingeführt wurde, schreiben
und Thesen vertheidigen. Bei der Prüfung zum Doctorat der
Chirurgie traten an die Stelle der internen Medicin die Chirur-
gie und die ihr verwandten Fächer; ferner wurde die Ausfüh-
rung von zwei chirurgischen oder ophthalmiatrischen Operationen
an der Leiche verlangt, (ieringere Anforderungen wurden an
diejenigen gestellt, die sich mit dem Grade eines Magisters der
Chirurgie begnügten. Wenn Doctoren der Medicin das Doctorat
der Chirurgie erwerben wollten oder umgekehrt, so mussten
sie eine Ergänzungsprüfung ablegen, welche diejenigen Gegen-
stände umfasste, die in der früheren Prüfung nicht berücksich-
tigt worden waren. Das Diplom eines Augenarztes sollte nur
an solche Bewerber verliehen werden, welche die medicinischen
oder chirurgischen Studien absolviert hatten. Den Zahnärzten
wurde aufgetragen, den zweijährigen Cursus der Landärzte zu
besuchen.
Durch die Studienordnung von i833 wurde die Studienzeit
für die letzteren auf drei Jahre verlängert. Ausserdem wurde
der Augenheilkunde ein grösserer Raum im Lehrplan und bei
den Prüfungen gewährt.
Diese Vorschriften behielten im Wesentlichen ihre Geltung bis
zur Kigorosenordnung vom Jahre 1872, welche noch jetzt besteht.
Dadurch wurden die gesonderten Diplome für Medicin, Chirur-
gie, Augenheilkunde und (Jeburtshilfe beseitigt und statt dessen
das Doctorat der gesammten Heilkunde eingeführt. Die dafür
erforderliche Prüfung scheidet sich in drei Abtheilungen, von
denen die erste frühestens nach den beiden ersten Studienjahren,
die zweite und dritte nach dem fünften Studienjahre abgelegt
wird. Jedes dieser drei Rigorosen besteht aus mehreren prak-
tischen Kinzelprüfungen und einer theoretischen Gesammtprüfung.
Dem ersten Higorosum gehen die Prüfungen über Mineralogie,
Botanik und Zoologie voraus; es umfasst Physik, (Chemie, Ana-
tomie und Physiologie mit Histologie. Das zweite Rigorosum
Mcdicinischc Facultüt.
255
handelt über allgemeine und experimentelle Pathologie, patho-
logische Anatomie, Arzneimittellehre und interne Medicin, das
dritte über Chirurgie, Augenheilkunde, Geburtshilfe und gericht-
liche Medicin. Bei der Zulassung zu diesen Prüfungen müssen
die Studierenden den Nachweis liefern, dass sie zwei Semester
an den anatomischen Secierübungen theilgenommen, durch je
vier Semester die interne und die chirurgische Klinik und je
ein Semester die Augenklinik und die geburtshilfliche Klinik
besucht haben. Für die wichtigen Fächer der internen Medicin
und (Chirurgie werden je zwei Fxaminatoren bestellt; ferner wurde
bestimmt, dass den arztlichen Prüfungen ein Vertreter der Re-
gierung beiwohnt. Gleichzeitig hörte die Hinrichtung auf, dass
auch das medicinische Doctoren-Collegium bei den l^rüfungen
vertreten war. Damit gieng der letzte Rest von Kinfluss, den
die ärztliche Zunft bis dahin auf die Erziehung der Ärzte aus-
geübt hatte, auf den Staat über.
Die Rigorosenordnung vom Jahre 1872 bietet den Studie-
renden den VortheiL dass sie einen l'heil der Prüfungen schon
wahrend der Studienzeit ablegen können; aber sie führt hiUilig
dazu, dass sie den Besuch der X'orlesungen versäumen, um sich
für diese Prüfungen vorzubereiten. Auf die praktische Ausbil-
dung in den klinischen Specialfächern, deren Bedeutung im Ver-
laufe der Zeit gewachsen ist, wurde gar keine Rücksicht ge-
nommen; allerdings suchte man spiiler diesem (beistände abzu-
helfen, indem \ertretern dieser Disciplinen die Stellen von (-0-
examinatoren für interne Medicin oder (-hirurgie übertragen
werden. Kndlich scheint die klinische Anleitung nicht eine aus-
reichende X'orbereitung für die 'l'hatigkeit des Arztes zu sein,
zumal die Studienzeil durch das halbe ,lahr, das die .Mediciner
seit 1889 wahrend derselben mit der Walle beim Militär dienen
müssen, unterbrochei'» und ueschmälert wird.
Zur Regelung dieser Fragen wurde iSt)5 vom rnterrichts-
minister Freiherrn v. (J autsch eine Knquete von Sachverstän-
digen, höheren Sanilätsbeamlen und X'ertretern der Ärztekammern
veranstaltet, deren Beschlüsse im Wesentlichen darauf hinaus-
liefen, dass der Interrichl in den beschreibenden Naturwissen-
schaften eingeschränkt wird, damit dadurch die für die eigentliche
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V * VI .: Die allgeflieine Poüklinik. Zi Finie des Jahres 187 1
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U.i: ' :: v: :! '. ::■ j::v.,.: > .- Ajr-cr: ju diesem Entschluss
^Mv:.:rv:-^ \.:':r\.iv>:. ^.5>> >>. Aj^.r -r Ai^^cmcinen Krankenhause
•.!.v''' a* .rv:.r."*. v/^'*:. * üjic:^;: ::::<= : .":cl:en. :hre Lehrthätigkeit
.ui</i:.:>o" P;::\:.^ ,: . v.t:-. -^v:.::'.^ ^.r.cr jrztlLchen Ordinations-
.rtxc.iii >^'':s • ^ .*. *v:^: r". >> j^^r .L-nicn Bevölkerung Wiens
0!'u* Wv^ü'w'mi ".: ^'^^jss-v > /.J.r: ju^lcich das tür den kli-
iuxvIk'm l Vwvvvic;:: vT' •■.:.* .^::^. Kr;i::kwr.r:iaterial zu gewinnen.
Pu* v.I';:\ivr .: v:^.** T "x. : .v waren der Dermatologe
Viixpit . Wv'lviu' :S<i a"s \.u>.:.;^vT /ei>sls zum Primararzt
vixs \li,;v*itu--u'i K:.fx.-:ha-,:Nv.'< vT-.Mn::: wurde, die Internisten
l.ili ^.Irni'lvM. \ K.^iL:: •.ir'^d i.>SiL*r. der Chirurg J. Neu-
,l,MU*j. viiv* \j.N' Kw ':v \ \. Kvuss und Hock, der Gynä-
ki»Lv;v Karl U^>'\!iaMNv\. n-.m:.:- Pi/TCNSor der Geburtshilfe in
\i\s\ xlv-i K 'uivia! t 1 f Iv.s^lv.'aann, der Specialist für Er-
U niknti >ii viv! lla!>,*:.M K- l l'w.niann. der Eiektrotherapeut
..hw.tnJ.» \ru\ vivi ll\.i!\^:lKrap^:i: W. Winternitz. Dazu
I. uMiM i»n \kmLiuK' Jv-n ^*!niom Jahres der Pädiater Monti, der
,il,,^,u, t I I ImiHsv Intx.'h ii:u: der Psychiater Leidesdorf,
,,,,j ,,, ,I,M i,.|>*ikIv'h .Iahten die Nervenärzte M. Benedikt und
|. ,^,,,l,.il j,,- l(iU'!nisi,!i .1. Breuer. Bettelheim, Stoffella
I yi, , |{,,|M \ r»asv h, M Her/ und Mannaberg, die Augen-
^j ,^ I w.mihnei mul S. Klein, die c:hirurgen Hofmokl,
Medicioische Facultät.
257
Mikulicz, später Professor in Krakau, nachher in Königsberg
und jetzt in Breslau, Nedopil, A. v. Frisch, Wölfler, später
Professor in Graz und gegenwärtig an der deutschen Universität
in Prag, Maydl, jetzt Professor an der böhmischen Hoch-
schule in Prag, V. v. Hacker, jetzt Professor in Innsbruck,
Hochenegg, J. Schnitzler und A. Fränkel, die Frauenärzte
Bandl, der kurze Zeit hindurch eine Lehrkanzel in Prag inne-
hatte, Lott und Pawiik, jetzt Professor an der böhmischen
Universität zu Prag, die Kinderärzte Fürth und Frühwaid,
die Dermatologen J arisch, später Professor in Innsbruck und
jetzt in Graz, H. v. Hebra, die Syphilidologen Grünfeld und
Rille, jetzt Professor in Innsbruck, der medicinischc (-hemikcr
Julius Mauthner, der Bakteriologe R. Paltauf, der Prosector
Kolisko, der Laryngologe (). C^.hiari und der Zahnarzt v. Met-
nitz. Sie wirken als Vorstände der verschiedenen Abtheilungen
der Krankheiten und ertheilen darin zugleich praktischen Unter-
richt, soweit sie nicht inzwischen in einen anderen Wirkungs-
kreis übergetreten oder durch Tod ausgeschieden sind.
Nach den Statuten der Poliklinik muss Jeder, welcher die
Leitung einer Abtheilung übernimmt, dem Lehrkörper der medi-
cinischen Facultät angehören. Die Krlaubnis. seine Vorlesungen
und C^urse in den Räumen der Poliklinik abzuhalten, wird ihm
auf sein Ansuchen vom k. k. Unterrichtsministerium gewährt.
Die Docenten der Poliklinik bilden jedoch dem letzteren gegen-
über keineswegs eine geschlossene Körperschaft, auch nicht im
Rahmen der Facultät, sondern jeder Kinzelne steht im direclen
Subordinalionsverhältnis zum medicinischen Professorencolle-
gium. Ihre gemeinsamen Berathungen betreifen lediglich die Ver-
waltung und den Unterrichtshetrieb der l^)liklinik. Zur Leituns;
'^
r
der Anstalt und deren Vertrelunu nach aussen wählen sie aus
ihrer Mitte alljährlich einen Director und zwei Stellvertreter
desselben, welche der Bestätigung der Statthalterei bedürfen.
Ist die Stelle eines Abtheilungsvorslandes erledigt, so wird sie
durch (-ooptation \on den übrigen besetzt; doch muss diese
Wahl ebenfalls von der Statthalterei genehmigt werden. Im
i'briuen nehmen die Behörden keinen Kinfluss auf die Ver-
waltung der Anstalt.
GcNchichtc der NN'icncr Uni\crMtät. 18
248 Medicinische Faculiät.
letzten Jahren stammen; ausserdem besitzt die Klinik eine Biblio-
thek von 800 geburtshilflichen und gynäkologischen Werken,
welche ihr der gegenwärtige Vorstand geschenkt hat.
Die für den Unterricht der Hebammen 1834 errichtete
geburtshilfliche Klinik stand bis 1860 unter der Leitung des
Prof. Bartsch, der früher Vorstand einer geburtshilflichen Ab-
theilung des Gebärhauses gewesen war, und von 1861 — 1873
unter derjenigen von Späth.
Ihm folgte Gustav Braun, der Bruder des Prof. Karl
Braun, der von 1861 — 1873 als Ordinarius der Geburtshilfe
am Josefmum gewirkt hatte. Die Hebammenklinik hat neun Kran-
kensäle mit 178 Betten zur Verfügung. Es kommen etwa
3200 Geburten jährlich zur Beobachtung, unter welchen 10 Pro-
cent das operative Eingreifen des Arztes erfordern. Die Ambu-
lanz zählt ungefähr 1000 Fälle.
Der Hebammenunterricht, welchen der Vorstand der Klinik
und seine Assistenten ertheilen, scheidet sich in zwei Semestral-
curse, von denen jeder von 120 Schülerinnen besucht wird, so
dass hier jährlich über 200 Hebammen ausgebildet werden.
Allerdings ist die Anstalt nur dazu berufen, den Bedarf davon
für Niederösterreich zu decken; aber es studieren hier auch
viele Angehörige anderer Kronländer und sogar des Auslandes,
besonders aus Russland und den Balkanstaaten. Ausserdem
nehmen einzelne Arzte mit besonderer Erlaubnis des Vorstandes
an den klinischen Visiten und Operationen theil.
Im Jahre 1882 wurden an den drei geburtshilflichen Kliniken
Institute zur Ausbildung von Operateuren nach dem Muster der
an den chirurgischen Kliniken bestehenden Institute errichtet.
Sie sollten nicht mehr als je sechs Zöglinge aufnehmen; doch
wird deren Zahl auch gelegentlich überschritten.
Jeder der drei Kliniken sind drei Assistenten zugetheilt, welche
den klinischen Vorstand beim Unterricht unterstützen und die
Übungen am Phantom und an der Leiche leiten. Ferner halten die
Professoren Lott, Breus und Felsenreich, sowie die Privatdocen-
ten Egon Braun V. Fern wald, Herzfeld, Lihotzky, Wertheim,
Richard Braun v. Fernwald, Peters und H. Ludwig geburts-
hilfliche und gynäkologische Vorlesungen oder Operationscurse.
Medicioische Facultät. ^dQ
Die physiologische Richtung in der Geburtshilfe, die jede
unnöthige Operation verwirft, neben der zu einer hohen Vollen-
dung entwickelten Operationstechnik, welche die schwierigsten
Aufgaben zur Lösung bringt, vor allem die Fortschritte der
Assanierung der Gebäranstalt und die sorgfältige Handhabung
der Antisepsis und Asepsis führten zu Ergebnissen, welche alle
Erwartungen weit übertreffen und die Mortalität in den geburts-
hilflichen und gynäkologischen Kliniken so herabdrückten, dass
auf looo Aufnahmen kaum i Todesfall kommt.
Xin. Kinderheilkunde. Im Jahre 1837 gründete der ehe-
malige Regimentsarzt Ludwig Mauthner aus seinen eigenen
Mitteln ein kleines Kinderspital mit zwölf Betten. Es befand
sich anfangs in gemieteten Räumen auf dem Schottenfelde und
wurde 1847/48 in die Nähe der Hernalser Linie verlegt, wo
es sein eigenes Gebäude erhielt. Bei der Grundsteinlegung des-
selben waren Ihre Majestäten Kaiser Ferdinand und Kaiserin
Maria Anna, sowie Ihre kaiserliche Hoheit Frau Erzherzogin
Sophie anwesend. Das Spital wurde der heil. Anna gewidmet und
dem Schutze der Kaiserin Maria Anna unterstellt. Schon 1842
war es in den Besitz eines Vereines von Wohlthätern überge-
gangen.
Seit 1843 wurde das Spital von inländischen und aus-
ländischen Ärzten aufgesucht zum Studium der Diagnostik und
Behandlung der Kinderkrankheiten; der l'nterricht hatte bis
dahin nur einen privaten (Charakter. Im folgenden Jahre erhielt
Mauthner die staatliche Erlaubnis, das Krankenmaterial des Spi-
tals, welches damals einen Belegraum von 40 Betten hatte, zu
klinischen Vorlesungen zu verwenden. Die niederösterreichische
Regierung und das Siudiendircctorat erklärten die Errichtung
einer öffentlichen Kinderklinik für zeituemäss und ein wahres
Bedürfnis, wie es in einem Act des Archivs des k. k. l'nter-
richtsministeriums heissl. Das Studiendirectorat übernahm die
Aufsicht über die von Mauthner geleitete Kinderklinik; aber
eine finanzielle Beihilfe für ihre Bedürfnisse wurde ihr nicht ge-
währt.
Im Jahre 18^0 wurden die Verhältnisse zwischen dem k. k.
Unterrichtsministerium und dem Kinderspitale dahin geordnet.
250 Medicinische Faculiät.
dass von den 50 Krankenbetten, welche es enthielt, eine Ab-
theilung von zwei Zimmern mit 20 Betten als klinische abge-
zweigt und für den klinischen Unterricht bestimmt wurde; ausser-
dem wurde dem Vorstande der Klinik das Recht zugestanden,
sich aus den anderen Krankenabtheilungen geeignete Fälle für
die Klinik auszuwählen.
Gleichzeitig wairde angeordnet, dass die kranken Kinder aus
dem Allgemeinen Krankenhause in das Kinderspital abgegeben
werden und dem letzteren ein 1 heil der Verpflegsgebüren zu-
komme, und für die durch den klinischen Unterricht verur-
sachten Mehrausgaben ein jährlicher Staatszuschuss von 2500 fl.
bewilligt.
Mauthner schrieb über die Erkrankungen des Gehirns und
Rückenmarkes bei Kindern u. a. m. und w-urde 1851 zum ausser-
ordentlichen Professor ernannt. Gleichzeitig wurde Elias Loe-
bisch zum Extraordinarius befördert. Er stand an der Spitze
der seit 1787 bestehenden, vom Staate subventionierten ärzt-
lichen Ordinalionsanstalt für arme Kinder, welche keiner Spital-
pflege bedürfen.
Mauthner starb 1858. An seine Stelle trat Franz Mayr,
welcher von 1846 ab das St. Josef-Kinderspital geleitet hatte.
Er veröffentlichte wertvolle Beobachtungen über hereditäre Sy-
philis und Hautkrankheiten bei Kindern und ist der Verfasser
der ausgezeichneten Abhandlungen über Masern und Scharlach
in Virchows Sammelwerke der allgemeinen medicinischen Pa-
thologie und Therapie; er erhielt ebenfalls den Rang eines ausser-
ordentlichen IVofessors, starb aber schon nach wenigen Jahren.
Ihm folgte sein klinischer Assistent H. Widerhofer, zuerst als
Extraordinarius, seit dem Jahre 1885 als ordentlicher Professor
für Kinderheilkunde, und damit begann der glänzende Auf-
schwung, den das St. Anna-Kinderspital und der klinische Unter-
richt in der Kinderheilkunde genommen hat.
In einer 35 jährigen Lehrthätigkeit hat Freiherr v. Widerhofer
eine grosse Anzahl Kinderärzte ausgebildet, welche in allen Theilen
der Monarchie eine segensreiche Wirksamkeit ausüben. Die Anstalt
verdankt seinen unermüdlichen Bemühungen bedeutende bauliche
Erweiterungen und Vergrösserungen, sowie die Errichtung zweier
Medicinische Facultät.
251
Pavillons für Diphtherie und Scharlach, deren Krankensale nach
den heutigen Anforderungen der Hygiene und Krankenpflege
eingerichtet und mit allen Apparaten der Krankenbehandlung
ausgestattet wurden.
Das ältere, allgemeine Spitalsgebäude enthält Krankensäle
und kleinere Zimmer zur Aufnahme von kranken Kindern, zu-
sammen 60 Betten. Dieselben sind eingctheilt in die medicini-
sche und in die chirurgische Abtheilung mit einem Operations-
saale; der letzteren steht Prof. Wcinlechner vor. Daneben
befindet sich ein Hörsaal, ein l.aboratorium und ein Museum
mit einer reichen Bildersammlung, mit Formalinpräparaten und
Moulagen. Im Parterre dieses Gebäudes sind die Warteräume
und Ordinationszimmer für die Ambulanten, ferner ein Masern-
zimmer, das für neun Kinder Platz bietet, eine Apotheke und
die Administrationsräumlichkeiten.
Der Diphtheriepavillon hat einen Belegraum von 34 Betten
in vier grossen Krankensälen und vier Isolierzimmern, ein
bakteriologisches Laboratorium, ein Bade- und Inhalationszimmer.
Der Scharlachpnvillon enthält zwei grosse Krankensäle, zwei
kleinere Krankenzimmer und zwei Isolierzimmer, in welchen
insgesammt 36 Kinder Platz linden, daneben ebenfalls ein Bade-
zimmer und ein Laboratorium.
ImGanzen werden jährlich ungefähr i 200— i50()krankcKindcr
aufgenommen und nahezu 3().0(^(3 ambulatorisch behandelt: den
letzteren werden Arzneien, \'erbände. oft auch die Nahrungs-
mittel unentueltlich uereichl. Die dafür erforderlichen beirächt-
liehen Geldmittel werden aus den Zinsen der Sliftungscapitalien
und durch freiwillige Spenden wohlthatiger Menschen bestritten.
Vom Staate wird ausser dem erwähnten kleinen Zuschüsse nur
der (lehall des Professors und Jie Hälfte des (lehalles eines
Assistenten uezahll.
Neben dem klinischen Assistenten stehen dem ^Professor
noch vier Secundarärzte mit einer wechselnden Anzahl von
Aspiranten als llilfsärzte zur Seile.
Die reiche llrfahrung. über welche Baron Widerhofer gebietet,
hat ihm einen niiissizebendeii bjnfluss unter seinen 1* achgenossen
gesichert und hauptsächlich da/u beigetragen, dass die grossen
252 Medicinische Kacultäi.
Errungenschaften der Kinderheilkunde, namentlich die Serum-
behandlung bei der Diphtherie, wissenschaftlich anerkannt
wurden.
Ausser ihm lehren Padiatrik die ausserordentlichen Profes-
soren Monti, Kassowitz und Frühwald, sowie die Privat-
docenten Eisenschitz, v. Hüttenbrennner, Foltanek und
Fronz.
XIV. Die Studien- und Prüfungsordnung. Kaiser Josef II.
unterzog den medicinischen Studienplan selbst der Durchsicht und
versah ihn mit manchen treffenden Bemerkungen. Im Archiv
des k. k. Unterrichtsministeriums liegt ein eigenhändiger Erlass
desselben, in welchem es heisst: «Dass die Lehre der Chirurgie,
aller Operationen und Bandagen in sechs Monaten soll hinlänglich
gegeben werden können, scheint mir nicht leicht möglich, und
überhaupt theile ich das medicinische Studium auf folgende Art
ein. Das erste Jahr Anatomie mit der Physiologie verbunden
dergestalt, dass, wie man z. B. eine Lunge in der Anatomie vor-
gezeigt, man auch zugleich deren Nothwendigkeit und Wirkung
in dem gesunden Körper anführe und so auch weiter bis auf
jeden Muskel im Leibe, wie er zur Bewegung dient. Dieses
Schuljahr müssten Medici und Chirurgi absolvieren; dem Pi^o-
fessori anatomiae et physiologiae müsste man die nöthigen pro-
sectores und was er gebraucht, zugeben, um sein Lehramt gut
zu verwalten. Zugleich würde im ersten Jahr für die Mediciner
Botanik und Chemie und für die Chirurgos Operationen, Ban-
dagen und Geburtshilfe gelehrt. Im zweiten Jahr müssten die
Wundärzte die chirurgische und medicinische Praxis und clini-
cam im Spital erlernen und im Spital auch die Geburtshilfe
prakticieren, und da wären sie fertig; die Medici aber müssten
die materiam medicam, Pathologie und alles, was zum gelehrten
Fach der Medicin gehört, hören, im dritten Jahr aber sich ganz
mit der praxis und clinica. auch Prakticierung im Spital abgeben.
Und auf diese Art würden in zwei Jahren für das Land geschickte
C^hirurgi und in drei Jahren Medici für die Stadt gebildet werden.
Nach diesem Sinne erwarte ich die weitere Ausarbeitung.»
Der Studienplan von 1 786 wich davon insoferne ab, als er
für die (Hasse der Arzte und höheren Wundärzte eine Studien-
MeJicinische Kacultät. 253
zeit von vier Jahren festsetzte und auch den niederen Landärzten
etwas mehr theoretischen Unterricht gewährte, ferner wairde die
Inauguraldissertation, welche die Doctoranden der Medicin vor-
legen mussten, abgeschafft und statt dessen die praktische Prüfung
am Krankenbett eingeführt.
Im Jahre 1804 wurde die Studienzeit für die Studierenden
der Medicin und höheren Chirurgie auf fünf Jahre verlängert.
Gleichzeitig wurde die Vorschrift erneuert, dass kein Inländer
zum Studium der Heilkunde zugelassen wurde, wenn er nicht den
dreijährigen philosophischen Cursus an der Universität besucht
hatte. Ausserdem wurde die Einrichtung getroffen, dass die
Studierenden am Schluss des Semesters Prüfungen über die
Gegenstände, die sie im Verlaufe desselben gehört hatten, ablegen
mussten, von deren F>gebnis ihr Übertritt in das nächste Semester
abhängig gemacht wurde.
Der Studienplan vom Jahre 1810 empfahl den Studierenden
der höheren Kategorie, im ersten Jahre die Einleitung in das medi-
cinisch-chirurgische Studium und Naturgeschichte, Botanik und
systematische Anatomie, im zweiten höhere Anatomie und Phy-
siologie, (Chemie und Pharmacie. im dritten allgemeine Pathologie
und Therapie, Ätiologie, Scmiotik, Matcria medica et c/ürurgica,
Diätetik, Receptierkunst. Geburtshilfe, allgemeine und specielle
Chirurgie, die Lehre von den chirurgischen Verbänden und In-
strumenten und Augenheilkunde zu hören, während des vierten
und fünften Jahres die Vorlesungen über specielle Pathologie und
Therapie der inneren Krankheiten und die Kliniken zu besuchen
und den Vorträgen über Veterinärmedicin, gerichtliche Medicin
und Sanitätspolizei beizuwohnen. Der niedere (Kursus umlasste
im ersten Jahre die Einleitung in das chirurgische Studium,
theoretische (Chirurgie, Anatomie, Physiologie, allgemeine Patho-
logie und l'herapie, Matcria f?wJicü ei chirurgica. Diätetik,
Receptirkunst und Bandagenlehre, und im zweiten den Besuch
der medicinischen und chirurgischen Klinik, chirurgische Ope-
rationslehre, gerichtliche Medicin, (Jeburtshilfe und Thierarznei-
kunde. Der Besuch der Kliniken für Augenheilkunde und (Jeburts-
hilfe war nur für diejenigen obligat, welche die Berechtigung
zur Praxis in diesen Fächern anstrebten.
254
Meilicinischc FacuUät.
Wer sich um das Doctorat der Medicin bewarb, musste
zunächst zwei Krankengeschichten verfassen und den Professoren
zur Beurtheilung vorlegen, sich hierauf einer Prüfung aus den
genannten Unterrichtsgegenstanden unterwerfen und endlich eine
Inauguraldissertation, die wiederum eingeführt wurde, schreiben
und Thesen vertheidigen. Bei der Prüfung zum Doctorat der
Chirurgie traten an die Stelle der internen Medicin die Chirur-
gie und die ihr verwandten Fächer; ferner wurde die Ausfüh-
rung von zwei chirurgischen oder ophthalmiatrischen Operationen
an der Leiche verlangt, (jeringere Anforderungen wurden an
diejenigen gestellt, die sich mit dem Grade eines iMagisters der
Chirurgie begnügten. Wenn Doctoren der Medicin das Doctorat
der (Chirurgie erwerben wollten oder umgekehrt, so mussten
sie eine Ergänzungsprüfung ablegen, welche diejenigen Gegen-
stände umfasste, die in der früheren IVüfung nicht berücksich-
tigt worden waren. Das Diplom eines Augenarztes sollte nur
an solche Bewerber verliehen werden, welche die medicinischen
oder chirurgischen Studien absolviert hatten. Den Zahnärzten
wurde aufgetragen, den zweijährigen Cursus der Landärzte zu
besuchen.
Durch die Studienordnung von i833 wurde die Studienzeit
für die letzteren auf drei Jahre verlängert. Ausserdem wurde
der Augenheilkunde ein grösserer Raum im Lehrplan und bei
den l^rüfungen gewährt.
Diese Vorschriften behielten im Wesentlichen ihre Geltung bis
zur Kigorosenordnung vom Jahre 1872, welche noch jetzt besteht.
Dadurch wurden die gesonderten Diplome für Medicin, Chirur-
gie, Augenheilkunde und (leburtshilfe beseitigt und statt dessen
das Doctorat der gesammten Heilkunde eingeführt. Die dafür
erforderliche Prüfung scheidet sich in drei Abtheilungen, von
denen die erste frühestens nach den beiden ersten Studienjahren,
die zweite und dritte nach dem fünften Studienjahre abgelegt
wird. Jedes dieser drei Rigorosen besteht aus mehreren prak-
tischen I^^inzelprüfungen und einer theoretischen Gesammtprüfung.
Dem ersten Rigorosum gehen die Prüfungen über Mineralogie,
Botanik und Zoologie voraus; es umfasst Physik, (-hemie, Ana-
tomie und Phvsioloi'ie mit Histologie. Das zweite Rigorosum
Mcdicinischc Facultäi.
255
handelt über allgemeine und experimentelle Pathologie, patho-
logische Anatomie, Arzneimittellehre und interne Medicin, das
dritte über Chirurgie, Augenheilkunde, Geburtshilfe und gericht-
liche Medicin. Bei der Zulassung zu diesen Prüfungen müssen
die Studierenden den Nachweis liefern, dass sie zwei Semester
an den anatomischen Secierübungen theilgenommen, durch je
vier Semester die interne und die chirurgische Klinik und je
ein Semester die Augenklinik und die geburtshilfliche Klinik
besucht haben. Für die wichtigen Fächer der internen Medicin
und Chirurgie werden je zwei Examinatoren bestellt; ferner wurde
bestimmt, dass den arztlichen Prüfungen ein Vertreter der Re-
gierung beiwohnt. Gleichzeitig hörte die Hinrichtung auf, dass
auch das medicinische Doctoren-Collegium bei den Prüfungen
vertreten war. Damit gieng der letzte Rest von EinHuss, den
die ärztliche Zunft bis dahin auf die Erziehung der Ärzte aus-
geübt hatte, auf den Staat über.
Die Rigorosenordnung vom Jahre 1872 bietet den Studie-
renden den Vortheil, dass sie einen l'heil der IVüfungen schon
wahrend der Studienzeit ablegen können; aber sie führt häufig
dazu, dass sie den Besuch der Vorlesungen versäumen, um sich
für diese I^rüfungen vorzubereiten. Auf die praktische Ausbil-
dung in den klinischen Spccialfächern, deren Bedeutung im Ver-
laufe der Zeit gewachsen ist, wurde gar keine Rücksicht ge-
nommen; allerdings suchte man später diesem l beistände abzu-
helfen, indem X'ertretern dieser Disciplinen die Stellen von Co-
examinatoren für interne Medicin oder (Chirurgie übertragen
werden. Endlich scheint die klinische Anleitung nicht eine aus-
reichende X'orbereitung für die l'hätigkeit des Arztes zu sein,
zumal die Studienzeil durch das halbe Jahr, das die Mediciner
seit 1889 während derselben mit der Walle beim Militär dienen
müssen, unterbrochen und ueschmälert wird.
Zur Re^elunu dieser Fragen wurde iH()^ vom Interrichts-
minister Freiherrn v. (iautsch eine Enquete von Sachverstän-
digen, höheren Sanitätsbeamten und X'ertretern der Ärztekammern
veranstaltet, deren Beschlüsse im Wesentlichen darauf hinaus-
liefen, dass der Interricht in den beschreibenden Naturwissen-
schaften einueschraiikt wird, damit dadurch die für die eigentliche
'D'
2c6 Medicinische Facultät.
ärztliche Ausbildung erforderliche Zeit nicht beeinträchtigt wird,
dass Sorge getragen wird, dass die Studierenden die für ihren
Beruf nothwendigen Kenntnisse in den Specialfächern der prak-
tischen Heilkunde, z. B. Psychiatrie, Kinderheilkunde, Dermato-
logie und Syphilidologie, Laryngologie, Otologie und Zahnheil-
kunde erwerben, und dass sie nach ihrer Promotion an einem
Krankenhause Gelegenheit erhalten, sich in der praktischen Aus-
übung der Heilkunde weiter auszubilden und zu vervollkommnen.
Diese Beschlüwsse haben bis jetzt noch keine Gesetzeskraft erhalten.
Anhang. Die allgemeine Poliklinik. Zu Ende des Jahres 1871
vereinigten sich 12 Docenten der medicinischen Facultät zu
dem Zweck, armen ambulanten Kranken unentgeltlich ärztlichen
Rath und Hilfe zu ertheilen. Sie wurden zu diesem Entschluss
dadurch veranlasst, dass sie weder im Allgemeinen Krankenhause
noch an anderen Orten Gelegenheit erhielten, ihre Lehrthätigkeit
auszuüben. Durch die Gründung einer ärztlichen Ordinations-
anstalt hofften sie, nicht bloss der armen Bevölkerung Wiens
eine Wohlthat zu erweisen, sondern zugleich das für den kli-
nischen Unterricht erforderliche Krankenmaterial zu gewinnen.
Die Gründer dieser Poliklinik waren der Dermatologe
Auspitz, welcher 1884 als Nachfolger Zeissls zum Primararzt
des Allgemeinen Krankenhauses ernannt wurde, die Internisten
Joh. Schnitzler, E. Rollett und Oser, der Chirurg J. Neu-
dörfer, die Augenärzte A. v. Reuss und Hock, der Gynä-
kologe Karl Rokitansky, später Professor der Geburtshilfe in
Graz, der Kinderarzt L. Fleischmann, der Specialist für Er-
krankungen der Harnorgane Ultzmann, der Elektrotherapeut
Schwanda und der Hydrotherapeut W. Winternitz. Dazu
kamen im Verlaufe des ersten Jahres der Pädiater Monti, der
Ohrenarzt Urbantschitsch und der Psychiater Leidesdorf,
und in den folgenden Jahren die Nervenärzte M. Benedikt und
Rosenthal, die Internisten J. Breuer, Bettelheim, Stoffella
d' Alta Rupe, v. Basch, M. Herz und Mannaberg, die Augen-
ärzte L. Mauthner und S. Klein, die Chirurgen Hofmokl,
Medicio ischc Facultät.
257
Mikulicz, später Professor in Krakau, nachher in Königsberg
und jetzt in Breslau, Nedopil, A. v. Frisch, Wölfler, spater
Professor in Graz und gegenwärtig an der deutschen Universität
in Prag, May dl, jetzt Professor an der böhmischen Hoch-
schule in Prag, V. v. Hacker, jetzt Professor in Innsbruck,
Hochenegg, J. Schnitzler und A. Fränkcl, die Frauenärzte
Bandl, der kurze Zeit hindurch eine Lehrkanzel in Prag inne-
hatte, Lott und Pawlik, jetzt Professor an der böhmischen
Universität zu Prag, die Kinderärzte Fürth und Frühwald,
die Dermatologen Jarisch, später Professor in Innsbruck und
jetzt in Graz, H. v. Hebra, die Syphilidologen (irünfeld und
Rille, jetzt Professor in Innsbruck, der mcdicinischc (Chemiker
Julius Mauthner, der Bakteriologe R. Paltauf, der Prosector
Kolisko, der Laryngologe (). Chiari und der Zahnarzt v. Mct-
nitz. Sie wirken als Vorstände der verschiedenen Abtheilungen
der Krankheiten und ertheilen darin zugleich praktischen Unter-
richt, soweit sie nicht inzwischen in einen anderen Wirkungs-
kreis übergetreten oder durch Tod ausgeschieden sind.
Nach den Statuten der Poliklinik muss Jeder, welcher die
Leitung einer Abtheilung übernimmt, dem Lehrkörper der medi-
cinischen P^icultät angehören. Die Krlaubnis. seine X'orlesungen
und C^urse in den Räumen der I\)liklinik abzuhalten, wird ihm
auf sein Ansuchen vom k. k. Unterrichtsministerium gewahrt.
Die Docenten der l^oliklinik bilden jedoch dem letzteren gegen-
über keineswegs eine geschlossene Körperschaft, auch nicht im
Rahmen der Facultät, sondern jeder Kinzelne steht im directen
Subordinationsverhältnis zum medicinischen Professorencolle-
gium. Ihre gemeinsamen Berathungen betrelfen lediglich die \'er-
waltung und den Unterrichtsbetrieb der Poliklinik. Zur Leitung
der Anstalt und deren Vertretunu nach aussen wählen sie aus
ihrer Mitte alljährlich einen Director inid zwei Stellvertreter
desselben, welche der Bestätigung der Statthalterei bedürfen.
Ist die Stelle eines Abtheilungsvorstandes erledigt, so wird sie
durch C-ooptation \'^m den übrigen besetzt: Joch muss die.se
Wahl ebenfalls von der Statthalterei genehmigt werden. Im
Übrigen nehmen die Behtirden keinen Linfluvs auf die Ver-
waltuui; der Anstalt.
(.jcNcliulitc Ji>.r NNiciier Uiii\cr^it.it. 18
258 Medicinische Facultät.
Die Kranken werden hier unentgeltlich behandelt und er-
halten in vielen Fällen auch Medicamente, Verbandstoffe u. dgl.;
ebenso werden auch die Operationen ohne Bezahlung ausgeführt.
Nur selten werden Patienten in ihren Wohnungen besucht. Die
Arzte erhalten keine Besoldung, sondern tragen sogar noch aus
ihren Mitteln zur Erhaltung der Anstalt bei. Da der Zufluss
von Kranken bestandig zunahm und sich das Bedürfnis heraus-
stellte, schwere Kranke, namentlich solche, welche operiert werden
mussten, einige Zeit in der Anstdt zurückzubehalten, so wurde
1886 eine stationäre Krankenabtheilung errichtet. Sie umfasstc
nur vier Zimmer mit 12 Betten, genügte aber dem angestrebten
Zweck.
Schon längst hatte man den Plan ins Auge gefasst, ein
eigenes Heim für die Poliklinik, die sich in gemieteten Locali-
täten befand, zu schaffen, aber erst 1892 wurde dies durch die
Wohhhätigkeit reicher Spender ermöglicht. Es wurde ein grosser
Bauplatz in der Mariannengasse, also in der Nähe des Allgemeinen
Krankenhauses, erworben und darauf ein dreistöckiges Gebäude
aufgeführt, welches 10 Hörsäle mit den dazu gehörigen Neben-
räumen für die Untersuchung und Behandlung der Kranken,
Laboratorien für medicinische Chemie und Bakteriologie, Apo-
theke, Bibliothek, Prosectur, Sitzungssaal und Kanzleien enthält.
Hier befinden sich auch die vom Professor Winternitz aus eigenen
Mitteln errichtete Abtheilung für Hydrotherapie, sowie ein Saal
für Orthopädie, zwei Inhalatorien, sowie ein Isolierraum für Infec-
tionskranke.
Mit dieser Anstalt steht das in den rückwärts gelegenen
Seitenflügeln befindliche Spital im organischen Zusammenhange,
welches 52 Betten für Erwachsene und 38 für Kinder enthält,
aber durch Zubauten leicht auf den doppelten Belegraum er-
weitert werden kann. Die Kranken, welche hier aufgenommen
werden, werden theils unentgeltlich, theils gegen eine massige
Bezahlung verpflegt und behandelt. Die Kosten der Erhaltung
des wSpitals ebenso wie die sehr bedeutenden Summen, welche
die ambulatorische Behandlung der Poliklinik in Anspruch nimmt,
werden durch private Wohlthätigkeit aufgebracht. Zu diesem
Zwecke iiat sich ein Verein gebildet, dessen Protector Se. kai-
Medicinische Facultlt. 2 59
serliche Hoheit Herr Erzherzog Rainer ist. Dem Curatorium
desselben gehören angesehene Männer der Stadt an; es beräth
über die finanziellen und ökonomischen Angelegenheiten der
Anstalt.
Die Zahl der Krankenabtheilungen ist von 12 auf 19 ge-
stiegen, da sich im Fortschreiten der Wissenschaft mehr und
mehr das Bedürfnis zu grösserer Specialisierung geltend machte.
Gegenwärtig bestehen besondere Abtheilungen für Krankheiten
des Kreislaufsystems (Prof. v. Basch), des Nervensystems (Prof.
M. Benedikt), des Magens und Darms (Prof. Oser), der Brust-
organe (Prof. V. Stoffella), für Hydrotherapie (Prof. Winter-
nitz), für klinische Bakteriologie (Privatdocent Mannaberg),
für Kinderkrankheiten (Prof. Monti und Frühwald), für Laryn-
gologie (Prof. O. Chiari), für Ohrenkrankheiten (Prof. Urban-
tschitsch), für Augenkrankheiten (Prof. v. Reuss und Privat-
docent Klein), für Chirurgie (Prof. Hochenegg und Privatdocent
Fraenkel), für Gynäkologie (Prof. Lott), für Krankheiten der
Harnorgane (Prof. A. v. Frisch), der Haut und (ieschlechts-
organe (Privatdocent Grünfeld) und der Zahnheilkunde (v.
Metnitz).
Die Zahl der ambulanten Kranken, welche hier Hilfe suchen,
ist von ungefähr 12.000 im Jahre 1872 bis auf 56.000 im
Jahre 1897 gestiegen. Die Hörer, welche die klinischen ("urse
besuchen, sind in der Mehrzahl fertige Arzte, zum grossen Thcile
Auslander, die hier den Übergang vom Studium in die Praxis
suchen oder sich in einzelnen Specialfächern der Heilkunde ver-
vollkommnen wollen.
Der Unterricht in der Poliklinik bildet eine nützliche und
nothwendige Ergänzung zu der klinischen Unterweisung, welche
in den vom Staate erhaltenen Lehranstalten ertheilt wird; er
setzt die in den letzteren erworbenen Kenntnisse voraus und legt
das Hauptgewicht auf die praktische Bcthätigung derselben. Zu
gleicher Zeit verschafft er vielen Docenten das erforderliche Lehr-
material und trägt dadurch zur Ausgestaltung des ärztlichen
Unterrichtes an der Wiener Universität bei. Das Allgemeine
Krankenhaus wird durch die*Poliklinik von Lehrenden und Ler-
nenden cinigermassen entlastet und den Armen, wenn sie er-
26o Mcdicinischc Facultät.
kranken, eine vortreffliche arztliche Hilfe geboten, ohne dass sie
genöthigt werden, in den überfüllten Spitalern Aufnahme zu
suchen.
Das Josefinum. Neben der medicinischen Facultät bestand
bis zum Jahre 1873 eine zweite arztliche Schule in Wien, näm-
lich die vom Kaiser Josef IL gegründete Anstalt zur Erziehung
von Militärärzten. Sie wurde 1848 aufgehoben, aber schon
1851 wieder eröffnet, und zwar zunächst als Lehrcursus für die
niederen Wundärzte.
Im Jahre 1854 trat dazu der höhere Lehrcursus, welcher
der medicinischen Facultät der Universität in ihren wissenschaft-
lichen Vorbedingungen, in der Dauer der Studienzeit, den Prü-
fungsvorschriften und Rechten vollständig gleichstand. Das
Josefinum war mit Lehrinstituten und Unterrichtsmitteln reich
ausgestattet und besass Lehrkräfte, wie sie nur wenigen medicini-
schen Facultäten zugebote stehen.
Unterricht ertheilten der Anatom K. Langer, der patho-
logische Anatom J. Kngel, ein ehemaliger Assistent Rokitanskys,
die Physiologen Karl Ludwig, später Vertreter dieser Wissen-
schaft in Leipzig, und E. Hering, der dann in Prag und jetzt
in Leipzig als Lehrer wirkt, der (Chemiker F. C. Schneider,
welcher von 1876 — 1883 an der Spitze der cisleithanischen
Sanitätsverwaltung stand, der Pharmacognost Bernatzik, der
Kliniker für interne Krankheiten Ad. Duchek, nachher Skodas
Nachfolger an der medicinischen Facultät, der (Chirurg v. Pitha,
der Ophthalmologe Stellwag v. (>arion, die Geburtshelfer Joh.
Chiari, J. Späth und nachher G. Braun, ferner A. Reder,
welcher die Lehrkanzel für Dermatologie und Syphilis inne-
hatte, (>. Böhm, später Director des Rudolfsspitals und dann
des Allgemeinen Krankenhauses in Wien, J. Podratzky, wel-
cher als (Generalstabsarzt der Armee starb, der ältere Chvostek,
Chimani u. a.
Welche Lchrcrfolge die Schule erzielte, zeigt die Thatsache,
dass ans ihr eine Reihe von Männern hervorgieng, welche gegen-
wärtig als Professoren der medicinischen Facultät zu Wien und
Mcdicinische Facultät. 26 I
in leitenden Stellungen des Sanitatswesens thiitig sind. Im
Jahre 1870 wurde das Josefinum abermals aufgehoben und in
den folgenden Jahren aufgelöst.
Man wurde dazu durch die Hotthung verleitet, dass die
Armee nach der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht so
reichlich mit Ärzten versorgt werden würde, dass eine besondere
Bildungsanstalt für Militärarzte nicht mehr noth wendig sei; eine
Erwartung, die sich nicht erfüllte.
* *
Schluss. Der Unterricht an der medicinischen Facultät
hat sich in den letzten 50 Jahren in ungeahnter Weise ent-
wickelt und specialisiert. Während derselbe im Jahre 1848 in
den Händen von 12 ordentlichen und 4 ausserordentlichen Pro-
fessoren lag, denen kaum mehr als 10 Privatdoccnten zur Seite
standen, besteht der Lehrkörper heute aus 26 Ordinarien,
37 Extraordinarien, 10 'l'itularprofessoren und 82 l^rivatdocen-
ten. Auch die wissenschaftlichen Anstalten und Lehrmittel sind
bedeutend vermehrt worden. Aus den 12 Krankenbetten, welche
dem klinischen Interrichte bei der Eröffnung des Allgemeinen
Krankenhauses im Jahre 1784 gewidmet wurden, sind im Ver-
laufe der Zeit mehr als 800 geworden. Dazu kommt, dass jetzt
auch die übrigen Abtheilungen des letzteren, wenigstens theil-
weise. zum Unterricht verwendet werden, da nahezu siimmtliche
l^rimar- und ordinierenden Ar/te zugleich dem Lehrki'irper an-
gehören.
Auch an <\cn übriuen Heilanstalten Wiens sind viele Dc^cenlen
als leitende Arzte an^estellt. welche dadurch in die Laue vernetzt
werden, lehrreiche Krankheitsfälle für den Unterricht zu beniitzen.
Leider sind die den klinischen ln->tituten /ugewieseiien
Jahresdotationen sehr karu bemessen und uenüuen. selbst wenn
sie durch ausserordentliche Zuschüsse vermehrt werden, nicht
immer zur Erhaltung der klinischen Ambulatorien, so dass die
(iefahr vorhanden ist. dass die Zahl der hiltesuchenden Kranken
abninnnt. /um Schaden der medicinischen Schule und der armen
Bevölkerunu Wiens.
26l? Medicinische Faculiät.
Die Sanitätsverwaltung war eifrig bemüht, die Entdeckungen
in der Bakteriologie und die Fortschritte in der Hygiene für
die Verbesserung des Gesundheitszustandes der Bevölkerung zu
verwerthen. Sie hatte dabei die Genugthuung, dass manche ihrer
Massregeln von anderen Staaten angenommen wurden. So
gelangte das System der Cholcraabwehr, welches seit 1884
in Österreich geübt wird, bei der internationalen Sanitätsconferenz
in Dresden im Jahre 1893 zur allgemeinen Geltung.
Am deutlichsten traten die Vortheile, welche eine geordnete
Sanitatspfiege für den Staat hat, in der Abnahme der Erkran-
kungen und in der Herabsetzung ihrer Mortalitätsziffer hervor.
Die Infectionskrankheiten wurden seltener. Die Blattern erloschen
dank der Vaccination und Revaccination in Wien nahezu gänzlich
und kamen nur noch zur Beobachtung, wenn sie von auswärts
eingeschleppt wurden. Der Typhus wurde durch die Einführung
des Hüchquellenwassers in Wien beträchtlich verringert; während
vorher etwa 1 700 Typhusfälle im allgemeinen Krankenhause
jährlich aufgenommen wurden, sank diese Zahl nachher auf
kaum 200. Die Diphtherie, der Würgengel der Kinder, wurde
durch die Heilscrumtherapie in erfolgreicher Weise bekämpft,
ihr Verlauf gemildert und ihre Mortalität verringert.
Das sind Siege, welche über die gefährlichsten Feinde des
Menschengeschlechtes errungen wurden. Sie berechtigen zu der
Hoffnung, dass es der Zukunft gelingen wird, das Mass der
menschlichen Leiden noch mehr zu vermindern; aber sie sind
zugleich eine .Mahnung für die Staatsregierung wie für das
Volk, auf dem Gebiete der öffentlichen Gesundheitspflege nicht
zu erlahmen und im Interesse der menschlichen Wohlfahrt dafür
alle nothwendigen Opfer zu bringen.
PHILOSOPHISCHE FACULTÄT.
Wie schon in dem all{,'emeincn Theilc
dieser Schrift ausgeführt ist, war durch die
Refnrmalio iiot'a vom Jahre t554 die philo-
sophische Facultät. wenn sie auch die Stellung
und die Rechte einer Facultiit behielt, thatsäch-
lich zu einer Vorschule für die anderen, so-
genannten «oberen > Facultiiten herabgedrückt
worden. Auch die theresianische Studiemird-
nung änderte hierin nichts. Die philosophische
Kaculiiit bildete in drei, spater in zwei .lahren
die t'bergangsstufe von dem ursprünglich fünf-.
spiiter sechsclassigen (iyninasiuni /-U den eigent-
lichen Kachstudien. Mit dem (iymnasium. wenn
auch nicht üusseilich. so doch durch den I.ehr-
plan verbunden, war sie ein l.yceum. und solche
l.vceeii waren auch nach .\Iassgabc des Be-
dürfnisses in anderen Städten, wn keine ("ni-
versität bestand, errichtet.
Poch konnten die XOrlesungcn am l-yceuni. die. was die
Lehrgegenstande und das l.ehr/iel anbetrillt, auf dasNnlhwcndigsle
beschrankt waren, allein nicht genügen, mid /war um so weniger.
je mehr sich die Wissenschaften entfalteten und die rnmüglich-
keit. ?.ich von der gcsamniten gei^tigen I-Jitwicklmig ab/uschiies.scn.
/ulage trat.
Man bedurfte Lehrer für die (iymnasien und die Lniver-
sitütcn. für welche eine höhere .\usbitdung ein unabweislichcs
264 Philosophische Facultät.
Bedürfnis war. Namentlich galt dies von den Naturwissen-
schaften, die sich in ihrer raschen und machtigen Entfaltung
nicht mehr durch ein starres System eindämmen Hessen,
zumal sie in den neu erstehenden technischen Schulen in
ausgedehntem Masse betrieben wurden. So wurden denn
an der Facultät neben den Collegien am Lyceum immer mehr
freie Vorlesungen für Vorgerücktere eingerichtet, die theils von
Professoren des Lyceums, theils von eigens hiezu bestellten
Professoren oder Docenten abgehalten wurden. Und da die
Wissenschaft immer mehr in weitere Kreise drang und auch bei
solchen, die sich nicht dem Lehrberufe widmeten, das Ver-
langen rege wurde, sich wenigstens mit den Ergebnissen der-
selben bekanntzumachen, wurden populäre Vorlesungen zuerst
über Mechanik, dann über Ph\sik an Sonntagen veranstaltet,
welche Hünrichtung sich bis zum Jahre 1864 erhielt.
Die philosophischen Jahrgänge seit der Einführung des
sechsclassigen Gymnasiums im Jahre 1824 auf zwei beschränkt,
hiengen, wie schon bemerkt, was den Lehrplan betrifft, mit dem
Gymnasium zusammen. Der Unterricht in der Religion wurde
in ihnen fortgesetzt und die gleiche Theilnahme an den vor-
geschriebenen religiösen Übungen gefordert. Den Unterschied
bildeten die Semestralprüfungep und eine etwas weniger strenge
Disciplin, die aber doch sich nicht weit von jener am Gymna-
sium entfernte. Die Gegenstände des ersten Jahrganges waren:
Religion (2 Stunden wöchentlich), theoretische Philosophie
(5 St.), reine Elementarmathematik (8 St.), lateinische Philologie,
neben der das (jriechische in minimaler Weise berücksichtigt
wurde (2 St.); des zweiten: Religion (2 St.), Moralphilosophie
(3 St.), Physik (8 St.). lateinische Philologie in gleicher Weise
wie im ersten Jahrgange.
Was die freien Vorlesungen betrifft, findet man in dem
Verzeichnisse von 1848 folgende angeführt: Geschichte der
l^hilosophie (2 St.) las Peithner v. Lichtenfels, der auch
Philosophie am Lyceum lehrte; Erziehungskunde (2 St.)
Küster, der Religion am Lyceum vortrug; höhere Mathe-
matik in zwei Jahrgängen (3 und 2 St.) Petzval; wissen-
schaftliche Astronomie 12 St.) v. Littrow, populäre Astro-
]*hilos()phische Facultät. 20^
nomic (2 St.) Adjunct Schaub; höhere Physik (3 St.) und
über die neuesten Fortschritte der Physik (2 St.), populäre
Physik (an Sonntagen i St.) v. Ettingshausen, wahrend die
Vorlesungen am Lyceum Hessler als Supplent besorgte; Welt-
geschichte (5 St.) Kaiser, der auch am l.yceum die Geschichte
vertrat; sonderbar muthet uns die Bestimmung an, wornach Welt-
geschichte und Naturgeschichte für Stipendisten und vom Unter-
richtsgelde Befreite obligat, den anderen aber nur besonders an-
empfohlen war; österreichische Staatengeschichte (3 St.),
Diplomatik und Heraldik (2 St.) Kaiser; Numismatik (2 St.)
Prof. Arneth; classische Literatur (4 St.), griechische Philo-
logie (2 St.) Picken der am Lyceum lateinische Philologie
lehrte; Ästhetik und Kunstgeschichte (5 St.) P'icker (und zwar
so, dass diese Vorlesungen mit den früher genannten über clas-
sische Literatur und griechische l^hilologie jahrlich wechselten ^
deutsche Sprachwissenschaft (5 St. Wintersemester), deut-
sche Stylistik (5 St. Sommersemester), deutsche Literatur (je
3 St.), altdeutsche Philologie (4 St.) Docent Suttner; Methode
der F>dkunde (2 Si. im ersten Semester). (Jeschichte der schönen
Literatur und Kunst (2 St. im zweiten Semester) Docent
Schmidl; Theorie und (ieschichte der bildenden Künste
(2 St.) Docent Kitelberger v. Kdclberg; allgemeine Natur-
geschichte (4 St.» Prof. Friese: Landwirtschaftslehre «4 St.)
Prof. Stecker, 1S54 aufgelassen: ('ameralwarenkunde und
Staats wirtschaftschemie «4 St.) Prof. v. Ilnlger 1 diese Vortrage
hörten schon 1S48 auf): organische ('hemie 12 St.» Prof.
Schrötter: Krystallographie «2 St. Wintersemester) Docent
Botzenhart.')
(ielehrt wurden noch italienische Sprache d^rof. Fornasari-
Verce». böhmische Sprache jLehrer ilromatko». ungarische
Sprache 1 Lehrer Hemelc). französische Sprache »Lehrer Legat»,
englische Sprache tl-chrer (llairmont>. neugriechische Sprache
M I)io N'orIcNunucn iihcr Kr/ichuni:>kunJc warv'n obligat tür SiikÜerenJe der
Thcolonic iin»i I-aiiJbcanilc, kÜc iilor Kr/ichuni»skui)ilc, v:la>>iss:lK' l.ilcralur unJ
uricv-hischc l*hil<»l()i:ic Iiir C.'anJuiaion »Ics Lehramtes an (iviiinavicn. die ül»er <Aimcral-
warenkuiiilc tiir Aspiranten lies CivIällsJienslcs unil licr l^iuhhaltun*:.
206 Philosophische Facultät.
(Lehrer Russiades), chinesische, türkische (arabische) und
persische Sprache (Docent Pfizmaier), Sanskritsprache (Docent
Boller).
Einige Fächer, die jetzt der philosophischen Facultät ange-
hören, wurden damals an der medicinischen Facultät als Vor-
bereitungswissenschaftcn der Medicin gelehrt: Mineralogie und
Zoologie (von Fischer), Botanik (von Endlicher), allgemeine
Chemie (von Pleischl). Diese Fächer wurden bei dem ersten
medicinischen Rigorosum geprüft. Die pharmaceutischen Studien
waren mit der medicinischen Facultät verbunden. Dieser Ein-
richtung entsprach auch, dass der botanische Garten, das chemi-
sche Laboratorium und das Museum für specielle Natur-
geschichte dieser Facultät angehörten, an welcher auch ein
Museum für reine und vergleichende Anatomie bestand.
Eigenthümlich berührt es uns, wenn wir in dem Verzeich-
nisse die approbier^ten Lehrbücher angegeben finden, nach welchen
vorgetragen wurde, darunter solche recht alten Datums. Nur
selten wird erwähnt, dass sich der Vortragende eigener Hefte
bedienen werde.
Von Instituten und Sammlungen bestand das physikalische
Museum, das am besten ausgestattet war, die Sternwarte in
einer sehr massigen Ausrüstung, die landwirtschaftliche Samm-
lung und eine für Cameral Warenkunde; diese letzteren waren
höchst bescheiden.
Die beiden Jahrgänge des Lyceums waren im Universitäts-
gebäude recht schlecht untergebracht. Die immer mehr wachsende
Zahl der Hörer machte die 1'heilung der Jahrgänge nothwendig
und beeinträchtigte den Unterricht in der empfindlichsten Weise.
Aus der obigen Aufzählung erhellt, dass für Mathematik
und Naturwissenschaften in der letzten Zeit erheblich mehr ge-
schehen war als für die anderen Disciplinen.
In diesen Gebieten hatte sich in Wien ein wissenschaftliches
Leben in einem gewissen Grade entwickelt. Mächtig wirkte die
Begünstigung der naturgeschichtlichen und technischen Fächer
durch die Vorfahren des jetzt regierenden Kaisers, von denen
Maria Theresia den botanischen Garten schuf, Kaiser Franz die
Hofsammlungen als wissenschaftliche Anstalten einrichtete, eine
Philosophische Facuhät. 207
naturwissenschaftliche Expedition nach Brasilien veranstaltete, das
Polytechnicum begründete. Als der Physiker Baum gar tner an
der Universität wirkte, waren mehrere naturwissenschaftliche
Fächer durch bedeutende Männer, wie Baumgartner, v. Ettings-
hausen, J. v. Littrow, J. v. Jacquin, Mohs, später durch
Endlicher, Petzval vertreten. Ausserhalb der Universität
wirkte Haidinger besonders anregend auf den Fortschritt der
Naturforschung. Am Beginne unseres Zeitraumes waren aber
mehrere der naturwissenschaftlichen Fächer minder gut besetzt.
Noch schwächer war es mit den anderen Disciplinen bestellt.
Nach seinem Eintritte in das Ministerium (April 1848) schrieb
Exner: «Manche Wissenschaften sind bei uns gänzlich einge-
gangen, wie die classische Philologie, andere, die anderwärts
schon mächtige Stämme sind, sind bei uns nur noch keimende
Pflänzchen, so die Sanskritliteratur.»
Der erste Schritt zur Neugestaltung der Facultät geschah
durch den Erlass des neubegründeten rnterrichtsministeriums
vom 10. Mai 1848, wornach die beiden philosophischen Jahr-
gänge zu dem nun achtclassigen Gymnasium geschlagen wurden.
Der Juli brachte die Aufhebung des Verbotes hinsichtlich des
Studiums an ausländischen Universitäten. Für die Hörer der
philosophischen Facultät genügte es, ein Jahr an einer österreichi-
schen Universität studiert zu haben.
Im December wurde auch die Aufhebung der bisher be-
standenen (-oncursprüfungen bei Besetzung einer Professur an-
geordnet. Doch eine eigentliche Thätigkeit konnte die neue Hin-
richtung infolge der Unruhen der Jahre 1848 und 18411 nicht
entfalten; erst mit Miir/ 1849 begannen wieder die Vorlesungen.
Da die Universität ihr Heim verloren hatte, wurden die Vor-
lesungen der philosophischen Facultät im Theresianum abge-
halten, mit Ausnahme der naturhistorischen, denen die Räume,
die sie früher im akademischen (lymnasium innegehabt hatten,
verblieben.
Nachdem unter dem Ministerium Ihun «seit 28. Juli 1849)
das (lesetz über die Organisation der akademischen Behörden
am 3o. September und die neue Studienordnung tür die drei
weltlichen Faculläten am i3. ( )clober veröllentlichl worden waren.
268 Philosophische Faculiät.
wurden mit F>lnss vom i6. November die Professuren der
('hemie und Naturj^eschichte von der medicinischen an die philo-
sophische Facultat übertragen. Durch diese Verfügung vermehrte
sich die PYequenz der F'acultat um ein bedeutendes, da nun die
Studierenden der Medicin die Vorlesungen über diese Fächer
daselbst zu hören hatten und auch die Pharmacouten hinsicht-
lich dieser Lehrgegenstande von jetzt ab hieher gewiesen
wairden.
Eine wichtige Neuerung war auch die Begründung von
Seminarien und Instituten zur Heranbildung von Lehrern für
die Mittelschulen und überhaupt zu weiterer wissenschaftlicher
Forschung für alle, welche ein eingehendes Studium pflegen
wollten. Diese Anstalten entstanden allmählich, je mehr sich
die F'acultät erweiterte. Den Anfang machten 1850 das philo-
logisch-historische Seminar und das physikalische Institut, dem
sich 1851 die meteorologische Centralanstalt anschloss. Bisher
hatten die (Kandidaten nur wenig Gelegenheit, durch Übungen
die nöthigen Kenntnisse und in gewissen Fächern auch die prak-
tische Hlrfahrung sich anzueignen, während sie ihnen nun, und
zwar mit der F>weiterung der Institute in immer reicherem
Masse geboten wurde.
Unter den Ministerien Ilasner und Stremayr vollzog sich
die neue Gestaltung der Facultat, die durch ihre Loslösung von
dem Doctorencollegium ihre volle Selbständigkeit gewann. Die
neue l^igorosenordnung vom Jahre 1872 machte dem aus der
früheren Zeit überkommenen kläglichen Zustande, wornach das
philosophische Doctorat nur eine Art Maturitätsprüfung war, ein
ersehntes Knde. Der Candidat hatte nunmehr nach dreijähriger
Studienzeit, die später auf vier Jahre erhöht wurde, eine wissen-
schaftliche Abhandlung vorzulegen und zwei strenge Prüfungen,
eine aus l^hilosophie, die andere aus dem von ihm gewählten
Fache, sowie aus einem oder aus zwei Nebenfächern zu bestehen.
Auch die Reform der medicinischen Prüfungen übte auf die
P\icultät einen Kinfluss aus, da nunmehr drei Vorprüfungen, und
zwar aus Zoologie, Botanik und Mineralogie angeordnet und
Physik als Prüfungsgegenstand in das erste Kigorosum aufge-
nommen wurde.
Philosophische Kacultät. 269
Immer mehr vollzog sich der Ausbau der Facultät im
Innern, indem für die verschiedenen Zweige der einzelnen
Wissenschaften neue, theils ordentliche, theils ausserordentliche
Professuren begründet, theils für ihre Vertretung durch mit Re-
munerationen ausgestattete Professuren gesorgt wurde. Um für
die Heranbildöng neuer Lehrkräfte die nöthigen Mittel zu schaf-
fen, wurde 1874 eine erhebliche Summe in den Staatsvoran-
schlag eingestellt. Cber die Neubegründung und Erweiterung
der Seminarien und Institute geben die Kinzelberichte Auskunft.
Erwähnenswert ist auch eine vom Unterrichtsministerium
1878 ausgegangene Anregung, ob, wie dies an manchen deut-
schen Universitäten durchgeführt ist, die philosophische Facul-
tät zu theilen und in eine mathematisch-naturwissenschaftliche
und in eine historisch-philologische zu trennen sei. Dieser Vor-
schlag wurde von der Facultät mit 27 gegen 5 Stimmen abge-
lehnt und ist nicht zur Ausführung gelangt. Die Facultät er-
blickt in ihrer Integrität eine (iarantie für ihre gedeihliche
Entwicklung. Zwei .lahrc spater wurde der Versuch gemacht,
die eben begründete Hochschule für Bodencultur in ein näheres
Verhältnis zur Universität zu bringen. Die Verhandlungen hier-
über endigten damit, dass den Schülern der ersteren Anstalt,
welche die erforderlichen X'orbedingungen erfüllt haben, gestattet
wurde, sich gleichzeitig an der philosophischen Facultiil als
ordentliche Hörer einschreiben zu lassen.
In das Decennium 1878 NS fallt die Eröffnung des neuen
Universitatsgebäudes durch Se. Majestät den Kaiser iii. October
1884). I^i^* philosophische Facultät erhielt eine grössere Zahl
von Hörsälen, sowie Haume für Institute und Seminare zuge-
wiesen. Ueider zeigt sich, dass die Zahl der Hörsäle bei dem
grossen Zuwachse an ausserordentlichen Professoren und Privat-
docenten. namentlich was die kleineren Auditorien betrillt, zu
knapp ist und die Hiiumlichkeiten für die Seminarien und In-
stitute bei deren Entfallung und Vermehrung kaum mehr aus-
reichen.
Im selben Jahre bcschloss viie Wiener Universität, Sr. kaiser-
lichen Hoheit dem Kronprinzen Kudolf, dessen frühzeitigen
ToJ wir stets tief betrauern werden, das Ehrenductorat der philo-
2 70
Philosophische Facuhät.
sophischen Facultät anzubieten. Der erlauchte Prinz hatte wieder-
holt sein Interesse für die Wissenschaften bekundet und auf dem
Gebiete der Zoologie sich als Forscher betheiligt. Eine Abord-
nung der Universität, bestehend aus dem Rector (v. Lang), dem
Decan der Facultät (Tschermak) und dem Promotor (v. Miklo-
sich), begab sich am 12. Juni zu Sr. kaiserlichen Hoheit, um
das Ehrendiplom zu überreichen, das huldvollst angenommen
wurde.
Gleichzeitig erfuhr die Universität auch einen grossen Ver-
lust, indem der für das physikalische Institut von Sr. Majestät
gespendete Bauplatz demselben entzogen wurde. So ist denn der
Bau dieses Institutes bis jetzt nicht durchgeführt. Als erfreuliches
Ereignis ist hingegen die Schenkung des Grundes für den oberen
Theil des botanischen Gartens durch Se. Majestät den Kaiser
(1889) und die Erbauung der prächtigen Glashäuser daselbst
(1893) hervorzuheben.
Die Entwicklung der Facultät in Beziehung auf die Zu-
nahme der Lehrenden in jedem Decennium seit 1848 veran-
schaulicht die folgende Tabelle.
Jahr
Mathem.- naturwidsenächaftl. Philologisch - historische
Gruppe Gruppe
0. Professoren a. o. Professoren o. Professoren | a. o. Professoren
Privat-
docenten
1848
t^
1868
1878
1888
1898
6 - :
i3 2
14 —
19 5
20 5
1
20 10 f
1
5
12 3
12 4
21 3
22 5
28 10
6«)
10
27
29
57
70
Daraus ist zu entnehmen, dass in den beiden letzten Dc-
cennien die Zahl der ordentlichen Professoren in der mathema-
tisch-naturwissenschaftlichen Gruppe keine Veränderung erfahren
^) Die Supplcnten, sowie die später aufgelassenen Professuren der Religion,
I.;indwirtschaftslehre und (^ameralwarenkunde sind für 1S4S nicht mitgezählt.
Philosophische Facultät. 2 7 I
hat, während in der anderen Gruppe die Zahl gestiegen ist, so
dass das frühere Gleichgewicht aufgehoben erscheint.
Die Zahl der ausserordentlichen Professoren hat im letzten
Decennium erheblich zugenommen, jedoch ist ein Theil der-
selben bloss mit dem Titel und Charakter eines ausserordent-
lichen Professors ausgestattet. Die Zahl der Privatdocenten ist
in den letzten zwei Decennien ungemein gestiegen und hat jetzt
eine solche Höhe erreicht, dass sie die aller Professoren über-
trifft. Dieses Wachsthum steht mit den hier und anderswo sich
ergebenden Aperturen in keinem richtigen Verhaltnisse, zumal
die Zahl der deutschen Universitäten Österreichs eine geringe ist.
Nach diesen einleitenden Worten gehen wir zu den ein-
zelnen Fächern über.
1. Philosophie. iMit der Neubegründung der philosophischen
Facultät durch die Reform des Jahres 1848 und 1849 feierte
die Philosophie ihre Wiedergeburt. Während sie früher in dem
zweijährigen Lyceum (denn dies war ja die philosophische Facul-
tät), wo Psychologie und l.ogik im ersten, Metaphysik und
Ethik im zweiten Jahrgange gelehrt wurde, bei der geringen
Keife der Studierenden und unter dem Zwange eines schul-
mässigen, auf vorgeschriebenen Lehrbüchern beruhenden Be-
triebes nur ein Scheinleben führte, konnte sie sich nun unge-
hindert entfalten und, aus der Dienstbarkeit befreit, einer wissen-
schaftlichen Selbständigkeit erfreuen, (iewährt nun das geistige
Leben Österreichs auf dem Gebiete der Philosophie in der frü-
heren Zeit vielfach den Kindruck der Verödung, und zwar in
einer Kpoche, in welcher sich der philosophische Geist im
übrigen Deutschland zu üppigster Fruchtbarkeit entfaltete, so sehen
wir, wie bald nach der Reform ein reges Leben erwacht und
sich in stetem Fortschritte entwickelt.
Das philosophische System, das zuerst an der Wiener Hoch-
schule wie an den übrigen Österreichs herrschte, war das Her-
barts. Hierbei war besonders der Eintluss von Franz Kxner
massgebend, der als supplierender Professor in Wien i83o und
i(S3i, dann als Professor in Prag i832 bis 1845 diese Richtung
vertrat und auch als Mitglied der Studienhofcommission (1845
bis 1848) und als Ministerialrath im .Ministerium für Cultus und
2 72 Philosophische Facuhäi.
Unterricht (1848 bis 1853, wo er starb) durch seine Schriften
und die Verehrung, die er genoss, eine bedeutende Einwirkung
ausübte. Ks war dies ein Verdienst; denn obwohl diese Philo-
sophie, im ganzen der deutschen Geistesentwicklung betrachtet,
zu Beginn der Fünfzigerjahre ihren (Kulminationspunkt bereits
überschritten hatte, darf man ihren wohlthütigen Einfluss auf
Methodik, logische Sauberkeit und sorgfaltige Analyse der Be-
wusstseinsthatsachen und damit ihre bildende Kraft auf weite
Kreise der Schule und des Lebens nicht gering anschlagen.
Als erster Vertreter dieser Richtung erscheint an der reor-
ganisierten philosophischen Facultat zu Wien Franz Karl Lott,
ein geborener Wiener, in Göttingen, wo er sich im Verkehre
mit Herbart selbst ausbildete, 1842 habilitiert und 1848 zum
Professor ernannt, 1849 nach Wien berufen. Neben ihm
wirkte noch der schon seit i83i thätige Professor Johann
Peithner Ritter v. Lichtenfels, der bis 1861 im Amte
blieb und 1866, 73 Jahre alt, starb. Lotts Lehrthätigkeit,
die bis 1874 reichte, umfasste in erster Linie Psychologie
mit besonderer Berücksichtigung pädagogischer Fragen, woran
sich später auch Vorlesungen über allgemeine Pädagogik an-
schlössen, allgemeine Ethik, worunter ganz im Geiste des Her-
barVschen Systems auch Rechtsphilosophie begriffen war; da-
neben lassen kleinere Vorlesungen, wie Darstellung und Kritik
des Kant'schen Systems (1852), allgemeine Metaphysik mit be-
sonderer Rücksicht auf den Materialismus (1859), Logik mit
besonderer Rücksicht auf John Stuart Mill (1866), den Einfluss
der grossen philosophischen Zeitströmungen erkennen. Als Privat-
docent habilitierte sich 1849 Robert Zimmermann, der aber
schon in diesem Jahre zum Professor in Olmütz und 1852 in
Prag ernannt wurde, von wo er 1861 an unsere Universität
zurückkehrte.
Die (ieschichte der griechischen Philosophie vertrat während
der PHinfziger- und Sechzigerjahre Hermann Bonitz, der durch
seine V^orlesungen über die Gesammtentwicklung der antiken
Speculation, durch seine l^^inleitungen in das Studium des Piaton
und Aristoteles und Erklärung einzelner Schriften derselben die
wissenschaftliche Grundlage für ein auf philologischer Akribie
Philosophische Facultät. 2 73
beruhendes Studium der griechischen Philosophie an der Wiener
Universität schuf. Auf dieser baute seit 1869 Theodor Gom-
perz (1867 habiHtiert) weiter, indem er in weiterem Umfange
alle Perioden und Richtungen der antiken Philosophie be-
handelte.
Im Jahre 1857 wurde eine dritte Lehrkanzel für Philosophie
errichtet und auf dieselbe von der Innsbrucker Universität Georg
Sehen ach berufen, durch seine «Metaphysik, ein System des
concreten Monismus», in welcher er speculative Philosophie mit
dem christlichen Dogma in Kinklang zu bringen bestrebt war,
bekannt. Seine Lehrthatigkeit in Wien, welche sich, da er 1859
starb, auf kurze Zeit beschrankte, erstreckte sich neben der
Kthik besonders auf Geschichte der Philosophie.
Im Sommer 1861 von Prag nach Wien berufen, wirkte
Kobert Zimmermann 35 Jahre bis zum Sommer 1896, wo
er in Ruhestand trat, an unserer Hochschule. Seine Vorlesungen
umfassten beinahe alle Theile der Philosophie, neben Hthik,
Hechts- und Siaatsphilosophie, in systematischer wie geschieht-
lieber Darstellung, Logik, Psychologie und Ästhetik, endlich in
einem mehrgliedrigen, über vier Semester vertheilten (Kursus auch
die ganze (Jeschichte der Philosophie, vom Orient und classi-
schen Alterthum angefangen bis auf die neueste Zeit, eine sehr
weitreichende Lehrthatigkeit, welche das (janze der Philosophie
vom Standpunkte des Herbartschen Systems überblicken Hess.
Neben ihm las in den Jahren 1861 — 1870 als Privatdocent
Barach- Rappaport zahlreiche l-ollegien, die hauptsächlich die
monographische Behandlung einzelner Probleme und Denker
darstellten, wie über die Kntwicklung des (Jottesbegrilfcs in der
modernen Weltanschauung, Geschichte der Lehre von der
Willensfreiheit, (ieschichte und Kritik des Materialismus und
Naturalismus, endlich Vorträge über Lessing, Goethes «Faust»
u. s. w. 1870 zum Professor in Lemberg und 1S71 in Innsbruck
ernannt starb er in Innsbruck im März 188^.
Als Vorboten der persönlichen und sachlichen Kntwicklung,
die erst in der (iegenwart für unsere Universität zur Reife kommen
sollte, finden wir in den Jahren i863 und 1864 kurz nach dem
l^rscheinen von (i. Ih. Fechners Kiementen der Psycho-
ljc%chichtc der Wiener l'iiucrMtJit. !■/
2 74 Philosophische Facultät.
physik» Vorlesungen des Privatdocenten der Physik Ernst
Mach über die Kiemente der Psychophysik mit Rücksicht auf
die Theorie der Empfindung und Wahrnehmung und über den
Zusammenhang physikalischer und psychologischer Grundfragen.
Mach gieng schon 1864 als Professor der Physik nach Graz,
dann 1867 nach Prag und kehrte erst 1895 ^^ unsere Hoch-
schule zurück.
Mit dem Beginne der Siebzigerjahre vollzogen sich bedeu-
tende Veränderungen. Lott, der schon 1870 vseine Lehrthätig-
keit eingestellt hatte, starb 1874. An Barach- Rapaports Stelle
habilitierte sich Theodor Vogt 1865 für Pädagogik, 1868 für
Philosophie, ein Schüler Lotts und wie dieser im Hcrbartianis-
mus wurzelnd. 1871 ausserordentlicher (seit 1898 ordentlicher)
Professor, behandelt er in seinen (>ollegien besonders allgemeine
und specielle Pädagogik und deren Geschichte, Encyklopädie der
Philologie, sowie eine Reihe von systematischen Disciplinen.
Im Sommersemester 1874 übernahm Franz Clemens Brentano,
von der Universität Würzburg aus berufen, die durch Lotts Tod
verwaiste Professur. Seine Vorlesungen in den nächsten Jahren
behandelten Geschichte der l^hilosophie des Alterthums, Psycho-
logie, Ethik, alte und neue Logik, Darlegung ihrer Gesetze auf
Grund einer neuen Auffassung des Urtheils und Kritik der her-
gebrachten Regeln, Philosophie der Geschichte der Philosophie,
Darlegung der Ursachen ihrer Blüte und ihres Verfalles und
Charakteristik der bedeutendsten Erscheinungen, über die Be-
weise vom Dasein Gottes, über die Lehre von der Unsterb-
lichkeit der Seele. Der Standpunkt dieses Denkers lässt sich
bezeichnen als eine Verschmelzung des Empirismus der neueren
englischen Philosophie und des Cartesianismus mittels einer
Methode, die vielfach an scholastische Vorbilder, namentlich
Wilhelm v. Occam erinnert. Obgleich Brentano 1881 die
Professur niederlegte, gehörte er doch als Privatdocent der
Universität weiter an und setzte seine Lehrthätigkeit noch längere
Zeit fort. Die so erledigte Professur blieb bis 1895 unbesetzt,
und so ergab sich, dass die Philosophie, für welche im Jahre
1857 drei Ordinariate bestanden, 14 Jahre lang nur durch einen
Ordinarius vertreten war.
Philosophische Facuhät. ^^75
Vom Ausgange der Siebzigerjahre zeigt sich eine intensive
Steigerung des gelehrten Interesses und der wissenschaftlichen
Thätigkeit auf dem Gebiete der Philosophie, die sich vor allem
in der rasch zunehmenden Zahl von jüngeren Talenten, die
sich dem akademischen Lehramte zuwenden, offenbart. Eine
ganze Reihe von Lehrstühlen der Philosophie an den öster-
reichischen Universitäten ist mit Wiener Docenten besetzt worden.
Wir nennen Alexius v. Meinong, 1878 habilitiert, i883 als
Professor nach Graz berufen, Thomas Garrigue Masaryk, 1879
habilitiert, i883 Professor an der rechischen Universität In Prag —
Meinongs Vorlesungen über Geschichte der englischen Philosophie,
über Wahrheit und Wahrscheinlichkeit und die Masaryks über
Hume, den Positivismus, Philosophie der Geschichte Hessen schon
ihren Standpunkt und ihre Richtung erkennen — , weiter die 1885
habilitierten Adolf Stöhr, Richard Wähle, Alfred Freiherr v.
Berger. Krsterer hat im Laufe der Jahre fast über alle Theile der
Philosophie Vorträge gehalten, von welchen die Curse über das
System einer positiven Philosophie, ferner die (Kollegien über
Ernst Laas, über Psychologie der Metaphysik und über die
Gesichtsemprindungen besondere Erwähnung verdienen; Wähle,
vorzugsweise psychologischen und erkenntnistheoretischen Proble-
men nachgehend, wurde 1896 zum Professor in Czernowitz er-
nannt; V. Berger, ursprünglich mit erkenntnistheoretischen Proble-
men sich befassend, wandte sich später vorzugsweise kunst-
philosophischen und ethischen Problemen zu und wurde 1894
zum ausserordentlichen IVofessor an unserer Hochschule mit
dem Lehrauftrage für Ästhetik ernannt. Im Jahre 1888 erhielten
die venia legendi Ghristian Freiherr v. Ehren fels und der
Professor am Gymnasium zu den Schotten in Wien Vincenz
Knauer, dessen 1874 ^^ der Universität in Innsbruck erwor-
bene Berechtigung 1888 auf die Wiener Hochschule übertragen
wurde, 1890 Emil Reich, 1891 der Professor am Josefstädtcr
(jvmnasium in Wien Wilhelm Jerusalem, 1892 Franz Hille-
brand. Knauer, der vorzugsweise (Jeschichte der Philosophie
behandelte, starb 1894. Ehrenfels, schon als Docent wert-
theoretischen Untersuchungen zugewendet, wurde 1 896 zum
ausserordentlichen Professor an der deutschen l'niversität in
2 76 Philosophische Facuhät.
Prag ernannt, Hillebrand, der sich besonders mit Psychologie,
Logik und Erkenntnistheorie beschäftigte, erlangte 1894 ^^^^
ausserordentliche l^rofessur an unserer Hochschule, die er 1896
mit dem Ordinariate in Innsbruck vertauschte. Reich hat sich
ausser mit ästhetischen Fragen vorzugsweise mit Socialethik
befasst und damit wirksame Ergänzungen zu den hergebrachten
Vorlesungen über praktische Philosophie geboten, Jerusalem und
der 1895 habilitierte Professor am Gymnasium der k. theresia-
nischen Akademie Alois Höfler haben sich der philosophi-
schen Pädagogik und Propädeutik, sowie angrenzenden Gebieten,
Einleitung in die Philosophie, psychologischen, logischen Fragen
zugewendet. Kasimir 1 wardowski, 1894 habilitiert, hat der
Universität nur kurze Zeit angehört, da er schon 1896 zum
Professor in Lemberg ernannt wurde.
Zur Heranbildung der Lehramtscandidaten besteht ein
pädagogisches, von Professor Vogt geleitetes Seminar, welches
über eine eigene Bibliothek von 221 Bänden verfügt. Die Zahl
der ordentlichen Mitglieder ist auf sechs beschränkt, Theilnehmer
können ohne jede Beschränkung den Übungen anwohnen. Hin-
sichtlich eines Institutes für Philosophie ist, nachdem frühere
Bemühungen, ein solches, wenn auch von massiger Ausstattung,
zu begründen, keinen Erfolg hatten, in der Sitzung der Facuität
vom 1 1. Juni 1898 von sämmtlichen Professoren der Philosophie
ein Antrag gestellt worden, über welchen noch weitere Be-
rathungen stattfinden.
II. Mathematik. Die Reorganisation der österreichischen
Universitäten im Jahre 1850 brachte, wie schon ein flüchtiger
Blick auf die Vorlesungen vor und in diesem Jahre zeigt, auch
in dem mathematischen Unterrichte unserer Universität eine
förmliche Umwälzung hervor. Vor diesem Jahre war die
Mathematik an unserer Universität in zweifacher Weise ver-
treten: als obligates Fach in dem zweijährigen U.urse des philo-
sophischen Studiums und als freier Gegenstand an der Facuität.
Obligat war sie bloss im ersten Jahrgange der Philosophie und
wurde da in der ersten Abtheilung von Dr. Josef Jenko, o. ö.
Professor der Elementarmathematik, Ausschussmitglied der Allge-
meinen, wecliselseitigen U.apitalien- und Rentenversicherung, in
Philosophische Facultät. 2 77
der zweiten vom Supplenten Dr. Itudolf Brestel, dem nach-
maligen Finanzminister des sogenannten Bürgerministeriums, in
je sieben Stunden wöchentlich durch beide Semester gelehrt.
Diese Vorträge, denen vorschriftsmässig Appeltauers «Elementa
Malheseos» (Viennae 1814 und 181 7, 2 Bde.) zugrunde lagen,
blieben nach Inhah und Form hinter den Anforderungen zu-
rück, die heute in dieser Hinsicht an unsere Obergymnasien
gestellt werden. Neben diesen beiden Lehrkräften wirkte noch
der o. ö. Professor der höheren Mathematik Dr. Josef Petzval,
dessen Vorträge aber in der Rubrik «freie Gegenstände» ange-
führt werden. Er lehrte im ersten Jahrgange: Höhere Mathe-
matik, dreistündig, nach der Anleitung zur höheren Mathematik
von Dr. J. Edlen v. Littrow (i836) und im zweiten Jahrgange
Mechanik, zweistündig, nach Poissons «Traitc de Mecanique».
Es ist leider nicht möglich, aus diesen Angaben sich auch nur
annähernd eine klare Vorstellung von diesen Vorträgen zu
machen, aber soviel kann mit Sicherheit behauptet werden, dass
sie nicht über die ersten F21emente der höheren Mathematik und
der Mechanik hinausgiengen.
Der l'mschwung, der mit dem .lahre 1850 in diesem Zu-
stande eintrat, zeigt sich schon äusserlich dadurch, dass die Stelle
Jenkos in eine ordentliche Professur für höhere Mathematik um-
gewandelt wurde, aber noch weit schärfer tritt der Unterschied
in der Zahl und Natur der mathematischen Vorlesungen hervor.
Die Klementarmalhcmatik fmdet in diesem Jahre noch eine ge-
wisse Berücksichtigung, indem Prof. Petzval * über Elemente
der Arithmetik und Algebra» las, aber doch nur mehr dem
Namen nach, wie der paradoxe Zusatz andeutet: «für Hörer,
die schon höhere Mathematik studiert haben». Seine übrigen
Vorlesungen «über Theorie der bestimmten Integrale» und
Integration der linearen DilVerentialgleichungen mit variablen
(-oefficienten (als Inhalt noch nicht verötfenllichter Abhand-
lungen)», sowie die Vorlesungen des Dr. Franz Moth, des Nach-
folgers Jenkos, «über höhere Analysis» behandelten gewiss zum
erstenmale diese Materien an unserer l'niversität. Neben den
beiden Ordinarien sind aber bereits in diesem Jahre mehrere Privat-
docenten, die ersten an unserer Universität, thätig: 'Dr. Schaub
2^8 Philosophische Facuhät.
liest Über f.inien und Flächen zweiten Grades, Dr. v. Teirich
Theorie der algebraischen Gleichungen, der Astronom Dr. Hörn-
stein Elemente der Difl'erential- und Integralrechnung.
Nach 1850 verschwinden die Elemente der Mathematik
ganzlich aus dem Programme der Vorlesungen. Die Ordinarien
Petzval und Moth lesen von nun ab durch mehr als zwei Jahr-
zehnte in einer gewissen Reihenfolge bestimmte systematische
(Kollegien: über algebraische und höhere Analysis, analytische
Geometrie, Anwendung der Infinitesimalrechnung auf Geometrie,
algebraische Gleichungen, Integration von Differentialgleichungen,
Variationsrechnung, Mechanik. Nebenbei behandelte in diesem
Zeiträume Petzval auch mathematisch-physikalische Gegenstände,
wie Undulationstheorie, Dioptrik, Schwingungen elastischer
Körper etc.
Ergänzend greift hier die Thätigkeit der Privatdocenten ein,
welche die grossen Lücken einigermassen auszufüllen suchten,
die diese systematischen Vorlesungen bestehen Hessen; zumal
die vielen Zweige der Mathematik, die sich gerade zu Anfang
der zweiten Hälfte unseres Jahrhunderts zu voller Blüte
entfalteten und immer grössere Bedeutung erlangten, finden
naturgemäss ihre besondere Beachtung.
So liest Dr. Rosenhain, der 1858 einem Rufe als Pro-
fessor nach Königsberg folgte und sich später als Mathematiker
einen geachteten Namen erwarb, schon 1852 Theorie der ellip-
tischen Functionen, ein Gegenstand, der nach ihm auch noch
von verschiedenen Privatdocenten behandelt wurde. Dem mäch-
tigen Aufschwünge, den inzwischen die Geometrie gewonnen
hatte, machte wohl an unserer Universität zuerst Dr. J. Frischauf,
seit 1866 Professor an der Universität Graz, ein Zugeständnis
mit den 1864 gehaltenen Collegien über «neuere Geometrie»
(Wintersemester) und «geometrische Verwandtschaften mit be-
sonderer Berücksichtigung der Arbeiten von Möbius» (Sommer-
semester). Derselbe Privatdocent führte auch zuerst die damals
schon hochentwickelte Zahlentheorie in die Universitätsvorlesungen
ein. Er las im Wintersemester 1866 über Elemente der Zahlen-
ihcoric und im Sommersemester als Fortsetzung über quadra-
tische Formen. Auch die Functionentheorie, die allmählich
Philosophische Facultät. "279
eine herrschende Stellung in der Analysis eingenommen hatte,
fand endlich Eingang an unserer Universität. Privatdocent
Dr. G. Bla^ek, seit Herbst 1867 Professor am rechischen Poly-
technicum in Prag, trug 1867 zum erstenmal «Theorie der
Functionen einer veränderlichen, complexen (irösse» vor, und
dieser Gegenstand wurde auch später von den Privatdocenten
Dr. Stolz und Dr. Gehring in Vorlesungen behandelt. Dr. Stolz,
der 1872 als Professor der Mathematik nach Innsbruck berufen
wurde, machte zuerst (1868) die Theorie der Determinanten
zum Gegenstand eigener Vorlesungen und war auch der erste,
der den Studierenden — 1872 — die damals emsig betriebenen
Forschungen über die Grundlagen der Geometrie vermittelte.
.Diese bisher nur von Privatdocenten in ihren Vorlesungen
cuhiviertenTheile der Mathematik werden nunmehr allmählich von
den Ordinarien übernommen. Der nach dem Rücktritte des
Prof. Moth ernannte o. ö. Professor der Mathematik Dr. Ludwig
Boltzmann las im Sommersemester 1875 fünfstündig über
Zahlentheorie und im Sommersemester 1876 fünfstündig über
Functionentheorie. Um auch der Geometrie die ihr längst ge-
bürende Vertretung an unserer Universität zu schaffen, wurde
1876 der I^rofeSvSor an der Universität in Prag Dr. Kmil VVeyr
berufen, der sich, trotzdem er erst 26 Jahre zählte, als Geometer
schon einen ausgezeichneten Ruf erworben hatte.
Als 187« Prof. Boltzmann die Leitung des physikalischen
Instituts in Graz übernahm, behielt sein Nachfolger, der vom
Poivtechnicum in Dresden hicher berufene sächsische Ilofrath
Prof. Dr. L. Königsberger, dieses veränderte Programm der
systematischen Vorlesungen nicht nur bei, sondern erweiterte es
noch. Von nun ab kehren neben den elementareren Vorlesungen
über Analvsis die über Functionentheorie, Zahlentheorie und
elliptische Functionen regelmässig wieder. An die Berufung
Königsbergers knüpft sich auch nH;;» die Krrichlung der so
überaus wichtigen Institution des mathemalischen Seminars, das
unter die Leitung Weyrs und Königsbergers gestellt wurde. Nach
dem Sommersemester desselben Jahres trat Petzval vom Lehr-
amte, in dem er von i83S an thätig gewesen war, zurück,
und es besass daher die Mathematik wie vor 1850 nur mehr
28o Philosophische Facuhät.
zwei Ordinarien, denen die Privatdocenten Dr. Geh ring (gest.
1884), Dantscher v. Kollesberg (1879 ^'s ausserordentlicher
Professor der Mathematik an die Universität Graz berufen), Dr.
(). Simony (der 1878 als ausserordentlicher Professor an die
Hochschule für Hodencultur in Wien übertrat), Dr. Lorenz und
seit i883 Dr. Ungar zur Seite standen. Am Schlüsse des
Wintersemesters 1883/84 nahm Königsberger eine Berufung an
die Universität Heidelberg an, und als sein Nachfolger wurde im
Herbste 1884 Prof. G. v. Escherich von der technischen Hoch-
schule in Graz hieher versetzt. Im selben Jahre habilitierten sich*
Dr. G. Kohn für Geometrie und Dr. Freiherr v. Lichtenfels
für die gesammte Mathematik.
Die nicht gerade erfreulichen Erfahrungen, welche die Leiter
Prof. Weyr und Escherich im Seminare machten, führten im
Herbste 1885 ^^^ Gründung des mathematischen Proseminars,
das mit dem Seminar aufs engste verbunden wurde. Seine
Einschaltung in den mathematischen Unterricht erwies sich als
ungemein zweckmässig, indem dadurch rasch die Leistungsfähig-
keit des Seminars selbst erheblich gesteigert wurde. Die be-
achtenswerten Arbeiten, die bald darauf aus dem Seminar her-
vorgiengen, sowie der Wunsch, der mathematischen Production
in Osterreich einen Sammelpunkt zu bieten, reifte allmählich in
den damaligen Leitern des Seminars den Entschluss, mit seiner
Hilfe eine mathematische Zeitschrift herauszugeben, die 1890
unter dem Titel «^ Monatshefte für Mathematik und Physik» ins
Leben trat.
In dem Zeiträume von 1884 bis unmittelbar nach 1894,
dem Todesjahre Weyrs, waren in dem Status der Privatdocenten
mehrere Veränderungen vorgegangen. Dr. Ungar trat 1887 zu-
rück. Freiherr v. Lichtenfels nahm 1890 einen Ruf an die tech-
nische Hochschule in Brunn an; dagegen habilitierten sich Dr.
Tauber, Dr. Wilhelm Wirtinger, der 1895 ^^^ ausserordent-
licher Professor an die Universität Innsbruck gieng, Dr. K.
Zsigmondy, Dr. Sterneck v. Daublebsky und Dr. Karl
Zindler.
Noch im Herbste 1893, als der Zustand des erkrankten
Weyr ein hollhungsloser geworden war, wurde Prof. Dr. Leo-
Philosophische KacultiL 28 1
pold Gegenbaucr. von der Universität Innsbruck und im Jahre
1894 Prof. Dr. Franz Mertcns von der technischen Hochschule
in Graz an unsere Universität berufen. Im Jahre 1895 wurde
der Privatdocent Dr. G. Kohn zum ausserordentlichen l^rofessor
ernannt und ihm insbesondere die Pflege der Geometrie zur
Aufgabe gemacht.
Im Augenblicke setzen sich also die mathematischen Lehr-
kräfte an unserer Universität zusammen aus drei ordentlichen
Professoren, einem Kxtraordinarius und fünf Privatdocenten.
Zur Förderung der mathematischen Studien besteht das
mathematische Seminar mit drei Abtheiiungen, einer reichhal-
tigen Bibliothek und der früher erwähnten Zeitschrift, die in seinem
Verlage erscheint, und ferner das mathematische Proseminar,
ebenfalls mit drei Abtheiiungen. Dabei stehen dem Seminar an
(ieldmitteln jährlich zur Verfügung: 200 fl. als Dotation für die
Bibliothek und 600 fl. für Seminarstipendien. Die Vorlesungen
sämmtlicher Lehrer erstrecken sich in bestimmten Zeitabschnitten
fast über das ganze Gebiet der reinen Mathematik, doch wurde
auch versucht, jenen Theil der angewandten Mathematik wieder
einzuführen, der vor 1850 als Cameralwissenschaft an unserer
Facultät gelehrt wurde, dann verfiel, um gänzlich umgestaltet und
in mehrere selbständige Theile aufgelöst unter dem Drucke der
socialen Entwicklung wieder zu erstehen. Zu diesem Behufe
werden seit 1895 jährlich Vorlesungen über Wahrscheinlichkeits-
rechnung, mathematische Statistik und Versicherungsmathematik
gehallen, denen gewisse Vorlesungen an der juridischen Facultät
parallel gehen. Der Krfolg, den die Vorträge, die zuerst provisorisch
als Gurs für Versicherungsmathematik und mathematische Statistik
zusimimengefasst wurden, erzielten, und die Nachahmung, die
dieses Beispiel vielfach an den Universitäten des deutschen
Reiches fand, veranlassten die Unterrichtsverwaltung, diese F-in-
richtung, die ein Bindeglied zwischen der juridischen und philo-
sophischen Facultät bildet, aus einer provisorischen in eine
detinitive zu verwandeln.
III. Astronomie. Schon seit langer Zeit wurden Vorträge über
dieses Fach als freier (Jegenstand an unserer Universität gehalten.
Am Ende des vorigen ,Iahrhunderts war dem k. k. Astronomen
282 Philosophische Facuhät.
und Vorsteher der Sternwarte die Unterweisung in der praktischen
Astronomie zugetheilt, wobei vorausgesetzt war, dass der Pro-
fessor der Physik Vortrage über physikalische Sternkunde abhalte.
Am Anfange dieses Jahrhunderts war auch ein Supplent für
theoretische Astronomie bestellt. Nach der Berufung J. v. Littrows
(18 19) trat eine Veränderung ein, da derselbe seit 1825 den
Unterricht allein besorgte und die Bezeichnung «wissenschaftliche
Astronomie» einführte. Seit i83o wurde aber auch populäre
Astronomie von einem Adjuncten gelesen. Diese Einrichtung
bestand fort, nachdem K. v. Littrow 1842 zum Nachfolger
seines Vaters ernannt worden war. Nach dem Jahre 1848 änderte
sich die Eintheilung der Vorträge, indem von jetzt ab im Winter
theoretische, im Sommer praktische Astronomie gelesen wurde.
Seit 1850 hielt auch der Privatdocent Hornstein Vor-
lesungen über einzelne Theile der Astronomie bis zu seiner 1862
erfolgten Berufung als Professor der Mathematik an die Grazer
Universität. 1866 habilitierte sich Th. v. Oppolzer für Astro-
nomie. 1869 wurde der Privatdocent für gesammte Mathematik
E. Weiss zum ausserordentlichen Professor, fünf Jahre später
zum ordentlichen Professor der Astronomie und nach v. Littrows
Ableben 1878 zum Director der Sternwarte ernannt, v. Oppolzer
war 1870 zum ausserordentlichen, 1875 ^um ordentlichen Professor
dieses Faches ernannt worden, so dass kurze Zeit hindurch drei
Ordinariate der Astronomie neben einander bestanden. Seit dem
Tode V. Oppolzers (1886) ist das Fach wiederum nur durch ein
Ordinariat vertreten. 1884 erhielt die venia legendi J. v. Hepper-
ger, der 1891 zum ausserordentlichen Professor der Astronomie
an der Grazer Universität ernannt wurde, 1889 habilitierte sich
S. Oppenheim, 1896 K. Hillebrand.
Die Uni versitäts- Sternwarte wurde 1755 auf dem Dache
des von Maria Theresia erbauten, jetzt der kaiserl. Akademie der
Wissenschaften gehörigen Universitätsgebäudes durch P. Maxi-
milian Hell eingerichtet. Ihre I^age mitten in einer volkreichen
Stadt, auf einem aus engen und vielbefahrenen Strassen mit
drei ungewöhnlich hohen Stockwerken sich erhebenden Gebäude
machte es ihr aber bereits im Anfange unseres Jahrhunderts
unmöglich, den gesteigerten Anforderungen zu genügen, welche
Philosophische Facultit. 283
durch die Fortschritte der Astronomie in den letzten Decennien
des vorigen Jahrhunderts an die Genauigkeit der Beobachtungen
gestellt wurden. Dies veranlasste schon Heils zweiten Nach-
folger J. J. V. Littrow, den Antrag zu stellen, eine neue Stern-
warte in einer günstiger gelegenen Situation zu erbauen; seine
diesbezüglichen Bemühungen blieben aber erfolglos, so dass er
sich endlich mit einem Umbau der alten Anstalt, welcher die
hauptsächlichsten Gebrechen derselben thunlichst milderte, und
mit der Anschaffung neuer, moderner Instrumente begnügen
musste.
Die Bedürfnisse einer wohlorganisierten Sternwarte steigerten
sich aber nach dem 1842 erfolgten l'ode von J. J. v. Littrow
in kürzester Zeit so sehr, dass dessen Sohn und Nachfolger
K. V. Littrow bereits 1846 nicht umhin konnte, abermals einen
Neubau der Sternwarte dringend zu beantragen. Zu diesem
Zwecke arbeitete er ein ausführliches Memorandum aus, welches
aber in den Wirren des Jahres 1848 verloren gieng. K. v. Littrow
legte daher 1850 neuerdings ein Programm für den Bau einer
neuen Sternwarte vor, das 1854 zwar im Principe genehmigt
wurde, dessen Ausführung aber wegen Flinwendungen vertagt
wurde, welche die damals bestehende Forlificationscommission
gegen den vorgeschlagenen Platz, einen Höhenrücken zwischen
Hernais und Wahring, erhob.
Von nun an ruhte diese Angelegenheil, bis die im Jahre
1867 beginnenden Verhandlungen wegen eines neuen Universitiits-
gebäudes eine erwünschte (ielegenheit darboten, sie neuerdings
energisch zu betreiben. Diese Bemühungen hatten endlich den
Krfolg, dass Littrow 1S68 den Auftrag erhielt, die ihm nun
geeignet erscheinenden Vorschlage zu einer neuen Sternwarte
zu erstatten. In der Zwischenzeit war jedoch der früher in Aus-
sicht genommene Platz parcelliert und durch den Bau zahl-
reicher Hauser für eine Sternwarte unbrauchbar geworden. Es
gelang indess nach längerem Suchen, allerdings bedeutend weiter
vom Gentrum der Stadt entfernt, auf dem südlichen Theile der
Türkenschanze einen hierfür sehr geeigneten Ort ausfindig zu
machen. Ks dauerte jedoch weitere vier Jahre, bis im Frühjahre
1872 durch das thatkraftige Kinschreiten des damaligen Unter-
284 Philosophische Facultät.
richtsministers v. Stremayr dieser Grund im Ausmasse von
yj ha erworben und damit die Errichtung einer neuen Stern-
warte gesichert wurde.
In den 20 Jahren, welche seit dem Entwerfen des ersten
Projectes für die neue Sternwarte verstrichen waren, hatten sich
aber auch auf dem Gebiete astronomischer Instrumente nament-
lich in F^ngland und Nordamerika Wandlungen ergeben, welche
es dringend wünschenswert erscheinen Hessen, vor der Aus-
arbeitung des neuen Programmes die Hauptobservatorien und
optischen Werkstätten der obengenannten Länder zu studieren.
Mit dieser Aufgabe wurde noch im Herbste 1872 der damalige
Adjunct der Anstalt Professor E. Weiss vom hohen Ministerium
betraut, und seine Informationen Hessen keinen Zweifel übrig,
dass weitaus mächtigere Instrumente unumgänglich nöthig seien,
als früher beantragt worden waren.
Nach diesen Erfahrungen wurde das Programm für die
Anstalt entsprechend modificiert und die Ausarbeitung der Detail-
pläne im Frühjahre 1873 den Architekten Fellncr und Helmer
übergeben, welche die ihnen gesteHte Aufgabe nicht nur in künst-
lerischer, sondern auch wissenschaftlicher Beziehung in ausgezeich-
neter Weise lösten. Der erste Spatenstich für den Neubau er-
folgte im Frühjahre 1874; ^ic Vollendung desselben zu erleben,
war aber v. Littrow leider nicht beschieden: er starb am 16. No-
vember 1877, als der Bau sich eben bis zum Dachfirste erhoben
hatte. Derselbe wurde von Littrows Nachfolger E. Weiss zu Ende
geführt und von diesem auch die innere Einrichtung besorgt.
Die Kosten des Baues der Sternwarte beliefen sich mit Ein-
schluss des Kaufpreises des Grundcomplexes (280.000 fl.), der
Gartenanlage und der umfangreichen Terrainregulierungen auf
rund 750.000 fl., während die innere Einrichtung derselben und
die neuangeschalTten Instrumente weitere 250.0000. beanspruchten,
von denen aber allein auf das Hauptinstrument, den grossen
Refractor, mehr als 100.000 fl. entfallen.
Die Anstalt wurde im Herbste 1879 bezogen, das Haupt-
instrument derselben, ein Refractor von 68 cm ObjectivöH'nung
aus der Werkstätte von II. (jrubb in Dublin, aber erst im Sommer
1882 abgcHefert und aufgesteüt. Kurz darauf wurde der Stern-
PhiUMiophiüche Facultät. 285
warte eine besondere Auszeichnung zuthcil, indem Se. Majestät
der Kaiser geruhte, dieselbe am 5. Juni i883 feierlich zu eröffnen
und eine Urkunde über deren Bau eigenhändig zu unterfertigen.
Beim Beziehen der neuen Sternwarte wurde auch das Per-
sonale der Anstalt um einen Adjuncten und zwei Assistenten
vermehrt, so dass jetzt neben dem Director zwei Adjuncten
und vier Assistenten an derselben thätig sind. Hand in Hand
damit gieng auch eine Erhöhung der wissenschaftlichen Dota-
tionen, jedoch nicht in dem erwünschten Masse, indem die Summe
für Neuanschaft'en und Instandhalten der Instrumente von s^s fl.
nur auf 1000 fl. erhöht wurde, (ninstiger gestalten sich diese
Verhältnisse bei den Dotationen für die Bibliothek und die Her-
ausgabe der Annalen: diese Beträge wurden von 315 fl. und
727 fl. auf respective 600 fl. und 1500 fl. vermehrt.
In der nächsten Zeit steht der Sternwarte eine wertvolle
Ergänzung durch ein aslrophotographisches Fernrohr, eines der
wichtigsten Instrumente der neueren Astronomie, bevor. Die
hierfür nöthigen (ielder sind bereits angewiesen und auch die
Summe zum Theile bewilligt, welche für den zu einer zweckent-
sprechenden Aufstellung desselben erforderlichen Zubau nöthig ist.
Mit besonderer Befriedigung muss noch die Thatsache her-
vorgehoben werden, dass die neue Sternwarte trotz der kurzen
Zeit ihres Bestehens sich schon zweimal reicher Schenkungen
von Privaten zu erfreuen hatte. Die erste rührt vom Freiherrn
Albert v. Rothschild her. welcher die Anstah vor lo Jahren
mit einem Aquatoreal-(-oude von 3« cm Objectivötfnung be-
reicherte, dem grössten, das bis zu jener Zeit gebaut worden war,
und das auch heute noch nur von dem neuen Aquatoreal-t^mdc
der Pariser Sternwarte an Dimensionen übertrotfen wird. Damit
begnügte sich aber FYeiherr v. Rothschild nicht: er Hess auch auf
seine eigenen Kosten das zur Aufstellung des Instrumentes nöthige
(iebäude errichten und widmete überdies die entsprechenden
l'onds zur Erhaltung seiner Stiftung, so dass diese Schenkung auf
reichlich 70.000 fl. zu veranschlagen ist.
Die zweite Schenkung stammt vom Hofrathe Biela her,
welcher im Einverständnisse mit seiner hochbegabten (iattin,
die ihm bei seinen astronomischen Beobachtungen stets helfend
286 Philosophische Facultät.
zur Seite stand, seine mit vorzüglichen Instrumenten aller Art
reichlich ausgerüstete Privatsternwarte dem Wiener Observato-
rium testamentarisch vermachte.
IV. Physik. Das Studium der Physik wurde von altershcr
an unserer Universität betrieben; es begann mit Vorlesungen
über die libri physicorum des Aristoteles, die zu den wichtigsten
Vortragen in der artistischen Facultät zählten. Auch die folgenden
Zeiten zeigen reges Interesse an dieser Disciplin. Von den Ver-
tretern der Physik in unserem Jahrhundert erwähnen wir Andreas
¥. v. Baumgartner, da derselbe in anderer, hervorragender
Stellung noch weit in den Zeitraum hereinragt, der hier zu be-
sprechen ivSt. Er hatte die Lehrkanzel der Physik von 1823
bis i833 inne; ihm folgte 1835 A. F. v. Ettingshausen, welcher
die Professur der Mathematik, die er seit 1821 innehatte, mit
der der Physik vertauschte. Die Hörer jener Zeit entsprechen
den Schülern der jetzigen achten Gymnasialclasse, doch wurde
zweifellos die Physik damals viel intensiver als im heutigen
Gymnasium betrieben. Von diesen Vorlesungen wurde Ettings-
hausen mit Beginn 1847 enthoben und dieselben zuerst durch
Prof. Hessler vom Polytechnicum suppliert, dann von August
Kunzek Edlen v. Lichton gehalten, der 1847 von Lemberg als
ordentlicher Professor der Physik und angewandten Mathematik
hieher berufen w^urde.
Ettingshausen dagegen wurde beauftragt, ausserordentliche
Vorlesungen über höhere Physik zu geben, w^ie er schon früher
gethan hatte, und die populären Vorlesungen an Sonntagen fort-
zusetzen. Er behielt auch die Verwaltung des physikalischen
Museums bis zu seinem Übertritte an die k. k. Militärakademie
(Februar 1849), wo sie dann auf Kunzek übergieng. Allein
bald darauf wurde dieses Museum von der alten Lehrkanzel
losgelöst und dem Director des mit Allerhöchster EntSchliessung
vom 17. Januar 1850 gegründeten physikalischen Institutes
übergeben. Als Zweck dieses Institutes sind in den Statuten an-
geführt: «den Lehramtscandidaten der Physik, Chemie und
Physiologie (ielegenheit zu verschallen sich die zu einem er-
folgreichen Lehren nöthigen und gehörig begründeten physika-
lischen Kenntnisse und insbesondere die mechanische Geschick-
I'hiloftophische Facultät. 287
lichkcit im physikalischen Experimentieren anzueif^nen; zu{;Ieich
soll ihnen die erforderliche Anleitung zu selbständigen Forschun-
gen im Gebiete der Physik gegeben werden. Überdies ist der
Leiter des Institutes durch den Reichthum von Hilfsmitteln,
welche es dem experimentellen Forscher gewährt, in den Stand
gesetzt, für die F'örderung der Wissenschaft besser, als es in den
gewöhnlichen Verhältnissen eines Professors möglich, zu wirken».
Zur Realisierung dieses Zweckes, sagt aber der Ministerial-
erlass vom 21. Januar 1850, «ist das an der hiesigen Universität
bestehende physikalische Museum vollkommen geeignet. Durch
die sorgsame Pflege seiner Vorstände und die Allerhöchsten
Ortes diesem C>abinete mit grosser Munificenz zugewendete
rnterstützung ist es zu einer der reichhaltigsten physikalischen
Sammlungen gediehen, welches überdies durch die reichliche
Dotation, die ihm seit 1837 zu Gebote steht, nämlich von jähr-
lich 1 100 fl., in den Stand gesetzt ist, seine Lehrmittel mit dem
Fortschritte der Wissenschaft zweckmässig zu vermehren».
Kunzek erhielt eine Dotation jährlicher 200 fl. (>. AL zur
Anschaffung einfacher Apparate und zu Experimenten. Diese
niedrige Dotation hätte wohl nur genügt, wenn beide physikali-
sche Lehrkanzeln räumlich vereinigt gewesen wären. Allein
Kunzek muSvSte seit dem Frühjahre 1849 ^^^ Vorlesungen im
k. k. Theresianum halten, und auch das physikalische Institut,
für das anfangs Räume im grossen Fniversitätsgebäude ermittelt
worden waren, übersiedelte im Herbste 1851 nach Krdberg,
Hauptstrasse 104. Hei letzterer Gelegenheit kam es zur defini-
tiven Auftheilung des ehemaligen physikalischen .\lu>eums, wo-
bei fast alle brauchbaren Gegenstände von dem physikalischen
Institute übernommen wurden. Weniges war für Prof. Kunzek
im Theresianum bestimmt, ein dritter 'Iheil, meist ganz unbrauch-
bar, blieb zurück.
Im Kinklange mit der Neuordnung der Studien las nun
Kunzek für Lehramtscandidaten Physik mit mathematischer Be-
gründung und hielt später die für Pharmaceuten vorgeschriebenen
einsemestrigen Vorlesungen. Auch setzte er die populären
Sonntagsvorlesungen fori, die mit seinem Tode ganz auf-
hörten.
288 Philosophische Facultät.
Vom Sommersemestcr 1855 an wurden die Vorlesungen
ins ehemalige Convictsgebaude verlegt, wo im zweiten Stock-
werke ein Hörsaal und einige Zimmer der Lehrkanzel der
Physik zugewiesen wurden, so dass seit jener Zeit wieder ein
physikalisches Cabinet bei derselben existiert.
Kunzek starb 1865; ihm folgte der derzeitige Inhaber der
Lehrkanzel V. v. Lang, vorher ausserordentlicher Professor der
Physik an der Universität Graz. Um das damals sehr dürftige
(Cabinet doch einigermassen zu bessern, bewilligte das hohe
Ministerium für Cultus und Unterricht vom Jahre 1866 an jähr-
lich zu der ordentlichen Dotation von 210 fl. noch eine ausser-
ordentliche von 600 fl. Im Jahre 1872 wurden 12 10 fl. bewilligt
und von da an jährlich 1000 fl.
Da vom Jahre 1872 an infolge der neuen medicinischen
Studienordnung Experimentalphysik durch das ganze Jahr ge-
lesen werden musste, was eine Vermehrung der Vorlesungs-
apparate und Rücksichtnahme auf die medicinischen Bedürf-
nisse bedingte, bewilligte die Regierung eine ausserordentliche
Dotation von 4500 fl., wozu in späteren Jahren noch ausserordent-
liche Dotationen im Gesammtbetrage von 1443 fl. kamen. In-
■ •
folge dieser Zuwendungen, sowie auch Übertragungen von an-
deren Lehrkanzeln und einzelnen Geschenken kann der heutige
Zustand des physikalischen Cabinetes, wenn man von besonders
theueren Präcisionsapparaten absieht, als modernen Anforderungen
entsprechend bezeichnet werden.
Gleichzeitig mit der Einführung der ganzjährigen Vor-
lesungen über Experimentalphysik wurde eine Assistentenstelle
gegründet. Die Saaldienerstelle wurde schon früher, um einen
Mechaniker zu gewinnen, in eine Laborantenstelle verwandelt
und später noch ein Aushilfsdiener bewilligt.
Um den Medicinern den Besuch der Vorlesungen zu ermög-
lichen, wurden dieselben vom Beginne, d. i. vom Wintersemester
1872, im Josefinum gehalten, bis das physikalische Gabinet (1875)
in sein jetziges Heim, Türkenstrasse Nr. 3, übersiedelte.
In Verbindung mit dem physikalischen C^abinete steht eine
Anstalt zur Verificierung von Stimmgabeln. Dieselbe wurde
1892 gegründet, als der (Jubrauch uniformer Stimmgabeln für
Philosophische FacultftL 289
alle Öffentlichen Anstalten amtlich vorgeschrieben wurde. Für
diese Aufgabe wurde ein eigener Assistent bestellt und zwei
Käume im vierten Stocke des erwähnten Hauses adaptiert.
Das physikalische Institut wurde, wie oben gesagt, 1850
gegründet, die jährliche Dotation wurde auf i3oo fl. C. M. fest-
gesetzt und 500 fl. C M. zur Bestreitung des Wochenlohnes eines
Mechanikers bestimmt; hiezu kam noch im Jahre 1852 ein Betrag
von 285 fl. C. M. für Regieauslagen. Zur Einrichtung der Werk-
stätte wurden 1000 fl. C. M. angewiesen und der Auftrag zur
Ansammlung einer Fachbibliothek gegeben, welche gegen-
wärtig 863 Nummern in 3i32 Bänden zählt und sehr voll-
ständig ist.
Die Zahl der ordentlichen Zöglinge beträgt 12, welche durch
drei Semester unentgeltlichen Unterricht erhalten; für die dürftigen
derselben wurden per Semester 6 Stipendien ä 40 fl. C. M. aus-
geworfen, welcher Betrag später auf 3o fl. ö. W. reduciert wurde.
Ferner wurde eine Assistentenstelle creiert und ein Laborant
angestellt.
Der erste Vorstand war Bergrath Ch. Doppler, Professor
am Wiener Polytechnicum, welcher 1850 zum Director des
physikalischen Institutes und zum ordentlichen öffentlichen l'ni-
vcrsitätsprofessor der Experimentalphysik ernannt wurde. Die
Thäligkeit des Institutes begann am i . April jenes Jahres im grossen
L'nivcrsilätsgebäude (jetzt Akademie der Wissenschaften), von
wo es, wie schon erwähnt, 1851 nach Erdberg übersiedelte. Hier
blieb es bis zum Jahre 1875 "^^^ wurde dann in die Türken-
strasse Nr. 3 verlegt.
Doppler kränkelte jedoch schon seit seinem Amtsantritte
und war im Herbste 1852 genöthigt, um längeren Urlaub ein-
zukommen. Zugleich mit der Bewilligung desselben wurde er
von der Direclion des physikalischen Institutes entbunden, und
es wurde damit zuerst vorläufig, alsbald definitiv Ettingshausen,
damals Professor der Ingenieurwissenschaften am Wiener Poly-
technicum, betraut und gleichzeitig zum ordentlichen Professor
der Physik ernannt. Doppler starb bald darauf am 17. .März
1853 zu Venedig, sein Name bleibt durch das nach ihm be-
nannte Princip der Nachwelt für immer erhalten.
Gv^cliuhtc Jcr Wiener L'iii\crMtJt. 20
2QO Philosophische Facultät.
Unter Ettingshausen wurde die Sammlung physikalischer
Apparate wesentlich vermehrt, da er in den nächsten Jahren
eine Summe von 7870 fl. als ausserordentliche Dotation be-
zog. Ausser der Leitung der praktischen Übungen gab der-
selbe für die Zöglinge auch Vorlesungen über mathematische
Physik, welche damals, wie schon vor 1848, die einzige Ge-
legenheit in Wien boten, auf diesem Felde sich zu unterrichten.
Später setzte er diese Vorlesungen aus, als J. Grailich 1857,
vom Privatdocenten zum ausserordentlichen Professor der
mathematischen Physik befördert w^ofden war. Leider starb
Grailich schon am i3. September 1859; trotz seiner kurzen
Laufbahn hat er bleibende Verdienste erworben als Gründer
einer Schule, welche sich die allseitige Erforschung der Krystalle
als Aufgabe stellte.
Im Jahre i863 wurde der Privatdocent für mathematische
Physik, Dr. J. Stefan, zum ordentlichen Professor der Physik
und zum Mitdirector des physikalischen Institutes ernannt. Nach-
dem 1866 Ettingshausen (f 25. Mai 1878) in Pension gieng, war
dann Stefan alleiniger Director bis zu seinem am 7. Januar 1893
erfolgten Tode. Unter Stefan, welcher die reichen Hilfsmittel des
Institutes zu einer grossen Zahl wertvoller Untersuchungen be-
nützte, war wieder für den theoretischen Unterricht der Zög-
linge gesorgt. Demselben wurden 4 Stunden in der Woche
gewidmet, während 6 Stunden auf die Übungen entfielen.
An Stelle Stefans wurde 1894 Boltzmann von der Uni-
versität München hieher berufen und zum ordentlichen Professor
für theoretische Physik ernannt. Derselbe gehörte schon von
1873— 1876 als ordentlicher Professor der Mathematik unserer
Universität an.
Die staunenswerten Leistungen der Physik in der zweiten
Hälfte des gegenwärtigen Jahrhunderts, die Ausbreitung, die sie
nach ganz verschiedenen Richtungen genommen, machten die
Errichtung eines dritten physikalischen Laboratoriums sehr wün-
schenswert. Diesem Bedürfnisse wurde 1875 durch Gründung
des physikalisch-chemischen Institutes entsprochen. Das-
selbe wurde ebenfalls Türkenstrasse Nr. 3 untergebracht, zur
Errichtung ein Betrag von 6400 11. und als jährliche Dotation
Philosophische Facultät. 201
800 fl. angewiesen, ferner ein Assistent und ein Laborant hiefür
bestimmt. Zum Vorsteher wurde J. Losch midt designiert,
welcher seit 1872 als ordentlicher Professor der Physik an der
Facultät Wirkte und sich besonders durch seine Bestimmung der
Grösse der Moleküle einen Namen gemacht hatte. Derselbe
leitete das Institut bis zu seinem 71. Lebensjahre und hielt auch seit
1875 di^ f'Jr Pharmaceuten im Wintersemester vorgeschriebene
Vorlesung über Physik.
Im Jahre 1891 kam an Stelle Loschmidts (f 8. Juli 1895)
Dr. F. Exner, welcher vom ausserordentlichen Professor zum
ordentlichen Professor befördert wurde. Unter der Leitung
Exners wurde das physikalisch-chemische Institut wesentlich er-
weitert und ein systematischer praktischer Unterricht eingeführt.
Dies war namentlich für die Lehramtscandidaten ein Bedürfnis,
die ja gesetzlich verhalten sind, zwei Semester in einem physika-
lischen Laboratorium zu arbeiten.
Das Institut erhielt bei dieser Gelegenheit auch noch die
Räume, die früher die evangelisch-theologische Facultät in dem-
selben Hause innehatte. Es wurde ein zweiter Assistent und
ein Aushilfsdiener angestellt, ein Dotationszuschuss von 1000 fl.,
ein ausserordentlicher Zuschuss von 700 fl. und ein Ocdit von
20.000 fl. für Anschaffung von Apparaten bewilligt.
Zu ausserordentlichen l^rofessoren der Phvsik wurden er-
nannt: 1857 J. (irailich für mathematische Physik; 1868 J.
Loschmidt für Physik; 1879 F. hlxner für l^hysik; 1893 G.
Adler für mathematische Physik; 1897 (i. Jäger für Physik.
Habilitierungen für Physik und Theilc derselben: 1855 J-
Grailich für Krystallographic, (s. o.^; 1858 J. Stefan für mathe-
matische Physik, IS. o.); 1860 Ed. Keitlinger für mathematische
Phvsik, 1866 ordentlicher Professor der Phvsik am Polvicch-
nicum; 1861 E. Mach für pharmaceutische Physik, 1864 ausser-
ordentlicher Professor der Mathematik an der Universität (iraz;
1862 V. V. Lang für l^hysik der Krystalle, i863 am britischen
Museum London; 1866 J. Loschmidt für Physik, is. o.); 1868
L. Boltzmann für mathematische Physik, 1869 Professor
der theoretischen Physik an der Universität Graz; 1874 A. Brezina
für Krystallographic und Krystallphysik, 1890 zurückgetreten;
202 Philosophische Kacultät.
1874 f- Kxner für Physik, (s. o.); 1877 J. Puluj für Physik,
1884 Professor der Physik und Elektrotechnik an der deutschen
technischen Hochschule Prag; 1880 M. Margules für mathe-
matische Physik, 1882 zurückgetreten; 1884 J. Haubner für
mathematische Physik, f 1886; 1885 E. Lecher für experi-
mentelle Physik, 1891 ordentlicher Professor der Physik an der
Universität Innsbruck; 1885 J- Moser für Physik; 1886 G. Adler
für mathematische Physik, (s.o.); 1891 O. Tumlirz für Physik,
1892 Professor der theoretischen Physik an der Universität
Czernowitz; 1891 G. Jager für Physik, (s.o.); 1892 Karl Exner
für mathematische Physik, 1895 Professor der theoretischen Physik
an der Universität Innsbruck; 1896 J. Tuma für Physik; 1897 A.
Lampa für Physik; 1898 M. Smoluchowski Ritter v. Smolan.
V. Meteorologie. Beobachtungen auf diesem Gebiete wur-
den in Österreich an einzelnen Orten schon seit dem vorigen
Jahrhundert gemacht, und im Laufe dieses Jahrhunderts bethei-
ligte sich Osterreich immer mehr an denselben. Wiederholt
hatten gelehrte Gesellschaften und Vereine eine grössere Anzahl
von Stationen errichtet, an welchen der Beobachtungsdienst
systematisch durchgeführt wurde. Doch erst im Mai 1848 hatte
die kaiserliche Akademie der Wissenschaften in Wien sich mit
der Errichtung eines eigenen österreichischen Beobachtungsnetzes
angelegentlicher beschäftigt, nachdem zur Deckung der Kosten,
hauptsächlich zur Anschaffung der Instrumente der damalige
Vicepräsident der kaiserlichen Akademie, v. Baumgartner, seinen
Functionsgehalt zur Verfügung stellte. Im März 1849 beschloss
die meteorologische Commission der kaiserlichen Akademie die
Errichtung einer (x^ntralstation in Wien für die Leitung des
ganzen Netzes und erbat in einer Eingabe vom Ministerium die
Ernennung eines Directors derselben. Die Erledigung lautete
überraschend günstig; mit Allerhöchster Entschliessung vom
23. Juli 1851 wurde die Errichtung einer staatlichen k. k.
('.entralanstalt für Meteorologie und Erdmagnetismus verfügt
und somit die Interessen der Meteorologie vom Staate selbst in
die Hand genommen. - Die meteorologische Commission der
kaiserlichen Akademie konnte sich nun auflösen. Die k. k.
Ccntralanstalt blieb aber stets im engsten (-onlact mit der kaiser-
PhilosophiHchc Facuhät. 2()3
liehen Akademie, aus deren thatkraftiger Anregung sie hervor-
gegangen ist; auch wurden die ersten acht Jahrbücher der k. k.
Centralanstah als Akademiepublication veröffentlicht. Bis heute
erscheinen die an der k. k. Centralanstalt selbst gemachten Be-
obachtungen monatlich in extenso im Anzeiger der kaiserlichen
Akademie.
Zum ersten Director der k. k. Centralanstalt wurde gleich-
zeitig in derselben Allerhöchsten EntSchliessung der dama-
lige Director der Prager Sternwarte, Dr. Karl Kreil, ernannt
und ihm die Verpflichtung auferlegt, «über die Ergebnisse seiner
Forschungen Vorträge an der Wiener Universität zu halten».
Hiemit war der erste Professor der Meteorologie bestellt. Kreil
konnte allerdings seine Lehrthiitigkeit wenig ausüben, da die
Arbeiten des Directors eines neu zu organisierenden Institutes mit
äusserst beschränkten Mitteln und wenig Personal alle Zeit in
Anspruch nahmen. Kreils grosse Verdienste bestehen erstens in der
Organisation dieses neuen, in seiner Art damals einzig dastehenden
Institutes, welches sowohl (Centrale für die Leitung der Stationen
des österreichischen Beobachtungsnetzes, als auch Observatorium
für selbständige Forschung und Förderung der Fortschritte der
Meteorologie sein sollte; zweitens in der Herausgabe der ersten
weilläufigen meteorologischen .lahrbücher, in welche er auch die
Bearbeitung der ältesten und längsten Beobachtungsreihen, die zum
'1 heile ins vorige Jahrhundert zurückreichen, aufnahm; drittens
in der ersten magnetischen Ueichsaufnahme Österreichs. Ks sind
das lauter damals ohne Beispiel dastehende Leistungen. Kreil
starb am 21. December 1862 im Alter von 64 Jahren.
Mit Allerhöchster Knischliessung vom 4. August iS63
wurde zum zweiten Director der k. k. ('entralanslalt der dama-
lige Professor der Mathematik am Landespolytechnicum in Prag
Dr. Karl Jelinek ernannt, unter gleichzeitiger Ernennung des-
selben zum ordentlichen Professor der Phvsik an der Wiener
l'niversität. Obwohl, infolge dieser Formulierung der Ernennung,
die mit dem Directorate verbundene Lehrkanzel an der l'niversität
als Professur der l^hysik bezeichnet wurde, lautete der Lehrauf-
trag dennoch: «über .Meteorologie und verwandte Gegenstände
zu lesen». Jelinek erwarb sich um die Fortbildung des meteoro-
20A. Philosophische F*aciihät.
logischen Dienstes in Österreich grosse Verdienste. Die Heraus-
gabe der Jahrbücher der k. k. Centralanstalt durch die kaiser-
liche Akademie hatte mit dem 1861 erschienenen 8. Bande (Jahr
1857) aufgehört; es wurden nur die Übersichten der Witterung
in Österreich, welche seit 1853 in den Sitzungsberichten der
kaiserlichen Akademie erschienen, fortgesetzt. Es gelang Jelinek
zunächst von 1866 ab (der erste Band enthielt den Jahrgang
1864), die neue Folge der Jahrbücher als eigene Publication der
k. k. Centralanstalt herauszugeben. Sein organisatorisches Talent
zeigte er aber voll bei der Neugestaltung der k. k. Centralanstalt,
die unter seiner Direction im Jahre 1872 in das neue Instituts-
gebäude auf der Hohen Warte einziehen konnte, das für jene
Zeit mustergiltig als Observatorium und Centrale des Beobach-
tungsnetzes des Reiches eingerichtet wurde. Das Ansehen,
welches nun das Wiener meteorologische Institut und sein
Director besass, zeigte sich darin, dass als Ort des ersten inter-
nationalen Meteorologencongresses Wien gewählt wurde, wo der-
selbe auch thatsächlich 1873 stattfand.
Die vielen mit dieser Neuorganisierung verbundenen Arbeiten
und seine gleichzeitige Verwendung im Ministerium als Referent
für den technischen Unterricht machten es aber auch ihm un-
möglich, seiner Lehrverpflichtung entsprechend nachzukommen;
er wurde auf sein Ansuchen 1873 von der Verpflichtung, Vor-
lesungen zu halten, enthoben. Das war ohne Schädigung für
den meteorologischen Unterricht an der Universität dadurch
möglich geworden, dass der damalige Adjunct an der k. k.
(xMitralanstalt Dr. Julius Hann schon im März 1869 als Privat-
docent der Meteorologie zugelassen worden war und dann
auch im März 1874 ^^>rn ausserordentlichen Professor der
physikalischen Geographie ernannt wurde, wodurch für die Vor-
lesungen über Meteorologie an der Universität auf das beste Vorsorge
getroffen war. Jelinek hat übrigens auch durch eine Reihe klimato-
logischer Arbeiten die Bearbeitung und Verwertung der meteoro-
logischen Beobachtungen in exacter Weise gefördert. Ein be-
sonders hervorragendes Verdienst Jelineks war die Gründung
der Osterreichischen Gesellschaft für Meteorologie und die Heraus-
gabe einer meteorologischen Zeitschrift derselben, deren erster
Philosophische FacultSt. 295
lledactcur er war, und die unter der Mitredaction von Hann
bald das arterkannt führende Organ der Meteorologen der ganzen
Welt wurde.
Der Nachfolger Jelineks wurde als dritter Director der k. k.
(x'ntralanstalt der bisherige ausserordentliche Professor in Wien
Dr. Julius Hann. Auch Hann wurde gleichzeitig zum ordent-
lichen Professor der Physik ernannt, sein Lehrauftrag lautete
wie der seines Vorgängers. Hann breitete als Director das meteoro-
logische Beobachtungsnetz Österreichs durch Errichtung neuer
Stationen ausserordentlich aus, so dass die Anzahl derselben
unter seiner Direction verdreifacht wurde. Besonderes Augen-
merk wendete er der Errichtung von Gipfelstationen zu, welche
er auch mit selbstregistriercnden Apparaten versah. Sowohl
durch die Anzahl und die Bedeutung, ganz besonders aber durch
die Publication der Resultate dieser Gipfelstationen stellte Hann
Österreich in dieser Richtung allen anderen Ländern voran. Er
erweiterte auch die Jahrbücher der k. k. Centralanstalt besonders
durch die Aufnahme der 24 Stundenwerte in extenso für alle
meteorologischen Elemente vom Observatorium der k. k. Central-
anstalt selbst, die Übersichten über die 24 Stundenwerte der
Gipfel- und anderer Stationen erster Ordnung, die Vermehrung
der Stationen, deren Terminbeobachtungen in extenso gedruckt
wurden u. s. w.
Als Professor hat Mann uncrmüdet neben den vielen Direc-
tionsgeschäften gewirkt und von seiner Ernennung bis zu seinem
Rücktritte nicht ein Semester von den Vorlesungen sich dispensieren
lassen. Seiner anregenden Thätigkeit als Professor ist es zu danken,
dass unter ihm drei seiner Beamten und Schüler sich für die
Hochschulprofessur qualificierten; es habilitierten sich für Meteoro-
logie: J. Liznar 1884 an der technischen Hochschule, Dr. J. M.
Pernter 1885 und Dr. W. Trabert 1893 an der Universität in Wien.
Ilann sah sich gezwungen, wegen Überarbeitung von seinem
anstrengenden Doppelamte sich zurückzuziehen; er wurde auf
sein Ansuchen im Sommer 1897 zum Professor der Meteoro-
logie in (iraz ernannt.
Als vierter Director der k. k. Centralanstalt und ordentlicher
Professor der Phvsik der Erde an der Universität wurde der
296 Philosophische Facuhät.
bisherige Professor der kosmischen Physik an der Universität
Innsbruck Dr. J. M. Pernter ernannt, der sein Amt im October
1897 antrat. Sein Lehrauftrag lautet cüber Physik der Erde,
insbesondere über Meteorologie, Erdmagnetismus und verwandte
Gegenstände zu lesen». Hieraus ist deutlich zu ersehen, dass
auch der vierte Inhaber dieser Lehrkanzel eigentlich Professor
der Meteorologie ist.
VI. Chemie. Das Studium der Chemie lag in der Zeit vor
dem Jahre 1848 an der Wiener Universität und, man darf hin-
zufügen, in ganz Österreich sehr darnieder. Die Lehrkanzel war
mit der der Botanik verbunden und gehörte der medicinischen
Facultät an. Ihr erster Inhaber war Dr. Laugier, der 1749 aus
Nancy nach Wien berufen, aber 1768 wegen Unfähigkeit und
Pflichtvergessenheit entlassen wurde. Ihm folgte Nikolaus Josef
Jacquin aus Leyden, ein hervorragender Botaniker, der sich
auch mit chemischen Studien befasste und an der Herstellung
der Pharmakopoe, welche 1775 für die österreichische Monarchie
Geltung erhielt, Antheil nahm. Sein Sohn Josef Franz v. Jacquin
übernahm 1797 die Lehrkanzel der Botanik und Chemie, nach-
dem ihm der Vater schon einige Jahre früher den chemischen
Unterricht übergeben hatte. Er war ein angesehener Gelehrter,
der aber als chemischer Experimentator und Forscher doch kaum
gelten kann. Erst im Jahre i838, als Jacquin auf die Lehrkanzel
verzichtete, wurde der Unterricht der Chemie von dem der
Botanik getrennt und erhielt in dem von der Universität Prag
berufenen Prof. Pleischl einen selbständigen Vertreter.
Pleischl, der sich mit Untersuchung von Mineralwässern be-
schäftigt hatte und durch Herstellung eines unschädlichen Emails
für Blechgeschirre in weiteren Kreisen bekannt wurde, war
nicht der Mann, eine chemische Schule in Osterreich zu grün-
den und der darniederliegenden chemischen Wissenschaft zu
einem Aufschwung zu verhelfen. Auch einem bedeutenderen
Manne als er war, wäre dies schwerlich gelungen. War doch
die allgemeine Richtung jener Zeit der freien Bethätigung des
(jeistes in wissenschaftlicher Forschung wenig günstig und waren
auch die an den einzelnen Lehrkanzeln bestehenden Einrichtungen
besten Falles dem Unterrichtszwecke angepasst, nicht aber ge-
Philosophische Facultät. ^97
eignet, auch zum Fortschritt und zur Entwicklung der Wissen-
schaft beizutragen. Schon die Räume, die in def von der
Kaivserin Maria Theresia erbauten Universität (heute Akademie
der WivSsenschaften) der chemischen Lehrkanzel zugewiesen waren,
und die Pleischl von Jacquin übernahm, schlössen die Möglich-
keit aus, junge Leute in das praktisch-chemische Studium ein-
führen. Es waren zwei Säle, von denen der eine als Audito-
rium und zugleich Laboratorium diente, der andere, der den
grössten Theil des Tages dunkel war, die Präparate, die Wagen etc.
beherbergte.
Ein wesentlicher Fortschritt trat erst ein, als nach der im
Jahre 1848 erfolgten Pensionirung Pleischls Prof. Redtenbacher,
der einst Assistent Jacquins gewesen war, aus Prag im März 1849
an seine Stelle berufen wurde, und als ihm bald darauf für den
chemischen Unterricht die Localitäten im Theresianum zugewiesen
wurden, die wir zwar (und mit gutem Recht) gewohnt sind als
ganz unzulänglich zu betrachten, deren Erwerb aber damals einen
relativ grossen Gewinn bedeutete. Freilich war dieser Gewinn
für die Studenten theuer erkauft. Die (Kollegien der philosophi-
schen Facultät, zu der von diesem Zeitpunkte an auch die
Chemie gehörte, waren theils in der inneren Stadt gegenüber
dem alten Universitätsgebäude, theils im Theresianum iWiedcn)
untergebracht, diejenigen der medicinischen Facultät in den
Räumen der ehemaligen Gewehrfabrik (F!cke der Währinger-
strasse), die Botanik im botanischen Garten auf dem Rennweg.
Wer die Distanzen kennt, welche diese Locale von einander
trennen, wird ermessen können, mit welchen Unbequemlich-
keiten das Studium zu jener Zeit verbunden war, und welcher
Zeitverlust sich daran knüpfte. Man tröstete sich mit dem Ge-
danken, dass es sich nur um ein Provisorium handle, und dass
der im Princip beschlossene Bau einer neuen Universität diesen
und vielen anderen Cbelständen (zum Beispiel auch dem, dass
der chemische Hörsaal im Theresianum kaum mehr als die
Hälfte der eingeschriebenen Hörer fasste) schleunigst abhelfen
werde. Aber das Provisorium hat länger gedauert als so
manches Definitivum! Erst im Jahre 1872 wurde das neu-
gebaute chemische Institut und erst nach weiteren zwölf
2 9 8 Philosophische Facuhät.
Jahren das neue Universitätsgebaude seiner Bestimmung über-
geben.
Die Localitaten im Theresianum bedeuteten für den Unter-
richt der Chemie insofern einen grossen Gewinn, als end-
lich die Möglichkeit für einen praktisch-chemischen Unterricht
gegeben war. Freilich erwies sich das Laboratorium bald viel
zu klein für die rasch wachsende Zahl der Prakticantcn, die
Aufnahme suchten, freilich mussten oft drei, selbst vier Prak-
ticanten sich mit einem Arbeitsplatze behelfen, der eigentlich nur
einem, im Nothfalle zweien genügen konnte, freilich fehlte es an
Nebenräumen für die Vorgeschrittenen oder für Specialstudien
— ^ber die Gelegenheit, experimentell zu arbeiten, war doch nicht
mehr bloss einzelnen Begünstigten, sondern der grossen Zahl
geboten; die Kenntnis der chemischen Analyse gehörte hinfort
zur Ausbildung jedes Pharmaceuten.
Redtenbacher starb im März 1870, während das neue Uni-
versitätslaboratorium, zu dem er in Gemeinschaft mit dem be-
rühmten Architekten v. Ferstel den Plan entworfen hatte, bereits
im Bau begriffen war. Nun geschah, was mit Rücksicht auf
die Überbürdung des Professors der Chemie schon früher hätte
geschehen sollen. An Stelle der einen wurden zwei chemische
Lehrkanzeln errichtet und der Wirkungskreis Redtenbachers
zwischen beide getheilt. Prof. F. Rochleder aus Prag wurde
für die eine, Prof. F. C. Schneider, der einst Assistent Pleischls
und Redtenbachers gewesen war und nun seit sechzehn Jahren
die Professur der Chemie an der medicinisch- chirurgischen
Josefsakademie einnahm, an die andere berufen. Die erste Auf-
gabe der neu Ernannten, von denen Schneider zunächst im
Josefmum verblieb, Rochleder im Theresianum die Erbschaft
Redtenbachers übernahm, musste dahin gehen, das im Bau be-
gritiene Laboratorium, das nur für einen Professor, der als Vor-
stand darin walten sollte, geplant war, so zu theilen und einzu-
richten, dass zwei Laboratorien darin Unterkunft fmden konnten.
1872 wurden die beiden in dem neuen Gebäude unter-
gebrachten Institute eröffnet, und damit war für die Studenten,
zunächst was Platz, Luft und Licht anlangt, eine neue günstige
Periode angebrochen; den neuen Professoren aber war eine
Philoi»<>phiftche hacultät. 299
lanj^cTC Wirksamkeit nicht beschieden. Schon im Herbst 1874
starb Prof. Rochleder, an dessen Stelle im Frühjahr 1875 ^^^
von der Prager Universität berufene Prof. Ad. Lieben trat, und
im Frühjahre 1876 zog Schneider sich vom Lehramte zurück,
um als Ministerialrath das Referat für Sanitätswesen im Ministe-
rium des Inneren zu übernehmen. Sein Nachfolger war Prof.
L. Barth v. Barthenau, der von der Universität Innsbruck be-
rufen wurde. Während Lieben heute noch in seiner Stellung
thätig ist, hatte die Universität und das 'chemische Institut den
Verlust Barths im Jahre 1890 zu beklagen. An seine Stelle
trat im Frühjahre 1891 Prof. H. Weidel, ein Schüler Hlasiwetz',
später Adjunct an der Lehrkanzel Schneiders und v. Barths, zuletzt
Professor der Chemie an der Hochschule für Bodencultur in Wien.
Die in dem neuen Gebäude untergebrachten zwei Labora-
torien enthielten zusammen ursprünglich 140 Arbeitsplätze, wäh-
rend das Redtenbacher'sche Laboratorium im Theresianum, selbst
nach sorgfältiger Ausnützung aller Locale, nur über 60 Arbeits-
plätze verfügt hatte. Es hat sich jedoch die Nothwendigkeit
herausgestellt, über die Zahl von 140 noch hinauszugehen,
was freilich nur durch Heranziehung von Räumen, die sonst
für specielle Untersuchungen gewahrt worden wären, mög-
lich geworden ist. Derzeit sind im ganzen 209 Arbeitsplätze
vorhanden.
Man darf wohl sagen, dass seit dem Bestände des neuen
Universitätslaboratoriums ein regeres wissenschaftliches Leben
erstanden ist, als es früher, sei es an der Wiener, sei es an
einer anderen österreichischen Universität, geherrscht hat. Da-
von geben die ungemein zahlreichen aus beiden Laboratorien
hervorgegangenen Abhandlungen Zeugnis, die in den Sitzungs-
berichten der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften und den
daraus abgedruckten «Chemischen Monatsheften» erschienen
sind, und die wohl zum grösseren Theile dem Gebiete der organi-
schen Chemie angehören, jedoch auch viele Arbeiten aus den
übrigen '1 heilen der (Chemie enthalten. Von den letzteren mögen,
der bedeutenden praktischen Anwendung wegen, diejenigen über
die seltenen Krden (die unter anderem zur Zerlegung dos Didyms in
Praseodym und Neodym geführt haben; hier erwähnt werden.
3oO Philosophische Facultäi.
Diese Studien, die Auer v. Welsbach auf einem Gebiete,
das von jeder praktischen Anwendung so fernab als möglich
zu liegen schien, durch mehrere Jahre, ohne andere als rein
wissenschaftliche Ziele im Auge zu haben, verfolgt hat, liefern
ein classisches Beispiel für den oft unvermuthet nahen Zusam-
menhang zwischen rein theoretischer Forschung und praktischer
Anwendung. Überrascht von dem intensiven Lichtglanz, welchen
manche dieser Forden beim Glühen aussenden, hat Auer diese
Beobachtung weiter verfolgt, und das einsame helle Licht, das
einst aus einem Fenster des Universitätslaboratoriums strahlte, ist
heute als Auerlicht über alle Länder der Erde verbreitet. Eine
neue Industrie in Osterreich verdankt den scheinbar so unprak-
tischen Arbeiten Auers über seltene Erden ihre Entstehung!
Es ist gut, an derlei Beispiele zu erinnern, denn noch im-
mer gibt es nicht Wenige, die den Wert wissenschaftlicher
Leistungen nur nach dem Geldbetrage messen, zu dem sich
dieselben unmittelbar umsetzen lassen, und denen theoretische
Arbeit mit steriler Arbeit als gleichbedeutend erscheint. Sie
übersehen nicht nur, wie der theoretische Fortschritt oft mit
einem Schlage praktische Gestaltung annimmt, sondern auch dass
jeder Beitrag zum Ausbau der Wissenschaft der Hebung des
Wissens- und Bildungsniveaus und dem allgemeinen Besten zu-
gute kommt. Es ist auch gut, wenn die Einsicht in weitere
Kreise dringt, dass die Opfer, die der Staat für wissenschaftliche
Institute bringt, sich trefllich lohnen. Auch w^enn die Ent-
deckungen, die aus einem Institute hervorgehen, nicht immer,
wie im hier angeführten Falle, sich steuerkräftig erweisen und
Millionen ins Land bringen, so dienen sie doch immer der Er-
weiterung wissenschaftlicher Erkenntnis, und diese, sowie die
Vertiefung des Unterrichtes, die in den Instituten erzielt wird,
und die geistige Anregung, die von ihnen ausgeht, haben eine
befruchtende Wirkung, die zur Erhöhung des geistigen und,
dircct oder indircct, auch des mateiiellen Besitzes einer Nation
wesentlich beiträgt.
Die Reihe der Privatdocenten, die in den letzten fünfzig
.lahren neben den genannten ordentlichen Professoren an der
philosophischen Facultät Ghemie gelehrt haben, wird durch
Philosophiitchc Faculiät. 3oi
A. Schrötter, ordentlichen Professor an der technischen Hoch-
schule, eröffnet, der in den Jahren 1845, ^846 und 1848 freie
Vorlesungen über organische Chemie angekündigt hat. Ihm
schlicssen sich der Zeitfolge nach an: F. C. Schneider (später
ordentlicher Professor an der Josefsakademie, dann an der Wiener
L-niversitat, zuletzt Ministerialrath), Theodor Wertheim (spater
ordentlicher Professor an den Universitäten von Budapest und
Graz), C. v. Than (später ordentlicher Professor an der Uni-
versität Budapest), G. 1 schermak (später ordentlicher Professor
der Mineralogie an der Wiener Universität), Ad. Lieben (später
ordentlicher Professor an den Universitäten von Palermo, Turin,
Prag und Wien), J. Oser (später ordentlicher l^rofessor an der
Forstakademie Mariabrunn, dann an der technischen Hochschule
Wien), K, Ludwig (später ausserordentlicher Professor an der
philosophischen, dann ordentlicher Professor an der medicinischen
Facultät zu Wien), E. Czumpelik (zugleich Professor an der
Realschule in Sechshaus, Wien;, K. Lippmann (später ausser-
ordentlicher Professor), Schwarz, E. Freiherr v. Sommaruga
(später ausserordentlicher Professor;, G. Goldschmiedt (später
ausserordentlicher Professor an der philosophischen Facultät,
ordentlicher Professor an der Bodencultur-Hochschule Wien, der-
zeit ordentlicher Professor an der Universität Prag), J. Kachler,
FL Weidel (später ordentlicher Professor an der Bodencultur-
Hochschule, dann an der Universität Wien), H. Jahn (später
ausserordentlicher l^rofessor an der Universität Berlin), Z. H.
Skraup <spätcr ordentlicher Professor an der Universität Graz),
G. Vortmann (derzeit ordentlicher Professor an der technischen
Hochschule Wien), W. Fossek, S. Zeisel (später ordentlicher
Professor an der Bodencultur-Hochschule Wien), J. Herzig ^später
ausserordentlicher Professor», G. Schacherl (derzeit Oberinspector
der Lebensmitteluntersuchungsanstalt in Wien;, F. Blau, H.
Wegscheider, K. Natterer, C^ Pomeranz, W. Meyerhoffer.
VII. Mineralogie. Wissenschaftliche Vorträge über dieses
(iebiet fanden zum erstenmale an der Wiener Universität wäh-
rend der vorübergehenden Wirksamkeit des Mineralogen Mohs
statt. Dieser hatte schon vom Jahre 1802 angefangen zumeist
in Osterreich gelebt und war 181 2 von dem Erzherzog Johann
3o2 Philosophische Facultäi. '
an das von letzterem gegründete technische Institut nach Graz
berufen worden, wo Mohs unter Mithilfe seines Schülers Hai-
dinger das naturhistorische Mineralsystem ausarbeitete. Hier
blieb Mohs durch sechs Jahre, begab sich hierauf nach Frei-
berg, wo er als Nachfolger Werners durch acht Jahre lehrte,
und wurde 1826 von dem Studiendirector der medicinischen
Facultät Freiherrn v. Stifft bewogen, seine Thätigkeit in Wien
fortzusetzen. Besondere Vorträge über Mineralogie waren bis
zu diesem Zeitpunkte nicht üblich. An der medicinischen
Facultät lehrte ein Professor unter dem Titel der specielien
Naturgeschichte Zoologie und Mineralogie durch zwei Semester
in einem vorbereitenden Curse. An der philosophischen Facultät,
wo der Professor der allgemeinen Naturgeschichte bloss die An-
fangsgründe vorzutragen hatte, kam die Mineralogie nur in ge-
ringem Grade zur Betrachtung. Durch Mohs' Berufung änderte
sich nichts an der alten Einrichtung, da Mohs zwar Mitglied der
medicinischen Facultät, jedoch nur zur Abhaltung freier Vorträge
über sein Fach verpflichtet war. Letztere fanden seit 1828 in
den Räumen des damaligen Hof-Mineraliencabinetes statt und
versammelten ein begeistertes Publicum, zumeist den höheren
Gesellschaftskreisen angehörend. Unter den jüngeren Gelehrten
zählte Mohs viele treue Anhänger, darunter die Chemiker
Schrötter und Redtenbacher, ferner Leydolt, welcher später am
polytechnischen Institute wirkte. Mohs beendete seine Univer-
sitätsvorlesungen 1835, ^^ er an die montanistische Hofkammer
berufen wurde. Nach seinem 1839 erfolgten Ableben nahm
die letztere Stellung Haidinger ein, der die Traditionen minera-
logischer Forschung in Wien aufrechthielt und eine weitgreifende
wissenschaftliche Thätigkeit entwickelte. Nach Mohs' Abgange
wurde die von ihm innegehabte Professur nicht mehr besetzt, und
es herrschte die frühere Einrichtung bis 1849. In diesem Jahre
wurde an der philosophischen Facultät eine ordentliche Professur
der Mineralogie begründet und der Prager Prof. F. Zippe an
diese Stelle berufen. Derselbe blieb noch zwei Jahre in Plfibram,
wo er im Auftrage der Regierung die dort gegründete Berg-
akademie einzurichten hatte, und begann seine Vorlesungen in
Wien im Herbste 1850. Zippe trat hier sein Amt im Alter
Philosophiftchc Facultät. 3o3
von 60 Jahren an. Die Unterrichtsmittel waren sehr geringe,
die Sammlung unbedeutend, ein Local für praktischen Unter-
richt und für wissenschaftliche Arbeit nicht vorhanden. In einem
Räume oberhalb des alten akademischen Gvmnasiums war
die zoologische und mineralogische Sammlung als naturhisto-
riches Museum vereint untergebracht. Die Vorlesungen wurden
von jetzt ab von Medicinern und Lehramtscandidaten, ferner
von Pharmaceuten besucht. Zippe lehrte die Krystallographie
nach eigener anschaulicher Methode und die Kennzeichenlehre ab-
weichend von Mohs mit Berücksichtigung des chemischen Ver-
haltens. Kin intensives Studium der Krystallographie wurde von
J. Grailich angeregt, der 1855 — 1856 als Privatdocent Vor-
lesungen über dieses Fach abhielt. Kr war ein Schüler Leydolts
und wurde von Schrötter und Haidinger wesentlich gefördert.
Grailich brachte die Miller'sche Methode zur Geltung und leitete
seine Schüler zu krystallphysikalischen Arbeiten im physikalischen
Institute an. Von letzteren haben spater v. Lang und Schrauf
in gleichem Sinne an unserer Facultät gewirkt.
Nach Zippes Tode folgte ihm i863 A. Reuss aus Prag, der
sich durch mehrere paläontologische Arbeiten einen bedeutenden
Ruf erworben hatte. Mittlerweile machte sich das Bedürfnis
geltend, auch der petrographischen Richtung durch Gründung
einer ausserordentlichen Professur für l^etrographie I^aum zu
geben, und es wurde 1868 der C^ustosadjunct am Hofmineralien-
cabinete, G. Tschermak, mit den entsprechenden Vorlesungen
betraut.
.Mit bescheidenen Mitteln (Jahresdotation 3oo fl.) wurde im
Parterre des Convictsgebäudes ein kleines Laboratorium errichtet,
aus welchem, nachdem Tschermak zum Director des Hof-
mineraliencabinets vorgerückt war, unter Zuhilfenahme der Mittel
dieses Museums eine Reihe mineralogischer und petrographischer
Arbeiten hervorgiengen. Diesen schlössen sich zahlreiche minera-
logisch-chemische Arbeiten an, welche durch die Mitwirkung des
Prof. K. Ludwig, der die Mmeralanalyse mit grossem Erfolge
pflegte, in dessen Laboratorium ausgeführt wurden. 1871 wurde
eine Zeitschrift «Mineralogische Mittheilungen» begründet,
welche anfänglich als Beilage des Jahrbuches der geologischen
304 Philosophische Facultät.
Reichsanstdlt erschien. Im Jahre 1873 wurde eine neue ordent-
liche Lehrkanzel der Mineralogie und Petrographie errichtet und
diese Professur Tschermak übertragen. Das mineraiogisch-petro-
graphische Institut erhielt neben dem naturhistorischen Museum
einen etwas grösseren Raum und war nun für den praktischen
Unterricht der Lehramtscandidaten besser geeignet. Hier ent-
wickelte sich bald eine rege Thätigkeit der Prakticanten, und im
Hofmineraliencabinete, in welchem die Vorgeschrittenen Auf-
nahme fanden, und wo auch der Privatdocent Gustos A. Schrauf
in der krystallographischen Richtung thätig war, fanden sich die
jüngeren Talente zusammen, aus deren Reihe die an den Uni-
versitäten Österreich-Ungarns wirkenden Lehrer der Mineralogie
hervorgegangen sind.
Als nach Reuss' Ableben die Lehrkanzel wiederum zur
Besetzung gelangte, w^urde 1874 A. Schrauf an dessen Stelle
berufen. Er verliess das Hofmineraliencabinet und übernahm die
alte Universitatssammlung, die durch Zippe und Reuss erheblich
vergrössert worden. Die Lehrkanzel erhielt eine Dotation von
600 fl. und öfter Zuschüsse, doch fehlte noch immer ein Raum
für ein Laboratorium, ein Mangel, dem durch Zuweisung eines
Locales im Gebäude der früheren Gewehrfabrik nur unvollkom-
men und gründlich erst durch den Bau der neuen Universität
abgeholfen wurde. Die Vorlesungen wurden von jetzt ab so
eingerichtet, dass im Winter beide Professoren allgemeine Minera-
logie lasen, im Sommer Tschermak über specielle Mineralogie
und Petrographie, Schrauf über einzelne Capitel der Mineralogie
Vorträge hielten.
Durch die Errichtung einer Intendantur der naturhistorischen
Hofmuseen war die Verfassung des Hofmineraliencabinets ver-
ändert worden, und Tschermak verliess dasselbe 1877, zu welcher
Zeit dem mineralogisch-petrographischen Institute ausreichende
Localitäten in einem Privathause am Maximiliansplatze einge-
räumt, die Dotation auf 1400 fl. erhöht und 10.000 fl. zum An-
kaufe einer Sammlung bewilligt wurden. Die Zeitschrift wurde
jetzt unter dem l'itel: «Mineralogische und petrographische Mit-
theilungen» selbständig gemacht und unter lebhafter Betheiligung
der jüngeren Kräfte fortgeführt. Der damalige Assistent am
PhiloM>phischc Facultdt. 3o^
selben Institute und Privatdoccnt F. Beckc wurde 1882 an die
Universität (^zernowitz berufen.
Im Herbste 1 884 übersiedelten die beiden mineralogischen Insti-
tute in das neue Universitätsgebäude, wo dem mineralogisch-petro-
graphischen Institute Räume im Hochparterre, dem mineralogischen
Museum solche im Tiefparterre zugewiesen wurden. Nun konnten
in dem letzteren die praktischen Übungen mit grösserem Erfolge
als vordem eingerichtet und konnte durch die eifrige und em-
sige Leitung Schraufs die Thätigkeit dieses Laboratoriums um
ein Bedeutendes erweitert werden, indem sich dieselbe nicht nur
auf das krystallographische und krystallphysikalische, sondern
auch auf das chemische Gebiet erstreckte. Von den jüngeren
Kräften wurden hier theils mineralogische Arbeiten ausgeführt,
theils Untersuchungen von Hüttenproducten unternommen, von
dem Vorstande selbst umfangreiche Arbeiten ausgeführt, unter
denen jene über die optischen und thermischen Verhältnisse des
Schwefels die mühevollste war. Ein Schüler Schraufs, der
Assistent des mineralogischen Museums und Privatdocent R.
Scharizer, wurde 1891 als ausserordentlicher Professor der
Mineralogie nach (^zernowitz berufen.
Das mineralogisch-petrographische Institut und die Wissen-
schaft überhaupt erfuhr 1887 durch den frühen Tod des Assisten-
ten und Rrivatdocenten M. Schuster einen herben Verlust. Der-
selbe hat sich namentlich durch seine Arbeit über die optischen
Verhältnisse der IMagioklase, durch welche die Theorie Tscher-
maks bestätigt wurde, einen bedeutenden Ruf erworben. In
die entstandene Lücke trat F. Berwerth ein, der sich i88()
für Petrographie habilitierte. Der grosse Umfang, den die petro-
graphische Forschung in den letzten Decennien angenommen
hatte, liess die selbständige Vertretung der Petrographie als er-
wünscht erscheinen, daher 1894 wiederum eine ausserordent-
liche Professur der Petrographie begründet und selbe dem
Uustos am Hofmuseum F. Berwerth übertragen wurde. Die Vor-
lesungen über .Mineralogie vervollständigten sich durch die 1896
erfolgte Habilitation des Adjuncten Dr. A. Pelikan.
Ein Jahr später wurde Schrauf, der schon längere Zeit
kränkelte, aus dem Leben abberufen. An seine Stelle trat Prof.
(iLSvliicIitc der \\ icticr riii\crMtat. 21
3o6 Philosophische Facultät.
F. Bccke aus Prag. Dieser kehrte nach sechzehnjähriger Trennung
wieder in den Verband unserer Universität zurück, nachdem er
schon 1890 die Herausgabe der € Mineralogischen und petro-
graphischen Mittheilungen» übernommen hatte. Die von ihm
verwaltete Sammlung hat einen alten Grundstock aus der Jesuiten-
zeit und ist seit 1850 erheblich vergrössert, so dass dieselbe
gegenwärtig zwei Säle des Tiefparterres einnimmt. In den an-
stossenden Räumen ist eine Anzahl von Instrumenten, die Biblio-
thek und ein chemisches Laboratorium untergebracht.
Das mineralogisch-petrographische Institut besitzt als jüngere
Schöpfung eine kleinere Sammlung, eine ausreichende Zahl von
Instrumenten und eine Bibliothek in fünf Arbeitsräumen. Die
Anfänger haben hier durch zwei Semester die praktischen
Übungen auszuführen. Den Vorgeschrittenen ist Gelegenheit zur
Unternehmung wissenschaftlicher Arbeiten in der mineralogischen
und petrographischen Richtung dargeboten. Die beiden Institute,
welche räumlich getrennt sind, bedürfen zu ihrer vollständigen
Entwicklung einer neuen Anlage, welche geeignete Arbeitsräume
darbieten und eine Vereinigung der Sammlungen gestatten
würde.
VIII. Geologie und Paläontologie. Vorlesungen über Geo-
logie und Paläontologie, d. i. über die Geschichte des Erdballes
und der organischen Welt, haben vor der Neuordnung unserer
Universitätsvcrhältnissc in Wien nicht stattgefunden, denn jenen
Vorträgen über Geognosie, welche von dem Professor der
('ameral Wissenschaften F. Ritter v. Holger abgehalten wurden,
fehlte das historische Element. Bereits im Jahre 1852 erlangte
aber Dr. Fr. Zekeli die ifcnia legendi für Paläontologie, später
auch für Geologie, er verfügte aber leider über keinerlei Lehr-
mittel. Im Jahre 1856 habilitierte sich Dr. F. v. Hochstetter
für Petrographie und Geognosie (gest. als Intendant der k. k. Hof-
museen); bevor seine Collegien begannen, trat er aber die Welt-
reise an Bord S. M. Fregatte «Novara<> an. Im Jahre 1855
habilitierte sich hierauf Dr. Karl Peters für Petrographie und
Paliiontologie, welcher zum ordentlichen ötfentlichen Professor
in Graz ernannt wurde. Im Jahre 1857 wurde für diese Fächer
zum crstcnmale an einer österreichischen I lochschule eine Lehr-
Philosophische Facultit. 307
kanzel errichtet, indem der Custosadjunct am k. k. Hofmineralien-
cabinete K. Suess zum ausserordentlichen Professor der Paläonto-
logie ernannt wurde; seine Vorlesungen wurden in den Soute-
rains der kaiserlichen Sammlung abgehalten, nachdem ihm die
Benützung dieser Sammlung bewilligt worden war. Im selben
Jahre erhielt Dr. F. Freiherr v. Richthofen (jetzt ordentlicher
Professor in Berlin) die venia legendi für Geognosie.
Im Jahre 1862 wurde Suess zum Extraordinarius für Geo-
logie, im Jahre 1867 zum Ordinarius für dasselbe Fach ernannt;
von i863 angefangen war durch mehrere Jahre, über die An-
regung des Finanzministers Dr. Ignaz Edlen v. Plener, eine
grössere Anzahl von jüngeren Bergbeamten zu ihrer höheren
theoretischen Ausbildung nach Wien berufen worden, die beauf-
tragt war, an der Universität an den (Kollegien über Geologie als
ausserordentliche Hörer theilzunehmen.
Die Theilnahme für diese Richtung von Studien steigerte
sich von Jahr zu Jahr; 1867 erlangte Dr. Laube (jetzt ordent-
licher Professor in Prag) die tfenia legendi für specielle Paläonto-
logie und 1871 Dr. Edm. v. Mojsisovics (jetzt Vicedirector
der k. k. geologischen Reichsanstalt) die venia für spe-
cielle Geologie. Reisestipendien, welche von Seite des k. k.
l ■nterrichtsministeriums gewährt wurden , machten geologische
Ausflüge mit den Hörern möglich, welche zuweilen über die
Grenzen des Reiches, im Jahre 1872 bis Neapel, 1874 ^'J^^ ^^7^>
bis Oberilalien, 1878 wieder bis Neapel ausgedehnt wurden.
Dr. Corn. Doelter (dermalen ordentlicher Professor der
Mineralogie in Graz) habilitierte sich 1875 für Geologie mit be-
sonderer Rücksicht auf Vulcanismus, und dieselbe venia wurde
1S76 dem Dr. Ed. Reyer ertheilt: zugleich habilitierte sich Dr.
AI. Bittner (jetzt Ghefgeologe an der k. k. geologischen Reichs-
anstalt) für allgemeine (icologie, und i883 wurde Dr. Rcyer
zum Extraordinarius für Geologie ernannt.
Die ausserordentlichen Fortschritte der Wissenschaft machten
bald eine noch weitere Gliederung des grossen Stolfes noth-
wcndig. Der (Gustos am k. k. Hofmuseum Dr. Fr. Wähner habi-
litierte sich im Jahre 1885 für Geologie; er wendete sich ins-
besondere der Stratigraphie und Formationslehre zu, und seine
3o8 Phikrv^jbUcbc Facuhit.
Mitwirkung wurde im Jahre 1897 durch einen Lehrauftrag ge-
sichert. Dr. K. Diener hatte ursprünglich im Jahre 1886 die
pcnia für physische Geographie erlangt: seine Studien führten
ihn in das Gebiet der Tektonik der Gebirge, und seine venia
K
Icffendi wurde im Jahre 1893 auf Geologie übertragen; 1897
wurde derselbe zum ausserordentlichen Professor der Geologie
ernannt.
Dermalen vertheilt sich der Lehrstoff in den Collegien in
solcher Weise, dass der Ordinarius Prof. Suess abwechselnd
durch zwei Semester allgemeine Geologie und durch die beiden
folgenden geologische Beschreibung der Erde liest: Extraordina-
rius Prof. Hever liest in der Regel über theoretische Fragen oder
allgemeine C^apiteL wie Vulcanismus, Extraordinarius Diener über
den Bau einzelner wichtiger Gebiete (österreichisch-ungarische
Monarchie, Alpen; und Docent Dr. Wähner über Stratigraphie.
Ausserdem besteht seit Gründung der ordentlichen Lehr-
kanzel, d. i. seit 1 863 ein Conversatorium, eine Berichterstattung über
neuere Fortschritte und Discussion derselben, an der sich an jedem
Samstagabende des Wintersemesters die Docenten dieser und ver-
wandter Fächer, sowie einstige und jetzige Hörer betheiligen.
Aus dem Souterrain des k. Hofcabinetes übersiedelte diese
Lehrkanzel zuerst in zwei kleine einfenstrige Kammern des alten
Oinvictsgebäudes; seit i883 füllen ihre Sammlungen vier grosse
Siile der neuen Lniversität. In denselben sind Büsten oder Erinne-
rungstafeln solchen einstigen Angehörigen dieser Schule gewid-
met, welche ihr Leben im Dienste der Wissenschaft verloren
haben, und zwar den beiden Assistenten Dr. F. Stoliczka,
welcher 1874 am Passe Karakorum in (lentralasien der Müh-
sal der Heise erlag, und dem Dr. Alfr. Rodler, welchen die
Beschwerden einer Heise in die Gebirge des westlichen Persien
nach seiner Heimkehr im Jahre 1890 hinrafften, femer den
beiden Hörern Karl Lent, der 1894 am Kilimandjdro von
den Kingebornen getödtet wurde, und Heinrich Freiherm v.
l'Oullon, der 1896 auf den Salomonsinseln im Kampfe mit den
Wilden fiel.
N'on ^nisscrcn Arbeiten, welche in Verbindung mit dieser
Lchrkan/el ausgeführt wurden, mögen nur zwei erwähnt sein,
PhilosophUchc Facultit. 30()
nämlich die geologische Aufnahme des nördlichen Griechenland
im Jahre 1876 unter Führung des Prof. Neumayr und die Be-
arbeitung der Fossilien des Himalayagebirges, welche dadurch
möglich wurde, dass das k. indische geologische Institut dieser
Lehrkanzel alle Sammlungen aus diesem Flochgebirge für eine
längere Zeit anvertraute.
Seitdem Suess die ausserordentliche Professur der Paläonto-
logie mit dem Ordinariate für (jeologie vertauscht hatte, wurde
das erstere Fach nicht mehr in besonderen regelmassigen \^)r-
tragen behandelt.
Kine selbständige Vertretung erhielt jedoch die Paläontologie
wiederum, als im Jahre 1873 M. Neumayr zum Kxlraordinarius
für Paläontologie ernannt wurde. Hr hielt seine Vorlesungen
anfangs im alten C.onvictsgebäude in denselben Haumen ab, in
denen (ieologie gelesen wurde; im Jahre 1879 wurde er zum
Ordinarius ernannt und erhielt i883 bei Übersiedlung der L'ni-
versitiit in das neue (iebäude ausreichende Uaume zugewiesen,
in denen seither das palaontologische Institut selbständig unter-
gebracht ist. Schon 1890 schloss der Tod die glanzende Lauf-
bahn Neumayrs ab, und an seiner Stelle wurde \V. Waagen
im selben Jahre zum Ordinarius für Paläontologie ernannt, der
gegen Knde der Siebzigerjahre schon Vorlesungen an der hiesigen
rniversitiit über die (ieologie Indiens und allgemeine palaonto-
logische Themen abgehalten und sodann von 1880 --i 890 als
Professor an der technischen Hochschule in IVag gewirkt hatte.
Neben den Fachprofessoren habilitierte sich 1880 Th.
Fuchs, heute Director der geologisch-paliiontologischen Abthei-
lung des k. k. Ilofmuseums, für Paläontologie (seit 18(^7 ausser-
ordentlicher Professor), 1882 V. Fhlig tseit 1890 ordentlicher
Professor an der Technik in Prag) für Paläontologie und er-
langte später die Kr Weiterung der venia legendi auch für (ieo-
logie, 1897 G. V. Arthaber für Paläontologie und im selben
Jahre erlangte auch Fr. Krasser die Krweiterung seiner venia
leiienJi für Botanik, sodass nun auch Phytopaliiontologie zum
Vortrage gelangt.
Als wichtiges Kreignis in der kurzen (ieschichte des Insti-
tutes ist das Krscheinen der Zeitschrift zu erwähnen, die, von
3 I O Philosophische FacultäL
E. V. Mojsisovics und M. Neumayr begründet, im Jahre 1882
unter dem Titel: «Beiträge zur Paläontologie Österreich-
Ungarns und des Orients> begann, dann aber mit dem Tode
Neumayrs zeitweilig zu erscheinen aufhörte; erst im Jahre 1895
gelang es W. Waagen mit Hilfe einer namhaften Unterstützung
von Seiten des k. k. Unterrichtsministeriums, die Zeitschrift allein
weiterzuführen, der dann im Jahre 1897 G. v. Arthaber in die
Redaction aufnahm. Viele der darin enthaltenen Arbeiten sind
von den Schülern Neumayrs und Waagens ausgeführt.
IX. Botanik. Die Lehrkanzel der Botanik war im vorigen
Jahrhunderte mit jener der Chemie und eine Zeitlang auch mit
jener der Pharmakologie vereinigt und gehörte der medicinischen
Facultät an. Erst mit der Ernennung Endl ichers 1840 wurde
sie von jenen Disciplinen abgetrennt.
Eine namhafte Förderung wurde den botanischen Studien
zutheil, als die Kaiserin Maria Theresia auf den Rath des Leib-
arztes van Swieten die Initiative zur Ausgestaltung der medi-
cinischen Facultät ergriff und damit auch die Gründung des noch
heute bestehenden botanischen Gartens am Rennweg einleitete.
Dieser bis dahin im Privatbesitz befindliche Garten wurde im
Jahre 1754 um 9000 fl. angekauft und zur Einrichtung und
Leitung dem damals aus Nancy als Professor der Chemie und
Botanik berufenen R. Laugier übergeben. Die Jahresdotation
betrug damals 2000 fl. Nach dem Abgange des Genannten trat
1768 Nikolaus Freiherr v. Jacquin an dessen Stelle, und die
Professur sowie die Verwaltung des Gartens nahmen einen be-
deutenden Aufschwung. Das dreibändige Werk: tHortus bota-
niciis Vindobonensis* gibt Zeugnis von dem Reichthum des
(Jartens und von dessen wissenschaftlicher Verwendung. Die
Ämter gingen 1796 auf den Sohn Josef F'reiherrn v. Jacquin
über, als der Vater in den Ruhestand getreten war. Der jüngere
Jacquin hatte diese Stellung durch mehr als 40 Jahre inne. In
dem wissenschaftlichen Leben Wiens spielte derselbe eine wich-
li^^e Rolle, und sein Haus war in den ersten Decennien dieses
Jahrhunderts der Sammelpunkt auserlesener (Jeister. Im Sommer
pllcutc er im botanischen Garten zu wohnen, der nach damaligen
liei;nffcn weil von der Sladt entfernt war. Letzterer erfuhr 1819
PhiloskOphUchc Facultät. 3l I
eine bedeutende Vergrösserung, indem Kaiser Franz I. den südlich
anstossenden Gnmd oberhalb des jetzigen Museums, welcher
dem Hüfärar gehörte, für die Zwecke des botanischen Gartens
diesem zur Benützung, jedoch nicht als Eigenthum überliess.
Nach Jacquins Ableben wurde 1840 Stephan Endlicher
zum Professor der Botanik und zum Director des botanischen
Gartens ernannt, ein Mann von seltenem Genie und erstaunlichem
Wissen, der nicht nur in der Botanik, sondern auch in der deut-
schen und der altclassischen IJteratur, im Gebiete der ostasia-
tischen Sprachen, der Geschichte und Geographie schriftstellerisch
thiitig war. Zuerst Scriptor an der Hofbibliothek, dann (-ustos
an der botanischen Abiheilung der Hofsammlungen, verliess er
die letztere Stellung, die an Fenzl übergieng, und widmete sich
nun ganz der systematischen Botanik. Als er sein grosses Werk,
die * Genera planianim* (i83i — 1841), verfasste, machte sich der
Nachtheil einer Trennung der Sammlungen und Bibliotheken
geltend, welche zu vereinigen er sich nun bemühte. Kr wusste
den Kaiser Ferdinand I., einen eifrigen Verehrer der scientia ama-
bilis, der oft im botanischen Garten l'nterricht nahm, zu be-
wegen, die Übertragung der dem Hofe gehörigen botanischen
Sammlungen und der zugehörigen Bibliothek in den botanischen
Garten anzuordnen. Hier war 1844 auf Kndlichers Veranlassung
ein Museum erbaut worden, in dessen Räume 1845 die unter
Fenzls Leitung stehenden Sammlungen übersiedelten. Der bo-
tanische (iarten, in dem Endlicher sowie die Nachfolger wohnten,
wurde mit grosser Sorgfalt gepflegt. Der ^Cataloiiiis horti aca-
demici Vindobonensis> (1842) zählt 8186 Pflanzenarten auf.
Nach Endlichers Tode 1849 wurde Eduard Fenzl zum
Nachfolger ernannt. Er behielt die Gustodenstelle am botanischen
Hofmuseum bei, verzichtete jedoch auf den grösseren Theil des
(jchaltes als Professor. Tnter seiner Leitung wurde das umfang-
reiche Herbar, das bisher aus vielen Einzelsammlungen bestand,
systematisch geordnet, die vereinigte Bibliothek mit grösstem
Eifer bereichert und vervollständigt, so zwar, dass es gelang,
dieselbe zu dem ersten Hange unter den Fachbibliotheken der
gleichen Richtung zu erheben. Im botanischen Garten wurde
der obere Theil vollständig bepflanzt und mit einer schönen
3 I 2 Philosophische Facultät.
Coniferensammlung bedacht. In den unzureichenden Glashäusern
wurden viele der neuen exotischen Gewachse cultiviert, ferner
wurde durch Samentausch, durch Betheiligung des Gartens an
öffentlichen Ausstellungen eine günstige Wirkung auf andere
Anstalten ausgeübt. Das Herbar, die Bibliothek, die Arbeits-
räume stellte Fenzl mit grosser Liberalität sowohl Fachgenossen
als jüngeren Kräften zur Verfügung, daher in dieser Zeit viele
aufstrebende Talente mächtig gefördert wurden. Auch die zoo-
logisch-botanische Gesellschaft sowie die Gartenbau-Gesellschaft
verehrten in Fenzl ihren eifrigen Förderer und Beschützer.
Bald nach Fenzls Amtsantritte wurde 1850 ein zw-eitcr Pro-
fessor desselben F'aches bestellt und Franz Unger an die Stelle
berufen. Beide theilten sich in ihre Aufgabe so, dass Unger im
Winter in der Universität über Anatomie und Physiologie der
Pflanzen, Fenzl hingegen im Sommer, anfangs im botanischen
Museum, später in der sogenannten Gewehrfabrik, zuletzt in der
neuen Universität über Morphologie und Systematik der Pflanzen
Vorlesungen abhielten. Seit dieser Zeit erscheint also der wissen-
schaftliche Betrieb der Botanik an der Universität nach zwei
Richtungen gesondert.
Im Jahre 1878 trat Fenzl in den Ruhestand. An seine
Stelle wurde Anton Kerner v. Marilaun aus Innsbruck als Pro-
fessor der systematischen Botanik und Director des botanischen
Gartens berufen. Dieser entwickelte in beiden Richtungen eine
intensive und fruchtbringende Thätigkeit. Er trennte den Unter-
richt der Mediciner von jenem der Pharmaceuten und gab
in beiden Semestern Vorlesungen und Demonstrationen in den
für systematische Botanik bestimmten Räumen des neuen Uni-
versitätsgebäudes.
Nach Fenzls Rücktritt wurde infolge der schon früher be-
rührten (iründung einer Intendantur der naturhistorischen Hof-
museen die Directorstcllc am botanischen Flofcabinete nicht mehr
besetzt, wonach die Leitung des botanischen Gartens und jene
des dem Hofe i^ehöriiien Herbars nicht mehr in einer Hand
vercinii;t war. Dies führte zur Trennung der beiden Anthcile
im Jahre 1879. und die Hofsammlung sammt der zugehörigen
Bibliothek wurden 1884 in das neu erbaute naturhistorische Hof-
Philosophische Facultät. 3 I 3
muscum übertragen. Damit war die von Endlicher bewirkte Ein-
heitlichkeit der botanischen Forschungsmittel wieder aufgehoben.
Kerner vergrösserte jedoch rasch das LIniversitatsherbar, das
durch Schenkungen und Tausch, letzteres besonders seit der
1881 begonnenen Herausgabe der ^ Flora exsiccata Austro-Hun-
f^arica* vermehrt wurde, und vervollständigte die Bibliothek des
Museums. Der botanische Garten wurde namentlich in dem
unteren Theile vollständig umgestaltet. Hier legte Kerner eine
grosse Anzahl pflanzengeographischer Gruppen an, indem für
die japanische Flora, für die canadische, californische, die Alpen-
flora u. s. w. besondere Beete bestimmt wurden, so dass in
jedem derselben ein landschaftliches Bild von ebenso geschmack-
voller als belehrender Wirkung entstand. Der obere I heil des
(iartens, in welchem sich die systematische Abtheilung beflndet,
wurde gleichfalls in der Anlage vervollständigt und wurden
die besonderen Anpflanzungen von offlcinellen und technisch
wichtigen Pflanzen verbessert. Im Freien wurden in der syste-
matischen Abtheilung über 4000 Pflanzen cultivicrt. Nachdem
der Umfang des (iartens durch Abtretung eines Streifens für
die neu eröffnete Jacquingasse und oberhalb durch Rücknahme
eines Theiles an das Hofärar verkleinert worden, gelang es
Kerner, den übrigen Theil des hofärarischen Grundes definitiv
als Eigenthum des botanischen (iartens zu erhalten. Durch die
Allerhöchste Entschliessung vom 2. Juli 1889 wurde von Sr. Ma-
jestät dem jetzt regierenden Kaiser die Grundfläche von 6 Joch
und 1072 (^uadratklaftern unentgeltlich an das Staatsärar ab-
getreten unter der Bedingung, dass auf diesem Grunde ausser
(ie Wächshäusern keine anderen Bauten aufgeführt werden dürfen,
und dass das geschenkweise zu überlassende Terrain bei etwaiger
Auflassung des botanischen (iartens ohne Entschädigungsanspruch
seitens der rnterrichtsverwaltung wieder in den Besitz des Hof-
ärars zurückfalle.
Durch diese hochherzige Schenkung, deren Wert auf mehr
als zwei Millionen (iulden geschätzt wurde, hat der Tmfang des
botanischen (iartens von dort ab ein unveränderliches Aus-
nuiss erhalten, das für die /wecke desselben vollständig aus-
reicht.
3 1 4 Philosophische Facuhät.
Die alten, im vorigen Jahrhundert erbauten Gewächshäuser,
über deren Unzulänglichkeit schon Fenzl Klage geführt und deren
Umbau von letzterem wiederholt urgiert worden war, begannen
einzustürzen. Die Unterrichtsverwaltung fand sich nunmehr be-
wogen, den Neubau derselben anzuordnen, und 1893 wurden
unter Kerners Leitung elf neue Gewächshäuser für den Betrag
von 10.000 fl. erbaut, welche allen heute zu stellenden An-
forderungen entsprechen. Das (Zentrum der Anlage wird von
einem Palmenhaus gebildet, zu dessen Seiten zwei Häuser in
einer Linie stehen, von der wiederum Seitentracte abzweigen.
Die Räume westlich vom Palmenhause dienen der Cultur von
Kalthauspflanzen, während die östlich gelegenen Räume den
Warmhauspflanzen gewidmet sind. In allen Gewächshäusern
werden zusammen ungefähr 4100 Pflanzenarten cultiviert.
Das 1844 aus Staatsmitteln erbaute Museum des botanischen
Gartens, welches nach Entfernung der botanischen Hofsammlung
und Räumung des früher bestandenen Hörsaales durch Kerner
von neuem ausgestaltet worden, enthält jetzt ausser dem Herbar
und der Bibliothek eine carpologische, eine Droguensammlung.
eine Sammlung von Spirituspräparaten, von Holzarten, von bio-
logisch interessanten, von phytopaläontologischen Objecten u. s. >v.
nebst mehreren Arbeitsräumen. 'j
Kerners letztes literarisches Werk war die Herausgabe des
«Pflanzenlebens der Erde», dessen zweite Auflage vor kurzem
erschienen war, als der Verfasser am 21. Juni 1898 aus dem
Leben abberufen wurde.
Während der Wirksamkeit F'enzls und Kerners traten an
der Universität mehrere jüngere Lehrkräfte auf, die sich der syste-
matischen Botanik widmeten: 1860 habilitierte sich Reichardt,
der 1872 zum ausserordentlichen Professor in Wien ernannt
wurde, 1866 Wretschko, später Landesschulinspector, 1873
Pevritsch, der von ICS78 an als Professor an der Universität
') Eine eingehende Ik'schreilmni; der Kinrichuinj^en iles botanischen Gartens
iinii Museums, gleichwie des später anzuführenden ptlan/enph^^i()!<)gischen Institutes
ist in l*r(»t. v. W'ettsteins Schritt: Die botanischen Anstalten Wiens (Wien 1894)
enthalten.
PhiK>s<jphi»che Kuculiät. ^ I 5
Innsbruck wirkte, 1884 v. Beck, der 1895 ^""^ ausserordent-
lichen Professor in Wien ernannt wurde, 1886 Wettstein, der-
zeit Professor an der Universität Prag, 1888 Stapf, derzeit an
dem Museum in Kew, 1890 Fritsch, der 1896 zum ausser-
ordentlichen Professor in Wien ernannt wurde.
Im Jahre 1850 war der Professor der Botanik am tech-
nischen Institute zu Graz Franz Unger an die Wiener Universität
berufen worden, der hier seine Lehrthatigkeit auf die Anatomie
und Physiologie der Pflanzen richtete und durch seine Arbeiten
Österreichs Antheil an dem Aufschwünge dieses Zweiges der
Botanik sicherte. Kr war ein vielseitiger Forscher, der die Natur-
geschichte der Pflanzenwelt nicht nur in physiologischer, sondern
auch in paläontologischer, geographischer und culturhistorischer
Beziehung aufzuhellen bestrebt war. Durch seine Schrift über
die Urwelt in ihren verschiedenen Bildungsperioden, die von
landschaftlichen Bildern begleitet war, hat der Name Unger auch
einen volksthümlichen Klang erhalten.
Durch seine von Demonstrationen begleiteten V^orträge wirkte
derselbe ungemein anregend auf seine Zuhörer, aus deren Beihe
die beiden im P^olgenden angeführten Vertreter derselben Richtung
hervorgiengen.
Hin Schüler Ungers, Josef Böhm, wurde 1869 zum ausser-
ordentlichen Professor der Botanik ernannt. Seine Vorlesungen
bewegten sich namentlich auf dem (Jebiete der Anatomie und
Physiologie der Pflanzen. Seit 1873 wirkte derselbe als Nach-
folger Wiesners an der Forstakademie zu Mariabrunn, sodann
an der Hochschule für Bodencultur in Wien, blieb jedoch bis
zu seinem 1 893 , eingetretenen .Ableben im Verbände der Uni-
versität, an welcher er 1S78 auch den Titel und (Charakter eines
ordentlichen Professors der Botanik erhielt.
Nach dem 1866 erfolgten lUicktritt Ungers vom Uehramte
wurde 1869 II. Karsten aus Berlin an dessen Stelle berufen,
welcher jedoch nach kurzer Wirksamkeit im Jahre 1872 Oster-
reich wieder verliess. Kr machte den Anfang mit der Hinrichtung
eines botanisch-physiologischen Laboratoriums, in welchem die
Studierenden in die anatomische Untersuchung der Pflanzen ein-
geführt wurden.
r»
3 1 6 Philosophische Facultät.
1873 wurde Julius Wiesner zum ordentlichen Professor
der Anatomie und Physiologie der Pflanzen ernannt. Damit
war von jetzt ab die Bestimmung der zweiten Lehrkanzel der
Botanik ausdrücklich bezeichnet und das erste Ordinariat dieses
Flaches in Österreich geschaffen. Nun wurde ein den gegen-
wartigen Anforderungen entsprechendes pflanzenphysiologi-
sches Institut eingerichtet, welches anfangs neben dem physi-
kalischen Cabinet in der Türkenstrasse untergebracht war, später
in dem neuen Universitätsgebäude seine Ausgestaltung erfuhr,
so dass es das erste derartige Institut ist, wxlches im grossen
Stile ausgeführt wurde. Es befindet sich im zweiten Stockwerke
des nördlichen Tractes, wo es eine Bodenfläche von 734 m^ ein-
nimmt und ausser einem Hörsaal nebst den erforderlichen
Arbeitsräumen für mikroskopische, biologische, physikalische und
chemische Untersuchungen auch ein Kalt- und Warmhaus, end-
lich eine Sammlung und Bibliothek umfasst. (Siehe die Anm.
auf Seite 314.)
In dem Institute werden die anatomischen Demonstrationen
abgehalten, welche die für Mediciner und Pharmaceuten bestimm-
ten Vorträge begleiten, und wird auch der praktische Unterricht
der Lehramtscandidaten ertheilt. Den Vorgeschrittenen wird
durch die Einrichtung des Institutes Gelegenheit zur Durchführung
wissenschaftlicher Arbeiten gegeben, und dem entsprechend haben
sich bisher zahlreiche jüngere Gelehrte des In- und Auslandes
daselbst wissenschaftlich bethätigt. Die im Institute ausgeführten
Arbeiten beziehen sich auf alle Gebiete der Anatomie und Phy-
siologie der Pflanzen, zugleich auf den Zusammenhang dieser
mit der systematischen Botanik, und dem entsprechend kamen
auch zahlreiche Untersuchungen über den anatomischen Bau be-
stimmter natürlicher Pflanzenfamilien zur Durchführung. Auch
die Anwendung der Pflanzenanatomie auf archäologische, paläo-
graphische und technische Fragen, zu der sowohl die Ansuchen
von Fachgelehrten als auch von Staatsämtern (ielegenheit geben,
wird in dem Institute gepflegt und ist häutig der Anlass zu wcit-
ureifcnden l/ntersuchunuen.
An Habilitationen in der jetzt genannten Richtung sind zu
verzeichnen: i«S8o K. Mikosch, jetzt Professor an der techni-
Philosophische Facultlt. 317
sehen Hoehschule zu Brunn; 1885 H. Molisch, gcf^enwärlig
ordentlieher Professor an der deutschen l'niversitiit in Prag; 1893
F. Krasser, Assistent am Hofmuseum; 1894 A. Burgerstein, jetzt
(ivmnasialprofessor in Wien; 1895 F- Czapek, jetzt Professor
an der deutschen technischen Hochschule in Prag.
X. Zoologie. Vor dem Jahre 1848 wurde specielle Natur-
geschichte (Zoologie und Mineralogie) an der medicinischen
Facultiit zuletzt von (Caspar Fischer vorgetragen. An der philo-
sophischen Facultüt wurde allgemeine Naturgeschichte von 1843
bis 1848 durch Supplenten vertreten. 1848 tritt ,lohann Friese
als ordentlicher Professor dieser Lehrkanzel auf und bleibt bis
zu seinem Tode (1866) in Wirksamkeit, worauf eine Wieder-
besetzung dieser Stelle nicht mehr erfolgte.
Als im Jahre 1848 mit Reformen an der Universität be-
gonnen wurde, ward (Caspar Fischer mit anderen enthoben,
wurden laut Allerhöchster Kntschliessung vom 16. November 1849
die Professuren der naturhistorischen Fächer von der medi-
cinischen Facultiit an die philosophische Facultät übertragen
und zum Professor der Zoologie Rudolf Kner ernannt. Kner
war somit der erste, welcher eine ausschliesslich zoologische
Lehrkanzel an der Wiener Tniversität innehatte. Kner ver-
waltete auch das «zoologische Museum» der Lniversitat.
Im Juni 1861 wurde eine Professur für Zootomie neu er-
richtet und dieselbe dem Professor der Zoologie und vergleichen-
den Anatomie an der Pester Iniversitiit Karl Bernhard Brühl
verliehen, im November i863 das «zootomische Institut» eröffnet,
welches bis 1865 in einem Privatgebaude (Bergstrasse iSi unter-
gebracht war und 1865 in das (jewehrfabriksgebiiude in der
Währingerstrasse übersiedelte. Zur ersten Hinrichtung einer Lehr-
mittelsimimlung erhielt dieses neue Institut eine grössere Zahl
von conservierten wirbellosen Thieren und Wirbelthierpraparaten
aus dem unter Hvrtls Leitung stehenden Museum für ver-
gleichende Anatomie, sowfe einige Objecte aus dem k. k. .Militiir-
Thierarznei-Institute.
Zu Knde des Jahres 1861 wurde Ludwig Karl Schmarda
/um Professor der Zoologie an der Wiener Universität ernannt.
Schmarda benutzte zu den Vorlesungen seine Privatsammlung,
3 I 8 Philosophische Facultät.
die er auf seiner Reise um die Welt angelegt hatte, t)is
er nach dem Tode Kners das zoologische Museum über-
nahm, welchem seine Privatsammlung, nachdem dieselbe durch
Kauf in den Besitz des Staates getreten war, einverleibt
wurde.
Nach dem im Herbste 1869 erfolgten Tode Kners wurde
dessen Lehrkanzel erst 1873 wiederbesetzt. Bei den Berathungen
über die zu machenden Vorschläge brach sich unter dem Ein-
flüsse des grossen Aufschwunges, welchen die Zoologie, die
vergleichende Anatomie und Entwicklungsgeschichte im Aus-
lände vor allem durch die mächtige Anregung nahm, welche
Darwins Lehre gab, die Anschauung Bahn, dass ein Vertreter
dieser Richtung gewählt werden sollte, und es wurde, als die
Unterhandlungen mit dem zunächst in Aussicht genommenen Pro-
fessor der Zoologie in Jena Krnst Häckel zu keinem Resultate
führten, Professor Karl Claus aus Göttingen als Professor der
Zoologie und vergleichenden Anatomie berufen.
Claus trat im Herbste 1873 sein Lehramt an unserer Uni-
versität an. Das von Claus neu eingerichtete Institut erhielt
die Bezeichnung «zoologisch-vergleichend-anatomisches Institut»
und wurde in einem Privathause (Schottenring 22) untergebracht,
(^laus richtete das Institut vorwiegend als Laboratorium ein,
legte eine kleine Sammlung von Thieren und eine reiche CoUec-
tion anatomischer und entwicklungsgeschichtlicher Modelle, sowie
eine sich mit den Jahren stattlich entwickelnde Fachbibliothek
an. Im Jahre 1874 ^'urde bei Hyrtls damaligem Scheiden aus
dem Lehramte das von ihm geschaffene reichhaltige Museum
für vergleichende Anatomie der zoologisch -vergleichend -anato-
mischen Lehrkanzel von Claus zugewiesen. Im Jahre i883
übersiedelte das Institut in das damals fertiggestellte neue Haupt-
gebäude der Universität, wobei auch das Ilyrtrsche Museum,
welches in dem (iewehrfabriksgcbäudc untergebracht war, über-
tragen wurde. Kinen sehr wichtigen und wertvollen Behelf hatte
das zoologisch -vergleichend -anatomische Institut in der 1874
errichteten k. k. zoologischen Versuchsstation in lYicst, welche
noch dadurch in einem engeren Verhältnisse zum Institute stand,
als C>laus später alleiniger Director der Station war.
Philosophische Facult&t. 3 1 9
An dem zoologisch -vergleichend -anatomischen Institute
wurde, auch dank der reichen Hilfsmittel, rege gearbeitet, und
mit den zahlreichen Abhandlungen, welche aus demselben
hervorgiengen, erfolgte 1878 die Gründung der Zeitschrift:
«Arbeiten aus dem zoologischen Institute der Universität Wien
und der zoologischen Station in Triest>.
Als im Jahre 1884 Schmarda in den Ruhestand trat, wurde
das seiner Lehrkanzel unterstehende zoologische Museum und
die Handbibliothek desselben, welche i883 aus dem alten Uni-
versitiitsgebäude in der Backerstrasse gleichfalls in das neue
Hauptgebäude der Universität übersiedelt wurden, mit dem zoo-
logisch-vergleichend-anatomischen Institut vereinigt. In dem-
selben Jahre wurde dem 1872 habilitierten, seit 1874 ^^usscr-
ordentlichen Professor Friedrich Brauer, damals (>ustos (gegen-
wärtig Director) an der zoologischen Abtheilung des k. k. Hof-
museums, der Rang eines Ordinarius verliehen und der 1879
habilitierte Privatdocent Karl G robben zum ausserordentlichen
Professor der Zoologie ernannt.
Der gesetzlichen Bestimmung gemäss trat im Jahre 1890
der Professor der Zootomie Brühl nach erreichtem 70. Lebens-
jahre in den Ruhestand. Im Jahre 1893 wurde G'robben zum
ordentlichen Professor der Zoologie ernannt und demselben die
Sammlung des zootomischen Institutes als Lehrmittelsammlung
zugewiesen. Die Bezeichnung «zootomisches Institut > wurde
sodann in cII. zoologisches Institut» umgeändert.
• • • •
Line weitere Änderung trat mit dem 1896 erfolgten Über-
tritte von Karl C'.laus in den Ruhestand ein. Als zweiter Pro-
fessor der Zoologie wurde Berthold Hatschek aus Prag berufen.
Zugleich erfolgte eine von der philosophischen Facultät ein-
stimmig angenommene und vom hohen .Ministerium genehmigte
Neuordnung der vorhandenen Institute und Sammlungen. Ks
wurde nunmehr auch die Sammlung und Bibliothek des II. zoo-
logischen Instituts ^vormals zootomischen Instituts) mit den be-
reits früher unter Claus zusammengezogenen Sammlungen und
Bibliotheken zu einer für beide Professuren gemeinschaftlichen
* zoologisch -vergleichend -anatomischen Sammlung und Biblio-
thek > mit einer Dotation von 1600 tl. vereinigt. Die Institute
320 Fhilos<^>phischc Facultät.
dagegen bleiben als «I. zoologisches Institut > (Vorstand Grobben)
und <n. zoologisches Institut» (Vorstand Hatschek) getrennt
erhalten, jedes mit einer aus den vorhandenen Beständen zu-
sammengestellten Vorlesungssammlung, wissenschaftlichen Ein-
richtung, sowie Dotation von looo fl. ausgestattet.
Mit dieser Vereinigung des II. zoologischen (vormals zoo-
tomischen) Instituts ergab sich die Übersiedlung desselben aus
dem Gewehrfabriksgebäude in das neue Hauptgebäude der Uni-
versität.
In diese Neuordnung trat auch Brauer mit seiner «ento-
mologischen Sammlung» ein, welche er während seiner Thätig-
keit an der Universität angelegt hatte.
Damit scheinen bezüglich der Institute auf die Dauer bestimmte
Verhältnisse eingetreten und ist durch die Vereinigung mehrerer
so wertvoller Sammlungen und Bibliotheken zu einer einheitlichen
Sammlung und Bibliothek ein so reicher Behelf für die Institute
geschaffen, dass diese dadurch zu den bestausgestatteten gerechnet
werden können. Die stetige reichere Ausstattung vor allem der
Institutslaboratorien entspricht den sich stets mehr ausbreitenden
praktischen Übungen, welche gegenüber den Kathedervorlesungen
in den Vordergrund treten.
Habilitiert haben sich in dem Zeiträume 1848 — 1898 ausser
den zuletzt genannten gegenwärtig an der Wiener Universität
als Professoren wirkenden Brauer, Grobben und Hatschek
noch: Gustav Jäger, später Professor am Polytechnicum in Stutt-
gart; Karl Heider, jetzt ordentlicher Professor der Zoologie an
der Universität in Innsbruck; ferner die gegenwärtig als Privat-
docenten wirkenden: Theodor Pintner, Conservator am I. zoo-
logischen Institute, Thaddäus Garbowski, Karl Gamillo Schnei-
der und Franz Werner.
XI. Geographie. Seit Begründung der Wiener Universität
sind wiederholt, und zwar namentlich in der Zeit der Huma-
nisten, Vorlesungen über geographische (iegenstände gehalten
worden, aber die Errichtung der ersten Professur für Geographie
fällt in die letzten fünfzig Jahre. Sie ist eine der wertvollen
Bereicherungen, welche die Universität durch die grosse Reform
des (irafcn Leo Thun erfahren hat. Kr erkannte 1851 in
Philosophische Faculiftt. 321
Friedrich Simony den richtigen Mann zur Vertretung des
Faches, für das wenige Jahre zuvor (1846 — 1848) der frühver-
storbene Roman Botzenhart und Adolf Schmidl (1848 — 1850)
habilitiert gewesen waren.
Simony war durch und durch Autodidakt, und auch die
Art und Weise, wie er seine Lehrthätigkeit aullasste, zeigte
keinerlei Beeinflussung durch zeitgenössische Meinungen. Er war
Naturforscher und pflegte die Geographie als solcher. Kr suchte
seine Schüler sowohl im lebendigen Anschauen der Natur, wie
auch namentlich in ihrer bildlichen Wiedergabe zu üben. Die
graphische Methode des Unterrichtes pflegte er mit besonderer
Liebe. Hat Karl Ritter in Berlin durch seine geographischen
Vorlesungen seine Hörer begeistert und dem Fache Geltung auf
akademischem Boden geschaffen, so wirkte Simony durch seine
geographischen Übungen und ist der erste gewesen, welcher ein
geographisches Institut, anfänglich Gabinet genannt, an einer
Hochschule einrichtete. Erst viel spater ist an anderen Univer-
sitäten dem von ihm gegebenen Beispiele gefolgt worden.
Die Errichtung eines solchen Institutes strebte er seit seiner
Ernennung an. Er war namentlich in den ersten Jahren selbst
thalig, um den nothwendigen Schatz an Lehrmitteln, an denen
damals noch grosser Mangel herrschte, herzustellen, wobei ihm
seine zeichnerische Begabung sehr zustatten kam. Er beschaffte
Specialkarten, Lehrbücherund Instrumente, er sammelte (Jesteins-
proben, Baumabschnitte u. s. w., in den Fünfzigerjahren gefördert
durch Subventionen seitens des Ministeriums, sowie 1872/73
durch eine regelmässige Institulsdotation. Doch gelang es ihm
im alten Universitälsgebäude nicht, zweckdienliche Räumlich-
keiten für diese Sammlungen zu gewinnen. Ferner strebte er
darnach, sich in steter Berührung mit der Natur zu erhalten.
Er verwendete nicht bloss die Ferien, sondern auch ganze
Semester zu Reisen, für die er auch Unterstützungen erhielt;
allerdings beschränkte er diese Reisen auf die .Alpen und hier
später auf das Salzkammergut. So waren denn die Umstände
für ein Einbürgern der naturwissenschaftlichen Geographie an
der Universität Wien ausserordentlich günstige. Aber an den
Mittelschulen Österreichs konnte sie nicht fussfassen. Es ist
(iw<-ctiulitw Jcr Wiener rni\cr»itüt. 22
32 2 Philosophische Facuhät.
wohl infolge des massgebenden P2influsses geschehen, den Ritters
Ideen durch längere Zeit, namentlich auf pädagogische Kreise,
ausübten, dass an den österreichischen Gymnasien der Unter-
richt der Geographie mit dem der Geschichte auf das innigste
verknüpft worden ist; die Studierenden der Geographie sind
vorzugsweise Historiker, bei denen das Interesse an natur-
wissenschaftlichen Problemen erst oft recht mühsam zu
wecken ist.
Neben Simony wirkte seit 1873 Julius Hann als Extra-
ordinarius für physikalische Geographie, bis er (1877) zum
ordentlichen Professor der Physik und Director der k. k. meteoro-
logischen Centralanstalt ernannt wurde.
Als 1885 Simony nach vollendetem 70. Lebensjahre in
den Ruhestand trat, kam im Professorencollegium einhellig die
Anschauung zur (Geltung, dass eine Doppelbesetzung der Lehr-
kanzel der Geographie zum Betriebe ihrer beiden Richtungen,
der historischen und der naturwissenschaftlichen, nothwendig sei.
Das Ministerium gieng hierauf ein, worauf 1885 der damalige
ordentliche öffentliche Professor der Geographie an der Univer-
sität Graz Wilhelm Tomaschek und der Privatdocent an der
Universität München Albrecht Penck zu Ordinarien der Geo-
graphie ernannt wurden. Diese Doppelbesetzung des Faches ist
seither für die Professuren in Berlin und St. Petersburg vorbild-
lich geworden, sie erweist sich ebenso als eine Wohlthat für
seine Vertreter, wie als Vortheil für die Studierenden. Fls können
nunmehr alle Zweige der Geographie in entsprechender Weise
vorgetragen werden, was für einen Einzelnen bei der grossen
Ausdehnung des Gebietes der Erdkunde nur sehr schwer mög-
lich ist. Dabei hat sich zwischen den beiden Fach Vertretern eine
naturgemässe Arbeitstheilung ganz von selbst entwickelt. Toma-
schck liest über die allgemeinen (Kapitel der historischen Geo-
graphie und bevorzugt sonst die alten (Ailturländer am Mittei-
meere und indischen Ocean, Penck behandelt die allgemeine
Erdkunde, sowie die modernen (Kulturländer. Neben ihnen
wirkt seit 1893 Dr. Robert Sieger als Privatdocent, während
Dr. Philipp Pauli tschke, seit i883 habilitiert, seit einem Jahr-
zehnte ausschliesslich über \ ölkerkunde liest.
Philosophische Facultät. 323
Besondere Aufmerksamkeit ist seitens der nunmehrigen
(ieographieprofessoren der weiteren Ausgestaltung des geographi-
schen Institutes zugewendet worden. Diesem sind im neuen
Universitätsgebäude weit bessere Räumlichkeiten als im älteren
zugewiesen. Die Sammlungen Simonys gaben einen wert-
vollen Grundstock ab, er konnte 1886 durch eine einmalige
grössere Subvention und seither durch eine regelmässige Dota-
tion systematisch erweitert werden. Jetzt wurde ein reiches
Demonstrationsmaterial an Wandkarten, Tafeln, Abbildungen und
Reliefs beschafft und ein Projectionsapparat erworben. Ferner
sind die Kartensammlung und die Handbibliothek namhaft ver-
grössert worden. Auch das Instrumentarium wurde bereichert.
Die gebotene Arbeitsgelegenheit wird von den Studierenden,
auch regelmässig von solchen des Auslandes, ausgiebig benützt.
Die Zahl der Arbeitsplätze, anfänglich 5, wurde auf 12 ver-
mehrt, und seit 1891 kann das Institut seine Arbeiten, gefördert
durch eine Subvention des Ministeriums, als regelmässig er-
scheinende Rublication herausgeben.
Die dem Institute im 'liefparlerre des Universitälsgebäudes
zugewiesenen Räume sind längst zu klein geworden. Ein im
zweiten Stocke des Hauses belindlicher Annex hilft dem Raum-
mangel in einer mannigfache Unbequemlichkeiten mit sich brin-
genden, daher nur provisorischen Weise ab.
Privatdocenten für Geographie sind ferner gewesen: Vincenz
Klun, habilitiert 1862 für vergleichende Krdkunde im Sinne
Ritters, gestorben 1875 ^^^ Ministerialrath i. R.; Josef Lorenz,
habilitiert 1862 für physikalische (ieographie, nunmehr Josef
Lorenz Ritter v. Liburnau, k. k. Sectionschef i. R.; Karl Diener,
habilitiert 1886 für physikalische (Jeographie, nunmehr ausser-
ordentlicher Professor der (ieologie in Wien.
XII. Geschichte. Seitdem die philosophische Kacultät eine
X'orbildungsschule für die anderen Facultälen geworden war,
wurde bis zum Jahre 1848/49 in dem zweiten Jahre dieser
Studien Weltgeschichte als ein relativ obligater (Jegensland vor-
getragen, indem die Studierenden, welche vom Schulgelde be-
freit waren, dies CoUegium hören und darüber eine Prüfung
ablegen mussien. Daneben gab es noch Vorlesungen über öster-
324 Philosophische Facultät.
reichische Staatengeschichte, Diplomatik und Heraldik. Mit
diesem Amte war seit 1844 Professor Dr. Johann Nepomuk
Kaiser betraut, der auch nach der Reorganisation der Facultät
seine Thätigkeit bis 1861/62 fortsetzte.
Im Jahre 1850 wurde Wilhelm Heinrich Grauert von der
Akademie in Münster, wo er seit 1827 als Professor wirkte, an
unsere Hochschule als Professor der allgemeinen Geschichte be-
rufen und übernahm zugleich die Mitleitung des historisch-philo-
logischen Seminars, wurde aber dieser Thätigkeit schon 1852 durch
den Tod entrissen. An seine Seite trat 185 1 Albert Jäger, seit 1845
Professor in Innsbruck, für österreichische Geschichte, und über-
nahm neben dem Antheile an der Leitung des Seminars auch
die Direction des mit Allerhöchster Entschliessung vom 20. Oc-
tober 1854 gegründeten Institutes für österreichische Geschichte.
Nach einundzwanzigjähriger l'hätigkeit an der durch das Gesetz
bestimmten Altersgrenze angelangt, trat er im Frühjahre 1872 in
den Ruhestand und starb hochbetagt 1891 in seinem Heimat-
lande Tirol. Schon vor seinem Amtsantritte hatte sich 1850
Adam Wolf für österreichische Geschichte habilitiert, der 1852
zum Professor an der Universität in Pest ernannt, 1856 einem
anderen wichtigen Berufe folgte und nach Erfüllung der ihm
gestellten Aufgabe 1865 wieder zur Lehrthätigkeit als Professor
an der Universität in Graz zurückkehrte, wo ihn i883 ein früher
Tod ereilte.
An Grauerts Stelle trat 1853 Josef Aschbach, seit 1842
Professor in Bonn, der fast zwanzig Jahre in dieser Stellung bis
1872 wirkte, wo er, ein Siebzigjähriger, zurücktrat, aber doch
noch öfter Collegien las, bis er 1882 aus dem Leben schied.
Mit seiner Zustimmung hatte sich 1855 Beda Franz Dudik
habilitiert und im Sommer dieses Jahres über Quellen zur
mittleren Geschichte gelesen; bald aber wurde er durch die Be-
sorgung anderer Aufgaben in Anspruch genommen und beschloss
nach vielen wissenschaftlichen Bemühungen sein Leben im
Januar 1890.
Im Jahre 1856 zum besoldeten Docenten an dem Institute
für österreichische Geschichtsforschung ernannt, erhielt Theodor
v. Sickel 1857 die ausserordentliche Professur für historische
Philosophische Facuhät. 325
Hilfswissenschaften, 1867 die ordentliche Professur für Geschichte
und das Directorat des erwähnten Institutes, welche Stellen er
bis 1 890 bekleidete, wo er als Universitatsprofessor in Ruhestand
trat, zugleich aber mit der Leitung des neu begründeten Istituto
Austriaco dt sludii storici in Rom betraut wurde. Gleichzeitig
mit ihm begann Ottokar Lorenz seine Wirksamkeit, der, 1856
habilitiert, 1860 ausserordentlicher und 1861 ordentlicher Pro-
fessor mit umfassender Lehrberechtigung, seine Lehrthatigkeit
mit besonderer Rücksichtnahme auf österreichische Geschichte
bis 1885 fortsetzte, wo er einem Rufe an die Hochschule von
Jena folgte.
Die Jahre unmittelbar nach 1856 brachten eine Reihe von
Habilitationen, so 1860 die von Leo Reinisch für alte (Jeschichte
und Ägyptologie, der, 1868 zum ausserordentlichen, 1874 ^tim
ordentlichen Professor der Ägyptologie ernannt, sich ganz diesem
Fache widmete; i863 die von Heinrich Ritter v. Zeissberg für
allgemeine (ieschichte, der aber, alsbald als Supplent der Lehr-
kanzel der allgemeinen und österreichischen Geschichte nach
Lemberg berufen und 1865 zum Professor ernannt, 1872 nach
Wien berufen und 1890 mit der Direction des Institutes für
österreichische Geschichtsforschung betraut, 1897, wo er die
Direction der k. Hofbibliothek übernahm, vom Lehramte zurück-
trat; 1865 die von Kduard R Osler, der, 1870 Professor in Lem-
berg, 1871 in Graz, dort 1874 frühzeitig hinschied; 1866 die
von Kmanuel Hannak, gegenwartig Director des städtischen Pä-
dagogiums in Wien, für alte (Jeschichte, der die Docentur wegen
anderweitiger Berufsgeschafte niederlegte; 1868 die von Adalbert
Horawitz für mittlere und neuere Geschichte, der 1888 einem
schweren Leiden erlag; endlich 1869 die von Ludwig Ritter
V. Zitkowskv, Professor am akademischen Gvmnasium in Wien.
Nachdem Jager und Aschbach 1872 in den Ruhestand ge-
treten waren, begann im Herbste dieses Jahres zugleich mit
Zeissberg .Max Büdingen nach elf)ahrigem Ordinariate in Zürich
hierher berufen, seine Lehrthatigkeit. Er vertrat in seinen Vor-
lesungen die l'niversalgeschichte überhaupt und besonders die
des Alterthums, wahrend über mittlere und neuere Geschichte
Zeissberg, über österreichische Lorenz lasen. Bei der Trennung
des hislorischen Seminars von dem philologischen wurde die
Anordnunf? .2:etrolfen. dass Büdinger in beiden Semestern und
neben ihm Zeissber^a im Winter-. Florenz im Sommersemester
Übungen leiteten.
Die Geschichte des (Jrientes erhielt eine besondere Vertre-
tung dadurch, dass Josef Karabacek. 1869 habilitiert. 1874 zum
ausserordeniHchen und 1S84 zum ordentlichen Professor dieses
Faches und seiner Hilfswissenschaften ernannt wurde. Neben
ihm wurde Jakob Krall. iSSi habilitiert. 1890 zum Extra-
ordinarius. 1S97 zum Ordinarius bestellt, mit Vorlesungen über
die altere Geschichte des Orientes betraut.
L'm der Geschichte des classischen Alterthums mit Rück-
sicht auf die alten Denkmaler und die Epigraphik eine weiter-
gehende Berücksichtigung zu gewähren, worüber in dem Ab-
schnitte «(klassische Alterthumskunde* das Nähere bemerkt ist,
wurde 1876 (Jtto Hirsch feld von Prag als Professor für alte
Geschichte und Epigraphik berufen und zum I.eiter der einen
Abtheilung des neu begründeten archäologisch-epigraphischen
Seminars bestellt. Ihm folgte bei seinem Abgange nach 1885
Eugen Bormann, der seit 1881 als Ordinarius an der Univer-
sität in Marburg i. H. gewirkt hatte. An seine Seite trat Emil
Szanto. I^rivatdocent 1887. seit 1893 ausserordentlicher Pro-
fessor für griechische Cieschichte und Alterthumskunde. Im
Jahre 1885 habilitierte sich Alfred v. Domaszewski (seit 1887
Professor an der Universität Heidelberg).
Die Geschichte des .Mittelalters erhielt eine weitere Vertre-
tung, indem 1881 der seit 1878 in Innsbruck habilitierte Privat-
docent Engelbert Mühlbacher zum ausserordentlichen Professor
für historische Hilfswissenschaften und Geschichte des Mittel-
alters ernannt wurde, der auch in die Leitung des Institutes für öster-
reichische (ieschichte eintrat und, 1896 zum ordentlichen Professor
befördert, auch die Direction des genannten Institutes übernahm.
An Lorenz' Stelle trat 1887 Alfons Huber. seit i863 Pro-
fessor an der Hochschule in Innsbruck, und übernahm neben den
Vorlesungen über österreichische und neuere (ieschichte auch die
Mitleitung des Seminars für das Sommersemester. Nach Zciss-
bcrgs Rücktritt leitet die von diesem besorgten Übungen des
Philosophische FucuhAt. 32 7
Wintersemesters Oswald Kedl ich, der, 1 893 als Kxtraordinariusvon
Innsbruck berufen, 1897 das Ordinariat erhielt. Ausserdem wurden
noch zwei Extraordinarien ernannt, nämlich 1894 für mittlere und
neuere Geschichte Alfred Francis Pfibram (habilitiert 1887) ^rid
1898 für allgemeine Geschichte Alfons Dopsch (habilitiert 1893).
Abgesehen von den bereits Genannten haben sich noch seit
dem Herbste 1872 habilitiert: 1873 Franz Kürschner für
C.hronologie des Mittelalters und Palaographie, als Director des
Hcichsfinanzarchives frühzeitig verstorben, 1875 August Four-
nier für österreichische und neuere Geschichte (seit i883 ordent-
licher Professor an der deutschen Universität in Prag), 1876 Karl
Kieger für historische Hilfswissenschaften (seit 1893 k.k. Landes-
schulinspector für Niederösterreich), 1880 Thomas Fellner für
alte (Jeschichte (jetzt Archivsdirector im k. k. Ministerium des
Innern), 1888 Karl Uhlirz für Geschichte des Mittelalters und
historische Hilfswissenschaften (jetzt Archivar der Stadt Wien),
1SS9 Ludwig M. Hartmann für römische und mittelalterliche
(Jeschichte, 1892 Michael Tangl (jetzt ausserordentlicher Pro-
fessor für historische Hilfswissenschaften an der Universität zu
Berlin), 1895 Samuel Stein herz für österreichische Geschichte
und nunmehr für das ganze historische (iebiet, 1898 Heinrich
Kretschmayr für (jeschichte des Mittelalters und der Neuzeit.
Die Zahl der wirklichen Mitglieder des historischen Seminars
ist auf zwölf beschränkt, von denen acht Semestralstipendien zu
je 60 (julden beziehen. Die Bibliothek besteht aus 764 Werken
in 1495 Bänden und 116 Programmen. Der Arbeitssaal der
Mitglieder, in welchem die Bibliothek aufgestellt ist, wird auch
zu l'bungen unter Leitung der Direction verwendet.
XIII. Die historischen Hilfswissenschaften und das Institut
für österreichische Geschichtsforschung. Waren durch Mabillon
und die Mauriner auch die wissenschaftlichen (Grundlagen für
die historischen Hilfswissenschaften gelegt worden, so war ihre
Kntwicklung seither zum Stillstand gekommen. Keine der deut-
schen Lniversitälen bot ihnen einen eigenen Lehrstuhl, selbst
von den Fachgenossen wurde ihnen, trotz des sich steigernden
Bedarfs der urkundlichen Quellen, nicht die gebürende Beach-
tuni! zutheil. Line akademische Meimstätte fanden sie endlich
328 Philosophische Kaciihüt.
in Österreich, eine Schule in dem Institute für österreichische
Geschichtsforschung.
Dieses Institut, gegründet durch Allerhöchste Entschliessung
vom 20. October 1854, verdankt seine Entstehung dem Grafen
Leo Thun, der die Begründung einer Schule für die Bearbei-
tung der österreichischen Geschichte als eine der wichtigsten
Aufgaben betrachtete. Diese Aufgabe vertraute er der berufenen
Hand Albert Jägers an. Der ursprüngliche E^ntwurf des Lehr-
plancs umfasste auch schon die historischen Hilfswissenschaften,
eine Anregung des damaligen Unterstaatssecretärs D. A. Freiherrn
V. Helfert, dem dabei die Ecole des Charten in Paris als Muster
vorschwebte. Das Institut sollte als «eine mit der philosophi-
schen Facultiit verbundene, unter dem unmittelbaren Schutze
und der obersten Leitung des k. k. Ministeriums für Cultus und
Unterricht stehende Anstalt» in einem dreijährigen Cursus durch
methodische Schulung und Einführung in die Quellen nicht nur
seine Zöglinge für den Dienst an Archiven, Bibliotheken, Museen
heranbilden, sondern auch durch wissenschaftliche Ausbildung
die Begabteren für die Lehrstühle und «tiefere Erforschung der
Geschichte des österreichischen Kaiserstaates» befähigen; deshalb
sollte auch Nachwuchs aus allen Kronländern herangezogen
werden. So weitausschauend der Plan war, so konnte er in
dieser Ausdehnung nicht verwirklicht werden, vor allem aus
Mangel an Lehrkräften. Erst im October 1855 konnte Jäger
nach mancherlei Schwierigkeiten den ersten Cursus eröffnen,
dem Ottokar Lorenz und Franz Kroncs angehörten. Im fol-
genden Jahre wurde in l'heodor Sickel, der Gelegenheit gehabt
hatte, in Paris sich mit dem Programm und der Methode der
Ecole des chartes vertraut zu machen, eine Lehrkraft für die
historischen Hilfswissenschaften gewonnen. Die «provisorischen
Statuten» von 1857 beschränkten die Aufnahme in das Institut
«in der Regel» auf solche Bewerber, «welche die Universitäts-
studien der philosophischen Facultät vollendet, vorzugsweise
historische Studien, speciell auch das Studium der Rechts-
geschichte und der mittelhochdeutschen Sprachen betrieben und
die Vorbereitungsstudien zurückgelegt haben»; sie räumten neben
der österreichischen Geschichte und eingehendster Beschäftigung
Philo>ophischc FacuUät. 32Q
mit ihren Quellen auch den historischen Hilfswissenschaften, die
ihrer Natur nach weit über den Rahmen der Begrenzung auf
Österreich hinausgehen mussten, bedeutenden Raum ein; für
das Vorbereitungsjahr war Paläographie, für das erste Jahr der
Mitgliedschaft «Formel- und Urkundenlehre» (1. kaiserliche und
papstliche, 11. speciell österreichische), sowie Chronologie, für
das zweite Jahr «Praktische Diplomatik und Urkundenkritik»,
Anfertigung von Regesten über einzelne Partien, Archivkunde
und Sphragistik als «obligate Studien* angesetzt. Die Vor-
lesungen waren nicht auf die Mitglieder des Institutes beschränkt,
sondern, soweit es für Übungen der zur Verfügung stehende
Apparat gestattete, auch den anderen Universitätshörern zu-
gänglich — die historischen Hilfswissenschaften hatten, als Sickel
1857 zum ausserordentlichen Professor ernannt wurde, hier zuerst
ihr Bürgerrecht an einer Universität erreicht.
Nach und nach wurde auch der nöthige Lehrapparat für
Paläographie und Diplomatik geschaffen. Den Grundstock bildete
die Schenkung des Nachlasses von K. F. Kopp, des Verfassers
der <Palaeographia critica*. Ein fast das ganze (iebiet der Paläo-
graphie und weite Strecken der Diplomatik umfassendes Werk
wurde, zunächst für den Bedarf des Institutes, mit Unterstützung
des Ministeriums von Sickel in den <Monumenta fjiraphica*
geboten, dem ersten grossen Facsimile werke, das auch der
neuen Reproductionsmethode, der Photographie, sich bediente,
das, unter grossen Schwierigkeiten begonnen, doch einen sehr
bedeutenden Theil des wissenschaftlich interessantesten .Materials
an Handschriften und Urkunden aus Osterreich, namentlich auch
aus Lombardo-Venetien, in sich vereinigen konnte. Während
eines Jahrzehntes (1859 — iSOgi erschienen 9 Lieferungen zu je
20 Tafeln (die 10. Lieferung, bearbeitet von K. Rieger, 1S82).
In jene Zeit fallen auch Sickels epochemachenden .Arbeiten über
Diplomatik, die * Beiträge zur Diplomatik > und die «-4t7t7
Karolorum^^ deren erster Theil «Die F-ehre von den Urkunden
der ersten Karolinger» n8()7K wenn auch Specialdiplomatik, doch
durch die sichere .Methodik und Kritik, die Verwertung der
äusseren und inneren Merkmale auf (Jrundlage der Gesammtheit
des Materials auch für die allgemeine Diplomatik die sicheren
3 So Philosophische Facultät.
Wege gewiesen und die weitere Kntwicklung wesentlich gefördert
hat. So wurde das Institut neben seinem BcRife für öster-
reichische Geschichtsforschung zur Specialschule für historische
Hilfswissenschaften, wie keine andere Universität, auch nicht in
Deutschland, sie besass, und es ist dieser Aufgabe treu ge-
blieben.
Mit Schluss des Sommersemesters 1869 trat Jäger zurück.
Die Leitung des Institutes gieng auf Sickel über, der ihm mehr
und mehr sein Gepräge aufdrückte. Da Jäger keinen Nachfolger
fand, wurden zunächst hauptsächlich die Hilfswissenschaften be-
trieben, bis 1874 ^^ ^^^^ Reorganisation des Institutes geschritten
werden konnte. Die neuen Statuten hielten im wesentlichen die
alte Organisation und den alten Lehrplan fest. Sie bezeichnen
als Aufgabe des Institutes, «vor allem Studierende, welche sich
eingehenderen historischen Studien zuwenden wollen, mit den
Quellen und Denkmälern im weitesten Umfange, sowie mit der
Methode vertraut zu machen, dieselben für die kritische Behand-
lung der österreichischen Geschichte zu verwerten», und als
weitere Aufgabe «die fachmännische Heranbildung von Beamten
für Bibliotheken, Archive und Museen». Ausser der Quellen-
kunde der österreichischen Geschichte mit Leetüre und kriti-
schen Übungen, welche Prof. H. Ritter v. Zeissberg übernahm,
werden die historischen Hilfsw issenschaften auf das Vorbereitungs-
jahr (Paläographie und Chronologie) und die beiden Jahre des
Instiiutscursus (Diplomatik, Heraldik und Sphragistik, Archivs-
und Bibliothekskunde) vertheilt. Damit war der Stoff so ge-
wachsen, dass eine Hilfskraft erfordert wurde; 1874 trat Franz
Kürschner, Director des Reichsfinanzarchivs, als Docent für
Hilfswissenschaften ein, nach seiner F>krankung 1876 Docent
Karl Rieger, 1881 wurde durch die Ernennung von Engelbert
Mühlbacher zum ausserordentlichen Professor eine zweite Lehr-
stelle für Hilfswissenschaften, allerdings auch mit anderweitiger
Lehrverpflichtung, geschafi'en, so dass Sickel seine Lehrthätigkeit
auf Diplomatik, die durch vier Semester als Hauptcolleg gehalten
wurde, und Chronologie eingrenzen konnte. Als neuen Gegen-
stand stellte die Reorganisation von 1874 mit Rücksicht auf die
Aufgabe, geschulte Kräfte auch für die Museen heranzubilden,
Philosophische Facultät. 33 I
die Kunstgeschichte im vollen Umfange in den Lehrplan des
Institutes; sie wurde von Moriz Thausing übernommen, der,
wie die anderen Lehrkräfte am Institute, früher Mitglied des-
selben gewesen war. Die Reorganisation erstreckte sich auch
auf die seit 1861 eingeführte Institutsprüfung, welche die obliga-
ten Gegenstände umfasste und in staatsgiltigen Zeugnissen für
Anstellung an Bibliotheken, Archiven und Museen € empfahl».
Dem Institute wurden auch reichere Mittel gewährt; die
jährliche Dotation wurde, ausser einer Summe von 500 fl. für
die Bibliothek und Sammlungen, auf 4000 fl. erhöht, die für
die Stipendien der sechs ordentlichen Mitglieder (zu 500 fl.,
früher 420 fl.) und zur weiteren Ausbildung für Reisestipendien
(1000 fl.) ihre Verwendung fand.
Diese Organisation ist dem Institute geblieben. Neben
seinen speciellen Aufgaben wurde es mit seinen sich mehrenden
Hilfsmitteln auch zu einer eigenflichen Fachschule für die histo-
rischen Hilfswissenschaften, wie keine andere Universität sie auf-
weisen konnte, und deshalb auch von Ausländern aufgesucht.
Kinen weiteren Wirkungskreis gewann es, als mit Allerhöchster
(Jenehmigung vom 5. Mai 1889 die dem k. u. k. Kriegsarchive
zugetheilten Ofliciere angewiesen wurden, zur fachwissenschaft-
lichen Ausbildung den zweijährigen (Kursus am Institute zu
frequentieren und sich am Schlüsse desselben einer Prüfung zu
unterziehen, und der neu errichtete k. k. Archivrath in seiner
zweiten Sitzung vom 18. Juni 1895 unter den Nachweisen für
den Eintritt in den Archivdienst «die Staatsprüfung der Mit-
glieder des Institutes für österreichische Geschichtsforschung»
an die Spitze stellte und 1896 für Ausnahmsfiille eine am Insti-
tute abzulegende Krgänzungsprüfung festsetzte. Damit wurde
das Institut auch zur Archivschule Österreichs, damit war auch
eine weitere Ausgestaltung des Lehrplanes gegeben; er hatte nun
auch die innere (Jeschichte Ö.sterreichs, die (leschichte seiner
Verfassung und Verwaltung und seiner Rechtsentwicklung ein-
zubeziehen.
Mit den am Institute gepflegten Fächern steht auch eine
ausgedehnte literarische und wissenschaftliche Thätigkeit in Ver-
bindung. Seit 1879 erscheinen die tMiltheilungen des Institutes
332 Philosophische Facuhät.
für österreichische Geschichtsforschung» (bis jetzt 19 Bände und
4 Krganzungsbände). Eine wesentliche Forderung der diplomati-
schen Studien war es, dass seit 1875 die Diplom ata- Abthcilung
der oiMomimenta Germaniae^ auf dem Institute etabliert ist, die
nach der Herausgabe der Ottonen durch Sickel seit 1892 in den
Karolingern ihre Fortsetzung findet, und dass die Neubearbeitung
von Boehmers ^Rcgesta iniperii* zu dem Institute in nahe Be-
ziehung getreten ist. Eine der wissenschaftlichen Aufgaben des
Institutes, für die auch nun ein grosser Theil der Reisestipendien
verwendet wird, ist seit 1894 ^ic Sammlung und Bearbeitung
der «Regesten der österreichischen Habsburger von 1281 — 1493»,
wie für die mit dem Institute in nächster Verbindung stehende
Kunstgeschichte die Verzeichnung der miniierten Handschriften in
Österreich. Dem Institute ist auch die Geschäftsführung eines neuen,
weitaussehenden Unternehmens zur Herausgabe von Acten und
Correspondenzen zur neueren Geschichte Österreichs übertragen.
Die wissenschaftlichen Sammlungen des Institutes sind sehr
reichhaltige geworden. Die Bibliothek zählt mehr als 7000 Bände,
besonders viele Urkundenbücher. Der paläographisch-diploma-
tische Apparat, zu dem auch mehr als 250 Originalurkunden
gehören, bietet, im Besitz fast aller wichtigeren Facsimilesamm-
lungen, das umfassendste Lehr- und Lernmaterial. Die Samm-
lung der auf dem Institute hergestellten galvanoplastischen Siegel-
abgüsse beläuft sich auf mehrere tausend Stücke, einzelne Serien,
wie die deutschen Kaisersiegel und die Siegel der Habsburger,
sind fast vollzählig vertreten. Auch die kunsthistorischen Samm-
lungen sind auf dem Institute untergebracht.
Nachdem Th. v. Sickel, um seine neue Schöpfung, das
htituto austriaca in Rom, zu übernehmen, 1891 von der Leitung
des Institutes zurückgetreten war, wurde dieselbe an H. Ritter
V. Zeissberg und nach dessen Ernennung zum Director der
Ilofbibliothek 1896 an E. iMühlbacher übertragen.
An Sickels Stelle wurde Oswald Redlich, Docent an der
Universität Innsbruck, zum zweiten Professor für historische
Hilfswissenschaften ernannt. Für die österreichische Verfassungs-
und Vcrwaltungsgeschichte ist jetzt durch den ausserordent-
lichen Professor A. Dopsch eine Lehrkraft gewonnen.
Philosophische FacuhSt. 333
Das Institut absolvierten 1855 — 1897 103 ordentliche und
73 ausserordentliche Mitglieder. Die Mehrzahl der österreichi-
schen Lehrstühle für Geschichte und Kunstgeschichte, auch einige
für juristische Fächer ist mit ehemaligen Mitgliedern des Insti-
tutes für österreichische Geschichtsforschung besetzt; von diesen
wirken als Professoren an den Universitäten Wien 6, Graz 7,
Innsbruck 3, Prag 4, (^zernowitz 3, als Docenten in Wien 6,
in Innsbruck und Czernowitz je i; ausserdem an deutschen
Lniversitäten 6, an Universitäten Ungarns 4. Die Vertreter der
historischen Hilfswissenschaften in Osterreich gehörten sämmt-
lich dem Institute an.
XI \\ Kunstgeschichte. Die Geschichte der mittleren und
neueren Kunst ist spät zum akademischen Lehrfache geworden.
Die (jcgenstände, von denen sie handelt, wurden auf dem
Katheder nur gelegentlich von dem Ästhetiker, von dem Vertreter
der Kirchengeschichte, zuweilen auch von dem Historiker er-
wähnt, ohne dass sich an diese gelegentliche Erwähnung eine
zusammenhängende Behandlung angeschlossen hätte. F^Yeilich
hatte, angeregt und gefördert von dem Interesse der deutschen
Romantiker für bildende Kunst, der Lehrer des Zeichnens und
der Malerei an der Universität Göttingen Vorträge über die (jc-
schichte der Malerei als Lector gehalten. Aber obwohl aus
diesen Vorträgen sein grosses Handbuch, das noch heute mit
Nutzen gebraucht wird, hervorgegangen war, hatte diese erfolg-
reiche Thätigkeit weiter keine Nachahmung gefunden. Das
Studium der christlichen Archäologie und Kunst hatte jedoch
stetig zugenommen, die Literatur war mächtig gewachsen, und als
sie in den Vierzigerjahren auch in Österreich zu blühen begann,
habilitierte sich Rudolf v. Kitelberger im Jahre 1847 an der
Wiener Universität für dieses Fach, gab jedoch seine Lehr-
ihäligkeit im nächsten .lahre wieder auf, um sie 1850 von neuem
zu beginnen. Im Jahre 1852 wurde er zum ausserordentlichen,
i8()3 zum ordentlichen Professor ernannt. So war denn Wien
die erste Universität, an der von einem Professor neuere
Kunstgeschichte gelehrt wurde. Kitelberger brachte seine Lehr-
kanzel in nahe Beziehung zu dem österreichischen Museum für
Kunst und Industrie, indem tr die Sammlungen dieses unter
334 Philosophische Faculiät.
seiner Leitung stehenden, rasch aufblühenden Institutes für den
Universitätsunterricht verwertete und durch praktische Beschäf-
tigung der Schüler mit Kunstwerken die Gefahren eines rein
theoretischen Unterrichtes in diesem Fache vermied.
1873 wurde Moriz Thausing auf Vorschlag der Facultät
zum ausserordentlichen, 1879 zum ordentlichen Professor der
Kunstgeschichte ernannt. Hervorgegangen aus dem Institute für
österreichische Geschichtsforschung, gelang es ihm, diese zweite
Lehrkanzel für Kunstgeschichte mit jenem Institute auf das
innigste zu verbinden, so dass Kunstgeschichte ein Lehr- und
Prüfungsgegenstand an jener Anstalt wurde. Dadurch war zum
erstenmale jene natürliche Verbindung zwischen Geschichte und
Kunstgeschichte, deren sich die classische Archäologie in ihrer
Verbindung mit Philologie schon lange zu erfreuen hatte, auch für
die mittleren und neueren Perioden der Geschichte geschaffen,
und die Disciplinen wurden nun im Universitätsunterrichte ihrem
inneren Zusammenhange entsprechend behandelt. Die Facultät
ermöglichte durch eine besondere Bestimmung, dass auch die
Kunstgeschichte in Verbindung mit Geschichte als Fach für die
Doctorsprüfung eingefügt wurde.
Nach Thausings Tode 1885 w^urde Franz Wickhoff auf
Vorschlag der Facultät zum ausserordentlichen, 1891 zum
ordentlichen Professor der Kunstgeschichte ernannt. Die Lehr-
kanzel V. Eitelbergers war nach dessen ebenfalls 1885 erfolgtem
Tode durch mehrere Jahre unbesetzt geblieben, bis auf Vorschlag
der Facultät Alois Riegel 1894 ^um ausserordentlichen, 1897
zum ordentlichen Professor bestellt w^urde.
Die Gründung einer zweiten Lehrkanzel für Kunstgeschichte,
der nun nicht mehr die Sammlungen des österreichischen
Museums zu Gebote standen, und ihre Verbindung mit dem
Institute für österreichische Geschichtsforschung erforderte die
Gründung eines Lehrapparates, der zunächst als Hilfsapparat der
kunsthistorischen Lehrkanzel an diesem Institute geschaffen
wurde, jedoch nach Möglichkeit, d. h. soweit es der beschränkte
Aufbewahrungsraum gestattet, auch den Schülern zugänglich
gemacht wurde. Es fanden wiederholt Versuche statt, eine ge-
eignetere, an das histitut für österreichische Geschichtsforschung
Philosophische Facuhät. 335
anschliessende Räumlichkeit für eine passende Aufstellung zu
gewinnen, und es steht in Aussicht, dass dies bald erreicht
werden wird.
Bei der Gründung des österreichischen Institutes für histo-
rische Studien in Rom wurde vorgesorgt, dass den absolvierten
Hörern der Kunstgeschichte eine Studienreise nach Italien ermög-
licht werde, und auch sonst wurden durch F>theilung von Reise-
stipendien die kunsthistorischen Studien v^on dem h. Ministerium
kräftig unterstützt.
Kine begonnene Katalogisierung der Miniaturhandschriften in
Osterreich gewahrt die erwünschte (ielegenheit, die fortgeschritte-
nen Schüler praktisch zu üben. Seit dem Jahre 1897 besteht
ein Assistent an der Lehrkanzel für Kunstgeschichte am Insti-
tute, welche Stelle gegenwärtig Dr. Max Dvofak bekleidet.
Die venia les^ctidi über Kunstgeschichte erwarben ausser
den genannten gegenwartig an der Facultiit wirkenden Professoren:
1887 Josef Strzigowsky, gegenwartig ordentlicher Professor der
Kunstgeschichte in Graz; 1892 Julius Ritter v. Schlosser; 1894
Hermann Dollmavr.
XV. Geschichte und Ästhetik der Musilc. Bis xum Jahre
iH^C) war weder an der Wiener noch an einer anderen öster-
reichischen Universität die .Musikwissenschaft vertreten. In diesem
Jahre erlangte F^duard Hanslick an unserer Hochschule die
Venia legendi für Geschichte und Ästhetik der Musik aufCirund
seines Buches «Vom Musikalisch-Schönen». Ks mag heute auf-
fallen, dass in Wien, der .Musikstadt xot i§oxf]y. dem Wohnsitze
Glucks, J. Haydns, Mozarts, Beethovens, Schuberts, der wissen-
schaftlichen Behandlung der Musik so lange kein Plätzchen ein-
geräumt war. wahrend doch an den meisten Universitäten Deutsch-
lands ein Professor oder ein Universitäts-Musikdirector docierten.
War doch ferner die Geschichte der bildenden Künste an der
Wiener Universität bereits seit 1847 durch W. v. Kitelberger ver-
treten. Der zahlreiche Besuch und die rege 'Iheilnahme be-
stimmten das h. Ministerium zur Oeierung einer Lehrkanzel,
und so ward denn E. Hanslick 1861 zum ausserordentlichen
und 1869 zum ordentlichen Professor ernannt. In dieser Kigen-
schaft wirkte er bis zum Jahre 1894, wo er auf sein Ansuchen
336 Philosophische Facultat.
in Ruhestand versetzt wurde. Ihm zur Seite standen die Privat-
docenten Guido Adler, habilitiert 1881, seit 1885 Professor an
der deutschen Universität zu Prag und im Juni 1898 zum Nach-
folger Hanslicks an unserer Hochschule ernannt, und Max Dietz,
habilitiert 1886. Zum Lector für die praktischen Fächer Har-
monielehre und Contrapunkt wurde 1875 ^^^ k. k. Hoforganist
und Professor am Conservatorium Anton Brückner ernannt, der,
1891 von der Universität durch Verleihung des Doctortitels aus-
gezeichnet, 1896 seiner Lehrthätigkeit und seinem künstlerischen
Schaffen durch den Tod entrissen wurde. Da die seit 1894
erledigte Professur erst im Juni 1898 besetzt wurde, so war die
Musikwissenschaft längere Zeit bloss durch die beiden Privat-
docenten Max Dietz und Heinrich Rietsch (1895 habilitiert) ver-
treten. Als Gesangslehrer fungiert, 1862 ernannt, Rudolf Wein-
wurm, Chormeister des akademischen Gesangs Vereines in den
Jahren 1850— 1865, 1870, 1881 — 1887, dem 1880 der Titel
eines Musikdirectors verliehen wurde.
XVI. ClaSSiSChe Alterthumskunde. Wenn die classischen
Studien an der Wiener Universität bald nach deren Gründung,
getragen durch angesehene Humanisten, in welcher Beziehung
man nur an die- Namen Konrad Geltes, Johannes Cuspinianus,
Joachim Vadianus, Johannes Camers zu erinnern braucht, ob-
gleich mit manchen Schwankungen zu einer für diese Zeit reichen
Entwicklung gelangten, so welkte diese Blüte seit dem Tode
Maximilians I. rasch dahin. Bei der sich immer mehr steigernden
Entfremdung gegenüber der Entwicklung in Deutschland nahm
auch unsere Universität an dem grossartigen Aufschwünge der
classischen Studien, wie er sich v^on der Mitte des vorhergehen*
den Jahrhunderts bis zur Mitte des gegenwärtigen in Deutschland
vollzog, fast keinen Antheil. Allerdings wurde in diesen Jahr-
hunderten durch eine Reihe von Fürsten, die Kunst und Wissen-
schaft ehrten, ein reicher Schatz von Aherthümem, Handschriften
und Büchern gesammelt, der in Wien seine bleibende Stätte
fand. Der gelehrte Vorstand der k. Hofbibliothek Peter Lam-
heck (1662 — 1676) verfasste seinen preiswürdigen Katalog der
Handschriften dieser Anstalt, Josef Hilarius Flckhel schuf als
Vorstand des Münzcabinetes (1772 — I79^^^ sein berühmtes Werk,
Philosophische FacultAt. 33?
durch welches er die wissenschaftliche Numismatik begründete,
aber an der Universität zeigte sich nur eine geringe Regsamkeit.
Die nennenswerten Leistungen, welche Osterreich in dem Jahr-
hundert vor 1848 auf dem Gebiete der classischen Philologie
im engeren Sinne aufzuweisen hat, wie die Ausgabe des Xeno-
phon Kphesius von Emerich Baron v. Locella, Wien 1796,
oder die ^Analecta grammatica* von Josef v. Eichenfeld und
Stephan Kindlicher, Wien i836/37, stehen, wenn man nicht
die Ausgabe der Fragmente des Archilochos (ed. alt. Wien 181 8)
von Ignaz Liebel, der als Professor an dieser Hochschule 1820
starb, ausnehmen will, mit der Universität in keinem Zusammen-
hange. Was konnte man auch von dieser erwarten, wenn
man bedenkt, dass, abgesehen von den obligaten CoUegien in
den zwei sogenannten philosophischen Jahrgängen, welche die
zwei obersten Classen eines Lyceums darstellten, nur in jedem
zweiten Semester eines Jahres ein vierstündiges (Kollegium, das
eine Anleitung zum Studium griechischer und lateinischer C.lassi-
ker nebst F>klärung einzelner Stücke aus lateinischen Autoren
geben sollte, und daneben noch ein zweistündiges über griechische
Philologie gelesen wurde, wobei man eine ^Pracleciioties f^raecae»
betitelte (Chrestomathie benützte. Unter den Professoren dieser
F^poche übte besonders der allerdings bizarre, aber geistreiche
und vielbelesene Anton Josef Stein (1806 — 1825) in den engen
(irenzcn, welche die Studienordnung gezogen hatte, auf seine
Hörer eine anregende Einwirkung aus.
Besser war es mit der Alterthumskunde im engeren Sinne
bestellt, wenn auch die Vorlesungen über dieses Fach nur auf
eine sehr geringe Anzahl von Stunden beschränkt waren. Von
1774 — 1795 wirkte Eckhel als Professor der Alterthümer und
historischen Hilfsmittel (er las freilich nur eine Stunde wöchent-
lich über Numismatik», späterhin bis 181 7 Abbe Franz Neu-
mann, bis 1843 Anton Steinbüchel v. Rheinwall und dann
bis i863 Josef v. Arneth, der, seit 1840 Director des Münz-
und Anlikencabinetes, damit das Amt eines Professors der Alter-
thumskunde und Numismatik verband und sich in dieser Stellung
sowie durch seine Schriften, in welchen er Numismatik, römische
Epigraphik und Denkmäler behandelte, grosse Verdienste erwarb.
Ge»chictue der Wiener L'Qi\cr>iui. zi
338 Philosophische Facultät.
Da sich nun das Gcsammtgebiet der classischen Studien
nach ihrer gegenwärtigen Entwicklung in drei Theilc: classische
Philologie, Alterthumskunde und Epigraphik, classische Archäo-
logie gliedert, so sollen im Folgenden diese Theile in ihrer Ent-
wicklung seit der Reform der Universität getrennt behandelt
werden.
Classische Philologie. Die Wiederbelebung dieser Wissen-
schaft knüpft sich an den Namen von Hermann Bonitz, der
im Jahre 1849 vom Gymnasium in Stettin, wo er als Professor
wirkte, als ordentlicher Professor an unsere Hochschule berufen
wurde. Schon 1850 wurde das historisch-philologische Seminar,
das sich später in zwei selbständige Anstalten theilte, begründet
und damit eine Pflanzstätte für die Lehrer des Lateinischen
und Griechischen am Gymnasium und für den Betrieb der
classischen Studien geschaffen. Von 1850 an trat die von Bonitz,
J. Mozart und G. Seidl geleitete «Zeitschrift für österreichische
Gymnasien», die bis zur Gründung einer eigenen Zeitschrift für
Realschulen auch diese Anstalten berücksichtigte, ins Leben und
erwarb sich bald nicht bloss im Inlande, sondern auch auswärts
allgemeine Anerkennung. An der Redaction betheiligten sich
nachher H. Hochegger, K. Tomaschek, W. v. Hartel, K. Schenkl,
J. Huemer, H. Marx. Mit Bonitz, der 1867 Wien verliess, um
die Stelle eines Directors am Gymnasium zum Grauen Kloster
in Berlin zu übernehmen, vereint wirkten als Lehrer und Leiter
des Seminars die ordentlichen Professoren Heinrich W. Grauert,
der, 1850 von der Akademie zu Münster als Professor der Ge-
schichte nach Wien berufen, wo er 1852 starb, hier genannt
werden muss, da er auch philologische Collegien las und Übungen
über dieses Gebiet im Seminare abhielt, Karl J. Grysar (seit
1825 Oberlehrer am katholischen Gymnasium in Köln, 1850
Professor in Wien, wo er 1856 starb), Emanuel Hoffmann
(1850 von Breslau an die Hochschule in Graz und 1856 nach
Wien berufen, 1896 in Ruhestand getreten), Johannes Vahlen
(1858 Professor in Freiburg i. B., dann 1858 — 1874, wo er
einem Rufe nach Berlin folgte, in Wien), Gustav Linker (185 1
als Privatdocent in Wien habilitiert, 1856 zum Professor in Krakau
ernannt, wohin er aber erst 1859 abgieng). An die Genannten
Philosophische Facultät. 33q
reihten sich in weiterer Folge die aus der Schule von Hermann
Bonitz und theilweise von J. Vahlen hervorgegangenen Wilhelm
Ritter v. Hartel (1866 Privatdocent, 1869 — 1896, wo er zum
Sectionschef im Ministerium für Gultus und Unterricht ernannt
wurde, Professor), Theodor Gomperz (1867 Privatdocent, seit
1869 Professor), Karl Schenk 1 (1851 Gymnasiallehrer in Prag,
1857 Professor in Innsbruck, i863 in Graz und seit 1875 i^i
Wien). Zuletzt wurde 1 896 an Stelle E. HoHmanns Friedrich Marx,
Professor an der Universität in Breslau, an unsere Hochschule
berufen. Als ausserordentliche Professoren wirken Michael Gitl-
bauer(i877 habilitiert, 1879 Professor), Edmund Hauler ( 1893
habilitiert, 1897 Professor).
Die * venia legendi^ wurde, abgesehen von den bereits (Je-
nannten, ertheilt Isidor Hilberg (1877, seit 1879 ausserordent-
licher Professor in Prag und dann Ordinarius in (^zernowitz),
Heinrich Schenkl (1882, seit 1892 Professor in (iraz), Siegfried
Mekler (1886, Professor am Elisabeth-Gymnasium in Wien;. Hugo
Jurcnka (1895, Professor am Maximilians-Gymnasium in Wien),
Ernst Kaiinka (1896, gegenwärtig Secretär des k. k. archäo-
logischen Institutes).
Da die «Zeitschrift für (österreichische (iymnasien» nicht mehr
Raum für die sich immer mehrenden philologischen Arbeiten
gewährte, wurde im Jahre 1879 ein eigenes Organ unter dem
Titel: «Wiener Studien, Zeitschrift für classische Philologie ^ be-
gründet, das unter der Redaction von W. v. Hartel und K. Schenkl,
später von F. Marx, gegenwärtig den 20. .Jahrgang erreicht hat.
Ferner wurden die früher einzeln verötlentlichten Dissertationen
aus dem Gebiete der classischen Philologie seit 1886 unter dem
Titel: ^ Dissertationes philologae VhidoNmcnscs» in Bände, bis jetzt
sechs, zusammengefasst. Von der regen Thätigkeit, die sich in
diesem Zweige der Wissenschaft entfaltet hat, geben auch die
Schriften der k. Akademie, das von dieser herausgegebene
tdorpiis scriptorum ecclesiasiicorum Laiinonimy. das ^Corpus
papvronim archiducis Raincri^. endlich noch viele besondere
literarische Erscheinungen Zeugnis.
Die Zahl der ordentlichen Mitglieder des philologischen
Seminars beträgt 12. welche ein Semestralstipendium von je
2>
340 Philosophische Facultftt.
60 Gulden beziehen. Andere Studierende können in unbe-
schränkter Zahl theilnehmen. Während in den alten Universitäts-
räumen nur ein sehr beschränkter Arbeitsraum für die Studieren-
den zur Verfügung stand, ist in dem neuen Prachtgebäude diesem
Zwecke ein Saal mit 24 Plätzen gewidmet, in welchem die an-
sehnliche Bibliothek aufgestellt ist. Diese durch Schenkungen
und Legate vielfach bedachte Sammlung, wobei die Spende des
Präsidiums des Philologentages von 1893 und das reiche Geschenk
Sr. ExccUenz des Herrn Sectionschefs W. Ritter v. Hartel be-
sonders hervorzuheben sind, zählt gegenwärtig 4338 Bände grösse-
rer Werke und 181 2 Programme, Dissertationen und andere
kleinere Schriften.
An das philologische Seminar schloss sich später das philo-
logische Proseminar an, dessen Leitung W. v. Hartel, K. Schenkt,
M. Gitlbauer, H. Schenkl, E. Hauler führten oder noch führen.
Seine Aufgabe ist es, durch häufige Übungen eine sichere Kenntnis
der Grammatik zu vermitteln, Fertigkeit im Lateinschreiben zu
erzielen, mit den Grundsätzen der Kritik und Exegese vertraut
zu machen und überhaupt alle Vorbedingungen für eine künftige
gedeihliche Arbeit im Seminare zu schaffen.
Eine besondere Förderung wurde den classischen Stu-
dien dadurch zutheil, dass das h. Ministerium seit 1884/85 nach
Antrag einer aus Professoren unserer Hochschule bestehenden
Commission jährlich zwei Stipendien zu je 1200 Gulden Stu-
dierenden der classischen Philologie und zwei Stipendien zu je
1500 Gulden Studierenden der Archäologie an den österreichischen
Universitäten zu wissenschaftlichen Reisen in Italien und Griechen-
land verleiht. Da nun auch die k. Akademie der Wissenschaften
zur P'örderung des € Corpus scriptoriim ecclesiasticorum Lati-
noriim* junge Philologen ins Ausland entsendet, hat die Anzahl
österreichischer Gelehrten dieses Faches, die in den Bibliotheken
Italiens, Frankreichsund Englands arbeiten, erheblich zugenommen.
Von dem Aufschwünge der classischen Studien an unserer
Hochschule geben auch die Versammlungen deutscher Philo-
logen und Schulmänner Zeugnis, welche 1858 und 1893 unter
zahlreicher Betheiligung aus ganz Österreich, aus Ungarn und
Deutschland in Wien abgehalten wurden. Bei der ersten, die
Philosophische Facultät. 34 1
F. Miklosich und H. Bonitz leiteten, bildete den Glanzpunkt die
Rede Sr. Flxcellenz des Herrn Ministers für Cultus und Unterricht
(irafen Leo Thun, des Reformators des österreichischen Unter-
richtswesens, der mit beredten Worten die Bedeutung der classi-
schen Studien für die geistige Bildung hervorhob. Die zweite,
deren Präsidium W. v. Hartel und A. Kggerv. Mölhvald führten,
wurde durch die huldvolle Anerkennung, welche Seine k. und k.
apostolische Majestät durch den gnädigen Empfang aller Theil-
nehmer den Vertretern der Wissenschaft, zunächst der classischen
Studien und der gesammten Lehrerschaft zutheil werden Hess,
in hervorragender, für alle, die dieser Versammlung beiwohnten,
unvcrgesslicher Weise ausgezeichnet.
Da für Studierende der classischen Philologie und Archäo-
logie Stipendien zu Studienreisen in Italien und Griechenland
systemisicrt sind und ausserdem zu gleichem Zwecke jährlich zehn
Stipendien für Lehrer der classischen l^hilologie an Gymnasien
und der Geschichte an Mittelschulen zur Verleihung kommen,
ist es in hohem Grade wünschenswert, dass Studierenden und
auch solchen, die bereits ihre Studien vollendet haben, an der
Universität Gelegenheit gegeben werde, die neugriechische
Sprache zu erlernen, um auf Reisen in Griechenland sich frei
bewegen und mit den Bewohnern auch in abgelegenen Gegenden
leicht verkehren zu können. Dazu kommt, dass das gegenwärtige
Griechenland in Sprache, Sitten und ( lebräuchen, in Volksliedern,
Sprichwörtern u. s. w. vieles erhalten hat, was für den Alter-
thumsforscher von grossem Werte ist. Daher ist 1896 auf
Antrag der Facultät vom h. Ministerium Constantin Christo-
manos zum Lector für neugriechische Sprache ernannt und da-
mit ein regelmässiger Unterricht in dieser und ihrer Litera-
tur geschaiVen worden.
Alte Geschichte und Alterthumskunde. Wenn auch die
Geschichte des classischen Alterthums naturgemäss einen Theil
der Universalgeschichte bildet und daher schon oben S. 326 be-
handeh worden ist, so hat sich doch die Nothwendigkeit heraus-
gestclh, dieselbe mit den sogenannten Alterthümern und der
classischen Archäologie in engere Verbindung zu bringen und
zugleich der Epigraphik, die eine Fülle wichtiger Quellen er-
342 Philosophische Facultät.
schliesst, eine besondere Pflege angedeihen zu lassen. Stärker
noch als im allgemeinen an den Universitäten Deutschlands trat
dies Bedürfnis in Wien hervor, als der Hauptstadt eines Reiches,
das zu einem beträchtlichen Theile das Gebiet des orbis Romanus
einnimmt, und dem gegebenen Stützpunkt für die Alterthums-
studien in den benachbarten Ländern, besonders an der unteren
Donau. Hier war es geboten, die reichen Funde aus der Römer-
zeit in Österreich und den angrenzenden Ländern* wissenschaft-
lich aufzunehmen und zu verwerten und Kräfte auszubilden, die
als Conservatoren in regelmässiger Weise für die Erhaltung,
Bekanntmachung und w^issenschaftliche Ausnutzung der vor-
handenen wie der neugefundenen römischen Denkmäler sorgen
könnten. Deshalb wurde im Jahre 1876 an der Wiener Uni-
versität das archäologisch-epigraphischc Seminar gegründet und
an ihm neben dem archäologischen ein epigraphischer Leiter
bestellt, der zugleich die ordentliche Professur für ahe Geschichte
versehen, diese mit Kinschluss der Alterthümer und der Epi-
graphik in den Vorlesungen vertreten und in den Seminar-
übungen neben den literarischen besonders die epigraphischen
Quellen verstehen lehren solhe. F'ür dieses Amt wurde Otto H irs c h-
feld^ bis dahin Professor in Prag, Mitarbeiter an dem von der
Berliner Akademie unternommenen ^Corpus inscriptionum Latina-
rum*, gewonnen. Auf der Lehrkanzel wie in den Seminar-
übungen überwog zunächst die Beschäftigung mit römischer Ge-
schichte und Alterthumskunde, entsprechend den besonderen
Aufgaben, die die Rücksicht auf die heimischen Funde und
deren Verwertung in dem genannten Berliner Unternehmen
dringlich machte. Die Arbeiten und Reisen der Leiter und
Thcilnehmer des Seminars und die Heranziehung und Förderung
geeigneter Kräfte in den Nachbarländern brachten eine unge-
meine Verbesserung und Vermehrung des epigraphischen Mate-
rials. Wenn hiedurch zunächst die wünschenswerte Fortführung
des ^Corpus inscriptionum Latinanmv^ ermöglicht wurde, zumal
da für einen bedeutenden Theil, der etwa den Ländern der
österreichisch-ungarischen Monarchie entspricht, Hirschfeld selbst
und ein Schüler von ihm, Alfred v. Domaszewski (habilitiert
1885, jetzt Professor in Heidelbergs die Redaction der Supplement-
Philosophische FiicultXt. . 343
hefte ühernahmen, so war doch der grösste Theil des neuge-
wonnenen Materials in der Zeitschrift des Seminars veröffentlicht,
eine grosse und in ihrem Werte immer steigende Sammlung von
Abklatschen als wichtiges Lehrmittel angelegt und, was das
Wesentlichste ist, eine Reihe junger Kräfte zur thatigen 1 heil-
nahme an organisierter wissenschaftlicher Arbeit herangezogen
worden. Die grösste Anzahl der damals wie später ausgebildeten
Seminarmitglieder, die sich dem Gymnasiallehramte widmete,
hat in diesem Berufe durch ihre so gewonnene Vertrautheit mit
antiken Denkmälern, besonders heimischen Fundorts, die Lnter-
richtserfolge wesentlich gesteigert; einzelne von ihnen haben
auch als Leiter von provinzialen Antikensammlungen (zu Pola,
Aquileja, Spalato) und (Konservatoren verdienstlich gewirkt.
Im Frühjahre 1885 wurde llirschfeld als Nachfolger Theodor
Mommsens nach Berlin berufen und die Wiener l^rofessur einem
anderen Mitarbeiter am ^ Corpus inscriptionum Laiinaruin ^, Kugen
Bor mann, übertragen, der bis dahin als Universitätsprofessor in
Marburg thätig gewesen war. Die dem Seminar gestellte Auf-
gabe steigerte sich, da die schon früher glücklich angeknüpften
und weiter ausgedehnten Verbindungen mit Forschern in den
Balkanstaaten ein reiches Material vorwiegend griechischer In-
schriften aus Bulgarien und dem Küstengebiete Rumäniens
brachte, das grossentheils in den < Archäologisch-epigraphischen
Mittheilungen* publiciert wurde. Noch reicher war das Material
an bisher ungenügend oder überhaupt nicht bekiftinten griechi-
schen Inschriften, das infolge der grossen archäologischen Expedi-
tionen nach den griechischen Inseln und nach Kleinasien und
auf den für das C-orpus der kleinasiatischen Inschriften unter-
nommenen Reisen in Abschriften und Abklatschen nach Wien
gebracht wurde. So ergab sich für das Seminar mit der
Möglichkeit zugleich die Verpflichtung einer ebenso eindringen-
den Beschäftigung mit der griechischen Kpigraphik, wie sie
früher der römischen zugewendet war. Da ferner in den zwei
lel/len Jahrzehnten eine gewaltige Masse griechischer Papyri nach
Kuropa und zu einem beträchtlichen Theile nach Wien gekom-
men und für das Studiengebiet des Seminars besonders ergiebig
geworden ist, so nuissle die Lesung und Erklärung von Papvri
344 Philosophische Facultit.
in den Rahmen der Seminarübungen aufgenommen werden.
Daneben trat aber die Beschäftigung mit den heimischen Fund-
statten nicht zurück, sondern erhielt weitere Steigerung und Aus-
dehnung. Dass nach der unten erwähnten Gründung des Ver-
eines ^C^arnuntum^ die Grabungen auf der Stätte der antiken
Hauptstadt Österreichs regelmässig und mit reichem Erfolge fort-
gesetzt werden, ergab für das Seminar ein wertvolles Lehrobject.
Heisen jüngerer Seminarmitgliedcr wurden jetzt auch nach Bosnien
und Bulgarien ausgedehnt.
Indem so die Thätigkeit des Seminars durch den natür-
lichen Fortschritt der wissenschaftlichen Forschung wie durch die
von Wien ausgegangenen Unternehmungen der ursprünglichen
Aufgabe nicht entfremdet wurde, aber eine theiKveise Ver-
schiebung und mannigfache Erweiterung erfuhr, dehnte sich auch
das Gebiet, das in X'orlesungen und Übungen behandelt wurde,
aus und umfasste die alte Geschichte und deren Quellenkunde,
die Alterthümer, besonders die staatlichen, die Epigraphik und
andere Hilfswissenschaften der Alterthumskunde, und zwar durch-
wegs mit ziemlich gleichmässiger Berücksichtigung beider antiken
(^ulturkreise, des griechischen und des römischen. Dieser Er-
weiterung entsprach die Vermehrung der Lehrkräfte, indem dem
ordentlichen Professor des Faches Eugen Bormann im Jahre 1893
fclmil Szantö, habilitiert 1887, ^^^ ausserordentlicher Professor
für griechische Geschichte und Alterthumskunde und, 1897
nach Wien als Gustos der antiken Münzsammlung des Aller-
höchsten Kaiserhauses berufen, J. W. Kubitschek (habilitiert in
Wien 1888, ausserordentlicher Professor in Graz 1895) als ausser-
ordentlicher Professor für römische Alterthumskunde mit be-
sonderer Verpflichtung für die \'ertretung der Numismatik an
die Seite gestellt wurden. Im Jahre 1894 habilitierte sich für
griechische Alterthumskunde und Kpigraphik Adolf Wilhelm,
der aber bald nach Athen gieng, wo er gegenwärtig die
Stelle eines Secretärs des k. k. archäologischen Institutes be-
kleidet.
Classische Archäologie. Schon oben S. 333 wurde dar*
gelegt, inwieweit einzelne Gebiete dieses Faches, namentlich
Numismatik, vor 1^4^ an unserer l'niversität Berücksichtigung
Philosophische Facuhät. 34 S
fanden. Als der erste eigentliche Vertreter desselben aber ist Rudolf
Kitelberger v. E de Iberg zu betrachten, der, schon als Docent 1847
thatig, 1853 zum Professor für Kunstgeschichte und Kunstarchäo-
logic ernannt, mit Vorlesungen über * Geschichte der bildenden
Kunst bei den Griechen und Römern» begann. Neben ihm wirkte
Karl V. Lützow, der, i863 als Privatdocent für Archäologie und
Kunstgeschichte des Alterthums habilitiert, neben seinem Amte
als Professor an der Akademie der bildenden Künste und spater
an der technischen Hochschule bis 1879, wo er die venia zurück-
legte, in dieser Stellung verblieb, wenn er auch in den letzten
Jahren nicht mehr las.
Im .fahre 1869 wurde eine besondere ordentliche Lehrkanzel
für Archäologie errichtet und Alexander CA)nze, Professor in
Halle, übertragen. Jetzt wurde ein archäologischer Apparat ge-
schalten, der die noth wendigen Arbeitsbehelfe und Lehrmittel
namentlich für die nachdrücklich gepHegten Übungen vereinigen
sollte, (^onze stellte die «Wiener Vorlegeblatter für archiio-
logische Übungen» her, welche bald an den inlandischen und
vielen auslandischen Lniversitaten Hingang fanden. Im Auftrage
des h. Ministeriums führte er zwei Kxpeditionen nach Samothrake,
1873 mit A. Hauser und (i. Niemann, 1875 mit Hauser und
(). Benndorf aus, deren Krgebnisse in dem grossen Werke <^ Ar-
chäologische Lntcrsuchungen auf Samothrako <Wien 1875 und
1888) veröllentlicht wurden.
Der archäologische Interricht an der Universität fand eine
Krgiinzung durch die neu errichtete Lehrkanzel für alte (Jeschichte
und Kpigraphik, für die Otto Hirschfeld 1872 aus Prag be-
rufen wurde, und so entstand das archaologisch-epigraphische
Seminar, das erste derartige Institut, an dem das Studium der
verschiedenen monumentalen Quellen des Alterthums in engster
Verbindung unter einander gleichmassige Pflege findet, wt)bei
zugleich die Krforschung der antiken Denkmaler in Österreich
und den angrenzenden Donaulandern durch Reisen gefiirdert
wird. Als C.onze 1877 und Hirschfeld 1885 nach Berlin abgiengen,
traten an ihre Stelle Otto Benndorf, seit 1872 an der l'ni-
vcrsiiat in Prag als ordentlicher l^rofessor thatig, und Kugen
Bor mann, Professor an der L'niversilal in Marburg. Mit
346 Philosophische Facultät.
1877 begann eine Zeitschrift: «Archäologisch-epigraphische Mit-
theilungen aus Osterreich», an welche sich seit 1880 die «Ab-
handlungen des archäologisch-epigraphischen Seminars» (bis jetzt
i3 Hefte) schlössen; auch wurden die V'orlegeblätter in acht Serien
(1879 — 1891) fortgesetzt. Durch die Gründung des Vereines «Car-
nuntum» (1884) wurde die Erschliessung der alten Römerstadt
gefördert, an welcher das Seminar in engster Arbeitsgemeinschaft
eifrig mitwirkte.
Die Jahre 1881 und 1882 brachten die von Benndorf ge-
leiteten Expeditionen nach Lykien und Karien, deren erstere
vom h. Ministerium veranstaltete, an welcher G. Niemann und
F. V. Luschan theilnahmen, zur Auffindung des Grabheiügthums
in Gjölbaschi führte, während die zweite, von Kunstfreunden,
an deren Spitze Se. k. Hoheit Erzherzog Rainer und Se. Durch-
laucht der regierende Fürst Johann von und zu Liechtenstein
standen, ausgerüstet, ihre Aufgabe, die Überführung der Sculpturen
nach Wien und die weitere Erforschung der südöstlichen Küste
Kleinasiens, glücklich löste. An der zweiten Expedition hatten
sich neben E. Petersen (damals Professor an der Universität in
Prag) und F. v. Luschan auch jüngere Gelehrte, R. v. Schneider,
V.. Löwy, F. Studniczka und der Geologe Tietze betheiligt. Die
Früchte der Expedition sind in zwei im Auftrage des h. Mini-
steriums 1884 und 1889 herausgegebenen Bänden niedergelegt,
wozu noch das Werk «Die Sculpturen des Heroons von Gjöl-
baschi:^ (9. Band des Jahrbuches der Kunstsammlungen des Aller-
höchsten Kaiserhauses 1889/91) hinzukommt.
Der von Sr. Mxcellenz Karl Grafen v. LanckoroAski mit Nie-
mann, Petersen und anderen Gelehrten 1884/85 nach Kleinasien
unternommenen Expedition, über welche die glänzende Publi-
cation «Städte Pamphyliens und Pisidiens» (2 Bände, 1890/92)
berichtet, schloss sich die Widmung eines jährlich fortlaufenden
Betrages Sr. Durchlaucht des regierenden Fürsten Johann von
und zu Liechtenstein zur archäologischen Erforschung Kleinasiens
an, die von der k. Akademie der Wissenschaften für ein Corpus
der kleinasiatischen Inschriften verwendet wird. Zu diesem Be-
hufe werden alljährlich Reisen junger Archäologen veranstaltet.
Das h. Ministerium hat auch, um den C-ontact mit dem grie*
PhiloftophUche Facuhät. ^47
chischen Studiengebiet herzustellen, 1894 in Smyrna, Constan-
tinopcl und Athen archäologische Stationen eingerichtet.
Mit der Übersiedlung der Universität in ihr neues Heim
wurde nicht bloss eine entsprechende Aufstellung, sondern auch
eine grosse Erweiterung der archäologisch-epigraphischen Samm-
lungen ermöglicht, welche nun ycK) Gipsabgüsse, 33oo l^hoto-
graphien, mannigfaltige Proben antiker Kleinkunst, I'afeln, Karten,
Pläne und 3 1 32 Bücher umfassen. Durch die unmittelbare Nachbar-
schaft des philologischen Seminars und die regste Verbindung mit
demselben ist für beide Institute eine günstige F^ntwicklung ge-
währleistet. Diese Arbeitsgemeinschaft fand auch ihren Ausdruck
in der gelegentlich der Wiener Philologenversammlung 1893 von
den Leitern und Iheilnehmern veranstalteten Ausgabe der «Ima-
gines* des älteren Philostratos. Noch sei erwähnt, dass die im
Seminare veranstalteten Sonntagscurse für (jymnasialprofessorcn
nicht bloss einen günstigen Krfolg hatten, sondern auch zu ähn-
lichen Unternehmungen an anderen Universitäten anregten.
Die schon früher bestandenen Wechselbeziehungen zwischen
der Universität und den k. Kunstsammlungen wurde erneut, als
(-ustos Robert Ritter v. Schneider, i8y3 habilitiert, 1895 '-^^"^
ausserordentlichen, 189X zum ordentlichen Professor ernannt
wurde. Kbenso ist seit 1897 der U.ustos der iMünzsammlung
Dr. ,1. W. Kubitschek als ausserordentlicher Profes.sor der rö-
mischen Alterthumskunde an unserer Universität thätig.
In den ,Iahren 1890/93 wurde unter entscheidender Mit-
wirkung österreichischer Forscher das Monument von Adam-
klissi (tropaeum Traiaui) in der Dobrudscha neu gewonnen,
worüber das von Tocilescu in (lemeinschaft mit Benndorf und
Niemann herausgegebene Werk (Wien 1895» berichtet. Mit den
von .Mauthner v. Markhof freigebig gewidmeten Mitteln unter-
nahm Benndorf Ausgrabungen in Kphesos, die seit 189^» in
grösserem .Masstabe, zum Iheil mit Unterstützung des ,Staates
fortgesetzt werden. Weitere Aufgaben sind der Forschung durch
die 1896 von Seite der k. Akademie der Wissenschaften ins
Leben gerufenen (-ommi.ssionen zur Krforschung des römischen
Limes in Osterreich und für die Durchforschung der Biilkan-
länder erölVnet.
348 Philosophische Facultät.
Da die derart angewachsenen Agenden die Begründung einer
Gentralstelle erheischten, wurde in diesem Jahre das k. k. öster-
reichische archäologische Institut begründet und Hofrath Professor
Benndorf zum Director, Professor Schneider zum Vicedirector, die
Privatdocenten R. Heberdey, E. Kaiinka, A. Wilhelm, W. Reichel
zu Secretären ernannt. An Stelle der mit dem 20. Bande 1897 ab-
geschlossenen «Archäologisch-epigraphischen Mittheilungen» treten
nun die «Jahreshefte des österreichischen archäologischen Insti-
tutes».
An Stelle Benndorfs wurde Emil Reisch, habilitiert 1889,
seit 1890 ausserordentlicher, dann ordentlicher Professor in Inns-
bruck, der schon interimistisch seit der provisorischen Bestellung
Benndorfs das Fach vertreten hatte, ernannt.
Es erübrigt noch, die Habilitationen mit Ausnahme derer,
über welche besonders berichtet wurde, anzuführen. Die venia
legendi für Archäologie erhielten: 1875 Wilhelm Gurlitt (jetzt
Professor in Graz), 1879 Wilhelm Klein (jetzt Professor an der
deutschen Universität in Prag), 1887 Emanuel Loewy (jetzt
Professor an der Universität in Rom), 1882 Franz Studniczka
(jetzt Professor in Leipzig), 1894 Rudolf Heberdey, 1895 Wolf-
gang Reichel.
XVII. Deutsche Philologie. Vor der Neugestaltung der
philosophischen Facultäten fand an den Universitäten Österreichs
die deutsche Philologie keine regelmässige Vertretung. Wohl
war bei dem älteren dreijährigen Studienplan für das dritte Jahr
Theorie der schönen Wissenschaften und Künste, wobei deutsche
Literatur erwähnt werden mochte, ein vorgeschriebener Lehr-
gegenstand und wurde am Ende des vorigen und Anfang des
gegenwärtigen Jahrhunderts von dem Dichter K. Mastalier, J.
Liebcl und F. Ficker, dem späteren Professor der classischen Philo-
logie, nach Fberhards und Eschenburgs bekannten Büchern vor-
getragen; aber schon bevor die philosophischen Studienjahre auf
zwei herabgesetzt worden waren, im Jahre 1825, und nach
diesem Zeitpunkte kam diese Disciplin nur mehr vereinzelt und
als freier Gegenstand ausserordentlicher Vorlesungen vor. Als
solcher wurden auch seit 1845 ^'^^ ^^' Hermann Suttner
deutsche Grammatik, Stilistik und Literaturgeschichte gelehrt; auch
JkiA.
Philosoph 'lAche Facultät. 349
altdeutsche Philologie vertrat er durch Vorlesungen über das
Nibelungenlied, das Hildebrandslied, das Wessobrunnergebet u. ä.
Eine ordentliche Lehrkanzel für deutsche Sprache und
Literatur wurde erst 1850 gegründet und mit Georg v. Karajan
besetzt, der sie aber nur bis 185 1 innehatte (gestorben 1873).
Auf ihn folgte Karl A. Hahn, der sein Lehramt bis zu seinem
Tode 1857 ausübte, im Jahre 1853 zugleich mit dem Dichter
Oskar V. Redwitz, der das ihm übertragene Lehramt bald auf-
gab. Unter Hahn habilitierte sich Karl Tomaschek 1855, so
dass in den letzten Jahren von Hahns Wirksamkeit die Thei-
lung des Faches in eine Abtheilung für ältere und eine andere
für neuere deutsche Philologie angebahnt war, da Tomaschek
in seinen Vorlesungen meist neuere Literaturgeschichte be-
handelte.
Im Jahre 1857 wurde Friedrich Pfeiffer berufen, der die
Lehrkanzel bis zu seinem im Jahre 1868 erfolgten Tode beklei-
dete. Da Pfeiffer seine Zeitschrift «Germania» bald nach Wien
verlegte, so war Wien eine Zeitlang das Gentrum jener l^artci
der Germanisten, welche sich von der Autorität Lachmanns,
Haupts und Müllenhotfs zu befreien suchte. Nachdem Toma-
schek 1862 als ordentlicher Professor nach Graz abgegangen
war, musste Pfeiffer durch längere Zeit auch das Fach der
neueren Literaturgeschichte allein vertreten. 1859 habilitierte
sich Friedrich Stark (gestorben i88o'l, besonders für Altnordisch,
und 1864 Wilhelm Schcrer (gestorben 1885), erst nur für
deutsche Sprache, später auch für Literaturgeschichte, der sich
sofort in allen wissenschaftlichen Fragen mit grosser Kntschieden-
heit auf den dem Pfeiffer'schcn entgegengesetzten Standpunkt
stellte.
Diese Richtung kam in Wien zur Herrschaft, als Scherer
1868 nach Pfeiffers Tod zum ordentlichen Professor ernannt
wurde. Zugleich wurde die Theilung der Lehrkanzel nun
svstemisiert, indem zu derselben Zeit K. Tomaschek von (iraz
nach Wien berufen wurde. Doch war die Scheidung nicht
strenge durchgeführt da Scherer auch Gollegicn über neuere
I-itcraturgeschichte, Tomaschek auch solche über Grammatik las.
1872 habilitierte sich Anton Schönbach.
350 Philosophische Facultäl.
Nachdem Scherer Ende des Jahres 1872 Wien mit Strass-
bürg vertauscht hatte, wurde Richard Heinzel, Tomascheks
Nachfolger in Graz seit 1868, zum Professor in Wien ernannt
und die Theilung der Arbeitsgebiete nun vollzogen, da Heinzel
sich auf Vorlesungen über Grammatik, Alterthumskunde und die
alteren Perioden der deutschen Literaturgeschichte, Kritik und
Metrik beschränkte und ausserdem nur das Altnordische und
Angelsächsische heranzog. Auch das neubegründete Seminar
für deutsche Philologie und die ÜbungscoUegien im ganzen
trugen dieser Abgrenzung des Arbeitsfeldes Rechnung, so dass
bei Heinzel meist grammatische und kritische Interpretation alt-
deutscher, zum Theile auch gothischer, altnordischer und angel-
sachsischer Texte getrieben wurde, w^ährend Tomaschek und
seine Nachfolger den Studenten Anleitung zur wissenschaftlichen
Behandlung der neueren Literaturgeschichte, Kritik und Metrik
gaben, also in den Übungen unter anderem den Einfluss eines
ausländischen Schriftstellers auf die deutschen einer gewissen
Periode untersuchen, den Zusammenhang zwischen biographi-
schen Aufzeichnungen und den Dichtungen eines Lyrikers prüfen
Hessen, oder durch Besprechung etwa der Weimar'schen Aus-
gabe von Goethes Werken, sowie durch Analyse modemer
Dichtungen die Elemente der modernen Textkritik und Metrik
vermittelten.
Nach Tomascheks Tode 1878 übernahm Erich Schmidt
dessen Lehrkanzel und hatte sie inne von 1880 bis 1885. Nach-
dem Schmidt an das Goethe-Museum in Weimar abgegangen
war, wurde Jakob Minor von Prag nach Wien berufen und
versieht seit 1885 als ausserordentlicher, seit 1888 als ordent-
licher Professor sein Lehramt.
Schönbach war im Jahre 1873 als Nachfolger Heinzeis nach
Graz gegangen. 1879 haben sich August Sauer und Johann
See mü Her habilitiert, von denen ersterer Wien alsbald verliess,
um die Professur in Lemberg anzunehmen, während Seemüiler
der Wiener Universität bis zu seiner Berufung nach Innsbruck
1890 angehörte. 1880 habilitierte sich Minor, der aber bald
nach Mailand, hierauf nach Prag abgieng, um dann, wie gesagt,
1885 nach Wien zurückzukehren. 1887 habilitierte sich Alexander
Philoi^ophtsche FaculUt. 35 1
KittcT V. Weilen; 1891 Hess sich Wilhelm Nagl die in Graz
erworbene venia docendi auf Wien übertragen; 1892 habilitierten
sich Franz Detter, seit 1898 ordentlicher Professor in Freiburg
in der Schweiz, und Max H. Jellinek, 1893 Rudolf Much,
1894 Otto Walzel, seit 1897 ordentlicher Professor in Bern,
und Karl Kraus. Von diesen Herren sind Sauer, v. Weilen und
Walzel Vertreter der modernen deutschen Philologie, während
Seemüller, Detter (besonders auf skandinavischem Gebiete),
Jellinek, Much (besonders auf dem Gebiete der Alterthums-
kunde), sowie Kraus ihre Studien und Vorlesungen mehr den
alteren Perioden der deutschen Sprache und Literatur zugewendet
haben und Nagl vor allem moderne Dialektkunde betreibt.
Als eigenthümlich für unsere Universität kann unter an-
derem gelten, dass die thatsächliche und officielle Theilung des
Faches in eine Lehrkanzel für ältere und eine für neuere deut-
sche Sprache und Literatur sich hier früher vollzogen hat als
an anderen Universitäten Österreichs und Deutschlands.
XVIII. SlaviSChe Philologie. Einzelne slavische Sprachen
bildeten in unserer Monarchie schon seit langem den Gegenstand
des Universitätsstudiums, doch erst den vereinten Kräften solcher
Gelehrten, wie Dobrowsky in Prag, Kopitar in Wien, ^^afaf-ik in
Neusatz-Prag gelang es, unter wissenschaftlicher Mitwirkung des
um den Grafen Rumjancov gruppierten Kreises von (Jelehrten
in Hussland das bisdahin in der Isoliertheit verharrende Studium
der Kinzelsprachen zu einer neuen Disciplin, der slavischen Philo-
logie, auszugestalten, wobei Jakob (irimms und Friedrich Dietz'
Leistungen vorbildlichen Kinfluss ausübten. Die ersten Ver-
suche zur Gründung slavischer Lehrkanzeln fanden an den
russischen Universitäten zu Knde der Dreissigerjahre statt, wobei
ursprünglich die Berufung einiger slavi,schen(jelehrten aus Böhmen
geplant war. Darauf folgte Preussen mit Berlin und Breslau,
doch nur in der letztgenannten Universität kam der slavische
Lehrstuhl durch einen aus Böhmen berufenen Gelehrten (Uela-
kovsky) im Jahre 1842 zur Besetzung. In (Österreich ,selbst
brachten erst die Ereignisse des Jahres 1848 die Frage über
die Krnchtung slavischer Lehrstühle an einigen Universitäten in
1 luss. An der Wiener Universität wurden zu Anfang des
3^2 Philosophische Facultät.
Jahres 1849 zwei ausserordentliche Professuren auf einmal er-
richtet: eine für die slavische Archäologie (besetzt durch die
Ernennung Johann Kollars am 29. April 1849), die andere für die
slavische Philologie und Literatur (besetzt durch die Ernennung
Franz Miklosichs am 3o. April 1849). Da für die wissenschaft-
liche Behandlung der slavischen Archäologie damals noch alle
Vorbedingungen fehlten, so gieng dieser Lehrstuhl mit dem im
Jahre 1852 erfolgten Tode Kollärs ein. Dagegen erhob sich
der Lehrstuhl der slavischen Philologie, unter wohlthuender
Wechselwirkung der übrigen philologischen Disciplinen, zur hohen
Bedeutung eines wissenschaftlichen Mittelpunktes, namentlich in
grammatischer Richtung, nicht nur für ganz Osterreich, sondern
auch weit über die Grenzen des Reiches. Die bahnbrechenden
Werke Miklosichs über die vergleichende Grammatik der slavi-
schen Sprachen legten den ersten festen Grund dazu.
In den ersten zwei Decennien seit der Errichtung des Lehr-
stuhles hatte das Fach mehr eine abstract wissenschaftliche als
praktisch-pädagogische Bedeutung. Der Gegenstand war eigent-
lich für niemanden obligat, da der Nachweis der Kenntnisse für
eine slavische Unterrichtssprache nur selten, die Staatsprüfung
aus einer slavischen Sprache als Hauptfach noch seltener in
Anwendung kam. Auch bei der Bildung von Gruppen zur Er-
reichung des Doctorgrades war damals die slavische Philologie
nur in zweiter Linie bedacht. Unter solchen Verhältnissen hatte
auch die Bewerbung um die venia legendi für die anstrebenden
jungen Kräfte wenig Verlockendes. Erst' die Siebziger- und
Achtzigerjahre brachten auch dem Lehrstuhle für slavische
Philologie neue Belebung: der Bedarf an Lehrkräften mit der
Kenntnis der slavischen Sprachen steigerte sich, junge Gelehrte
traten mit dem Wunsche, die venia legendi über die slavische
Philologie zu erwerben, hervor. Im Jahre 1878 habilitierte sich
Alexander Brückner, jetzt Professor in Berlin; im Jahre 1885
Dr. Joh. Leciejewski; im Jahre 1886 Dr. K. Strekelj, jetzt
Professor in Graz.
Als im Jahre 1885 Miklosich nach sechsunddreissigjähriger
Wirksamkeit infolge des vollendeten 70. Lebensjahres in Ruhe*
stand trat und seinem Wunsche entsprechend einer seiner frühesten
-• 1- * ^ ,
Philosophische Facuh&t. 3S^
Schüler, Professor Vratoslav Jagi«', aus St. Petersburg zu seinem
Nachfolger berufen wurde — die Ernennung erfolgte im April
1886 — standen dem Fache der slavischen Philologie, wenn es
den grösseren Anforderungen genügen sollte, neue Aufgaben be-
vor. Vor allem mussten die Lehrmethode und die Lehrmittel
erweitert werden. In dieser Beziehung bildet das im Jahre 1887
ins Leben gerufene Seminar für slavische Philologie einen neuen
Abschnitt in der inneren Ausgestaltung des Lehrstuhles. Die
Gründung dieses Institutes mit einer besonderen, seither nicht
unbeträchtlich bereicherten Fachbibliothek — das sind zwei Er-
rungenschaften, für die man dem einsichtsvollen und wohlwollen-
den Entgegenkommen der Unterrichtsverwaltung zu grossem
Danke verpflichtet ist. Auch der vielen gelehrten Gesellschaften
des In- und Auslandes, die die Seminarbibliothek mit ihren in das
Fach einschlägigen Publicationen reichlich beschenken, sei mit
Dank gedacht.
Aber noch eine andere Erweiterung des Faches musste an-
gestrebt werden. Die Vertretung einer so umfangreichen Disciplin,
wie es die slavische Philologie ist, die alle slavischen Sprachen
und Literaturen mit ihrem geschichtlich-archäologischen Hinter-
gründe umfassen soll, durch einen einzigen Ordinarius stellte
sich immer mehr als unhaltbar heraus. So wurde in der That
im Jahre 1893 die Errichtung einer zweiten ordentlichen Pro-
fessur Allerhöchst bewilligt und für diese der Professor der Ge-
schichte an der Prager böhmischen Universität, Dr. (Konstantin
Jirerek, ernannt. Die Theilung der Disciplin geschah so, dass
dem neuen Vertreter die Erweiterung derselben nach der ge-
schichtlich-archäologischen Seite zukam.
Die Zahl der sich um die venia Icfi^cndi bewerbenden Ge-
lehrten gestaltete sich seit dem Herbste 1886 so: 18S4 habilitierte
sich Stephan Smal-Stocki, seit 1S85 Professor der ruthenischen
Sprache in (-zemowitz; 1888 Franz Pastrnek, jetzt Professorin
Prag; im Jahre 1893 Wenzel Vondriik, jetzt Piivatdocentan unserer
Universität mit dem Lehrauftrage für das Böhmische, ausserdem
Assistent an der k. k. Hofbibliothek; im Jahre 1895 Milan Ritter
V. Resetar, jetzt Privatdocent an unserer Universität mit dem
Lehrauftrag für das Serbocroatische, ausserdem Redacteur der
Gc»cinclitc Jcr \\ icnor Luivv-rMtai. 24
3^4 Philosophische Facultät.
croatischen Ausgabe des Reichsgesetzblattes im k. k. Ministerium
des Innern; im Jahre 1897 Matthias Murko, Privatdocent für
neuere slavische Literaturen, ausserdem mit dem Unterrichte in
der russischen Sprache an der k. k. orientalischen Akademie und
der Lehranstalt für orientalische Sprachen betraut.
Durch längere oder kürzere Zeit haben den Vorlesungen
und Übungen aus der slavischen Philologie seit dem Jahre 1886
beigewohnt: J. Bogdan, jetzt Professor der slavischen Philo-
logie in Bukarest; Olaf Broch, jetzt Professor der slavischen
Sprachen in Christiania; Dr. Conev, jetzt Professor der bulga-
rischen Sprache an der Hochschule in Sofia; Dr. Gjorgjevie
(t 1898), gewesener Assistent an der k. serbischen Akademie der
Wissenschaften in Belgrad; Dr. A. Kolessa, jetzt Professor der
ruthenischen Sprache an der Universität Lemberg; Dr. Matov
(t 1896), gewesener Privatdocent für slavische Ethnographie an
der Hochschule zu Sofia; Dr. Oblak (f 1896), gewesener Privat-
docent für slavische Philologie an der Universität Graz; M. N.
Speranskij, jetzt Professor der russischen Literatur an dem
historisch-philologischen Institute zu NjeJ^in.
XIX. Romanische Philologie. Wissenschaftlicher Betrieb der
romanischen Philologie ist eine Errungenschaft unseres Jahr-
hunderts. Zwar hatte das Schriftthum der romanischen Völker
frühzeitig in Deutschland eifrige Pflege und in Vorlesungen über
allgemeine oder neuere Literaturgeschichte gebürende Berück-
sichtigung gefunden ; doch erst als der historische Sinn sich regte
und die Kunde des Mittelalters sich erschloss, konnte von einer
pragmatischen Literaturgeschichte die Rede sein. In noch
höhcrem Masse gilt dies von dem Studium der Sprache. Einst
bloss auf praktische Zwecke gerichtet, beschränkte es sich fast
ausschliesslich auf Darstellung des neueren Gebrauches; selbst
höhere Bestrebungen giengen nur darauf hinaus, die Sprach-
ciLrenthümlichkeiten älterer Schriftsteller zu verzeichnen. Histo-
rische Vergleichung aller romanischen Idiome wurde, nach einem
schüchternen Versuche von Seite Raynouards, erst von Friedrich
Diez in Angriff genommen. Mit dem Erscheinen seiner Gram-
matik (i836 — 1842) war die feste, unverrückbare Grundlage der
romanischen Philologie geschaffen, einer neuen Disciplin. welche
Philosophische Facuhftt 355
in den seither verflossenen zwei Menschenaltem ungeahnte,
geradezu staunenerregende Fortschritte gemacht hat.
Dass innerhalb der Einrichtungen der früheren österreichi-
schen Universitäten Vorlesungen über die Schriftwerke der neu-
lateinischen Völker keinen Raum haben konnten, bedarf nicht
der Erwähnung. So kam es, dass einem Meister wie Ferdinand
Wolf keine Gelegenheit geboten wurde, sein reiches Wissen in
den Dienst des akademischen Unterrichtes zu stellen; nach der
Neugestaltung unserer Universitäten haben ihn vorgerücktes Alter
und übergrosse Scheu vor öffentlichem Auftreten daran verhin-
dert, jenen Lehrstuhl einzunehmen, auf den er so vollen An-
spruch hatte. Der Initiative des damaligen Unterrichtsministers
Grafen Leo Thun ist zu verdanken, dass die Wiener Univer-
sität bei der Gründung einer speciellen Lehrkanzel für «romani-
sche Sprachen und Literaturen» (der kürzere Ausdruck t roma-
nische Philologie» fand erst allmählich Eingang) allen anderen
vorangieng. Im Herbste 1860 wurde Adolf Mussafia, der seit
i8ss i^ls Lehrer des Italienischen wirkte, zum ausserordentlichen
Professor ernannt. Bei der Neuheit des Faches und dem Um-
stände, dass der neuernannte Vertreter dessen keine nennens-
werte Leistung aufzuweisen hatte, musste dies nur als ein
Versuch gelten, der den bestehenden Normen gemäss nach drei-
jähriger Frist rückgängig gemacht werden konnte. Es gelang
indessen, das neu eingeführte Fach der Universität zu sichern;
April 1867 wurde es systemisiert und der Genannte zum Ordina-
rius bestellt. Da an keiner österreichischen Mittelschule fremde
Sprachen als obligater Gegenstand gelehrt wurden, war bei der
(iründung und Bestätigung der romanischen Lehrkanzel ledig-
lich das wissenschaftliche .Moment bestimmend gewesen; eine
Beziehung zum Staatsdienste zeigte sich höchstens darin, dass
die damals zahlreichen Ikindidaten für das Italienische an .Mittel-
schulen mit italienischer Unterrichtssprache für ihren Beruf
Unterweisung fanden. Ganz anders gestaltete sich die Sache, als
1868 das Französische als obligater Gegenstand an Realschulen
eingeführt wurde. Die Anzahl der Hörer mehrte sich zu-
sehends; neue Bedürfnisse machten sich geltend. Es musste den
künftigen Lehrern (iclegenheit gegeben werden, einerseits sich mit
^^f) PhiliMophUchc Facultas
der neueren französischen I.iteratur vertraut zu machen, an-
dererseits sich die nöthige Geläufigkeit im Gebrauche der frem-
den Sprache anzueignen. Mit dieser Aufgabe wurde Ferdinand
Lotheissen betraut, der von 1871 als Privatdocent, von 1881 bis
1H87 als ausserordentlicher Professor wirkte. Auch schien es noth-
wendig, die Studierenden durch besondere Übungen zu selbständi-
gen Arbeiten anzuleiten. Nach der damals beliebten Gepflogen-
heit, die zwei Sprachen, die gerade an deutschen Mittelschulen
gelehrt werden, als zusammengehörig zu betrachten, wurde ein
* Seminar für französische und englische Sprache» eingerichtet.
Diese an sich unorganische Vereinigung blieb indessen stets nur
nominell; 1891 wurde sie durch Gründung je eines Seminars für
jede der beiden Sprachen gelöst.
Wenn auch intensivere Beschäftigung mit dem Französi-
schen theils durch dessen Bedeutung, zumal rücksichtlich der
mittelalterlichen IJteratur, theils durch seine Beziehungen zum
Mittelschulunterrichte vollkommen berechtigt erscheint, muss man
doch an dem Grundsatze festhalten, dass der Universität in erster
Linie die Pflicht obliegt, Lehre und Forschung auf dem Ge-
sammtgebicte der romanischen Philologie als Selbstzweck zu
betrachten. Diese Überzeugung führte zu wichtigen Entschlüssen.
Nach Lotheissens Hinscheiden war vor allem eine nicht aus-
schliesslich dem Französischen sich widmende Lehrkraft zu
gewinnen; ebenso war es ein Gebot der Wissenschaft, die
Seminarübungen auf alle Gebiete der romanischen Philologie
auszudehnen. So wurde denn 1890 Wilhelm Meyer-Lübke von
der nniversität Jena als Extraordinarius berufen und 1892 zum
Ordinarius ernannt. 1894 trat an Stelle des Seminars für
l'ranzösisch das «vSeminar für romanische Philologie», an dem
neben den zwei l^'achprofessoren drei Lectoren — G. Ch. Ma-
th ien für französisch, Dr. K. Maddalena für Italienisch, Dr.
Kiidolf Beer für Spanisch — thatig sind. Eine nunmehr ziem-
lich grosse Büchcrsammlung ist in dem geraumigen Seminar-
Itjcalc aufgestellt; durch Verleihung von Prämien wurden wieder-
holt besonders gelungene Arbeiten ausgezeichnet
Aus kleinen Anfängen hat somit innerhalb vier Decennien
dies Studium sich kräftig entwickelt; die Gegenwart lässt für
Philosophische Facultät. 357
die Zukunft erfreuliches Gedeihen erhoffen. Folgende Gelehrte
wirkten noch als Privatdocenten : Wendelin Foerster, habilitiert
1874, in demselben Jahre zum Professor an der Universität in
Prag ernannt, jetzt in Bonn; Johann Urban Jarnik, 1878
habilitiert, 1882 Professor an der Universität mit böhmischer
Unterrichtssprache in Prag; Anton Ive, habilitiert 1881, gegen-
wärtig ausserordentlicher Professor der italienischen Sprache und
Literatur an der Universität in Graz; Johann Alton, habilitiert
1885, Professor am k. k. Staatsgymnasium im VUI. Bezirke.
XX. Englische Philologie. Der Unterricht in der englischen
Sprache wurde an unserer Facultät bis zum Jahre 1872 durch
Lehrer ertheilt. Als solche wirkten von 182s an ILZirer, C. G.
Glairmont, E. Labbat de Lambert, J. B. Högl. Inzwischen hatte
sich das Studium der englischen Sprache und Literatur an einigen
deutschen Universitäten bereits zu einer selbständigen wissen-
schaftlichen Disciplin entwickelt, obwohl es fürs erste noch in
Verbindung mit der französischen Sprache und Literatur von
dem Professor der neueren Sprachen vertreten wurde. Hatten
schon an der Universität zu (iöttingen am Anfang dieses Jahr-
hunderts Vorlesungen über englische Dichter, wie Shakespare und
Spencer, stattgefunden, so blühte in Bonn, wo A. \V. v. Schlegel,
als I^rofessor der Literatur berufen, Vorlesungen über (Jeschichte
der englischen Literatur gehalten hatte, durch N. Delius (i8i3
bis 1888) eine Schule auf, die den meisten übrigen deutschen
Universitäten die ersten Vertreter dieser Fächer liefern sollte.
Neben Delius wirkten an anderen Hochschulen Männer wie
Kbert, Lemcke, 'Ih. Müller, Ulrici, Ilettner als \'ertreter und
Förderer des Studiums der englischen Literatur, während (ierma-
nisten, wie Leo, Kttmüller, Dietrich, Haupt, (Jrein, Heyne, Müllen-
holf u. A., eine verdienstliche Thätigkeit entfalteten, die haupt-
sächlich der angelsächsischen Sprache und Literatur zugute kam,
und die (jrammatiker K, Mätzner und iL Koch, sowie der Lexiko-
graph Stratmann den Zusiuiimenhang mit der anglistischen For-
schung in Kngland vermittelten.
Im Jahre 1872 wurde der Privatdocent zu Breslau Julius
'/upitza als ausserordentlicher Professor der nordgermanischen
Sprachen an unsere Universität berufen. In Wirklichkeit aber
358 Philosophische Facultät.
und der Hauptsache nach war hiemit eine Professur für englische
Sprache geschaffen, wie denn auch in demselben Jahre die Be-
gründung des französisch-englischen Seminars erfolgte. Für die
Übungen diente das 1874 von Zupitza verfasste cAlt- und Mittel-
englische Übungsbuch», das, 1897 in fünfter von J. Schipper
besorgter Auflage erschienen, eine weite Verbreitung gefun-
den hat.
Als Zupitza, der 1875 zum ordentlichen Professor ernannt
worden war, 1876 nach Berlin berufen wurde, wo ihn 1895
ein frühzeitiger Tod der Wissenschaft entriss, wurde am 26. Sep-
tember 1876 Jakob Schipper, seit 1872 ProfevSsor der neueren
Sprachen an der Universität in Königsberg i. Pr., zum ordentlichen
Professor der englischen Philologie ernannt. Unter seiner Leitung
wurde das Seminar entwickelt und durch eine Subvention des
h. k. k. Ministeriums mit einer Bibliothek ausgestattet. Zugleich
wurde, um die Studierenden, welche theils mit nur sehr mangel-
hafter Kenntnis der englischen Sprache, theils ohne jede Vor-
bildung die Universität beziehen, zu fördern, ein Proseminar
geschaffen, das einen wöchentlich mindestens fünfstündigen prak-
tischen Elementarunterricht bieten sollte. Der Unterricht in dem-
selben wird durch Lectoren ertheilt, als welche 1882 — 1889 G. G.
Bagster, 1889 — 1894 J.Morison, 1894 — 1897 Rev. W. H.Hechler,
1897/98 H. A. G. Blomfield fungierten.
Im Jahre 1890 wurde das bisherige französisch-englische
Seminar, da ja die beiden darin vereinigten Fächer durch keine
innere Zusammengehörigkeit verbunden waren, in zwei Seminare,
das romanische und das für englische Sprache getrennt.
Eine besondere Förderung seiner wissenschaftlichen Thätig-
keit erfuhr das Seminar durch eine im Jahre 1894 vom h. k. k.
Ministerium auf einen von Professor Schipper in Gemeinschaft
mit den Vorständen der englischen Seminare an der deutschen
Universität in Prag und der Hochschule zu Graz gestellten Antrag
bewilligte jährliche Subvention von 600 Gulden zur Veröffent-
lichung der von den Professoren Schipper, Pogatscher und Luick
herausgegebenen Wiener Beiträge für englische Philologie>,
von denen bis jetzt 3 Jahrgänge (1805- 1897, Wien, Braumüller)
in 7 Bänden erschienen sind. Sie enthalten mit Ausnahme des
Philosophische Kacultät. ^59
zweiten Arbeiten von einstigen Mitgliedern des Seminars, die
als Doctordissertationen von der Facultat approbiert wurden.
Das h. Ministerium hat auch 1897 einen jahrlichen Betrag
von 1 20 Gulden zur Prämiierung der tüchtigsten Arbeiten von
Seminarmitgliedern bewilligt, der am Schlüsse des Jahres 1898
zum ersten Male in Theilbeträgen zur Auszahlung gelangte.
Habilitiert haben sich seit der Begründung der Lehrkanzel
die folgenden, welche auch als Mitglieder dem Seminar an-
gehörten: 1881 Alois B ran dl (1884 ausserordentlicher Professor
an der deutschen Universität in Prag, dann ordentlicher Professor
1888 zu Göttingen, 1893 in Strassburg, 1895 in Berlin); i883
Arnold Schröer (1886 ausserordentlicher Professor an der Uni-
versität in Freiburg i. B., seit 1895 ordentlicher Honorarprofessor;,
1890 Karl Luick (1895 ausserordentlicher, 1897 ordentlicher
Professor an der Universität in Graz), 1890 Leon Kellner, gegen-
wärtig Professor an der Staatsoberrealschule im XVIII. Bezirke
und als I^rivatdocent thätig.
Kndlich ist noch zu erwähnen, dass das ehemalige Mitglied
des Seminars, Matthias Konrat h, 1882 von der Stelle eines
Oberrealschul-IVofessors in Wien als ausserordentlicher Pro-
fessor an die Universität in Greifswald, wo er noch gegenwärtig
wirksam ist, berufen wurde.
XXI. Die vergleichende Sprachforschung und die orientali-
sche Philologie und Alterthumslcunde. \'orlcsungen über Sans-
krit wurden an unserer Hochschule zuerst 1847 von dem
Docenten Anton Boller gehalten, der sich hiebei der von ihm
verfassten (irammatik (^Wien i?<47) bediente. Bei der Ncuuc-
staltung des Unterrichtswesens wurde er i84<j zum ausserordent-
lichen Professor des Sanskrit und gleichzeitig mit ihm Jakob
(joldenthal, durch seine Kenntnis der mittelalterlichen hebräi-
schen Literatur verdient, zum ausserordentlichen Professi)r für
orientalische Sprachen ernannt.') Beide lehrten bis zum
M Vor 1S4.S lehrte cinijjc Jahre hindurch als Doccni chincsiNchc. türkische
^arabische) iinJ persische Sprache iiiul Literatur der durch seine .\rl»eilcn über chi-
nesische und japanische Sprache und Literatur l»ekannte l>r. .\uj;uNt IMizmaier
seit 1S47 \% irkliches Mitglied der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften.
360 Philosophische Facuhät.
Wintersemester 1868; Goldenthal starb gegen Ende dieses Jahres,
Boller, der 1855 '^^^^ ordentlichen Professor ernannt worden
war, im Juni 1869, und so waren um dieselbe Zeit die beiden
neubegründeten Lehrstühle erledigt.
Neben beiden wirkte schon seit 1860 ein Schüler Bollers,
Friedrich Müller, der, 1860 habilitiert, 1866 die ausserordent-
liche Professur für orientalische Linguistik erhielt. Er wurde nun
1869 als ordentlicher Professor des Sanskrit und der Sprach-
vergleichung der Nachfolger Bollers, während Dr. Eduard S ach au,
hieher berufen, 1869 ^^rn ausserordentlichen, 1872 zum ordent-
lichen Professor für orientalische Sprachen ernannt wurde. Fried-
rich Müller hat bis zu seinem Tode am 25. Mai 1898 an un-
serer Hochschule gewirkt. Ein Linguist ersten Ranges, besass
er nicht nur in den indogermanischen und semitischen, sondern
auch in den meisten bekannten Sprachen der Erde, die er in
seinem «Grundriss der Sprachwissenschaft» behandelt hat, reiche
Kenntnisse. Sein ausserordentliches Gedächtnis und sein scharfer
Blick befähigten ihn, die weitesten Gebiete der Sprachkunde und
Etymologie zu überschauen, wobei er auch in schriftgeschicht-
licher Beziehung eine ausgebreitete Thätigkeit entfaltete.
Neben ihm, dem Vertreter der sprachvergleichenden und
linguistischen Richtung, wirkte seit 1880, von Bombay als ordent-
licher Professor der indischen Philologie und Alterthumskunde
berufen, mit grossem Erfolge Georg Bühler. Durch seinen lang-
jährigen Aufenthalt in Indien erwarb er sich umfassende Kennt-
nisse der indischen Sprache und Literatur. Leider wurde er
durch ein tückisches Geschick unserer Hochschule und seinem
reichen wissenschaftlichen Wirken am 8. April 1898 entrissen.
Bis zur Besetzung der beiden Lehrkanzeln ist Sprachver-
gleichung und Sanskrit durch den 1892 ernannten a. o. Prof.
Rudolf M er inger' vertreten, der sich 1885 für vergleichende
Grammatik der indogermanischen Sprachen habilitiert hatte.
Da Eduard Sachau im Jahre 1875 einem Rufe nach Berlin
folgte und der Lehrstuhl mehrere Jahre unbesetzt blieb, vertrat
dieses Fach zunächst David Heinrich Müller, der sich 1876
habilitiert hatte und 1880 die ausserordentliche, 1885 die ordent-
liche Professur erlangte. Schon vor ihm, der sich besonders
Philosophische Facultftt. 36 1
mit der semitischen Epigraphik befasst, hatte sich 1869 Josef
Karabacek für arabische Palaoj^raphie und Numismatik habili-
tiert, der 1874 zum ausserordentlichen, 18S9 zum ordentlichen
Professor der Geschichte des Orients und ihrer Hilfswissen-
schaften ernannt wurde. Seine Studien bewegen sich auf dem
Gebiete der arabischen Palaographie und Diplomatik, dann der
Realien überhaupt und der muhamedanischen Kunst, wofür
der kostbare Schatz der «Papyri Erzherzog Rainer», den er
verwaltet, reiches Material liefert. Als dritter wirkt seit 1891
(Justav Bickell, von der theologischen Facultiit der Innsbrucker
Hochschule hieher berufen. Sein specielles Fach ist die syrische
Sprache und die Bibelforschung.
Als erster Vertreter der agyptisch-chamitischen Sprach-
kunde erscheint I^eo Reinisch, 1860 habilitiert, 1868 zum
ausserordentlichen, 1873 zum ordentlichen Professor der Ägypto-
logie befördert. Seine Arbeiten beziehen sich nicht bloss auf
dieses Fach, sondern auch auf die verwandten chamito-semiti-
schen Sprachen. Hin Schüler von ihm, Jakob Krall, 1881 habili-
tiert, 1890 ausserordentlicher Professor der alten Geschichte des
Orients, 1897 mit dem Titel und Charakter eines ordentlichen
Professors ausgezeichnet, beschäftigt sich besonders mit der Be-
arbeitung koptischer und demotischer Texte.
Ausserdem haben sich in den bezeichneten Fachern habili-
tiert: 1862 für orientalische vSprachen Adolf Wahrmund, 1NS4
für vergleichende (irammatik der indogermanischen Sprachen
Josef Sklenaf-, 1891 für chinesische Sprache und Literatur
Franz Kühnert, i8(/) für orientalische Philologie Maximilian
Bittner, 1897 für semitische Philologie August Haffner.
Ausserhalb der Fniversiiat, aber in innigster Beziehung zum
Orientalischen Institute derselben, standen die beiden grossen
österreichischen Orientalisten Alfred Freiherr v. Krem er Igest.
ixXi)) und Alois Sprenger «gest. iS()3\
Das orientalische Institut. 1886 begründet, ist mit einer ent-
sprechenden Jahresdotation ausgestattet, welche nicht bloss zur
Vermehrung der Bibliothek, sondern auch zur Herausgabe einer
Zeitschrift mit dem Titel Wiener Zeitschrift für die Kunde des
Morgenlandes-, geleitet von Bühler, Karabacek, 1). H. Müller,
302 Philosophische Facultät.
F. Müller, L. Reinisch, dient. Diese Zeitschrift ist gegenwärtig
beim 12. Bande angelangt. In dasselbe Jahr 1886 fiel auch die
zahlreich besuchte Versammlung des VII. internationalen Orien-
talistencongresses in Wien, die zum Aufschwünge dieser Studien
erheblich mitwirkte.
XXII. Die praktische Pflege der Musik und der akademische
Gesangverein. Dass als Lector fUr Harmonielehre und Contra-
punkt von 1875 — 1896 Anton Brückner wirkte und nach seinem
Tode die Stelle noch nicht besetzt ist, ferner dass als Gesangs-
lehrer Rudolf Weinwurm, 1862 ernannt und 1880 mit dem
Titel eines Musikdirectors ausgestattet, fungiert, ist schon oben
S. 336 erwähnt. Somit erübrigt nur noch hier über den Aka-
demischen Gesangs verein, seine Entwicklung und Wirksamkeit
zu berichten.
Schon im Jahre 1855 hatte sich ein kleiner Kreis von Stu-
dierenden, vorwiegend Juristen, zur Pflege des deutschen Ge-
sanges zusammengefunden, den man im studentischen Leben
als < Juristenliedertafel > bezeichnete, und dessen Leitung Rudolf
Weinwurm, damals selbst Studiosus juris, führte. Daraus gieng der
Akademische Gesangverein hervor, dessen Bildung am 23. Sep-
tember 1858 genehmigt wurde. Der Verein stellte sich zur Auf-
gabe, den mehrstimmigen Männergesang in wöchentlichen und
collegialen Zusammenkünften und eigens veranstalteten Festauf-
führungen zu pflegen. Rasch gedieh er, so dass die Zahl der
activcn Mitglieder bald die Zahl von 200 erreichte und er schon
am 16. März 1859 mit einem öffentlichen C^oncerte hervortreten
konnte und am 9. November desselben Jahres bei der Schiller-
feier durch seine Gesänge in erhebender Weise mitwirkte. So
ward denn der Verein ein Liebling der alma mater Rudolßna^
und in der Rectoratsrede vom Jahre 1873 wurde hervorgehoben,
dass er eine Herzenssache der Universität und eine Freude für
das Publicum sei. Hin wahres Bildungselement für die aka-
demische Jugend, von einem erfrischenden Zuge für das Ideale
und die künstlerische Schulung durchweht, wirkte er bei allen
unsere Hochschule betreffenden bald freudigen, bald betrübenden
Anlassen des Universitatslebens mit, immer ein Schmuck und
eine Zierde jeder Feier. Und so hat der Verein, der im Jahre
Philosophische Facultiu 363
1882/83 sein 25 jähriges Jubiläum festlich begieng, getreulich
seine Aufgabe bis auf den heutigen Tag erfüllt. Wir wollen
hier noch die Chormeister, die sich um den Verein verdient
gemacht haben, mit Angabe der Jahre ihrer Wirksamkeit an-
führen: Rudolf Weinwurm (1858— 1865, 1870, 1881 — 1887),
Franz Eyrich (1866 — 1869, 1872), Ernst Frank (1871), Josef
Sucher (1873), J. F. Hummel (1873/74), Richard Heuberger
(1876/77, 1879), Hans Treidler (1876 und 1878), Felix Mottl
(1880), Hermann Grädener (1880 — 1881), Raoul Mader (1890
bis 1894), Josef Neubauer (1894/98).
XXI II. Stenographie. Für den Unterricht in der Stenographie
wurde schon 1844 Vorsorge getroffen, indem in diesem Jahre
Professor Ignaz J. Heger, den F*. X. Gabelsberger als einen der
tüchtigsten Vertreter des von ihm erfundenen Systems bezeichnet
hatte, mit den Vorlesungen über dieses Fach betraut wurde.
Dadurch wurde auch die Kunst Gabelsbergers in Osterreich
allgemein eingeführt, das so den anderen Staaten vorauseilte.
Als Heger im Jahre 1855 starb, übernahm der damalige zweite
Vorstand des von Heger 1849 begründeten Centralvereines der
Stenographie des österreichischen Kaiserstaates Ernst Possanner
V. Ehrenthal bis 1858 die Vertretung dieses Faches. Hierauf
wurde 1859 der Lehrer der Stenographie an den Gymnasien
zu den Schotten und in der Josefstadt Johann M. Schreiber
zum Lehrer an der Universität bestellt, der, für die stete F'ort-
entwicklung des Gabelsberger'schen Systems bestrebt, durch Er-
ölfnung von besonderen Unterrichtscursen für die verschiedenen
Herufskreise auch über die (irenzen der l'niversität hinaus sich
bethätigte. Von 1861 — 1869 wirkte auch als Lehrer Ivan Mar-
ko vi ts, der in seinen Vorlesungen die iVbertragung des Gabels-
herger'schen Systems auf die ungarische Sprache berücksichtigte.
Im Jahre 1877 wurde als zweiter Vertreter der Stenographie
Karl Faul mann ernannt, der bis 1894, wo er starb, nach einem
eigenen Systeme, der sogenannten Phonographie, lehrte. Dieses
System vertritt auch seit i8i)6 sein Nachfolger Emil Kramsall.
XXIV. Turnen. Schi)n im Jahre 184S wurde durch das
ii. Ministerium mit Erlass vom 10. October die versuch,sweise
l.liiiführung des rurnunterrichtes an der Wiener Universität
302 Philosophische Facultät.
F. Müller, L. Reinisch, dient. Diese Zeitschrift ist gegenwärtig
beim 12. Bande angelangt. In dasselbe Jahr 1886 fiel auch die
zahlreich besuchte Versammlung des VII. internationalen Orien-
talistencongresses in Wien, die zum Aufschwünge dieser Studien
erheblich mitwirkte.
XXII. Die praktische Pflege der Musik und der akademische
Gesangverein. Dass als Lector fUr Harmonielehre und Contra-
punkt von 1875 — 1896 Anton Brückner wirkte und nach seinem
Tode die Stelle noch nicht besetzt ist, ferner dass als Gesangs-
lehrer Rudolf Weinwurm, 1862 ernannt und 1880 mit dem
Titel eines Musikdirectors ausgestattet, fungiert, ist schon oben
S. 336 erwähnt. Somit erübrigt nur noch hier über den Aka-
demischen Gesangsverein, seine Entwicklung und Wirksamkeit
zu berichten.
Schon im Jahre 1855 hatte sich ein kleiner Kreis von Stu-
dierenden, vorwiegend Juristen, zur Pflege des deutschen Ge-
sanges zusammengefunden, den man im studentischen Leben
als fJuristenliedertafeU bezeichnete, und dessen Leitung Rudolf
Weinwurm, damals selbst Studiosus juris, führte. Daraus gieng der
Akademische Gesangverein hervor, dessen Bildung am 23. Sep-
tember 1858 genehmigt wurde. Der Verein stellte sich zur Auf-
gabe, den mehrstimmigen Männergesang in wöchentlichen und
collegialen Zusammenkünften und eigens veranstalteten Festauf-
führungen zu pflegen. Rasch gedieh er, so dass die Zahl der
activcn Mitglieder bald die Zahl von 200 erreichte und er schon
am 16. März 1859 mit einem öffentlichen Concerte hervortreten
konnte und am 9. November desselben Jahres bei der Schiller-
feicr durch seine Gesänge in erhebender Weise mitwirkte. So
ward denn der Verein ein Liebling der alma mater Rudolfina^
und in der Rectoratsrede vom Jahre 1873 wurde hervorgehoben,
dass er eine Herzenssache der Universität und eine Freude für
das Publicum sei. VÄn wahres Bildungselement für die aka-
demische Jugend, von einem erfrischenden Zuge für das Ideale
und die künstlerische Schulung durchweht, wirkte er bei allen
unsere Hochschule betreffenden bald freudigen, bald betrübenden
Anlässen des l'niversitätslebens mit, immer ein Schmuck und
eine Zierde jeder Feier. Und so hat der Verein, der im Jahre
Philosophische Facultit. 363
1882/83 sein 25 jähriges Jubiläum festlich begieng, getreulich
seine Aufgabe bis auf den heutigen Tag erfüllt. Wir wollen
hier noch die Chormeister, die sich um den Verein verdient
gemacht haben, mit Angabe der Jahre ihrer Wirksamkeit an-
führen: Rudolf Weinwurm (1858— 1865, 1870, 1881—1887),
Franz Eyrich (1866 — 1869, 1872), Ernst Frank (1871), Josef
Sucher (1873), J. F. Hummel (1873/74), Richard Heuberger
(1876/77, 1879), Hans Treidler (1876 und 1878), Felix Mottl
(1880), Hermann Grädener (1880 — 1881), Raoul Mader (1890
bis 1894), Josef Neubauer (1894/98).
XXIII. Stenographie. Für den Unterricht in der Stenographie
wurde schon 1844 Vorsorge getroffen, indem in diesem Jahre
Professor Ignaz J. Heger, den F. X. Gabelsberger als einen der
tüchtigsten Vertreter des von ihm erfundenen Systems bezeichnet
hatte, mit den Vorlesungen über dieses Fach betraut wurde.
Dadurch wurde auch die Kunst (iabelsbergers in Osterreich
allgemein eingeführt, das so den anderen Staaten vorauseilte.
Als Heger im Jahre 1855 starb, übernahm der damalige zweite
Vorstand des von Heger 1849 begründeten Centralvereines der
Stenographie des österreichischen Kaiserstaates Krnst Possanner
v. Khrenthal bis 1858 die Vertretung dieses Faches. Hierauf
wurde 1859 der Lehrer der Stenographie an den Gymnasien
zu den Schotten und in der Josefstadt Johann M. Schreiber
zum Lehrer an der Universität bestellt, der, für die stete Fort-
entwicklung des CJabelsberger'schen Systems bestrebt, durch Er-
öffnung von besonderen Unterrichtscursen für die verschiedenen
Berufskreise auch über die (Jrenzen der Universität hinaus sich
bethätigte. Von 1 861 — 1869 wirkte auch als Lehrer Ivan Mar-
kovits, der in seinen Vorlesungen die Übertragung des (Jabels-
herger'schen Systems auf die ungarische Sprache berücksichtigte.
Im Jahre 1877 wurde als zweiter Vertreter der Stenographie
Karl Faulmann ernannt, der bis 1894. wo er starb, nach einem
eigenen Systeme, der sogenannten Phonographie, lehrte. Dieses
System vertritt auch seit 1896 sein Nachfolger Kmil Kramsall.
XXIV. Turnen. Schon im Jahre iH.\H wurde durch das
h. Ministerium mit Krlass vom 10. October die versuchsweise
Kinlührung des Turnunterrichtes an der Wiener Universität
^f)A Khil'/V/phwchc Facultäu
anj^eordnet und nach einem Übereinkommen mit Rudolf
Stepliany, dem Inhaber der ersten Wiener Privat-Tumanstalt,
verfügt, dass im Studienjahre 1848 49 von diesem 150 Studie-
rende, welche das Oinsistorium im Einvernehmen mit ihm aus-
zuwiihlen habe, im Turnen unterrichtet werden sollten, wofür
eine .lahresbestallunf; von 1500 fl. C. M. zugestanden wurde.
Diese Anordnung hatte hauptsächlich den Zweck, Vorturner zu
gewinnen, um mit deren Hilfe eine grössere Zahl von Univer-
sitiitshörern und dann auch Gymnasialschüler zu unterrichten.
Die Wirren des Jahres 1848 und die Schliessung der Univer-
sität machten die Ausführung unmöglich, und so wurde Stephany
beauftragt, einstweilen den Turnunterricht für Gymnasiasten ein-
treten zu lassen, welche Verfügung auch für 1849/50 in
Kraft blieb.
Im Juli 1850 wurde Stephany zum definitiven Universitäts-
lurnlehrer ernannt, wobei auch die Herstellung eines eingerich-
teten Turnlocales und eines Sommer-Turnplatzes zugesichert
wurde. Schon im Sommer 1851 stand ein solcher Sommer-
Turnplatz im (iarten der k. k. theresianischen Akademie zur
Verfügung, der bis 1866 benutzt wurde, die Winter-Tumanstalt
ward im October 1854 in den Räumen der Universität eröffnet.
Als U. Stephany 1855 starb, folgte ihm in demselben Jahre
Gustav Stegmayer, der bis 1871, w^o er in Ruhestand trat,
wirkte. i<S66 wurde die Turnanstalt im akademischen Gymna-
sium untergebracht, wo sie unter nicht besonders günstigen
Bedingungen bis 1885 verblieb. Nach Stegmayer wurde Johann
Hoffer zum provisorischen Turnlehrer bestellt und 1886 definitiv
/um Dircctor des '1 urnunterrichtes an der k. k. Universität und
dos Turnlehrer- Bildungscurses ernannt, womit ein wichtiger
Schritt in der OrganisatiiMi des Turnunterrichtes geschah, indem
die Ausbildung der Turnlehrer für Mittelschulen mit der Uni-
vcrsiiäi in X'crbinduni: gebracht wurde. Seit 188^ besitzt die
'Turn;\!\si;\li eigene, /.weckentsprechende Räumlichkeiten im neuen
l nivorsaälsgcKiude und, da seit 1800 auch der 'Tumlehrercurs,
vier \on 1S71 an un Maximilians-Gymnasium abgehalten wurde,
\\\ vier l luvvMsuai unierücbrachi ist. einen Hörsaal für die Vor-
u\\i:e über Thci>ne utui licschichte des Turnens.
Philosophische Facuhät. 365
Nach dem Tode Hoffers wurde i8qi Gustav Lukas, der
seit 1881 als Hilfslehrer an der Anstalt thatig war, mit der
Supplierung beider Stellen betraut und dann 1891 provisorisch,
1893 defmitiv zur Leitung berufen.
Im Turnlehrercurse ist seit 1891 die Spiess'sche l-nter-
richtsweise «der Gemeinübungen an Geräthen» eingeführt,
welche durch Ministerialerlass vom Jahre 1897 an allen
Mittelschulen des Reiches zur Regel erhoben wurde. L'm für
den Turnunterricht an Mittelschulen (Kandidaten des Lehramtes
zu gewinnen, wurden 1894 Stipendien mit dem Höchstbetrage
von 3oo (julden begründet, von welchen jährlich zwei verliehen
werden.
Ausserhalb der Turnanstalt fungiert noch, 1885 ernannt,
als Lehrer der l'heorie und Geschichte des Turnens Jaro
Pawel, Turnlehrer an der Staatsrealschule im I. Bezirke von
Wien.
XXV. Die Fechtkunst. Hin systematischer Unterricht im
Fechten wurde im Jahre 1870 eingeführt, indem in diesem Jahre
Ludwig Handmann die Bestellung zum Lehrer dieser Kunst
erhielt. Dieser, ausgebildet in der weithin bekannten de Roux-
sehen Schule in Jena, hat bei seinem Lnterrichte in der svstema-
tischen Schulung wenig geändert, da die strenge Anwendung der
sogenannten deutschen Schule von der grössten Wichtigkeit ist;
dagegen wurde der (irundsatz, der sich vollkommen bewährt
hat, eingeführt, dass die üblichen Schwingbewegungen bei der
Handhabung von Hiebwalfen aufzugeben und durch die Dreh-
bewegung mit Pendelbewegung zu ersetzen sind. Im Jahre 1S73
trat auch das Gewehr- und Pistolenschiessen hinzu. Die Theil-
nahme ist eine rege; dagegen wird der später eingerichtete ('urs
zur Ausbildung von Lehrern nur wenig besucht.
XXVI. Photographie. Der Tnlerricht in Photographie ist
an unserer l'niversität erst vor kurzem eingeführt, indem Hugo
llinterberger zum Leclor für dieses Fach im Januar i8<)6 bestellt
wurde. Da im l'niversilätsgebäude kein Raum für das noth-
wendige Laboratorium vorhanden war, so entschloss sich der-
selbe, eine an einen geräumigen Hof angrenzende Parterrewohnung
in einem der L'niversität benachbarten Hause zu einem Labora-
364 Philosophische Facultät.
angeordnet und nach einem Übereinkommen mit Rudolf
Stephany, dem Inhaber der ersten Wiener Privat-Turnanstalt,
verfügt, dass im Studienjahre 1848/49 von diesem 150 Studie-
rende, welche das Consistorium im Einvernehmen mit ihm aus-
zuwählen habe, im Turnen unterrichtet werden sollten, wofür
eine Jahresbestallung von 1500 fl. C. M. zugestanden wurde.
Diese Anordnung hatte hauptsachlich den Zweck, Vorturner zu
gewinnen, um mit deren Hilfe eine grössere Zahl von Univer-
sitiitshürern und dann auch Gymnasialschüler zu unterrichten.
Die Wirren des Jahres 1848 und die Schliessung der Univer-
sität machten die Ausführung unmöglich, und so wurde Stephany
beauftragt, einstweilen den Turnunterricht für Gymnasiasten ein-
treten zu lassen, w^elche Verfügung auch für 1849/50 in
Kraft blieb.
Im Juli 1850 wurde Stephany zum definitiven Universitäts-
turnlehrer ernannt, wobei auch die Herstellung eines eingerich-
teten Turnlocales und eines Sommer-Turnplatzes zugesichert
wurde. Schon im Sommer 1851 stand ein solcher Sommer-
Turnplatz im Garten der k. k. theresianischen Akademie zur
Verfügung, der bis 1866 benutzt wurde, die Winter-Turnanstalt
ward im October 1854 in den Räumen der Universität eröffnet.
Als R. Stephany 1855 starb, folgte ihm in demselben Jahre
Gustav Stegmayer, der bis 187 1, wo er in Ruhestand trat,
wirkte. 1866 wurde die Turnanstalt im akademischen Gymna-
sium untergebracht, wo sie unter nicht besonders günstigen
Bedingungen bis 1885 verblieb. Nach Stegmayer wurde Johann
Hoffer zum provisorischen Turnlehrer bestellt und 1886 definitiv
zum Director des Turnunterrichtes an der k. k. Universität und
des Turnlehrer- Bildungscurses ernannt, womit ein wichtiger
Schritt in der Organisation des Turnunterrichtes geschah, indem
die Ausbildung der Turnlehrer für Mittelschulen mit der Uni-
versität in Verbindung gebracht wurde. Seit 1885 besitzt die
Turnanstalt eigene, zweckentsprechende Räumlichkeiten im neuen
Universitätsgebäude und, da seit 1893 auch der Tumlehrercurs,
der von 1871 an im Maximilians-Gymnasium abgehalten wurde,
in der l'niversität untergebracht ist, einen Hörsaal für die Vor-
träge über Theorie und Geschichte des Turnens.
Philosophische Facuhät. 365
Nach dem Tode Hoffers wurde 1891 Gustav Lukas, der
seit 1881 als Hilfslehrer an der Anstalt thätig war, mit der
Supplierung beider Stellen betraut und dann 1891 provisorisch,
1893 definitiv zur Leitung berufen.
Im Turnlehrercurse ist seit 1891 die Spiess'sche Unter-
richtsweise «der Gemeinübungen an Geräthen» eingeführt,
welche durch Ministerialerlass vom Jahre 1897 an allen
Mittelschulen des Reiches zur Regel erhoben wurde. Um für
den Turnunterricht an Mittelschulen (>andidatcn des Lehramtes
zu gewinnen, wurden 1894 Stipendien mit dem Höchstbetrage
von 300 Gulden begründet, von welchen jährlich zwei verliehen
werden.
Ausserhalb der Turnanstalt fungiert noch, 1885 ernannt,
als Lehrer der Theorie und Geschichte des Turnens Jaro
Pawel, Turnlehrer an der Staatsrealschule im 1. Bezirke von
Wien.
XXV. Die Fechtkunst. Ein systematischer Unterricht im
Fechten wurde im Jahre 1870 eingeführt, indem in diesem Jahre
Ludwig Hand mann die Bestellung zum Lehrer dieser Kunst
erhielt. Dieser, ausgebildet in der weithin bekannten de Roux-
sehen Schule in Jena, hat bei seinem Unterrichte in der systema-
tischen Schulung wx^nig geändert, da die strenge Anwendung der
sogenannten deutschen Schule von der grössten Wichtigkeit ist;
dagegen wurde der Grundsatz, der sich vollkommen bewährt
hat, eingeführt, dass die üblichen Schwingbewegungen bei der
Handhabung von Hiebwaffen aufzugeben und durch die Dreh-
bewegung mit Pendelbewegung zu ersetzen sind. Im Jahre 1873
trat auch das Gewehr- und Pistolenschiessen hinzu. Die Theil-
nahmc ist eine rege; dagegen wird der später eingerichtete Gurs
zur Ausbildung von Lehrern nur wenig besucht.
XXVI. Photographie. Der Unterricht in Photographie ist
an unserer Universität erst vor kurzem eingeführt, indem Hugo
Hinterbergcr zum Lector für dieses Fach im Januar 1896 bestellt
wurde. Da im L'niversitätsgebäude kein Raum für das noth-
wendige Laboratorium vorhanden war, so entschloss sich der-
selbe, eine an einen geräumigen Hof angrenzende Parterrewohnung
in einem der Universität benachbarten Hause zu einem Labora-
366
PhiloMphiache Ficultit.
torium einzurichten. Der Umbau und die Einrichtung wurde
während des Wintersemesters 1896/97 ausgeführt, so dass schon
im Sommersemester 1897 mit dem Unterrichte begonnen werden
konnte.
Das Laboratorium besteht aus dem Atelier, einem Zimmer
für Mikrophotographie, drei Dunkelkammern mit neun Arbeits-
plätzen und einer Abtheilung für Arbeilen bei Tageslicht. Ausser
den gewohnlichen Apparaten ist ein grosses Instrumentarium für
Mikrophotographie und ein Apparat für Arbeiten mittels Röntgen-
strahlen vorhanden. Kine kleine Bibliothek bietet die wichtigsten
Handbücher und Zeitschriften.
Der Unterricht besteht aus einem Theorcticum und Prac-
ticum. Das crsterc zerfällt in einen allgemeinen Theil, der die
Geschichte der Photographie und die photographische Optik und
('hemie behandeh, und in einen speciellen Theil, in welchem
die für wissenschaftliche Zwecke in Betracht kommenden ver-
schiedenen Apparate und Arbeitsmethoden, die Photographie auf
Forschungsreisen und die Photographie als lllustrationsmiltel
(photomechanisches Druckverfahren) berücksichtigt werden. Zum
Studium der l-andschafts- und Momentphotographic werden
Kxcursioncn mit Reise- und Handapparaten unternommen.
UNIVERSITÄTSBIBLIOTHEK.
Jede Facultat der Universität besass ursprünglich ihre eigene
Büchersammlung, welche, nachdem um das Jahr 1545 der Uni-
versität die Bibliothek des Bischofs Faber zufiel, mit dieser ver-
einigt wurden und den officiellen Namen Universitätsbibliothek
führten. Diese kam allmählich ganz ausser Benützung und in
einen elenden Zustand, und da es sogar schliesslich an einem
geeigneten Locale für dieselbe fehlte, trat die Universität dieselbe
der k. k. Hofbibliothek ab, in welche sie infolge Hofdecretes vom
24. Januar 1756 mit einem Bestände von 2782 Bänden, darunter
364 Incunabeln und io37 Handschriften, aufgenommen wurde.
Die gegenwärtige Universitätsbibliothek, welche eine
selbständige, der k. k. niederösterreichischen Statthalterei un-
mittelbar untergeordnete Staatsanstalt ist, auf deren Hinrichtung
und Verwaltung der Universität nur mittelbar eine gewisse Ingerenz
eingeräumt ist, wurde im Jahre 1775 von der Kaiserin Maria
Theresia aus den Büchersammlungen der fünf in Niederöster-
reic 1 aufgehobenen Jesuitencollegien und aus einer nicht unbe-
trächtlichen Zahl von Doubletten der Hofbibliothek mit einem
anßinglichen Bestände von etwa 45.000 Bänden gegründet und
am i3. Mai 1777, am Geburtstage der Kaiserin, eröffnet.
Unter Kaiser Josef II. fielen derselben viele Bücher aus
den Sammlungen der aufgehobenen Klöster, ferner die ganze
Windhag'sche und Gschwind'sche Stiftungsbibliothek zu. Sie
war in dem alten schönen Bibliothekssaale und in dem unter
diesem befmdlichen dunklen und feuchten Speisesaale der Jesuiten,
schief gegenüber der Hauptmaut, in der heutigen Postgasse, wo
sich gegenwärtig die Postsparcasse belindet, aufgestellt. Später
368 rniversitaisbibliothck.
kam hiezu noch in Verwendung der dritte (über jenen befind-
liche) Saal, in welchem sich früher das Jesuitenjuniorat befand.
Das Lesezimmer mit 72, später 90 Sitzplätzen war bis zum
Jahre 1824 tiiglich (mit Ausnahme der Sonn- und Feiertage
und des Samstags) vormittags von 10 — 12 Uhr, nachmittags im
Winter von 2 — 4 Uhr und im Sommer von 3 — 5 Uhr, vom
Jahre 1824 an aber ununterbrochen im Winter von 9 — 2 Uhr
und im Sommer von 8 — 2 Uhr für jedermann geöffnet. Das
Bibliothekspcrsonale bestand anfänglich aus einem Oberbiblio-
theksdirector (dem Abte von Braunau Stephan Rauttenstrauch),
zwei Custodes primi aus dem ProfessorencoUegium mit je 100 fl.
Zulage, zwei Custodes secundarii mit je 200 fl. Jahresgehalt und
zwei Dienern mit je 100 fl. Jahresbesoldung. Von den Custoden
waren zwei für das geistliche Fach und zwei für die weltlichen
Fächer bestimmt. Im Jahre 1784 wurden mit Allerhöchster
EntSchliessung statt der vier Custoden zwei Custoden und zwei
Scriptoren systemisiert. Mit den Bücherbeständen der Jesuiten-,
der Windhag- und Gschwind'schen Bibliotheken fielen der
Universitätsbibliothek auch deren Stiftungscapitalien in der Höhe
von 78.325 fl. mit einem jährlichen Erträgnisse von 3i33 fl. zu,
welches sich später auf 3420 fl. erhöhte, aus dem die Biblio-
thek ihre Bücheranschaffungen bestritt, bis sie im Jahre 1827
für diesen Zweck eine eigene Dotation von 2500 fl. erhielt, zu
welcher vom Jahre 1834 an noch eine ausserordentliche Dota-
tion von 2000 fl. kam, welche aber bis zum Jahre 1856 nicht
jedes Jahr gleichmässig ausgefolgt wurde.
Die Katalogisierung und Aufstellung der Bücher wurde nach
den Instructionen vom 3o. April 1778, Z. 628 und vom 23. Juli
1825, Z. 2930 vorgenommen und im Verlaufe der Zeit ausser
dem (aus Titelcopien bestehenden) Grundkataloge folgende
gebundene Kataloge hergestellt:
I. ein alphabetischer Katalog über die Jahre 1775 bis
18 10, aus 12 Bänden bestehend, von welchem 3 Bände die theo-
logischen Werke, 2 die juridischen, 2 die medicinischen und
5 Bände die philosophischen Werke umfassen (Manuscr. 501);
2 ein systematischer aus den Jahren 1810 — 1828, aus
i3 P\:)li()bändcn bestehend (^Manuscr. 504);
Universitätsbibliothek. 309
3. ein alphabetischer aus den Jahren 1810 — 1850 mit
8 Autorenbänden und 2 Supplementbänden hiezu und 2 Ano-
nymenbänden und i Supplementbande hiezu, im ganzen i3 Bände
(Manuscr. 5o3);
4. ein systematischer aus den Jahren 1828 — 1850, aus
22 Bänden bestehend (Manuscr. 502).
Eine vollständige Reform in der Bücheraufstellung und
Katalogisierung wurde vom Bibliotheksvorstande Franz Lechner
zwischen i838 und 1850 vorgenommen, indem der gesammte
Bücherbestand der Bibliothek neu beschrieben, also ein neuer
Grundkatalog angelegt, eine neue Aufstellung der Bücher
nach 93 Literaturabtheilungen durchgeführt und dementsprechend
93 Localrepertorien hergestellt wurden, worauf auch der
neue alphabetische Nominalkatalog geschrieben und im
Jahre 1850 zum Gebrauche aufgestellt wurde.
Die Universitätsbibliothek war seit ihrer Gründung gut be-
sucht und, indem sie jedermann zugänglich ist, stets gewisser-
massen eine populäre Anstalt. Zwischen 1835 und 1848 war
das Lesezimmer nach den der Regierung jährlich erstatteten Be-
suchstabellen im Durchschnitte von 51.818 Lesern im Jahre be-
sucht. Das Lntlehnungsrecht hatten bloss die Professoren und
wurden durchschnittlich 506 Werke jährlich verliehen. Während
die Bibliothek wohl jedermann offen stand, war doch die Be-
nützung der Bücher beschränkt. In den Jahren 1815 und
18 16 erschienen der
a) Catalogo de' libri italiani o tradotti in italiano proibiti.
Veneria uS'iS;
b) Catalof^iie reim ei corrige des Uwes prohibes francois,
an^lois et latins. an i<Vi6. und ein
cj neu durchgesehenes Verzeichnis der verbotenen deut-
schen Bücher. Wien 18 16,
und wurden der Bibliothek seither die monatlichen Nachträge
regelmässig zugemittelt. Die Leetüre dieser Bücher war selbst-
verständlich verboten, aber es war auch die Benützung vieler
anderer er^a schedam beschränkt. Unter den verbotenen waren
zum Beispiel Fichtes Staatslehre, Hormayrs Taschenbuch. Evfia
schedam beschränkt war die Benützung von Schlossers Ge-
Gctchichte der Wieoer t'uivcr»iut. 25
3 yO Universitätsbibliothek.
schichte des 1 8. Jahrhunderts, Schlossers Übersicht der Geschichte
der alten Welt, Rottecks Allgemeine Geschichte, Goethes Werke,
Pölitz' Weltgeschichte und Staatswissenschaften, Kants Vor-
lesungen über die Metaphysik u. dgl.
Eine öffentliche Bibliothek ist das Spiegelbild der politischen
Zustände, der socialen Verhältnisse und der herrschenden Grund-
sätze ihrer Zeit und ihres Landes. Sowie das Jahr 1848 der
grosse Markstein zwischen Alt- und Neu-Osterreich ist, so bildet
dieses Jahr auch in der Geschichte der Universitätsbibliothek
einen wichtigen Abschnitt ihrer Entwicklung. Noch bevor am
26. Mai 1848 die Nationalgarden die Bibliothek besetzt und mit
den Büchern die Fenster verbarricadiert hatten, war mit Regie-
rungsdecret vom 8. April die Benützung der bisher verbotenen
Bücher, mit Ausnahme der offenbar unsittlichen oder irreligiösen
oder solcher Schriften, welche zur Nichtbeachtung der Gesetze
aufreizen, gestattet worden. Das Recht der Entlehnung von
Büchern aus der Bibliothek nach Hause, welches bisher im
allgemeinen auf die Universitäts- und Lycealprofessoren be-
schränkt war, wurde mit dem Unterrichts-Ministerialerlasse vom
20. December 1849, Z.6244 auch den Assistenten, Adjuncten und
Supplenten der Universitäten, ferner den ordentlichen und Hilfs-
und Nebenlchrern der Gymnasien und Realschulen, sowie den
immatriculierten Studenten der Universitäten, den Mitgliedern
der Doctorencollegien und der kaiserlichen Akademie der Wissen-
schaften ertheilt und später auch auf alle wissenschaftlichen Schrift-
steller, an die Mitglieder der philologisch-historischen Seminare,
der Lehrkörper der Lehrer- und Lehrerinnen-Bildungsanstalten,
Handelsschulen u. s. w. ausgedehnt. Allmählich entwickelte sich
seit den Sechzigerjahren auch die auswärtige Bücherver-
leihung mittels Postsendungen an die übrigen Hoch-, Mittel-
und Fachschulen des Reiches und der Entlehnungsverkehr
mit dem Auslände. Die Benützung der Universitätsbibliothek
in Wien nimmt daher vom Jahre 1848 an einen grossen Auf-
schwung und steigt seit jener Zeit von Jahr zu Jahr. Im
Jahre 1848 war die Zahl der aus der Bibliothek ausgeliehenen
Bände 4^7. im Jahre 1884 betrug sie 24.008 Bände, also mehr
als das Vierundfünfzigfachc. Die Zahl der im Jahre 1868
Univeriiitätsbibliothck. 3 7 1
von der Bibliothek mittels Postsendungen verliehenen Werke
betrug 53 1 Bände und stieg bis zum Jahre 1884 auf 3892 Bände.
Auch der Besuch des Lesezimmers in der Bibliothek hob sich so
sehr, dass infolge Unterrichts-Ministerialerlasses vom 9. November
1851, Z. II 107/1605 vom Jahre 1852 an die Lesestunden auf
die Zeit von 9—4 Uhr im Winter und im Sommer bis 5 Uhr
ausgedehnt wurden. Bald genügte auch das eine Lesezimmer
im ersten Stocke mit seinen 90 Sitzplätzen nicht mehr, so dass
der ober demselben befindliche gleich grosse Raum im zweiten
Stockwerke durch Abtheilung mittels einer Riegelwand zu einem
Lesezimmer für die Mitglieder der Seminare und zu einem
Professoren- und Journalzimmer eingerichtet werden musste
und mit Beginn des Jahres 1859 eröffnet wurde. Es stellte
sich auch das Bedürfnis der Offenhaltung der Lesesäle in den
Abendstunden heraus, und es wurden vom 3o. Januar 1860
an die Leseräume im Winter von 9 — i Uhr und abends von
5 — 8 Uhr geöffnet und zu diesem Zwecke die (Jasbeleuchtung
eingeführt. Für den Sommer blieb die frühere Lesezeit von
9 — 5 Uhr. Im Jahre 1872 wurde mit Unterrichts-Ministerial-
erlass vom 10. Dccember, Z. 15677 die Offenhaltung der Lese-
säle auch an Sonn- und I eiertagen mit Ausnahme der
Weihnachts- und Osterfericn und des Ferialmonates von 9 bis
12 Uhr angeordnet. Allmählich genügten auch diese Leseräume
nicht mehr, und es wurde im Jahre 1875 der im Lesesaale des
zweiten Stockes für die Mitglieder der Seminare, Docloren und
Doctoranden bestimmte Raum durch die Beseitigung der Riegel-
wand erweitert und für die Professoren ein neues Lese- und
Journalzimmer mit 12 Sitzplätzen eingerichtet. Ks standen
demnach im Jahre 1884 dem Publicum und den Professoren
drei Leseräume mit zusammen 192 Sitzplätzen zur Verfügung,
und die Benützung der Bibliothek war allmählich so hoch ge-
stiegen, dass im Jahre 18S4 die Zahl der Leser 68.652 und der
von ihnen benützten Bibliothekswerke 109.164 Bände betrug.
Der grosse Aufschwung der Wissenschaften und dement-
sprechend der Literatur seit dem Jahre 1848, sowie die erhöhten
Anforderungen, welche die Professoren und Studierenden der
Universität und das Publicum an die Bibliothek stellten, bedingten
2S*
ij2 ' V. 'sriiri-tt'JTÜi^r
H > .h ':::\'c Vermehr-i-u ier B^chera-iizhafjnzea. wofür die
fr^hereri orjtmtii-htn und ausser vrieniiichea JahresJotationen.
v^'Aie :::e: aniertr. jnre^elmässis ier Bibliothek zugewiesenen
lietra^'; f-r Ai'io-.'i'rlu^t uni für be>oniere Büchereinkäufe nicht
mt'ts hinreichten, Ae^haib ias L'nterhchtsministerium mit Er-
Jass von^j 1 3. Juli i^<^9. Z. 621 5 unter Einstellung aller übrigen
ausser ordentlichen Bezüge vom Jahre 1S70 an die für den
Bijcherankauf und Einband bestimmte Jahresdotation auf
7^xx> fl, und mit Erlass vom 9. Januar 1877. Z. 366 auf
\'///j fl. erhöhte. Inzwischen waren mit Erlass des Staats-
ministeriums vom 3o. November 1862. Z. 10184 die Univer-
>itiJts-Matrikel;:eIJer der Bibliothek zugewendet worden, so
Jas> sich die Kinnahmen der Bibliothek von 0278 fl. 28 kr. im
Jahre 1848 auf \(ja\\ fl. 71 kr. im Jahre 1884 erhöhten. In-
folge dessen stieg auch der Bücherzuwachs der Bibliothek vom
Jahre 1848 mit 964 Bänden auf 6951 Bände im Jahre i883
und der Bücherstand der Bibliothek von 120.789 Banden des
Jahres 1848 auf 299.091 Bände des Jahres 1884.
I)a der ahe l'ersonalstand von i Bibliothekar. 2 Custoden
und 2 ^criptoren zur Besorgung des Dienstes nicht mehr hin-
reichte, wurden nach und nach provisorisch Amanuensen
aufgenommen, mit Erlass des Staatsministeriums vom 5. No-
vember 1865, Z. 10588 die Bezüge der Beamten theilweise
verbessert und vier Amanuensisstellen svstemisiert, wozu
splitcr noch provisorisch i Amanuensis kam und Volontäre
iiulgcnornmcn wurden, so dass der Bibliotheksstatus im An-
lange des Jahres 1884 aus dem Bibliothekar, 2 Custoden, 2 Scrip-
toren, s Amanuensen, i Volontär und 8 Dienern bestand.
Der lUicherhcstand der Bibliothek hat sich im Laufe des
Vijiihri^en /eilrauines von 1848 — 1884 mehr als verdoppelt, in-
folge dessen bereits die Käume der Bibliothek für die Auf-
stellung der Bücher nicht mehr hinreichten, so dass zu diesem
/wecke itn Jahre 1854 Localitäten im neu hergerichteten, an
die Bibliothek ansiossenden (iebaude des alten Stadtconvictes
und im Jahre 1874 im eigentlichen (lonvicte, im Jahre 1871
eine Bibliotheksdicnerwohnung und vom Jahre 1869 — 1874 sogar
die Amlswohming des Bibliotheksvorstandes für die Bücherauf-
Universitätsbibliothek. 373
Stellung verwendet werden musstcn. Die Bücher waren meist
in zwei, zuweilen in drei Reihen hinter einander aufgestellt, wo-
durch die Aushebung und Einstellung derselben immer schwie-
riger und zeitraubender wurde, zumal die oberen Fächer der
Bücherkästen nur mit Leitern zugänglich waren.
Im Jahre 1884 gieng der Bau des neuen Universitäts-
gebäudes seiner Vollendung entgegen, so dass dieses im Herbste
dieses Jahres vollständig seiner Bestimmung übergeben werden
konnte. Der Bibliothek waren in diesen Räumen zugewiesen
ein grosser, 46*5^^^ langer und lyj m breiter allgemeiner
Lesesaal mit einer theologisch -philosophischen Abtheilung,
einer juridischen und einer medicinischen Abtheilung mit zu-
sammen 3oo Sitzplätzen, wovon je 90 auf die juridische und
medicinische und 120 auf die theologisch-philosophische Abthei-
lung entfielen und mit Bücherkästen für 50.000 Bände, ferner
ein Professorenzimmer mit 16 Sitzplätzen und Kästen für
die laufenden wissenschaftlichen Journale, ein Katalogzimmer,
ein Vorstandsbureau, vier Bureaux für die übrigen Beamten
und ein Expeditslocal für den Ein- und Auslauf der Bücher
und Geschäftsstücke mit Kästen für die provisorische Auf-
bewahrung der Pflichtexemplare von den nicht wissenschaftlichen
Zeitschriften, ferner vier Büchermagazine, dem sogenannten
Parterre-, 1 hurm-, Hof- und Stiegenmagazin, mit einem vom
Architekten angenommenen Fassungsraumc von 450.000 Bänden,
welcher aber in Wirklichkeit viel mehr aufnehmen kann.
Die Vorarbeiten der l'bersiedlung der Bibliothek mit fast
300.000 aufgestellten Bänden, zahlreichen Doubletten, tausenden
ungebundenen Zeitungen, Broschüren und Kunstblättern. Möbel-
stücken u. s. w. einerseits und andererseits die Einrichtung der
neuen Bibliothek, womit der Custos Dr. F. (irassauer betraut
wurde, nahmen mehr als die erste Hälfte des Jahres i8<S4 in
Anspruch. Die eigentliche (bersicdlung tand vom i. bis
15. September, also in 12 Werktagen statt. Am ii.October
besichtigte Se. Majestät der Kaiser die neue Bibliothek, und
am 17. November wurde sie dem Publicum eröffnet.
Das Jahr 1884 i"^^ nicht bloss für die äussere Geschichte
der Bibliothek von grosser Bedeutung, sondern es ist auch seit
3j^ UniTenhitsbibliotbek.
dem Gründungsjahre der Bibliothek das wichtigste, indem es
eine vollständige Reorganisation und einen neuen Aufschwung
dieser Bildungsanstalt zur Folge hatte.
Den grösseren Räumen und der besseren Ortssituation ent-
sprechend erhöhte sich die Benützung der Bibliothek und ins-
besonders der Besuch des Lesesaales hauptsächlich von Seite der
Mediciner, welchen die alte Bibliothek zu entlegen war. Häufig
fanden Besucher des Lesesaales keinen freien Sitzplatz, und um
5 Uhr, bevor der Lesesaal für den Abend geöffnet i^oirde, war
im Vestibüle ein solches Gedränge, dass der Saal wie im Sturme
genommen wurde und die Diener den Andrang nicht bewältigen
konnten. Dagegen wurde Abhilfe getroffen, indem in den Herbst-
ferien des Jahres 1892 die Zahl der Sitzplätze in der juridischen
und in der medicinischcn Abtheilung um je 22^ demnach auf
je 112 und sonach die Gesammtzahl der Sitzplätze des
Lesesaales auf 344 erhöht wurde. Im Jahre 1895 wurde auch
der an die Bibliothek anstossende frühere Hörsaal der philo-
sophischen Facultüt, welcher im Frühjahre 1892 für die Pro-
fessoren zu einem Lesesaale und für die Aufnahme der laufen-
den wissenschaftlichen Journale adaptiert worden war, als
'kleiner Lesesaal» mit 36 Sitzplätzen für den Besuch des
distinguierten Publicums, Doctoren, Doctoranden und jener,
welche besonders eingehende Studien machen und eines grosse*
rcn Bücherapparates bedürfen, sowie für die Benützung der
Handschriften bestimmt. Den Professoren wurde gleichzeitig
wieder ihr früheres Zimmer neben dem Katalogzimmer zuge-
wiesen. Am besten aber wurde dem Andränge des Lese-
publicums begegnet und am ausgiebigsten die Benützung der
Bibliothek dadurch gefördert, dass mit Bewilligung des Ministe*
riums für (ajIius und Unterricht vom 28. November 1891,
/. 24.500 die Lescräumc vom i. Januar 1892 an während der
neun Monaic vom Anfang October bis Ende Juni von 9 Uhr
früh bis 8 Uhr abends ununterbrochen geöffnet bleiben, wäh-
rend in den Monaten Juli, August und September die frühere
Lesczcit von 9 Uhr früh bis 5 Uhr nachmittags fortbesteht.
Die am Kndc des Jahres 1872 eingeführte Offenhaltung der
Bibliothek an Sonn- und Feiertagen von 9 — 12 Uhr wurde
Universitätsbibliothek. 375
dagegen eingestellt. Infolge dieser Vermehrung der Leseraume
und der Sitzplätze und der Verlängerung der Lesezeit ist die
Benützung der Bibliothek vom Jahre 1884 mit 68.652 Lesern
und 109.260 Bänden bis zum Jahre 1897 ^^f ^ 94-074 Leser
und 316.174 Bände, also fast um das Dreifache gestiegen.
Der Bücherbestand der Bibliothek war seit dem Jahre i838
systematisch, und zwar anfänglich nach 93, später nach
97 Literaturfächern und innerhalb eines jeden von diesen nach
den drei Formaten Octav, Quart und Folio aufgestellt und wurde
seit dem Jahre 1875 bei jedem Formate selbst wieder zwischen
grösseren und kleineren Schriften (unter 100 Seiten) unter-
schieden. In jeder dieser sechs Reihen lief die Numerierung
von der Zahl i an in arithmetischer Ordnung fort, so dass
es 582 und nach Hinzurechnung der übermässigen Formate
586 Bücherreihen gab. Das dieser Bücheraufstellung zugmndc
liegende System war allmählich veraltet, diese Aufstellungsweise
erforderte bedeutende Reserveräume und hatte, wenn diese aus-
gefüllt waren, eine fortwährende Verschiebung der Bücher-
massen zur Folge. Der Versuch des Bibliothekars Dr. Friedrich
Leithe zwischen den Jahren 1875 ^"^ 1884, diese systematische
Bücheraufstellung zeitgemäss zu verbessern, hatte bei aller Mühe
und grossem Zeitaufwande auch nicht zu einem viel besseren
Ziele geführt. Ks gab an der Bibliothek keinen neuen eigent-
lichen systematischen Katalog, wie die Bibliotheksinstruction einen
solchen vorschreibt, und welchen eine jede gut eingerichtete
Bibliothek besitzen soll, und die Standortsverzeichnisse (Local-
repertorien), nach welchen die Bücher aufgestellt waren, waren
nur ein schlechter Nothbehelf für denselben. Zudem war auch
der gebundene alphabetische Katalog, welcher im Jahre iN^o
angelegt worden war, und dessen Benützung durch die fort-
währenden Nachträge während mehr als drcissig Jahren im-
mer schwieriger wurde, einer vollständigen Krneuerung dringend
bedürftig. Dazu war aber wieder die vollständige Revision Jics
damals aus circa 2 40.o<.k:) (irundblättern bestehenden (irund-
katalogs und eine theilweise Neubeschreibung des Bücher-
bestandes nach einheitlichen (Jrundsätzcn unbedingt nothwendig.
In Anbetracht dieser X'erhältnisse und des Lmstandes, dass es
376 Universitätsbibliothek.
kein für immerwährende Zeiten richtiges und giltiges wissen-
schaftliches und zugleich bibliothekspraktisches System für die
Aufstellung der Bücher gibt, und dass es daher besser ist, die
Bücheraufstellung unabhängig von den systematischen Katalogen
zu machen, um diese leichter auf dem Stande der Wissenschaft
erhalten und fortführen zu können, ohne jedesmal auch die
Bücheraufstellung ändern zu müssen, ferner aus Raumerspamis-
und anderen Gründen wurde von der bisherigen Bücherauf-
stellung und Katalogisierung abgegangen und an eine Neuorga-
nisation der ganzen Bibliothek geschritten. Mit Bewilligung
des k. k. Ministeriums für Cultus und Unterricht vom 29. Juli
1884, Z. 15088 und vom 17. October 1884, Z. 18988 wurde
bereits mit Beginn des Studienjahres 1884/85 die Aufstellung des
neuen Bücherzuwachses nach dem numerus currens begonnen
und infolge Erlasses desselben Ministeriums vom 3o. December
1885, Z. 12580 diese auch auf den alten Bücherbestand der
Bibliothek ausgedehnt. Mit der Umsignierung und Neuauf-
stellung der alten Bücher wurde gleichzeitig die Revision des
Grundkataloges und die Umgestaltung und theilweise Neu-
beschreibung der Grundblätter nach einheitlichen Grundsätzen
vorgenommen, zu welchem Zwecke eine den früheren Beschrei-
bungsprincipien sich möglichst anschliessende Instruction auf-
gestellt wurde. Diese langwierigen Arbeiten, während w^elcher
die Benützbarkeit der Bibliothek nicht gestört werden durfte und
alle laufenden Agenden erledigt werden mussten, gehen bereits
ihrem Abschlüsse entgegen, indem nur noch circa 20.000 Werke
umzusignieren und deren Grundblätter zu revidieren, beziehungs-
weise zu erneuern sind, wozu, wenn nicht besondere Hinder-
nisse eintreten, noch etwa zwei Jahre erforderlich sein
werden. Über die seit dem Jahre 1884 der Bibliothek
neu zugewachsenen, sowie über die aus der alten Bücher-
aufstellung in die Neuaufstcllung herübergenommenen Werke
wurde gleichzeitig ein neues Bücherinventar angelegt, wel-
ches gegenwärtig 2?i Foliobände mit je 10.000 Werken um-
fasst und das neue Standortsverzeichnis der Bibliothek
bildet, nach dessen numerus currens die Bücher aufge-
stellt sind.
Universitätsbibliothek . 377
In Verbindung mit den Übersiedlungsarbeiten wurde für
den grossen Lesesaal eine neue Handbibliothek und für das
Katalogzimmer der nothwendige bibliographische Apparat
zusammengestellt. Die Sichtung, Ergänzung, Katalogisierung und
Aufstellung von ungezählten lausenden Pflichtexemplaren von
Zeitungen, Musiknoten, Kunstblättern, Vereinsschriften und an-
deren kleinen Broschüren, welche unbearbeitet aus der alten
Bibliothek in die neue herübergenommen worden waren, nahm
mehrere Jahre in Anspruch, desgleichen die Neuaufstellung der
Schulprogramme und Hochschulschriften, welche in ihrem früheren
ungebundenen Zustande dem Verderben entgegengicngen und nun-
mehr durch einen billigen Einband und eine zweckmässigere Auf-
stellung widerstandsfähiger sind.
Der P\)rtschritt der WissenvSchaften und der Literatur und
die erhöhten Anforderungen des Publicums an die Bibliothek
erforderten alimählich grössere Bücheranschafiimgcn, für welche
die Dotation von jährlich 15.000 fl. nicht mehr genügte. Diese
wurde daher im Jahre 1891 auf 20.000 fl., im Jahre 1895 ^u'
25.000 fl., im Jahre 1896 auf 28.000 fl. und im Jahre i8()7 auf
30.000 fl. erhöht. Da die Matrikelgelder, welche der Bibliothek
von Seite der Universität zufliessen, jährlich 5ox> fl. über-
steigen, so stehen nunmehr der Bibliothek für den Einkauf und
Einband der Bücher jährlich über 35.000 fl. zur Verfügung.
Dadurch war es in den letzten Jahren möglich, einige in
den Bücherbeständen der einzelnen Litcraturfächer bestehende
Lücken auszufüllen und bei den Neuanschaff'ungen von nun an
auch die ausländische, insbesonders die französische und eng-
lische Literatur besser zu berücksichtigen, als dies früher thunlich
war. Die Sammlung der (Jcsetzbüchcr der europäischen Staaten
wurde möglichst ergänzt, neue wissenschaftliche Zeitschriften, ins-
besonders medicinische und mathematische aufgenommen, die
wichtigsten Speciaikarten werke erworben und aus dendebieten der
französischen und englischen Sprache und Literatur Nachschaltiin-
gen vorgenommen. Auch auf die Instandhaltung des bibliographi-
schen Apparates kann nun besser Bedacht genommen werden.
Die Vermehrung der Bibliotheksagenden in den neuen
Räumen hatte auch eine X'ermehrung des Bibliotheks-
368 rnivcrsilätsbibliothck.
kam hiezu noch in Verwendung der dritte (über jenen befind-
liche) Saal, in welchem sich früher das Jesuitenjuniorat befand.
Das Lesezimmer mit 72, später 90 Sitzplätzen war bis zum
Jahre 1824 täglich (mit Ausnahme der Sonn- und Feiertage
und des Samstags) vormittags von 10 — 12 Uhr, nachmittags im
Winter von 2 — 4 Uhr und im Sommer von 3 — 5 Uhr, vom
Jahre 1824 an aber ununterbrochen im Winter von 9 — 2 Uhr
und im Sommer von 8 — 2 Uhr für jedermann geöffnet. Das
Bibliothekspersonale bestand anfänglich aus einem Oberbiblio-
theksdirector (dem Abte von Braunau Stephan Rauttenstrauch),
zwei Custodes primi aus dem Professorencollegium mit je 100 fl.
Zulage, zwei Custodes secundarii mit je 200 fl. Jahresgehalt und
zwei Dienern mit je 100 fl. Jahresbesoldung. Von den Custoden
waren zwei für das geistliche Fach und zwei für die weltlichen
Fächer bestimmt. Im Jahre 1784 wurden mit Allerhöchster
EntSchliessung statt der vier Custoden zw^ei Custoden und zwei
Scriptoren systemisiert. Mit den Bücherbeständen der Jesuiten-,
der Windhag- und Gschwind'schen Bibliotheken fielen der
Universitätsbibliothek auch deren Stiftungscapitalien in der Höhe
von 78.325 fl. mit einem jährlichen Erträgnisse von 3i33 fl. zu,
welches sich später auf 3420 fl. erhöhte, aus dem die Biblio-
thek ihre Bücheranschaflungen bestritt, bis sie im Jahre 1827
für diesen Zweck eine eigene Dotation von 2500 fl. erhielt, zu
welcher vom Jahre 1834 an noch eine ausserordentliche Dota-
tion von 2000 fl. kam, welche aber bis zum Jahre 1856 nicht
jedes Jahr gleichmässig ausgefolgt wurde.
Die Katalogisierung und Aufstellung der Bücher wurde nach
den Instructionen vom 3o. April 1778, Z. 628 und vom 23. Juli
1825, Z. 2930 vorgenommen und im Verlaufe der Zeit ausser
dem (aus Titelcopien bestehenden; Grundkataloge folgende
gebundene Kataloge hergestellt:
1. ein alphabetischer Katalog über die Jahre 1775 bis
1810, aus 12 Bänden bestehend, von welchem 3 Bände die theo-
logischen Werke, 2 die juridischen, 2 die medicinischen und
5 Bände die philosophischen Werke umfassen (Manuscr. 501);
2. ein systematischer aus den Jahren 1810 — 1828, aus
i3 Foliobänden bestehend (^Manuscr. 504);
Universitätsbibliothek. 369
3. ein alphabetischer aus den Jahren 1810 — 1850 mit
8 Autorenbänden und 2 Supplementbänden hiezu und 2 Ano-
nymenbänden und i Supplementbande hiezu, im ganzen i3 Bände
(Manuscr. 5o3);
4. ein systematischer aus den Jahren 1828 — 1850, aus
22 Bänden bestehend (Manuscr. 502).
Eine vollständige Reform in der Bücheraufstellung und
Katalogisierung wurde vom Bibliotheksvorstande Franz Lechner
zwischen i838 und 1850 vorgenommen, indem der gesammte
Bücherbestand der Bibliothek neu beschrieben, also ein neuer
Grundkatalog angelegt, eine neue Aufstellung der Bücher
nach 93 Literaturabtheilungen durchgeführt und dementsprechend
93 Localrepertorien hergestellt wurden, worauf auch der
neue alphabetische Nominalkatalog geschrieben und im
Jahre 1850 zum Gebrauche aufgestellt wurde.
Die Universitätsbibliothek war seit ihrer Gründung gut be-
sucht und, indem sie jedermann zugänglich ist, stets gewisser-
massen eine populäre Anstah. Zwischen 1835 und 1848 war
das Lesezimmer nach den der Regierung jährlich erstatteten Be-
suchstabellen im Durchschnitte von s 1.8 18 Lesern im Jahre be-
sucht. Das Kntlehnungsrecht hatten bloss die Professoren und
wurden durchschnittlich 506 Werke jährlich verliehen. Während
die Bibliothek wohl jedermann offen stand, war doch die Be-
nützung der Bücher beschränkt. In den Jahren 1815 und
18 16 erschienen der
a) Catalo^o de' libri italiani o tradotti in italiano proibiti.
Veneiia i(Si5;
b) Catalo^ue rem ei cortice des livres prohibes fraticois,
an*Jilois ei laiins. an ifVi6\ und ein
c) neu durchgesehenes Verzeichnis der verbotenen deut-
schen Bücher. Wien 18 16.
und wurden der Bibliothek seither die monatlichen Nachträge
regelmässig zugemittelt. Die Leclüre dieser Bücher war selbst-
verständlich verboten, aber es war auch die Benützung vieler
anderer er^j^a sehedam beschränkt, l'nter den verbotenen waren
zum Beispiel Fichtes Staatslehre, llormayrs 1 aschenbuch. Er^a
sehedam beschränkt war die Benützunu von Schlossers Ge-
Geschichte der W leuer Uuiver»iUl. 25
3 70 Untversitttsbibliothek.
schichte des 1 8. Jahrhunderts, Schlossers Übersicht der Geschichte
der alten Welt, Rottecks Allgemeine Geschichte, Goethes Werke,
Pölitz' Weltgeschichte und Staatswissenschaften, Kants Vor-
lesungen über die Metaphysik u. dgl.
Eine öffentliche Bibliothek ist das Spiegelbild der politischen
Zustände, der socialen Verhältnisse und der herrschenden Grund-
sätze ihrer Zeit und ihres Landes. Sowie das Jahr 1848 der
grosse Markstein zwischen Alt- und Neu-Osterreich ist, so bildet
dieses Jahr auch in der Geschichte der Universitätsbibliothek
einen wichtigen Abschnitt ihrer Entwicklung. Noch bevor am
26. Mai 1848 die Nationalgarden die Bibliothek besetzt und mit
den Büchern die Fenster verbarricadiert hatten, war mit Regie-
rungsdccret vom 8. April die Benützung der bisher verbotenen
Bücher, mit Ausnahme der offenbar unsittlichen oder irreligiösen
oder solcher Schriften, welche zur Nichtbeachtung der Gesetze
aufreizen, gestattet worden. Das Recht der Entlehnung von
Büchern aus der Bibliothek nach Hause, welches bisher im
allgemeinen auf die Universitäts- und Lycealprofessoren be-
schränkt war, wurde mit dem Unterrichts-Ministerialerlasse vom
20. December 1849, Z.6244 auch den Assistenten, Adjuncten und
Supplenten der Universitäten, ferner den ordentlichen und Hilfs-
und Nebenlehrern der Gymnasien und Realschulen, sowie den
immatriculierten Studenten der Universitäten, den Mitgliedern
der DoctorencoUegien und der kaiserlichen Akademie der Wissen-
schaften ertheilt und später auch auf alle wissenschaftlichen Schrift-
steller, an die Mitglieder der philologisch-historischen Seminare,
der Lehrkörper der Lehrer- und Lehrerinnen-Bildungsänstalten,
Handelsschulen u. s. w. ausgedehnt. Allmählich entwickelte sich
seit den Sechzigerjahren auch die auswärtige Bücherver-
leihung mittels Postsendungen an die übrigen Hoch-, Mittel-
und Fachschulen des Reiches und der Entlehnungsverkehr
mit dem Auslande. Die Benützung der L^niversitätsbibliothck
in Wien nimmt daher vom Jahre 1848 an einen grossen Auf-
schwung und steigt seit jener Zeit von Jahr zu Jahr. Im
Jahre 1848 war die Zahl der aus der Bibliothek ausgeliehenen
Bände 437, im Jahre 1884 betrug sie 24.008 Bände, also mehr
als das Vierundfünfzigfache. Die Zahl der im Jahre 1868
Universitätsbibliothek. 3 7 I
von der Bibliothek mittels Postsendungen verliehenen Werke
betrug 53 1 Bande und stieg bis zum Jahre 1884 auf 3892 Bände.
Auch der Besuch des Lesezimmers in der Bibliothek hob sich so
sehr, dass infolge Unterrichts-iMinisterialcrlasses vom 9. November
1851, Z. 11107/1605 vom Jahre 1852 an die Lesestunden auf
die Zeit von 9—4 Uhr im Winter und im Sommer bis 5 Uhr
ausgedehnt wurden. Bald genügte auch das eine Lesezimmer
im ersten Stocke mit seinen 90 Sitzplätzen nicht mehr, so dass
der ober demselben befindliche gleich grosse Raum im zweiten
Stockwerke durch Abtheilung mittels einer Riegelwand zu einem
Lesezimmer für die Mitglieder der Seminare und zu einem
Professoren- und Journalzimmer eingerichtet werden musste
und mit Beginn des Jahres 1859 eröffnet wurde. Es stellte
sich auch das Bedürfnis der Offenhaltung der Lesesäle in den
Abendstunden heraus, und es wurden vom 3o. Januar 1860
an die Leseräume im Winter von 9 — i Uhr und abends von
5 — 8 Uhr geöffnet und zu diesem Zwecke die Gasbeleuchtung
eingeführt. Für den Sommer blieb die frühere Lesezeit von
9 — 3 Uhr. Im Jahre 1872 wurde mit Unterrichts-Ministerial-
erlass vom 10. December, Z. 15677 die Offenhaltung der Lese-
säle auch an Sonn- und Feiertagen mit Ausnahme der
Weihnachts- und Osterferien und des Ferialmonates von 9 bis
12 Uhr angeordnet. Allmählich genügten auch diese Ix\seräume
nicht mehr, und es wurde im Jahre 1875 der im Lesesaale des
zweiten Stockes für die Mitglieder der Seminare, Doctoren und
Doctoranden bestimmte Raum durch die Beseitigung der Riegel-
wand erweitert und für die Professoren ein neues I-ese- und
Journalzimmer mit 12 Sitzplätzen eingerichtet. Es standen
demnach im .lahre 1884 dem Publicum und den Professoren
drei Leseräume mit zusammen 192 Sitzplätzen zur Verfügung,
und die Benützung der Bibliothek war allmählich so hoch ge-
stiegen, dass im Jahre 1884 die Zahl der Leser 68.652 und der
von ihnen benützten Bibliothekswerke 109.164 Bände betrug.
Der grosse Aufschwung der Wissenschaften und dement-
sprechend der Literatur seit dem Jahre 1848, sowie die erhöhten
Anforderungen, welche die Professoren und Studierenden der
Universität und das Publicum an die Bibliothek stellten, bedingten
372 l Jnivcrsiiätsbibliothek.
auch eine Vermehrung der Bücheranschaffungen, wofür die
früheren ordentlichen und ausserordentlichen Jahresdotationen,
sowie die anderen unregelmässig der Bibliothek zugewiesenen
Beträge für Agioverlust und für besondere Büchereinkäufe nicht
mehr hinreichten, weshalb das Unterrichtsministerium mit Er-
lass vom i3. Juli 1869, Z. 621 3 unter Einstellung aller übrigen
ausserordentlichen Bezüge vom Jahre 1870 an die für den
Bücherankauf und Einband bestimmte Jahresdotation auf
7000 fl. und mit Erlass vom 9. Januar 1877, Z. 366 auf
15.000 fl. erhöhte. Inzwischen waren mit Erlass des Staats-
ministeriums vom 3o. November 1862, Z. 10 184 die Univer-
sitäts- Matrikelgelder der Bibliothek zugewendet worden, so
dass sich die Einnahmen der Bibliothek von 3278 fl. 28 kr. im
Jahre 1848 auf 1 6.1 14 fl. 71 kr. im Jahre 1884 erhöhten. In-
folge dessen stieg auch der Bücherzuwachs der Bibliothek vom
Jahre 1848 mit 964 Bänden auf 6931 Bände im Jahre i883
und der Bücherstand der Bibliothek von 120.789 Bänden des
Jahres 1848 auf 299.091 Bände des Jahres 1884.
Da der alte Personalstand von i Bibliothekar, 2 Custoden
und 2 Scriptoren zur Besorgung des Dienstes nicht mehr hin-
reichte, wurden nach und nach provisorisch Amanuensen
aufgenommen, mit Erlass des Staatsministeriums vom 5. No-
vember 1865, Z. 10588 die Bezüge der Beamten theilweise
verbessert und vier Amanuensisstellen systemisiert, wozu
später noch provisorisch i Amanuensis kam und Volontäre
aufgenommen wurden, so dass der Bibliotheksstatus im An-
Amge des Jahres 1884 ^^^ ^^^ Bibliothekar, 2 Custoden, 2 Scrip-
toren, 5 Amanuensen, i Volontär und 8 Dienern bestand.
Der Bücherbestand der Bibliothek hat sich im Laufe des
36jährigen Zeitraumes von 1848 — 1884 mehr als verdoppelt, in-
folge dessen bereits die Räume der Bibliothek für die Auf-
stellung der Bücher nicht mehr hinreichten, so dass zu diesem
Zwecke im Jahre 1854 Localitäten im neu hergerichteten, an
die Bibliothek anstossenden Gebäude des alten Stadtconvictes
und im Jahre 1874 ™ eigentlichen C'.onvicte, im Jahre 1871
eine Bibliotheksdienerwohnung und vom Jahre 1869 — 1874 sogar
die Amtswohnung des Bibliotheksvorstandes für die Bücherauf-
Universitätsbibliothek. 37^
Stellung verwendet werden mussten. Die Bücher waren meist
in zwei, zuweilen in drei Reihen hinter einander aufgestellt, wo-
durch die Aushebung und Einstellung derselben immer schwie-
riger und zeitraubender wurde, zumal die oberen Fächer der
Bücherkästen nur mit Leitern zuganglich waren.
Im Jahre 1884 gieng der Bau des neuen Universitäts-
gebäudes seiner Vollendung entgegen, so dass dieses im Herbste
dieses Jahres vollständig seiner Bestimmung übergeben werden
konnte. Der Bibliothek waren in diesen Räumen zugewiesen
ein grosser, 46-5 ^^ langer und 17*7 m breiter allgemeiner
Lesesaal mit einer theologisch -philosophischen Abtheilung,
einer juridischen und einer medicinischen Abtheilung mit zu-
sammen 3oo Sitzplätzen, wovon je 90 auf die juridische und
medicinische und 120 auf die theologisch-philosophische Abthei-
lung entfielen und mit Bücherkästen für 50.000 Bände, ferner
ein Professorenzimmer mit 16 Sitzplätzen und Kästen für
die laufenden wissenschaftlichen Journale, ein Katalogzimmer,
ein Vorstandsbureau, vier Bureaux für die übrigen Beamten
und ein Expeditslocal für den Hin- und Auslauf der Bücher
und Geschäftsstücke mit Kästen für die provisorische Auf-
bewahrung der Pflichtexemplare von den nicht wissenschaftlichen
Zeitschriften, ferner vier Büchermagazine, dem sogenannten
Parterre-, Thurm-, Hof- und Stiegenmagazin, mit einem vom
Architekten angenommenen f'assungsraumc von 450.000 Bänden,
welcher aber in Wirklichkeit viel mehr aufnehmen kann.
Die Vorarb